1. Ein "normaler" Verwaltungsfehler stellt keinen in die Interessenabwägung bei der Ermessensausübung einzustellenden Umstand dar, wenn sich der Bescheidadressat vorwerfbar im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X verhalten hat.
2. Ein Anpassungsbescheid, der aufgrund eines Eingabefehlers erstmals eine - weitere - Leistung ausweist, kann ausnahmsweise Regelungswirkung entfalten und damit einen Verwaltungsakt darstellen.
3. Einem Pflegegutachten sowie einer notariellen Urkunde kann eine indizielle Bedeutung im Hinblick auf die Festestellung von Einschränkungen in der Geschäftsfähigkeit zukommen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich als Rechtsnachfolgerin ihres am 7. September 2022 verstorbenen Vaters S1 (Geschädigter) gegen die Rückforderung überzahlter Ausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1932 geborene Geschädigte hatte nach dem Bericht der Unfallstation des Allgemeinen Krankenhauses W1 vom 13. April 1944 am 13. April 1944 mit zwei Gefährten hinter dem elterlichen Wohnhaus in W1 mit einer 12 cm langen und 2 cm dicken Sprengpatrone, die ein Schulkameraden bei einem abgestürzten Flugzeug gefunden haben sollte, gespielt. Der Geschädigte habe an der Patrone herumgeschraubt, wobei diese explodiert sei und alle drei Knaben verletzt habe. Im Röntgen habe sich eine Zerreißung der rechten Mittelhand gezeigt. Die Finger hätten vollständig gefehlt, ebenso ein Teil der Handwurzel und der Mittelhandknochen. In den Weichteilen zeigten sich zahlreiche kleine metallische Einsprengungen. Es sei eine Amputation der rechten Hand im Speichen-Handwurzelgelenk erfolgt. Als Schädigungsfolge wurde ein Verlust der rechten Hand sowie eine reaktionslos verheilte Narbe an der rechten Gesäßbacke anerkannt und nach dem BVG eine Beschädigtengrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE – jetzt Grad der Schädigungsfolgen [GdS]) von 50 vom Hundert (v. H.) geleistet.
Aufgrund des Anpassungsbescheides vom 20. Juni 2014 des Landratsamtes R1 (LRA) bezog der Geschädigte Versorgungsleistungen in Höhe von 468,00 € monatlich, bestehend aus der Beschädigtengrundrente (264,00 €), dem Pauschbetrag (27,00 €), der Ausgleichsrente (102,00 €) und dem Ehegattenzuschlag (75,00 €).
Am 15. Oktober 2014 teilte der Kläger dem LRA das Versterben seiner Ehefrau, S2 (geb. 1931), 2014 mit. Deshalb hob das LRA durch Bescheid vom 15. Oktober 2014 den Bescheid vom 20. Juni 2014 auf und gewährte ab dem 1. November 2014 Versorgungsbezüge nur noch in Höhe von 393,00 €. Durch den Tod der Ehefrau sei eine wesentliche Änderung eingetreten, sodass kein Ehegattenzuschlag (bisher 75,00 €) mehr beansprucht werden könne.
Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 3. Dezember 2014 große Witwerrente ab dem 1. November 2014 mit einem Zahlbetrag ab 1. Februar 2015 von 284,42 €.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2015 gewährte das LRA Versorgungsbezüge ab dem 1. November 2014 in Höhe von 291,00 € (Grundrente 264,00 €, Pauschbetrag 27,00 €), abzüglich Tilgung (127,50 €) von 163,50 €. Dem Kläger sei große Witwerrente bewilligt worden, sodass ab dem 1. November 2014 kein Anspruch auf Ausgleichsrente mehr bestehe. Die eingetretene Überzahlung von 510,00 € werde zurückgefordert und in Raten von 127,50 monatlich einbehalten.
Der Bescheid vom 22. Juni 2015 aufgrund der 21. Verordnung zur Anpassung des Bemessungsbetrages und von Geldleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (KOV-AnpV 2015) gewährte Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 724,00 €, bestehend aus Beschädigtengrundrente (270,00 €), Pauschbetrag (27,00 €) sowie Ausgleichsrente (426,00 €) abzüglich Tilgung (127,50 €) 596,50 €. Unter „Besondere Hinweise“ wurde dargelegt, dass die Richtigstellung der maschinell neu berechneten Versorgungsbezüge vorbehalten bleibe, falls Bezüge in unrichtigem Umfang zahlbar gemacht worden seien. Dies gelte insbesondere dann, wenn seit der letzten Rentenfeststellung Änderungen in den maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten seien. Zu Unrecht empfangene Versorgungsbezüge seien zu erstatten.
Mit weiterem Bescheid vom 20. Juni 2016 (22. KOV-AnpassungsV 2016) wurden 754,00 € (Beschädigtengrundrente 281,00 €, Pauschbetrag 29,00 € und Ausgleichsrente 444,00 €), mit Bescheid vom 19. Juni 2017 (23. KOV-AnpassungsV 2017) 768,00 € (Beschädigtengrundrente 287,00 €, Pauschbetrag 29,00 € und Ausgleichsrente 452,00 €), mit Bescheid vom 18. Juni 2018 (24. KOV-AnpV 2018) 793,00 € (Beschädigtengrundrente 296,00 €, Pauschbetrag 30,00 und Ausgleichsrente 467,00 €), mit Bescheid vom 17. Juni 2019 (25. KOV-AnpV 2019) 818,00 € (Beschädigtengrundrente 305,00 €, Pauschbetrag 31,00 € und Ausgleichsrente 482,00 €) und mit Bescheid vom 18. Juni 2020 (26. KOV-AnpV 2020) 846,00 € (Beschädigtengrundrente 315,00 €, Pauschbetrag 32,00 € und Ausgleichsrente 499,00 €) gewährt.
Am 23. Februar 2016 teilte die Pflegekasse (AOK R2) mit, dass der Geschädigte seit dem 1. Januar 2015 Anspruch auf Leistungen zur Pflegeversicherung habe, die im Umfang einer evtl. Pflegezulage ruhten. Vorgelegt wurde das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) aufgrund ambulanter Begutachtung vom 28. Januar 2015 mit der Empfehlung einer Pflegestufe 1 bei 92 Minuten grundpflegerischem Hilfebedarf.
Das LRA teilte der Pflegekasse daraufhin mit Schreiben vom 29. Februar 2016 mit, dass die festgestellte Pflegebedürftigkeit überwiegend Folge schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen sei. Im Übrigen werde das Vorliegen einer Hilflosigkeit regelmäßig erst bei einem täglichen Grundpflegebedarf von zwei Stunden bejaht, der nicht bestehe. Die Voraussetzungen für eine Pflegezulage nach § 35 BVG seien daher nicht erfüllt. Von der Einleitung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens werde abgesehen.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 teilte die Pflegekasse erneut den Bezug von Leistungen der Pflegeversicherung mit. Nach dem Pflegegutachten vom 12. Dezember 2019 bestand seit dem 1. Januar 2017 ein Pflegegrad 2, empfohlen wurde seit dem 1. Juni 2019 nunmehr ein Pflegegrad 3. Das Pflegegutachten vom 21. Oktober 2020 empfahl einen Pflegegrad 4 ab 1. September 2020.
M1 führte versorgungsärztlich aus, dass ab Juni 2019 Hilflosigkeit nach § 35 BVG vorliege. Bei dem Gesamtausmaß der Hilflosigkeit überwögen die schädigungsunabhängigen Leiden. Für einen Anteil der bestehenden Hilflosigkeit könnten die anerkannten Schädigungsfolgen noch als mindestens gleichwertige Bedingung gelten, sodass eine Pflegezulage Stufe I empfohlen werde. Hinweise auf eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen gebe es nicht. Hinsichtlich des Grades der Behinderung (GdB), der bereits mit 100 und Merkzeichen „G“ (besondere Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) wie „B“ (ständige Begleitung) festgestellt sei, lägen mittlerweile auch die Voraussetzungen für die Merkzeichen „H“ (Hilflos – ab Juni 2019), „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „RF“ (Rundfunkgebührenermäßigung) vor. G1, Regierungspräsidium S3 – Landesversorgungsamt –, stimmte der versorgungsärztlichen Bewertung zu.
Mit Schreiben vom 19. Februar 2021 teilte das LRA dem Geschädigten mit, dass bei einer Überprüfung aufgefallen sei, dass seit Juli 2015 eine Ausgleichsrente ausgezahlt werde, obwohl diese seit November 2014 nicht mehr zustehe. Die Auszahlung sei zum April 2021 eingestellt worden, ab diesem Zeitpunkt würden Versorgungsbezüge in Höhe von 374,00 € gezahlt.
Die interne Überprüfung ergab (vgl. Aktenvermerk vom 8. März 2021, Blatt 844 Verwaltungsakte), dass nach dem Bescheid vom 24. Februar 2015 im Datenerfassungssystem das Einkommen gelöscht wurde, nicht aber die Ausgleichsrente. Eine Einkommensnachprüfung sei nicht signiert worden, da keine einkommensabhängigen Leistungen mehr zugestanden hätten. Bei der maschinellen Rentenanpassung sei die Ausgleichsrente dann in voller Höhe ohne jegliche Einkommensanrechnung ausgewiesen worden, eine Plausibilitätsprüfung nehme das System nicht vor und ein Hinweis an den Sachbearbeiter ergehe ebenfalls nicht.
Der Geschädigte legte die notariell beglaubigte Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung für die Klägerin vom 27. September 2019 vor. Die darin enthaltene Erklärung sei erfolgt, nachdem sich der Notar von der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit des Erschienenen überzeugt habe.
Mit Bescheid vom 25. März 2021 stellte das LRA fest, dass der GdS weiter 50 betrage, ab dem 1. Juni 2019 aber Pflegezulage (§ 35 BVG) Stufe 1 und deshalb gemäß § 33 Abs. 4 BVG die halbe Ausgleichsrente beansprucht werden könne. In der Versorgungsangelegenheit sei noch ein Rücknahmebescheid gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen. Daher werde die Nachzahlung der Ausgleichsrente sowie die Aufnahme der laufenden Ausgleichsrentenzahlung bis zur Klärung, ob die Leistung mit der bestehenden Forderung verrechnet werden könne, vorläufig einbehalten. Der Nachzahlungsbetrag hinsichtlich der Pflegezulage belaufe sich auf 7.713,00 €.
Mit Schreiben vom 25. März 2021 hörte das LRA den Geschädigten zur Rückforderung der Ausgleichsrente ab 1. Juli 2015 an (§ 24 SGB X). Mit Bescheid vom 24. Februar 2015 sei die Ausgleichsrente nach dem Tod der Ehefrau des Geschädigten entzogen und die Überzahlung zurückgefordert worden. Es sei ein ausführlicher Hinweis erfolgt, dass der Bezug der Witwerrente zum Wegfall der Ausgleichsrente geführt habe. Trotzdem sei bei der maschinellen Rentenanpassung zum 1. Juli 2015 die volle Ausgleichsrente errechnet und ausgezahlt worden. Bei dieser Sachlage seien der Bescheid vom 22. Juni 2015 und die Folgebescheide rechtswidrig, sodass im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens geprüft worden sei, ob und inwieweit ein Rücknahmebescheid zu erteilen sei. Der Geschädigte habe trotz seines fortgeschrittenen Alters erkennen müssen, dass keine Ausgleichsrente mehr zugestanden habe. Obwohl ab dem 1. Juli 2015 wieder eine Ausgleichsrente gezahlt worden sei, habe der Geschädigte sich nicht gemeldet bzw. nachgefragt. Einfachste, nahestehende Überlegungen seien nicht in Betracht gezogen worden. Es sei deshalb beabsichtigt, einen Rücknahmebescheid zu erteilen. Die sich aus der Neuberechnung der Versorgungsbezüge ergebende Überzahlung betrage voraussichtlich 31.743,00 € und müsse zurückgefordert werden. Mit dem Bescheid vom 25. März 2021 werde wieder die hälftige Ausgleichsrente ab dem 1. Juni 2019 gewährt sowie eine Pflegezulage nach Stufe I. Die Nachzahlung der Ausgleichsrente werde bis zur Entscheidung über eine mögliche Aufrechnung vorläufig einbehalten.
Gegen den Bescheid vom 25. März 2021 erhob der Kläger am 9. April 2021 Widerspruch und machte mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag geltend, dem mit der Anhörung angekündigten Bescheid entgegenzusehen.
Mit Schreiben vom 13. April 2021 machte die Pflegekasse einen Erstattungsanspruch geltend (beziffert mit Schreiben vom 14. Juni 2021 auf 7.713,00 €).
Der Geschädigte beantragte das Ruhen des Widerspruchsverfahrens bis zur Klärung der in Aussicht gestellten Rückforderung.
Mit Bescheid vom 27. Mai 2021 nahm das LRA den Bescheid vom 22. Juni 2015 sowie die Folgebescheide vom 20. Juni 2016, 19. Juni 2017, 18. Juni 2018, 17. Juni 2019 und 18. Juni 2020 nach § 45 SGB X insoweit ab dem 1. Juli 2015 zurück, als darin über die Höhe der Ausgleichsrente entschieden wurde. Vom 1. Juli 2015 bis 31. Mai 2019 stehe keine Ausgleichsrente zu, ab dem 1. Juni 2019 bestehe Anspruch auf die Hälfte der vollen Ausgleichsrente. Die Zahlung der laufenden Ausgleichsrente sei seit dem 1. April 2021 eingestellt worden. Diese stehe in Höhe von 0,00 € vom 1. Juli 2015 bis 31. Mai 2019, 234,00 € ab 1. Juni 2019, 241,00 € ab 1. Juli 2019 und 250,00 € ab 1. Juli 2020 zu. Die mit Bescheid vom 25. März 2021 festgestellte Nachzahlung werde zur Aufrechnung mit der entstandenen Überzahlung verwendet. Die Versorgungsbezüge ab 1. Juli 2021 beliefen sich auf insgesamt 939,00 € (Grundrente 315,00 €, Ausgleichsrente 250,00 €, Pflegezulage 342,00 € und Pauschbetrag 32,00 €). Die Überzahlung von 31.743,00 € werde zurückgefordert. Wegen der Tilgung der Überzahlung werde auf Ziffer IV verwiesen.
Die ergangenen Bescheide seien im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen. Die Rücknahme sei gerechtfertigt, weil der Geschädigte aufgrund der in den früheren Bescheiden enthaltenen Hinweise über die Neuberechnung der Versorgungsbezüge und insbesondere nach dem Hinweis im Bescheid vom 24. Februar 2015 über den Wegfall der Ausgleichsrente durch die Anrechnung der Witwerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung trotz seines fortgeschrittenen Alters habe erkennen müssen, dass ihm keine Ausgleichsrente mehr zustehe. Obwohl der die Leistung entziehende Bescheid am 25. Februar 2015 erteilt worden sei und dem Geschädigten vier Monate später eine noch höhere Ausgleichsrente als vor dem Bezug der Witwerrente gezahlt worden sei, habe er sich nicht gemeldet bzw. nachgefragt. Er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides erkennen müssen. Es sei ihm zumindest vorzuhalten, die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt zu haben, weil er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht in Betracht gezogen habe.
Auf die Anhörung sei keine inhaltliche Äußerung erfolgt. Bei der Ausübung des Ermessens seien im Einzelfall neben dem Grad des Vertrauensschutzes und den persönlichen Verhältnissen auch die Verpflichtung zur gesetzestreuen Ausführung rechtlicher Vorschriften, d.h. die Gewährung nur rechtmäßig zustehender Leistungen und das Gebot der Gleichbehandlung miteinander übereinstimmender Sachverhalte berücksichtigt worden. Nachdem sich der Geschädigte nach der erneuten Zahlung der Ausgleichsrente in einem weit höheren Maße als vor der Gewährung der Witwerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und in Kenntnis des Bescheides vom 25. Februar 2015, welche diese Leistung entzogen habe, nicht gemeldet bzw. nachgefragt habe, überwiege der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns den Vertrauensschutz. Auch unter Berücksichtigung des Alters sowie der wirtschaftlichen Verhältnisse sei eine Rücknahme nicht nur für die Zukunft, sondern auch mit Wirkung für die Vergangenheit gerechtfertigt, da der Geschädigte weiterhin Versorgungsbezüge beziehe. Zudem verfüge er über eine Altersrente und eine Witwerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Daher stelle die Rückforderung der Überzahlung keine besondere Härte dar. Vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2021 hätten 6.126 € an Ausgleichsrente zugestanden. Tatsächlich gezahlt worden seien 31.743,00 €, sodass sich eine Überzahlung von 25.617,00 € ergebe. Die überzahlten Versorgungsbezüge von 25.617 € würden zurückgefordert. Zur Tilgung der Überzahlung würden ab dem 1. Juli 2021 monatlich 469,50 € einbehalten. Unabhängig davon sei die Überzahlung grundsätzlich innerhalb von vier Monaten in einer Summe zurückzuzahlen.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2021 teilte das LRA dem Geschädigten mit, dass die Pflegekasse einen Erstattungsanspruch auf den gesamten Nachzahlungsbetrag hinsichtlich der Pflegezulage geltend gemacht habe, sodass sich kein Nachzahlungsbetrag zu seinen Gunsten mehr ergebe.
Am 8. Juni 2021 erhob der Geschädigte Widerspruch. § 45 Abs. 3 Nr. 3 SGB X setze Unlauterbarkeit zum Zeitpunkt des Erlasses des rechtswidrigen Verwaltungsaktes voraus. Mit Bescheid vom 24. Februar 2015 sei mitgeteilt worden, dass durch den Tod der Ehefrau und der Gewährung einer Witwerrente eine Änderung eingetreten sei, die zum Wegfall der Ausgleichsrente führe. Die Überzahlung sei einbehalten worden. Mit Bescheid vom 22. Juni 2015 und den folgenden Bescheiden sei dennoch jeweils Ausgleichsrente gewährt worden. Der erste „rechtswidrige“ Bescheid vom 22. Juni 2015 sei nur vier Monate nach dem Rückforderungsbescheid vom 24. Februar 2015 ergangen. Damit habe er nach seinem Empfängerhorizont davon ausgehen können, dass dies seine Richtigkeit habe und durch den Rücknahmebescheid vom 22. April 2015 die wesentliche Änderung durch den Tod der Ehefrau abschließend berücksichtigt worden sei. Diese Ansicht habe sich durch die Folgebescheide weiter verfestigen müssen, er habe davon ausgehen können, dass die folgenden Bescheide, die über einen Zeitraum von fünf Jahren ergangen seien, rechtmäßig gewesen seien. Er selbst sei zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide über die Folgejahre ebenfalls von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen. Er habe durch das Handeln des Beklagten auf den Bestand der Verwaltungsakte vertrauen dürfen, dieses Vertrauen sei unter Abwägungsgesichtspunkten schutzwürdig.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2021 wies der Geschädigte darauf hin, dass über den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung noch nicht entschieden sei. Mit einem monatlichen Einbehalt von 469,50 € sei er ohne Anerkennung einer Rechtspflicht vorläufig einverstanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2021 wies das Regierungspräsidium S3 – Landesversorgungsamt – den Widerspruch zurück und lehnte den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ab. Es seien Versorgungsbezüge in Höhe von 31.743,00 € zurückgefordert worden. Die nunmehr ab dem 1. Juni 2019 zu gewährende Rente in Höhe der Hälfte der vollen Ausgleichsrente werde, ebenso wie die Nachzahlung der Ausgleichsrente ab dem 1. April 2021 aus diesem Bescheid zur Aufrechnung der entstandenen Überzahlung verwendet. Es verbleibe daher noch eine Überzahlung von 25.617,00 €. Zur Tilgung der Überzahlung werde seit dem 1. Juli 2021 monatlich ein Betrag von 469,50 € einbehalten.
Auch unter Berücksichtigung des Widerspruchsvorbringens werde an der getroffenen Entscheidung festgehalten. Aus den im angefochtenen Bescheid genannten Gründen habe der Geschädigte trotz seines Alters erkennen müssen, dass der Bescheid vom 22. Juni 2015 sowie die Folgebescheide rechtswidrig gewesen seien, weil ihm bereits mit Bescheid vom 24. Februar 2015 mitgeteilt worden sei, dass eine Ausgleichsrente wegen der Gewährung einer Witwerrente nicht mehr zustehe.
Dem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung habe unter Berücksichtigung des bestehenden Ermessensspielraums nicht entsprochen werden können, weil es keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Bescheid rechtswidrig sei. Die Tilgung der Überzahlung durch Einbehalt von monatlich 469,50 € stelle keine unbillige Härte dar.
Am 26. Oktober 2021 hat der Geschädigte Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und geltend gemacht, dass das „Verschulden“ nicht bei ihm, sondern beim Beklagten liege. Aus dem Aktenvermerk (S. 844 Verwaltungsakte) ergebe sich, dass von Seiten der Verwaltung vergessen worden sei, die Ausgleichsrente im Datenerfassungssystem zu löschen, sodass diese bei der Neufeststellung der Versorgungsbezüge wieder berücksichtigt worden sei.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand der Bewilligung nicht habe entstehen können, weil bereits mit Bescheid vom 24. Februar 2015 mitgeteilt worden sei, dass die Gewährung einer Witwerrente durch die gesetzliche Rentenversicherung ab dem 1. November 2014 zum Wegfall der einkommensabhängigen Ausgleichsrente geführt habe. Auch seinerzeit seien die überzahlten Beträge zurückgefordert worden.
Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Mai 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die Bescheide zu Recht aufgehoben und eine Erstattung von 25.617,00 € beansprucht. Bei Erlass der Bescheide habe dem Geschädigten wegen des anzurechnenden Einkommens infolge der erzielten Alters- und Hinterbliebenenrente keine Ausgleichsrente für Juli 2015 bis Mai 2019 zugestanden. Für Juni 2019 habe der Geschädigte nur einen Leistungsanspruch von 234,00 €, für Juli 2019 bis Juni 2020 von 241,00 € und für Juli 2020 bis Juni 2021 von 250,00 € monatlich gehabt. Demgegenüber seien tatsächlich höhere Leistungen gewährt worden.
Der Geschädigte habe nicht auf die Bescheide vertrauen dürfen, vielmehr habe er deren Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Bezugspunkt dieses Kennenmüssens sei die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Verwaltungsaktes. Sie liege vor, soweit der Begünstige wissen müsse, dass die ihn begünstigende Regelung vom geltenden Recht nicht gedeckt sei. Grundlage sei danach der Verwaltungsakt mit seinem Verfügungssatz und dessen Unvereinbarkeit mit der Rechtslage. Für diese Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sei es ausreichend, wenn der Leistungsempfänger im Rahmen einer sogenannten „Parallelwertung in der Laienspähre“ habe wissen müssen, dass ihm die zuerkannte Leistung so nicht zustehe.
Aus dem Verwaltungsverfahren, das mit dem Bescheid vom 24. Februar 2015 abgeschlossen worden sei, sei dem Geschädigten bekannt gewesen, dass der einkommensabhängige Anspruch auf Ausgleichsrente nicht mehr bestanden habe, da er wegen des Todes seiner Ehefrau als Einkommen nun zusätzlich Witwerrente erhalten habe. An diesem Sachverhalt habe sich bei Erlass der nunmehr aufgehobenen Bescheide nichts geändert. In diesen sei die Ausgleichsrente jeweils gesondert, neben der Beschädigtengrundrente und dem Pauschbetrag, aufgeführt gewesen. Der Beklagte habe das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt, der angefochtene Aufhebungsbescheid sei innerhalb von 10 Jahren nach Bekanntgabe der ersten aufgehobenen Verwaltungsentscheidung ergangen. Die Aufhebung sei im zutreffenden Umfang erfolgt und die Erstattungsforderung richtig berechnet, auf die Begründung im Bescheid vom 27. Mai 2021 werde Bezug genommen.
Am 22. Juni 2022 hat der Geschädigte Berufung beim Landessozialgericht Baden- Württemberg (LSG) eingelegt (L 6 VK 1766/22). Aufgrund der Wiederbewilligung der Ausgleichsrente mit Bescheid vom 22. Juni 2015, nur vier Monate nach dem Bescheid vom 24. Februar 2015, mit dem die Ausgleichsrente ohne ausführliche Begründung aufgehoben worden sei, habe er davon ausgehen können, dass alles seine Richtigkeit habe. Der angefochtene Bescheid enthalte keine Ausführungen dazu, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen berücksichtigt worden wären. Es werde lediglich apodiktisch ausgeführt, dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters habe erkennen müssen, dass ihm keine Ausgleichsrente mehr zustehe. Tatsächlich habe er sich seit dem Tod seiner Frau am 11. Oktober 2014 in einem psychischen Ausnahmezustand befunden und sei geistig verwirrt gewesen, sodass er nicht in der Lage gewesen sei, die Rechtswidrigkeit der Bescheide zu erkennen.
Nachdem der Geschädigte am 9. September 2022 verstorben ist, hat der Senat mit Beschluss vom 16. September 2022 das Verfahren ausgesetzt. Dieses ist von der Klägerin, unter Vorlage des Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist, am 17. April 2023 wieder angerufen worden (L 6 VK 1152/23).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Mai 2022 sowie den Bescheid vom 27. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend hat er, unter Vorlage auch der Verwaltungsakte betreffend die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, nochmals darauf hingewiesen, dass es auf eine Parallelwertung in der Laiensphäre ankomme. Das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit von Januar 2015 stütze den Vortrag nicht. Daraus gehe nämlich hervor, dass der Geschädigte als zu allen Qualitäten orientiert und bewusstseinsklar beschrieben werde. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung würden verneint. Er habe daher den Sachverhalt zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 24. Februar 2015 erfassen können. Auch den Folgebescheiden sei derselbe Sachverhalt zu Grunde zu legen. Das Pflegegutachten vom 12. Dezember 2019 weise aus, dass der Geschädigte ausreichend zu Person und örtlich orientiert gewesen sei. Im Hinblick auf die kognitiven Fähigkeiten sei angekreuzt, dass die Fähigkeit zum Verstehen von Sachverhalten und Informationen größtenteils vorhanden sei und er Gefahren und Risiken erkenne. Dass im Pflegegutachten vom 21. Oktober 2020 beschrieben werde, dass die Gedächtnisleistung des Geschädigten weiter abgebaut habe, sei vorliegend unschädlich. Dieser Zeitpunkt liege nach dem letzten genannten Bescheid.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Nachdem der Geschädigte am 7. September 2022 verstorben ist, hat seine Tochter, die nach dem Erbschein des Amtsgerichts B1 vom 4. April 2023 dessen Alleinerbin geworden ist, das Verfahren fortgeführt.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 6. Mai 2022, mit dem die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 11. Oktober 2021 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes ist bei dieser Klageart der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 33a; BSG, Urteil vom 13. August 1997 – 9 RVs 10/96 –, juris, Rz. 15; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R –, juris, Rz. 13).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 27. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats hat der Beklagte die an den verstorbenen Geschädigten gezahlten Versorgungsleistungen zu Recht teilweise aufgehoben und die Überzahlung erstattet verlangt. Das SG hat die Klage damit zu Recht abgewiesen, sodass der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Berufungsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.
Der Geschädigte bezog von dem Beklagten Versorgungsbezüge in Form von Beschädigtengrundrente, Pauschbetrag und Ausgleichsrente, die zuletzt mit Bescheid vom 20. Juni 2014 auf 468,00 € angepasst worden waren, wovon 102,00 € auf die Ausgleichsrente entfielen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 hatte der Beklagte nach dem mitgeteilten Versterben der Ehefrau den Wegfall des Ehegattenzuschlags berücksichtigt und Leistungen nur noch in Höhe von insgesamt 393,00 € gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 24. Februar 2015 hatte der Beklagte die vorangegangenen Entscheidungen aufgehoben und einen Leistungsanspruch von nur noch 291,00 €, bestehend aus 264,00 € Beschädigtengrundrente und 27,00 € Pauschbetrag, festgestellt. Zur Begründung des Bescheides hatte der Beklagte dargelegt, dass ein Anspruch auf Ausgleichsrente deshalb nicht mehr besteht, weil der Geschädigte seit 1. November 2015 große Witwerrente von der DRV bezog. Diese Ausführungen waren zutreffend, da es sich bei der Ausgleichsrente um eine einkommensabhängige Leistung handelt, die zuletzt in Höhe von 102,00 € festgestellt war, sodass die gewährte große Witwerrente mit 284,42 € (vgl. Bescheid der DRV vom 3. Dezember 2014) deutlich darüber lag.
Es stand somit bestandskräftig fest, dass dem Geschädigten ab dem 1. November 2014 kein Anspruch auf Ausgleichsrente mehr zugestanden hat. Dennoch sind mit dem Anpassungsbescheid vom 22. Juni 2015 – bei unveränderter Einkommenslage – die Leistungen auf insgesamt 724,00 € angepasst worden. Dabei ist in die Berechnung eine Ausgleichsrente mit einem Betrag von 426,00 € eingestellt worden, wie schon deutlich aus der Einzelaufstellung im Anpassungsbescheid folgt. Grundsätzlich gilt zwar, dass Anpassungsbescheide keine Regelungen zu den einzelnen Berechnungsfaktoren der Leistung treffen, also insoweit keinen anfechtbaren Verwaltungsakt darstellen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 – B 9 VG 1/03 R –, juris, Rz.14 und vom 22. Juni 1986 – 9/9a RV 46/86 –, juris, Rz. 13). Für den Bescheid vom 22. Juni 2015 gilt vorliegend jedoch anderes. Dieser Bescheid passt nämlich die Leistungen nicht nur anhand der Änderungsverordnung der Höhe nach an, sondern stellt eine erstmalige bzw. erneute Gewährung der Ausgleichsrente dar, nachdem deren Gewährung zuvor mit dem Bescheid vom 24. Februar 2015 aufgehoben gewesen ist. Dies hat der Beklagte zutreffend erkannt und deshalb seine Entscheidung auf den Bescheid vom 22. Juni 2015 gestützt. Soweit er auch die nachfolgenden Anpassungsbescheide (teilweise) mit aufgehoben hat, ist das Vorgehen folgerichtig. Zum einen wird dadurch verhindert, dass einer der nachfolgenden Bescheide zum erstmalig die Ausgleichsrente (wieder-)gewährenden Bescheid wird, zum anderen wird ein anderweitiger Rechtsschein vermieden. Vorstehendes ändert aber nichts daran, dass sich die Regelungswirkung der nachfolgenden Bescheide auf die Anpassung der Leistungen beschränkt und keine (nochmalige) Entscheidung über die Ausgleichsrente dem Grunde nach treffen. Bezugspunkt für die Aufhebungsentscheidung ist daher der Bescheid vom 22. Juni 2015.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 27. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 11. Oktober 2021 ist § 45 Abs. 1 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstige nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstige die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).
Nach diesen Maßstäben war der Bescheid vom 22. Juni 2015, soweit er eine Ausgleichsrente gewährt hat (zum Regelungsgehalt vgl. oben), rechtswidrig. Anspruch auf Ausgleichsrente haben nach § 32 Abs. 1 BVG Schwerbeschädigte, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes oder hohen Alters oder aus einem von ihnen nicht zu vertretenden sonstigen Grund eine ihnen zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfang oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben können. Die volle Ausgleichsrente ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BVG um das anzurechnende Einkommen zu mindern. Der Beklagte hat daher mit dem Bescheid vom 24. Februar 2015 zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichsrente ab dem 1. November 2015 verneint, da das Einkommen aus der großen Witwerrente (284,42 €) auf die Ausgleichsrente (zuletzt noch 102,00 €) anzurechnen ist und deshalb kein Anspruch auf die Leistung mehr bestanden hat. An dem Bezug der anzurechnenden Leistung hat sich bis Juni 2015, und darüber hinaus, nichts geändert, sodass die Ausgleichsrente weiter nicht beansprucht werden konnte. Ihre dennoch erfolgte Gewährung war daher von Anfang an rechtswidrig. Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 25. März 2021 Pflegezulage nach Stufe I ab 1. Juni 2019 gewährt hatte, konnte der Geschädigte nach § 33 Abs. 4 BVG die Gewährung der hälftigen Ausgleichsrente beanspruchen, sodass die Gewährung der Ausgleichrente in voller Höhe ab diesem Zeitpunkt weiterhin teilweise rechtswidrig gewesen bzw. geblieben ist.
Vertrauensschutz steht der Rücknahme nicht entgegen, da der Geschädigte auch zur Überzeugung des Senats die Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen, also von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R –, juris, Rz. 23; BSG, Urteil vom 13. Dezember 1972 – 7 RKg 6/69 –, juris, Rz. 14).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat zu Recht darauf abgestellt, dass mit dem Bescheid vom 25. Februar 2015 ausdrücklich dargelegt worden ist, dass der Bezug der großen Witwerrente zum Wegfall des Anspruchs auf Ausgleichsrente führt. Der wesentliche Umstand ist damit im Bescheid deutlich und unmissverständlich dargelegt worden, sodass es nicht überzeugt, wenn nunmehr vorgebracht wird, dass der Bescheid keine hinreichende Begründung enthalte. Die weitere Argumentation des Geschädigten, dass zwischen der Entziehung der Ausgleichsrente und der Wiedergewährung nur ein Zeitraum von knapp vier Monaten liege, sodass er davon habe ausgehen können, dass alles seine Richtigkeit habe, ist unschlüssig und überzeugt nicht. Nachdem der Geschädigte dem Bescheid vom 25. Februar 2015 entnehmen konnte, dass das Einkommen aus der Witwerrente bei der DRV der Grund für den Wegfall der Ausgleichsrente gewesen ist, konnte er in keiner Weise davon ausgehen, dass ihm diese ab Juli 2015 – und damit nur vier Monate später – wieder zustehen würde. Er musste nämlich wissen, dass sich an der Rentengewährung und seinen sonstigen finanziellen Verhältnissen nichts geändert hatte. Weshalb bei unveränderten Verhältnissen sich eine andere Beurteilung der Leistungsansprüche ergeben sollte, bleibt schon offen. Dass die Gewährung fehlerhaft erfolgt ist, musste sich dem Geschädigten bereits deshalb aufdrängen, weil die nunmehrige Ausgleichsrente mit 426,00 € gut viermal so hoch gewesen ist, wie die zuletzt gewährte (102,00 €), und er deshalb deutlich höhere Leistungen als vor dem Tod seiner Ehefrau erhalten hat. Nachdem das Hinzutreten der Witwerrente zunächst zum Wegfall des Anspruchs auf Ausgleichsrente geführt hatte, konnte der Geschädigte nicht ernsthaft davon ausgehen, dass ihm – bei im Wesentlichen unveränderten Einkommensverhältnissen – die Ausgleichsrente – nur vier Monate später – plötzlich in vierfacher Höhe zugestanden hat. Hinzukommt, wenn auch nicht alleine tragend, dass in dem Bescheid vom 22. Juni 2015 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es sich um eine maschinelle Anpassung handelt und Korrekturen deshalb vorbehalten bleiben.
Auch wenn es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, besteht eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Aus dem Sozialrechtsverhältnis folgt nämlich, dass die Beteiligten sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren haben. Wäre der Sozialleistungsberechtigte überhaupt nicht gehalten, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, so wären die Vorschriften über Inhalt, Form, Begründung und Bekanntgabe von Verwaltungsakten nicht verständlich. Es liegt deshalb auf tatsächlichem Gebiet, inwieweit der Begünstigte Bewilligungsbescheide zum Anlass für Richtigkeitsüberlegungen und Vorstellungen oder Hinweise gegenüber der Behörde zu nehmen hat. (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2011 – B 11 AL 21/00 R –, juris, Rz. 25 f.).
Der Geschädigte hätte daher bei Lektüre des Bescheides die Fehlerhaftigkeit erkennen können und müssen. Tatsache ist nämlich, dass dieser – nur aus zwei Seiten bestehende Bescheid – auf der ersten Seite die Zusammensetzung der Versorgungsbezüge im Einzelnen ausweist und die jeweilige Leistung mit ihrem zugehörigen Leistungsbetrag aufführt. Konkret gestaltete sich dieser wie folgt:
„ ab 1. Juli 2015 werden Versorgungsbezüge in folgender Höhe gewährt:
Beschädigtengrundrente (§ 31 BVG) 270,00 €
Pauschbetrag 27,00 €
Vom Einkommen abhängige Versorgungsbezüge:
Ausgleichsrente 426,00 €
Versorgungsbezüge gesamt 724,00 €
abzüglich Tilgung 127,50 €
Zahlbetrag 596,50 €
Bei der Berechnung der einkommensabhängigen Leistungen wurden folgende Einkünfte zugrunde gelegt:
---- 0,00 €“
Aus dem Anpassungsbescheid selbst geht weiter deutlich hervor, dass es sich bei der Ausgleichsrente um eine einkommensabhängige Leistung handelt und dass auf diese ein Betrag von 0,00 € angerechnet worden ist. Im Gegensatz dazu hat der Bescheid vom 20. Juni 2014 (20. KOV-AnpV 2014) noch ein anzurechnendes Einkommen von 784,91 € (Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung) ausgewiesen, wobei es sich um die eigene Versichertenrente des Geschädigten handelte, die diesem unabhängig vom Tod seiner Ehefrau zustand.
Zur Überzeugung des Senats hätte der Geschädigte auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit erkennen können und müssen, dass der zuerkannte Anspruch nicht bestand (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris, Rz. 25). Auf die Anhörung zur Überzahlung (§ 24 SGB X) hat der Geschädigte inhaltlich überhaupt nicht Stellung genommen und damit keine Umstände aufgezeigt, die Zweifel an seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten begründen können. Im Widerspruchs- und Klageverfahren hat er vielmehr geltend gemacht, aus seinem Empfängerhorizont von der Richtigkeit der Entscheidung ausgegangen zu sein und dass sich diese Ansicht durch die Folgebescheide weiter verfestigt habe. Aus diesem Vorbringen des Geschädigten wird somit unterstrichen, dass er sowohl den aufzuhebenden Bescheid als auch die Folge- bzw. Anpassungsbescheide nicht nur gelesen, sondern auch in ihrem Sinngehalt verstanden hat. Die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des Bescheides kann sich nämlich nur dann verfestigen, wenn sich diese zunächst gebildet hatte. Dass diese Überzeugungsbildung vorliegend nicht gerechtfertigt gewesen ist, sondern darauf beruhte, dass einfachste Überlegungen nicht angestellt worden sind, ist oben bereits aufgezeigt worden.
Schon vor dem Hintergrund des eigenen Bekundens des Geschädigten im Widerspruchs- und Klageverfahren, welches zeitnäher zum streitigen Bescheid erfolgte, ist es als angepasster Vorbringen zu bewerten, wenn der Geschädigte nunmehr erstmals im Berufungsverfahren behauptet, sich seit dem Tod seiner Frau 2014 in einem psychischen Ausnahmezustand befunden zu haben und geistig verwirrt gewesen zu sein, weshalb er die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht habe erkennen können. Er setzt sich damit in Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Darüber hinaus wird sein Vortrag aber auch durch die Aktenlage nicht gestützt, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat. Dem im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) zu verwertenden Pflegegutachten vom 28. Januar 2015 entnimmt der Senat nämlich, dass der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt als in seiner Wohnung alleinlebend beschrieben worden ist. Er war zu allen Qualitäten orientiert und bewusstseinsklar, ausdrücklich verneint wurde das Vorliegen einer demenzbedingten Fähigkeitsstörung, geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung. Korrespondierend hierzu wurde eine Einschränkung der Alltagskompetenz im Sinne des § 45a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in seiner bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung verneint. Empfohlen wurde eine Pflegestufe 1 bei angenommenen Hilfebedarf von 90 Minuten täglich, was nicht auf einen höhergradigen Pflegebedarf hinweist.
In tatsächlicher Hinsicht hat der Gutachter festgehalten, dass der Geschädigte ihm selbst die Tür geöffnet hat, die Begutachtungssituation vollständig erfassen sowie die gestellten Fragen alle prompt und adäquat beantworten konnte. Die eigene Krankheitsgeschichte konnte er detailliert schildern. Von einem psychischen Ausnahmezustand seit dem Tod der Ehefrau im Oktober 2014, damit zum Begutachtungszeitpunkt von gut vier Monaten, kann daher ebenso wenig die Rede sein, wie von einer geistigen Verwirrung. Der Beklagte ist vor dem Hintergrund der erhaltenen Fähigkeiten somit zu Recht davon ausgegangen, dass im konkreten Fall aus dem Alter des Geschädigten von 83 Jahren im Jahr 2015 nicht auf eine fehlende Einsichtsfähigkeit geschlossen werden kann.
Dem Pflegegutachten von Dezember 2019 ist demgegenüber zu entnehmen, dass die Pflegestufe 1 zum 1. Januar 2017 in den Pflegegrad II übergeleitet worden ist und der Geschädigte unter einer zunehmenden Sehschwäche litt sowie wegen eingeschränkter Selbstversorgung mittlerweile in der Familie der Tochter lebte. Dennoch konnte der Geschädigte die Gutachtensituation teilweise erfassen und ist zur seiner Person und örtlich ausreichend orientiert gewesen. Die zeitliche Orientierung war unscharf, er kannte den aktuellen Monat, nicht aber das Jahr. Die Merkfähigkeit wurde als nachlassend bezeichnet, beim Verstehen von komplexen Sachverhalten und bei unvorhergesehenen Situationen im Tagesablauf wird er als unsicher und überfordert beschrieben. Im Wortflüssigkeitstest konnten aber in einer Minute 10 Tiere ohne Probleme aufgezählt werden, die Gedankengänge waren geordnet. Das rechte Auge wird als erblindet beschrieben und die Sehkraft auf dem linken Auge als erheblich eingeschränkt, sodass keine Brille mehr getragen wurde. Ab dem 1. Juni 2019 wurde ein Pflegegrad 3 empfohlen. Mehr als vier Jahre nach dem maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2015 ist damit zwar erkennbar, dass der Geschädigte körperlich und geistig deutlich abgebaut hatte, ein Zustand völliger Verwirrung lässt sich dem Gutachten indessen auch im Dezember 2019 noch nicht entnehmen. Deutlich wird lediglich, dass die Merkfähigkeit ebenso als nachlassend beschrieben wird, wie die zeitliche Orientierung nur eingeschränkt vorhanden war. Korrespondierend hierzu hat der Geschädigte noch am 27. September 2019 eine notariell beglaubigte Vorsorgevollmacht unterschrieben, wobei festgehalten worden ist, dass keine Zweifel an der uneingeschränkten Geschäftsfähigkeit bestanden, so dass selbst zu diesem Zeitpunkt fachkundig und für die Entscheidung essentiell das mentale Funktionieren dokumentiert wurde. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dokumentiert wurde, dass der Geschädigte wegen der Erblindung auf dem einen Auge und der starken Einschränkung der Sehfähigkeit auf dem anderen Auge nicht mehr lesen konnte. Dementsprechend hätte er sich zu diesem Zeitpunkt ggf. der Hilfe Dritter bedienen müssen, um die Bescheide zur Kenntnis nehmen zu können, worauf es vorliegend aber nicht entscheidend ankommt.
Der Beklagte hat sein Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgefügt, insbesondere liegt kein Ermessenfehler in Form eines Ermessens- bzw. Abwägungsdefizits nicht vor. Der Beklagte hat erkannt, dass ihm ein Rücknahmeermessen zugestanden und dieses auch ausdrücklich betätigt. Diese Ermessensbetätigung ist gerichtlich auf Ermessensfehler zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob der Beklagte den für die Ausschöpfung des Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Abwägungsbelange ermittelt, in die Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde, in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens, grundsätzlich frei, zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris, Rz. 30).
Der Beklagte hat dabei, wie der Bescheidbegründung zu entnehmen ist, neben dem Grad des Vertrauensschutzes auch die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten in die Ermessenerwägungen einbezogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rückforderung der Überzahlung zu keiner besonderen Härte führt, sodass er die Verpflichtung zur gesetzestreuen Ausführung der rechtlichen Vorschriften und damit den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandels als den Vertrauensschutz überwiegend eingeschätzt hat. Der Beklagte hat daher alle abwägungsrelevanten Punkte in die Ermessensausübung einbezogen. Nachdem sich der Geschädigte auf die Anhörung inhaltlich nicht geäußert hat, konnten sich aus seinem Vorbringen keine weiteren Gesichtspunkte ergeben.
Entgegen der im Widerspruchs- und Klageverfahren dann geäußerte Auffassung des Geschädigten, hatte der Beklagte keinen eigenen Verwaltungsfehler in die Abwägung für und gegen eine Bescheidkorrektur einzustellen. Denn jedenfalls in einem Fall, in dem allenfalls ein normaler Verwaltungsfehler vorliegt und sich der Geschädigte außerdem vorwerfbar im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X verhalten hat, stellt ein eigener Fehler der Verwaltung keinen Umstand dar, der bei der Ermessensausübung in die Interessenabwägung eingestellt werden muss. Die Ursache für den Erlass eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakts liegt regelmäßig allein im Verantwortungsbereich der Verwaltung. Fehler der Verwaltung stellen damit den Regelfall der Anwendung des § 45 SGB X dar und nach der Vorstellung des Gesetzgebers zu dieser Aufhebungsvorschrift soll ein von der Behörde verursachter rechtswidriger Zustand grundsätzlich wieder beseitigt werden können. Würde jeder im Bereich der Verwaltung auftretende Fehler zu einem schutzwürdigen Vertrauen des durch den Verwaltungsakt Begünstigten führen, bedürfte es der Norm des § 45 SGB X letztlich gar nicht. Eine solche Konstruktion liefe der Zielsetzung des § 45 SGB X, einen rechtswidrigen Zustand auch wieder beseitigen zu können, zuwider. Kann also wegen dieser Ausrichtung des § 45 SGB X ein „normaler“ Fehler der Verwaltung allein in Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X die Annahme schutzwürdigen Vertrauens des Begünstigten in den Fortbestand eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nicht rechtfertigen, so muss das umso mehr gelten, wenn in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X zu der Verantwortlichkeit der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts eine solche des Begünstigten hinzutritt. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ordnet in solchen Fällen den Ausschluss von Vertrauensschutz explizit an, weil der Begünstigte (gerade) im Hinblick auf sein vorwerfbares Verhalten die ohne Rechtsgrund erbrachte Leistung nicht soll behalten dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris, Rz. 37).
Legt § 45 SGB X in Fällen wie dem vorliegenden durch die Versagung von Vertrauensschutz tatbestandlich die Erreichung eines bestimmten Ergebnisses, nämlich die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nahe, so kann der Verwaltungsfehler nicht auf der (späteren) Ebene der Interessenabwägung im Rahmen der Ermessensausübung gleichwohl zu Gunsten des ursprünglich Begünstigten berücksichtigt werden. Obwohl § 45 Abs. 1 SGB X als allgemeine Ermessensermächtigung gefasst ist, wird der Ermessensspielraum der Behörde im Hinblick auf die Gewichtung des beschriebenen Zwecks der Vorschrift (und der Gesetzessymptomatik) verengt mit der Folge, dass einem Umstand, hier dem Vorliegen eines normalen Fehlers der Verwaltung, im Rahmen der Ermessensbetätigung (von vornherein) keine Relevanz zukommt. Insoweit wird der Ermessensbetätigung über die im Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X antizipierte Interessenbewertung des Gesetzgebers – und die (wertende) Entscheidung bei der Subsumtion unter diesen Tatbestand – in dem Umfang vorgegriffen, wie sich die jeweils zu beurteilenden Belange decken, und es wird der Abwägungsprozess hinsichtlich der einzustellenden Abwägungsbelange (für den Regelfall) in eine bestimmte Richtung festgelegt. Zwar ist der Umstand des Verwaltungsverschuldens der Ermessensabwägung hier nicht schlechthin entzogen, jedoch ist die – Wege der Auslegung gewonnene – Wertungsvorgabe zu beachten. Mit der Verengung des Ermessensspielraums reduzieren sich auch die Handlungsalternativen der Behörde bereits vor der eigentlichen (Ermessens-)Abwägung (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, juris, Rz. 38).
Mehr als einen „normalen“ Verwaltungsfehler konnte der Senat vorliegend nicht feststellen. Dem Aktenvermerk des Beklagten (vgl. Blatt 844 Verwaltungsakte) ist nämlich zu entnehmen, dass bei der Eingabe im Datenerfassungssystem schlicht keine Löschung der Ausgleichsrente, dafür aber des anzurechnenden Einkommens erfolgt ist. Das hat in der maschinellen Verarbeitung dazu geführt, dass die Ausgleichsrente ohne Einkommensanrechnung gewährt und gleichzeitig keine Einkommensüberprüfung mehr gefordert wurde, da der Bezug nur einkommensunabhängiger Leistungen erfasst gewesen ist. Dementsprechend wurden die Leistungen in der Folge jeweils automatisch angepasst. Weiter ist dem Aktenvermerk zu entnehmen, dass vom System keine Mitteilung an den Sachbearbeiter generiert worden ist, der Fehler also nicht hätte erkannt werden müssen. Es ist somit zur Überzeugung des Senats belegt, dass die Fehlberechnungen einem einmaligen bloßen Eingabefehler geschuldet sind, sodass nicht mehr als ein „normaler“ Verwaltungsfehler vorliegt und eine Berücksichtigung bei der Ermessensentscheidung damit nicht zu erfolgen hatte.
Letztlich hat der Beklagte die Rücknahmefrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X von zehn Jahren nach der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gewahrt, nachdem der Bescheid vom 22. Juni 2015 datiert und mit Bescheid vom 27. Mai 2021 zurückgenommen worden ist. Der Verwaltungsakte ist weiter zu entnehmen, dass der Fehler am 16. Februar 2021 bei der Aktenüberprüfung anlässlich eines Neufeststellungsantrags bekannt wurde, sodass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ebenfalls eingehalten ist.
Nachdem der Beklagte die Entscheidungen zu Recht aufgehoben hat, sind die Leistungen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten. Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass nur eine Überzahlung in Höhe von 25.617,00 € eingetreten ist, nachdem dem Geschädigten ab dem 1. Juni 2019 wieder ein Anspruch auf (die hälftige) Ausgleichsrente zugestanden hat. Bis einschließlich 30. Juni 2021 konnte der Geschädigte daher 6.126,00 € beanspruchen. Insoweit kommt eine Rückforderung von vornherein nicht in Betracht, da die Leistungen in dieser Höhe nicht rechtswidrig waren und deshalb nicht aufzuheben sind. Entgegen der missverständlichen Darstellung des Beklagten ist daher keine Aufrechnung eines Nachzahlungsanspruchs vorzunehmen. Zur Rückerstattung hat der Beklagte deshalb auch nur verfügt, dass der Betrag von 25.617,00 € zurückgefordert wird. Soweit daneben auf eine Rückforderung von 31.743,00 € verwiesen wird, handelt es sich um die Gesamtsumme der im streitigen Zeitraum gezahlten Ausgleichsrente, die aber eben in Höhe von 6.126,00 € zugestanden hat. Leistungen aus der Nachzahlung für die nachträglich gewährte Pflegezulage hat der Beklagte auf diese Leistungen bzw. auf die Rückzahlung nicht angerechnet und auch nicht anrechnen können, da die ermittelte Nachzahlung im Wege des Erstattungsanspruchs an die Pflegekasse zu leisten war und auch geleistet worden ist. Soweit der Anpassungsbescheid noch eine Tilgung ausweist, ergibt sich aus der Verwaltungsakte, dass sich diese auf die vormalige Überzahlung der Ausgleichsrente bezog, ihr Auslaufen aber schon am 9. Juni 2015 zum 1. August 2018, und damit vor dem Anpassungsbescheid, im System erfasst gewesen ist.
Darauf, welcher Betrag durch den seit Juli 2021 wohl erfolgten monatlichen Einbehalt von 469,50 € bereits getilgt worden ist, kommt es für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Rücknahme- und Erstattungsbescheides nicht an.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da der Geschädigte erst während des Berufungsverfahrens verstorben ist, bleibt das Verfahren nach § 183 Satz 2 SGG kostenfrei.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen