Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit Cannabis.
Der am D.. E.. F. geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und leidet an einem posttraumatischen Belastungssyndrom, einer rezidivierenden depressiven Störung, rezidivierenden Cephalgien, COPD sowie unter einem BWS/LWS-Syndroms sowie einem Impingement-Syndrom der Schulter. Der Kläger befand sich vom 29.10.2018 bis zum 03.12.2018 in der Psychosomatischen Klinik G. – auf den Entlassungsbericht vom 02.01.2019 wird Bezug genommen – sowie vom 05.01.2021 bis 10.02.2021 (Entlassungsbericht vom 23.02.2021) und vom 15.09.2021 bis 20.10.2021 (Entlassungsbericht vom 02.11.2021) in einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der H.. Er wird mit Cannabisblüten (Cannabisblüten THC10 VBD 10) zur Vaporisation von Dr. I. mittels Ausstellung eines Privatrezeptes bei monatlichen Kosten von ca. 430 € behandelt.
Der Kläger stellte bei der Beklagten einen Antrag auf Genehmigung der vertragsärztlichen Versorgung mit Cannabis. Auf den Kostenübernahmeantrag nach von Dr. I. vom 25.10.221 wird Bezug genommen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29.11.2021 – nach Erwirkung eines Gutachtens des medizinischen Dienstes vom 22.11.2021 – den Antrag ab.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 30.11.2021 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass er seit Jahren, ausgelöst durch schwere traumatisierende Erlebnisse in der Kindheit, unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom, unter einer rezidivierenden depressiven Störung unterschiedlicher Ausprägung, einem BWS-Syndrom, rezidivierenden Cephalgien, COPD sowie unter einem BWS/LWS-Syndrom und einem Impingement-Syndrom der Schulter leide. Diese Erkrankungen seien mit Panikattacken, massiven Schlafstörungen und ständigen Schmerzen verbunden. Bisher sei die Behandlung durch eine umfangreiche Medikation erfolgt. Ebenso seien Psychotherapien und psychiatrische stationäre Therapien durchgeführt worden. Durch den Cannabiskonsum könne sein gesundheitlicher Zustand deutlich verbessert werden. Nach der ärztlichen Stellungnahme von Dr. I. vom 09.12.2021 habe infolge der Cannabinoid-Therapie eine deutliche Besserung der Beschwerden verzeichnet werden können.
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 07.07.2022 zurückgewiesen, da nach der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vom 04.04.2022 die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V nicht vorlägen. Es würden diverse Analgetika zur Verfügung stehen, die bei entsprechendem Bedarf noch nicht zum Einsatz gekommen seien. Im Entlassungsbericht der Rehaklinik sei eine orthopädische Weiterbetreuung sowie eine Weiterverordnung von Krankengymnastik empfohlen worden. Psychotherapeutisch sei zu einer intensiven Traumabehandlung, bestenfalls im stationären Setting zur Bearbeitung der Traumasymptomatik, geraten worden. Diese Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft. Cannabinoide sollten zudem generell zur Behandlung von Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Psychosen nicht eingesetzt werden.
Vom 01.08.2022 bis zum 20.09.2022 befand sich der Kläger in der J. Klinik, auf den Entlassungsbericht vom 20.10.2022 wird Bezug genommen.
Der Kläger hat am 25.07.2022 Klage erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er einen Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Cannabis habe. Die Aussagen des medizinischen Dienstes würden den bisherigen Erfahrungen widersprechen. Er sei schwer erkrankt, seine Beschwerden hätten sich durch den Cannabiskonsum gebessert, andere Behandlungsansätze hätten bislang keinen Erfolg gezeigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 29.11.2021 i. G. d. Widerspruchsbescheides vom 07.07.2022 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, die Genehmigung der vertragsärztlichen Versorgung mit Cannabis zu erteilen sowie die Beklagte zu verurteilen, Kosten zu erstatten und ihn mit Cannabis zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide sowie auf die Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes. Die Begründung der Verordnung von Cannabis durch den Vertragsarzt sei im vorliegenden Fall nicht ausreichend. Es würden Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Der Kläger habe während des Aufenthaltes in der J. Klinik vom 01.08.2022 bis 20.09.2022 auf Cannabis verzichten können, die Schmerzen hätten dadurch nicht zugenommen, die Klink empfehle Psychotherapie durchzuführen.
Die Kammer hat Befundberichte eingeholt und die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten angehört wurden (§ 105 SGG).
Der klägerische Antrag war nach dem Meistbegünstigungsprinzip dahingehend auszulegen, dass der Kläger auch die Erteilung einer Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung von Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V im Wege der Verpflichtungsklage begehrt.
Die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 29.11.2021 i. G. d. Widerspruchsbescheides vom 07.07.2022 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung noch auf Kostenerstattung und Versorgung mit Cannabis.
Die Krankenkassen stellen nach § 2 Abs. 1 SGB V den Versicherten die im dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Gemäß § 12 SGB V müssen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können die Versicherten nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, auf die nach § 31 SGB V Anspruch besteht, soweit sie nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 bis 2 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis besteht nur zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung, eine solche liegt vor, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R). Bei dem Kläger liegt unstreitig eine solche die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung vor.
Jedoch steht vorliegend eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung weder nicht zur Verfügung noch kann diese im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen.
Eine Standardtherapie steht nicht zur Verfügung, wenn es sie generell nicht gibt, sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen (BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R) oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim Patienten angestrebte Behandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R).
Im vorliegenden Fall stehen sowohl hinsichtlich der Schmerz-Symptomatik als auch hinsichtlich der psychischen Erkrankungen weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Zum einen ist der Kläger während seines Aufenthalts in der J. Klinik vom 01.08.2022 bis zum 20.09.2022 nach dem Entlassungsbericht vom 20.10.2022 ohne Cannabiskonsum mit der Schmerzmedikation ausgekommen und zum anderen sind diverse andere Analgetika noch nicht zum Einsatz gekommen seien. Zudem ist eine weitere orthopädische Behandlung wie z. B. Krankengymnastik möglich. Es ist nicht ersichtlich, dass diese auf die Schmerz-Symptomatik bezogenen Behandlungsmöglichkeiten nach den bisher vorliegenden medizinischen Unterlagen von vornhinein ausscheiden würden, weil der Kläger diese nicht vertragen würde oder erhebliche gesundheitliche Risiken beständen.
Hinsichtlich der psychischen Erkrankungen besteht in Gestalt der von der J. Klinik empfohlenen ambulanten oder stationären Psychotherapie mit intensiver Traumabehandlung ebenfalls eine noch nicht ausgeschöpfte Behandlungsalternative. Zudem wurde psychotherapeutisch bereits in der stationären Reha vom 01.08.2022 bis zum 20.09.2022 nach dem Entlassungsbericht ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Auch aus diesem Grund erscheint eine ambulante Psychotherapie oder eine erneute stationäre Behandlung vielversprechend.
Die zur Überzeugung der Kammer vorliegend zur Verfügung stehenden allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen können auch nicht gem. § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 b SGB V nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann.
Mit der Regelung des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 b SGB V wollte der Gesetzgeber die ärztliche Therapiefreiheit auch innerhalb der Vorgaben des Leistungsrechts der GKV stärken (BT-Drucks 18/10902 S 20). Die Krankenkasse darf deshalb gemäß § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern. Hinsichtlich der Abwägung des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin, ob eine verfügbare Standardtherapie zur Behandlung der Erkrankung angewendet werden kann oder ob Cannabis zur Anwendung kommen soll, besteht somit eine Einschätzungsprärogative des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin.
Die Verschreibung und die Abgabe von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung unterfällt den Beschränkungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Mit der Schaffung des Anspruchs auf Versorgung mit Cannabis hat der Gesetzgeber keine Erleichterung der betäubungsmittelrechtlichen Anforderungen an die Verschreibungsfähigkeit beabsichtigt, sondern sah die Ärzte als verpflichtet an, diese Anforderungen zu berücksichtigen (BT-Drucks 18/8965 S 13 sowie BSG, Urteil vom 10. November 2022 – B 1 KR 28/21 R). Die in § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V genannten Cannabisprodukte sind zwar verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel nach den § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1 BtMG i. V. m. Anlage III BtMG und dürfen verschrieben werden. Die Verschreibung ist aber nur dann erlaubt, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG). An einer begründeten Anwendung fehlt es insbesondere dann, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG).
Im vorliegenden Fall liegt bereits eine solche begründete Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin nicht vor. Zwar führt Dr. I. in der ärztlichen Stellungnahme vom 09.12.2021 aus, dass infolge der Cannabiniod-Therapie eine deutliche Besserung der Beschwerden verzeichnet werden konnte, jedoch setzt sich Dr. I. nicht hinreichend mit Behandlungsalternativen auseinander. Diese Behandlungsmöglichkeiten bestehen jedoch und sind – wie oben dargestellt – nicht ausgeschöpft.
Die Kammer nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf das Sozialmedizinischen Gutachten des MD vom 22.11.2021 und vom 04.04.2022.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V kommt nicht in Betracht, da die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung ergeht aus § 193 SGG.