S 83 KA 203/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 203/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Entscheidung, ob ein Versorgungsbedarf für einen Fachgruppenwechsel nach § 38 i.V.m. §§ 36 und 37 BedarfsplRL besteht, ist es nicht entscheidungserheblich, wie die Versorgungslage in der Fachgruppe ist, aus welcher der Antragsteller heraus wechselt.

Sozialgericht Berlin

 

 

S 83 KA 203/21

 

verkündet am
27. September 2023

 

 

 

Justizbeschäftigte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

1.       Kassenärztliche Vereinigung Berlin,  

Masurenallee 6 A, 14057 Berlin,

2.       Dr. …,

… Berlin,

- Kläger -

Proz.-Bev.:

zu 2:      …,

gegen

          Berufungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten,
Zulassungsbezirk Berlin 

Masurenallee 6 A, 14057 Berlin,

- Beklagter -

1.       AOK Nordost,
- Die Gesundheitskasse - 

Brandenburger Str. 72, 14467 Potsdam,

2.       BKK Landesverband Mitte,  

Eintrachtweg 19, 30173 Hannover,

3.       BIG direkt gesund,  

Markgrafenstr. 22, 10969 Berlin,

4.       Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau,
Landwirtschaftliche Krankenkasse 

Hoppegartener Str. 100, 15366 Dahlwitz-Hoppegarten,

5.       Verband der Ersatzkassen e.V.,  

Askanischer Platz 1, 10963 Berlin,

- Beigeladene -

 

 

hat die 83. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 27. September 2023 durch den Richter am Sozialgericht … sowie den ehrenamtlichen Richter … und die ehrenamtliche Richterin … für Recht erkannt:

 

Der Beschluss vom 28. Februar 2023 wird aufgehoben.

 

Der Beklagte wird verpflichtet, den Wechsel des Klägers zu 2) von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie mit der Maßgabe zu genehmigen, dass nur die ärztlichen Leistungen abrechnungsfähig sind, die im Zusammenhang mit der Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen stehen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Tatbestand

 

Die Kläger begehren die Umwandlung der hausärztlichen Zulassung des Klägers zu 2) in eine fachärztlich-internistische Zulassung im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie.

 

Mit Beschlüssen vom 27. Januar 2021 hatte der Zulassungsausschuss fünf Anträge (anderer Ärzte) auf Versorgungsbereichswechsel von der hausärztlichen Versorgung in die fachärztlich-internistische Versorgung im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie genehmigt. Im Vorfeld zu den Beschlüssen des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 2021 erfolgte eine Bedarfsabfrage durch den Zulassungsausschuss bei 60 Fachärzten für Innere Medizin im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie, von denen 34 eine Stellungnahme abgaben. Des Weiteren nahm der Verein der Niedergelassenen Internistischen Onkologen Stellung. Im Hinblick auf die eingeholten Stellungnahmen sah der Zulassungsausschuss einen bestehenden Versorgungsbedarf und genehmigte die Fachgruppenwechsel.

 

In zeitlicher Nähe zu den Entscheidungen des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 2021 gingen weitere Anträge auf Arztgruppenwechsel (unter anderem des Klägers zu 2)) und auch auf Sonderbedarfszulassungen von Ärzten und MVZ ein.

 

Der Kläger zu 2) hat die Facharztanerkennung Innere Medizin und die Facharztanerkennung Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie. Er ist seit Juli 2019 mit einem vollen Versorgungsauftrag am Standort …, … Berlin … als Facharzt für Innere Medizin – hausärztliche Versorgung – zugelassen und in einer örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft tätig. Die weiteren zwei Partner*innen der Berufsausübungsgemeinschaft sind als Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie zugelassen (im Umfang von jeweils 0,5). Der Kläger zu 2) nimmt nicht an der Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten „Onkologie-Vereinbarung" (Anlage 7 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte) teil.

 

Der Kläger zu 2) stellte am 15. Januar 2021 einen Antrag auf den Fachgruppenwechsel in die fachärztlich-internistische Versorgung nach § 38 Bedarfsplanungsrichtlinie (BedarfsplRL).

 

Der Zulassungsausschuss bat im März/April 2021 im Hinblick auf die weiteren gestellten Anträge auf Arztgruppenwechsel bzw. Sonderbedarfszulassungen die Klägerin zu 1), den Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen in Deutschland, Landesverband Berlin, die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und Krankenkassenverbände in Berlin und den Verein der Niedergelassenen Internistischen Onkologen Berlin um Stellungnahme dazu, ob zur Sicherstellung der Versorgung der Patienten ein solcher Fachgruppenwechsel erforderlich sei oder ob die Möglichkeit bestehe, dass die beantragten Leistungen im niedergelassenen Bereich in ausreichender Qualität und in ausreichendem Umfang im hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich erbracht werden können. Von den Angefragten nahmen die Klägerin zu 1) und der Verein der Niedergelassenen Internistischen Onkologen Stellung. Eine erneute Stellungnahme des Berufsverbands Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen in Deutschland, Landesverband Berlin und der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und Krankenkassenverbände in Berlin erfolgte nicht.

 

Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag des Klägers zu 2) – sowie die weiteren Anträge – mit Beschluss vom 19. Mai 2021 ab. Wegen der zuvor am 27. Januar 2021 bewilligten fünf Fachgruppenwechsel von der hausärztlichen Versorgung in die fachärztliche Versorgung mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie (mit Wirkung zum 1. Juli 2021) würde die nach § 38 i.V.m. § 36 Abs. 5 Satz 1 BedarfsplRL erforderliche Dauerhaftigkeit des Sonderbedarfs fehlen. Es sei davon auszugehen, dass kein dauerhafter Sonderbedarf bestehe, weil andere Versorger den Versorgungsbedarf ab dem 1. Juli 2021 abdecken werden.

 

Gegen den Beschluss vom 19. Mai 2021 legten die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) jeweils Widerspruch ein. Auch hinsichtlich der übrigen ablehnenden Beschlüsse des Zulassungsausschusses vom 19. Mai 2021 legten die dortigen Beteiligten jeweils Widerspruch ein.

 

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Der Fachgruppenwechsel sei nicht erforderlich. Es sei bereits ein Versorgungsmangel nicht zu erkennen. Vielmehr erscheine der Bedarf zum jetzigen Zeitpunkt gedeckt. Der Bedarf sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben, sondern entstehe erst in mehreren Jahren und sei deshalb zum jetzigen Zeitpunkt auch vom Umfang her nicht ermittelbar.

 

Auch in den weiteren Verfahren der anderen Beteiligten wies der Beklagte die Widersprüche jeweils am 27. Oktober 2021 zurück.

 

Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) haben gegen den Beschluss des Beklagten vom 27. Oktober 2021 Klage erhoben. Das Gericht hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. November 2022 hat der Beklagte erklärt, eine erneute Bedarfsanalyse durchzuführen. Der Beklagte hat Ende 2022 / Anfang 2023 eine Anfrage an die Terminservicestelle, an die Abteilung Qualitätssicherung der KV Berlin, an das Klinische Krebsregister für Brandenburg und Berlin, an die Verbände der Krankenkassen, an die Abteilung Abrechnung und Honorarverteilung der KV Berlin, an den Hausärzteverband, an den Verein Niedergelassener Onkologen, an den Berufsverband niedergelassener Gynäkologischer Onkologen, an den Berufsverband Deutscher Internisten, an das Tumorzentrum Berlin e.V. und an die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung bei der KV Berlin gesandt. Mit Ausnahme des Berufsverbands Deutscher Internisten, der auf die Anfrage trotz Erinnerung nicht reagierte und der Terminservicestelle, des Berufsverbands niedergelassener Gynäkologischer Onkologen und des Tumorzentrums e.V., die jeweils erklärend ausführten, keine Angaben machen zu können, nahmen die Angefragten inhaltlich Stellung. Des Weiteren erfolgte jeweils eine Umfrage bei Hausärzten und eine Umfrage bei Fachärzten für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie. Von den 2665 angefragten Hausärztinnen und Hausärzten nahmen 160 Stellung (6 %), von den 46 angefragten Fachärzten für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie 18 (39 %).

 

Mit Beschluss vom 28. Februar 2023 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19. Mai 2021 zurück. Der Beklagte führte aus, dass auch aufgrund der neuerlichen Prüfung unter Berücksichtigung der durchgeführten Bedarfsprüfung kein Bedarf vorläge, der die Genehmigung eines Fachgruppenwechsels rechtfertige.

 

Auch in den weiteren Verfahren der anderen Beteiligten wies der Beklagte die Widersprüche jeweils am 28. Februar 2023 zurück.

 

Der Beklagte hat den Beschluss vom 27. Oktober 2021 in der mündlichen Verhandlung am 27. September 2023 aufgehoben.

Die Klägerin zu 1) trägt vor, dass dem Antrag auf Arztgruppenwechsel stattzugeben sei. Unzweifelhaft erfülle der Kläger zu 2) als Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie die erforderlichen Qualifikationen. Er werde auch aufgrund seiner Qualifikation verstärkt auf diesem Gebiet tätig. Die onkologischen Leistungen stünden im Planungsbereich nicht ausreichend zu Verfügung, sodass ein ungedeckter Versorgungsbedarf bestehe. Aufgrund der Tatsache, dass ein beachtlicher Teil der Versorgung der Krebspatienten durch hausärztliche Internisten wahrgenommen werde, die bei der Versorgungsbeurteilung außer Betracht zu bleiben hätten, werde ein Sonderbedarf bejaht.

 

Die Klägerin zu 1) beantragt,

 

den Beschluss des Beklagten vom 28. Februar 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Herrn Dr. ... auf Arztgruppenwechsel gemäß § 38 BedarfsplRL i.V.m. §§ 36, 37 BedarfsplRL zu genehmigen

 

hilfsweise

den Beschluss des Beklagten vom 28. Februar 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den des Antrag Herrn Dr. … auf Arztgruppenwechsel gemäß § 38 BedarfsplRL i.V.m. §§ 36, 37 BedarfsplRL unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

 

Der Kläger zu 2) trägt vor, er habe einen Anspruch auf Genehmigung des Versorgungsbereichswechsels, hilfsweise einen Anspruch auf beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seinen Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19. Mai 2021. Entgegen der Auffassung des Beklagten liege der dafür erforderliche ungedeckte Versorgungsbedarf im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie vor. Soweit der Beklagte dennoch (jedenfalls aktuell) einen ungedeckten Versorgungsbedarf unter Hinweis auf entsprechende Versorgungsangebote durch hausärztlich zugelassene Hämatologen und Onkologen verneine, setze er sich einerseits in Widerspruch zur Rechtsprechung des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Andererseits verkenne er, dass selbst unter Berücksichtigung der Versorgungsangebote von hausärztlich zugelassenen Hämatologen und Onkologen im Ergebnis der vorgenommenen Bedarfsermittlung ein ungedeckter Versorgungsbedarf bestehe. Bei Außerachtlassung der onkologischen Versorgungsangebote auf den Hausarztsitzen sei die onkologische Versorgung in Berlin weder jetzt noch zukünftig sichergestellt.

 

Auch der Beschluss des Beklagten vom 28. Februar 2023 sei rechtswidrig und verletze den Kläger zu 2) in seinen Rechten. Bei der Auswertung der durchgeführten erneuten Bedarfsanalyse habe der Beklagte wiederum die Versorgungsangebote der auf den Hausarztsitzen zugelassenen und angestellten Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie einbezogen und damit erneut gegen die Vorgaben aus dem Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 28. November 2018 – L 7 KA 30/16 – verstoßen. Es sei offenkundig, dass der Beklagte entweder nicht willens oder nicht in der Lage sei, eine rechtskonforme Prüfung des Versorgungsbedarfs unter Ausklammerung der hämatologisch-onkologischen Versorgungsangebote auf den Hausarztsitzen durchzuführen. Vor diesem Hintergrund und weil die erneute Bedarfsprüfung – entgegen der Einschätzung des Beklagten – sogar unter Einbeziehung der hämatologisch-onkologischen Versorgungsangebote auf den Hausarztsitzen einen ungedeckten Versorgungsbedarf aufgezeigt habe, sei dem Kläger zu 2) der beantragte Versorgungsbereichswechsel zu genehmigen.

 

Der Kläger zu 2) beantragt,

 

den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses vom 28. Februar 2023 zu verpflichten,

dem Kläger zu 2) den Wechsel von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie zu genehmigen,

 

hilfsweise, dem Kläger zu 2) den Wechsel von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie mit der Maßgabe zu genehmigen, dass nur die ärztlichen Leistungen abrechnungsfähig sind, die im Zusammenhang mit der Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen stehen,

 

äußerst hilfsweise, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Widerspruch des Klägers zu 2) gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19. Mai 2021 zu entscheiden.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Er verweist auf die Begründung im angegriffenen Beschluss.

 

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Das Verfahren wurde zeitgleich mit fünf weiteren, die Umwandlung einer hausärztlichen Zulassung anderer Ärzte und MVZ in eine fachärztlich-internistische Zulassung im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie betreffend, verhandelt.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

  1. Obgleich im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht alle Beteiligten vertreten waren, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden, §§ 124 Abs. 1, 126, 127 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die nicht erschienenen Beteiligten waren in der Ladung über diese Möglichkeit unterrichtet.

 

  1. Die Kammer hat in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGG).

 

  1. Streitgegenstand des Verfahrens ist – nachdem der Beklagte den Beschluss vom 27. Oktober 2021 in der mündlichen Verhandlung vom 27. September 2023 aufgehoben hat – allein der Beschluss des Beklagten vom 28. Februar 2023 (ausgefertigt am 17. April 2023), weil er den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19. Mai 2021 (ausgefertigt am 26. August 2021) ersetzt (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 95 Rn. 2b). In vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Zulassungssachen wird der Berufungsausschuss mit seiner Anrufung gemäß § 96 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) funktionell ausschließlich zuständig. § 95 SGG findet in diesen Verfahren keine Anwendung (ständige Rechtsprechung seit Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Januar 1993 – 6 RKa 40/91, Rn. 13 (sämtliche Rechtsprechung hier und folgend zitiert nach juris)). Der Beschluss des Berufungsausschusses bildet den alleinigen Gegenstand jeder weiteren Beurteilung der Sache (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Januar 1993 – RKa 40/91, Rn. 18ff).

 

  1. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Februar 2015 – B 6 KA 81/03 R, Rn. 13) und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klage war abzuweisen, soweit die vorbehaltlose Verpflichtung des Beklagten begehrt wurde, den Wechsel des Klägers zu 2) von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie ohne die durch das Gericht tenorierte Maßgabe zu genehmigen, dass nur die ärztlichen Leistungen abrechnungsfähig sind, die im Zusammenhang mit der Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen stehen.

 

  1. Anträge auf Fachgruppenwechsel richten sich nach § 38 i.V.m. §§ 36 und 37 BedarfsplRL (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2018 – L 7 KA 30/16, Rn. 34ff).

 

 

Gemäß § 38 BedarfsplRL gilt:

Die Bestimmungen in § 36 und § 37 gelten entsprechend, wenn der Zulassungsausschuss bei für eine Arztgruppe angeordneten Zulassungsbeschränkungen über den Antrag eines zugelassenen Vertragsarztes zu entscheiden hat, die Arztgruppe, für welche er zugelassen ist, in eine Arztgruppe zu ändern, für die Zulassungsbeschränkungen angeordnet worden sind.

 

Nach dem in § 38 BedarfsplRL in Bezug genommenen § 36 Abs. 1 BedarfsplRL darf der Zulassungsausschuss unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss – wie vorliegend mit Beschluss des Landesausschusses für Ärzte und Krankenkassen Berlin vom 28. Oktober 2020 – dem Zulassungsantrag eines Arztes der betreffenden Arztgruppe auf Sonderbedarf nach Prüfung entsprechen, wenn die in §§ 36 bis 37 BedarfsplRL geregelten Voraussetzungen erfüllt sind und die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes unerlässlich ist, um die vertragsärztliche Versorgung in einem Versorgungsbereich zu gewährleisten und dabei einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf zu decken. Sonderbedarf ist als zusätzlicher Versorgungsbedarf für eine lokale Versorgungssituation oder als qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf festzustellen (Satz 2). Die Feststellung dieses Sonderbedarfs bedeutet die ausnahmsweise Zulassung eines zusätzlichen Vertragsarztes in einem Planungsbereich trotz Zulassungsbeschränkungen (Satz 3). Gemäß § 36 Abs. 2 BedarfsplRL ist die Zulassung aufgrund eines lokalen oder qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarfs an den Ort der Niederlassung gebunden. Ein lokaler oder qualifikationsbezogener Sonderbedarf setzt nach § 36 Abs. 4 Satz 3 BedarfsplRL voraus, dass aufgrund der durch den Zulassungsausschuss festzustellenden Besonderheiten des maßgeblichen Planungsbereichs (z. B. Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geographische Besonderheiten, Verkehrsanbindung, Verteilung der niedergelassenen Ärzte) ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet ist und aufgrund dessen Versorgungsdefizite bestehen. Bei der Beurteilung ist den unterschiedlichen Anforderungen der Versorgungsebenen der §§ 11 bis 14 BedarfsplRL Rechnung zu tragen (§ 36 Abs. 4 Satz 4 BedarfsplRL, hausärztliche / fachärztliche Versorgung). Die Sonderbedarfszulassung setzt außerdem voraus, dass der Versorgungsbedarf dauerhaft erscheint (§ 36 Abs. 5 Satz 1 BedarfsplRL). Der Zulassungsausschuss hat bei der Ermittlung aller entscheidungsrelevanten Tatsachen eine umfassende Ermittlungspflicht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 BedarfsplRL).

 

Nach § 37 Abs. 1 BedarfsplRL erfordert die Anerkennung eines qualifikationsbezogenen Sonderbedarfs die Prüfung und Feststellung einer bestimmten Qualifikation und die Prüfung und Feststellung eines entsprechenden besonderen Versorgungsbedarfs in einer Region durch den Zulassungsausschuss. Voraussetzung für eine ausnahmsweise Zulassung ist, dass die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierten Inhalts in dem betreffenden Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen und dass der Arzt die für den besonderen Versorgungsbedarf erforderlichen Qualifikationen durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung oder Qualifikation (die Subspezialisierung muss Leistungen beinhalten, die die gesamte Breite des spezialisierten Versorgungsbereichs ausfüllen) nachweist (§ 37 Abs. 3 BedarfsplRL).

 

  1. Bei der Konkretisierung und Anwendung der für die Anerkennung eines Sonderbedarfs maßgeblichen Tatbestandsmerkmale steht den Zulassungsgremien ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zu. Ausschlaggebend dafür ist der Umstand, dass es sich bei den Zulassungs- und Berufungsausschüssen um sachverständige, gruppenplural zusammengesetzte Gremien handelt, die bei der Entscheidung über das Vorliegen eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen haben. Der Beurteilungsspielraum erstreckt sich zum einen auf die Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen, zum anderen auf die schlussfolgernde Bewertung, ob und inwieweit der Versorgungsbedarf bereits durch das Leistungsangebot der zugelassenen Ärzte gedeckt ist oder ob noch ein Versorgungsbedarf besteht.

 

  1. Ein Beurteilungsspielraum besteht nicht dahingehend, wie weit die Zulassungsgremien ihre Ermittlungen erstrecken. Der Umfang ihrer Ermittlungen ist (allgemein) durch § 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zwingend vorgegeben. Die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, das heißt sich so weit erstrecken, wie sich Ermittlungen als erforderlich aufdrängen (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2010 – B 6 KA 36/09 R, Rn. 18ff, Urteil vom 28. Juni 2017 – B 6 KA 28/16 R, Rn. 21ff; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Mai 2022 – L 7 KA 12/20, Rn. 62).

 

Mit Blick darauf kann die Prüfung und Feststellung eines besonderen Versorgungsbedarfs durch den Zulassungs- wie auch den Berufungsausschuss nicht durch ein Gericht ersetzt werden. Die Gerichte haben jedoch zu prüfen, ob der Zulassungs-/Berufungsausschuss seiner Ermittlungspflicht nachgekommen ist, die Entscheidung verfahrensfehlerfrei erging und ob der Zulassungs-/Berufungsausschuss unzutreffende Rechtsmaßstäbe zugrunde gelegt hat.

 

  1. Hieran gemessen erweist sich der Beschluss des Beklagten vom 28. Februar 2023 im Ergebnis als fehlerhaft.

 

Der Beklagte lehnt den Antrag des Klägers zu 2) mit der Begründung ab, dass „ein Anspruch auf Genehmigung des Fachgruppenwechsels im Moment nicht erkennbar ist, da bereits ein besonderer Versorgungsbedarf in dem Planungsbereich Berlin bezweifelt wird. Ein Versorgungsmangel im Bereich der Onkologie besteht aus Sicht des Berufungsausschusses nicht. Ein solcher lässt sich auch nicht aus den abgegebenen Stellungnahmen ableiten.“

 

Soweit die Zulassungsgremien dem Umfang der Leistungserbringung durch die bereits zugelassenen Ärzte oder ihrer Kapazität entscheidende Bedeutung beimessen, muss ihr Beurteilungsergebnis auf ausreichend fundierte Ermittlungen gegründet sein. Ein Beurteilungsspielraum besteht daher nicht bei der Frage, wie weit die Zulassungsgremien ihre Ermittlungen erstrecken (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Mai 2022 – L 7 KA 12/20, Rn. 62).

 

Ausgehend von der, von dem Beklagten Ende 2022 / Anfang 2023 durchgeführten (erneuten) Bedarfsprüfung vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die durchgeführten Ermittlungen ausreichend gewesen sind.

 

„Mindestbedingung“ (§ 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL) für die Amtsermittlung bei der Feststellung eines für den Fachgruppenwechsel erforderlichen Bedarfs ist die Abgrenzung einer Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll und Bewertung der Versorgungslage (Feststellung einer unzureichenden Versorgungslage) bzw. gemäß § 37 Abs. 1 b) BedarfsplRL die Prüfung und Feststellung eines entsprechenden besonderen Versorgungsbedarfs in einer Region durch den Zulassungsausschuss.

 

Diese Mindestbedingung ist dem Beschluss vom 28. Februar 2023 aus Sicht der Kammer nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat bereits zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, welche „Region“ im Sinne des § 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL er seinen Ermittlungen zugrunde gelegt hat (BSG, Urteil vom 17. März 2021 – B 6 KA 2/20 R).

 

Der Beklagte hat am 23. November 2022 eine Anfrage an die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung der Klägerin zu 1) gestellt. Hierbei hat er die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung in Bezug auf den Praxisstandort des Klägers zu 2) unter anderem um die Übermittlung von folgenden Informationen gebeten:

 

  • Übermittlung einer kartographischen Übersicht zur Verteilung der internistisch-onkologischen Leistungen erbringenden Praxen im näheren Umfeld des Praxisstandortes der jeweiligen o.g. Antragsteller und zur Verteilung des aktuellen Leistungsangebotes im Zulassungsbezirk Berlin
  • Übermittlung einer kartographischen Übersicht, die eine Aussage darüber ermöglicht, wie die Versorgungslage im Hinblick auf internistisch-onkologische Leistungen unter Berücksichtigung der Erreichbarkeit in einem Radius von 40 Minuten zu bewerten ist. Dabei sollte der zeitliche Aufwand als Fußweg, mit dem Fahrrad, mit dem Auto sowie mit dem ÖPNV dargestellt werden
  • Übermittlung einer kartographischen Übersicht bezüglich jeden der o.g. Antragsteller, die eine Aussage darüber ermöglicht, wie die
    • a. hausärztliche Versorgung im Umkreis der Praxis bis 2 km ist
    • b. hausärztliche Versorgung im Umkreis der Praxis bis 5 km ist
    • c. onkologische Versorgung im Umkreis der Praxis bis 5 km ist

 

Die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung hat entsprechende Übersichten übermittelt.

 

In dem Beschluss vom 28. Februar 2023 hat der Beklagte die durchgeführte Anfrage und die Antwort der Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung deskriptiv wiedergegeben (Beschluss vom 28. Februar 2023, A.5.d)). In der inhaltlichen Begründung seiner Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen eines Bedarfs ist der Beklagte dann jedoch an keiner Stelle darauf eingegangen, welche konkrete Region er der Bedarfsermittlung im Hinblick auf den Praxisstandort des Klägers zu 2) zugrunde legt. Soweit der Beklagte einleitend ausführt, es werde „bereits ein besonderer Versorgungsbedarf in dem Planungsbereich Berlin“ bezweifelt, scheint der Beklagte auf das gesamte Land Berlin bei seiner Bedarfsprüfung abzustellen. Dieser Umstand steht dann jedoch nicht im Einklang mit der durchgeführten Anfrage an die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung. Hiervon ausgehend scheint der Beklagte wohl zur Frage des Bedarfs die Rechtsprechung des BSG aus dessen Urteil vom 17. März 2021 – B 6 KA 2/20 R – im Blick zu haben. Hiernach können Ärzten aus Arztgruppen, die in der Bedarfsplanung der spezialisierten fachärztlichen Versorgung zugeordnet sind, eine Sonderbedarfszulassung nur erteilt werden, wenn die Patienten Behandlungsangebote in anderen Praxen dieser Fachrichtung nicht innerhalb von 45 Minuten erreichen können. Hiermit korrespondiert im Weitesten die Anfrage zur Erreichbarkeit des Praxisstandorts des Klägers zu 2) in einem Radius von 40 Minuten mit verschiedenen Verkehrsmitteln.

 

In beide Richtungen bleibt jedoch offen, in welcher konkreten Region der Beklagte den entsprechenden Bedarf ermittelt bzw. berücksichtigt. Entweder soll die Feststellung einer unzureichenden Versorgungslage im Sinne des § 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL für den gesamten Planungsbereich Berlin ermittelt werden (dann erschließt sich nicht die Frage nach dem Versorgungsradius von 40 Minuten) oder die Feststellung soll für einen Radius von 40 Minuten erfolgen (die Bedeutung diese Ermittlung berücksichtigt der Beklagte jedoch im weiteren nicht ansatzweise).

 

  1. Diese Unklarheit der Bedarfsermittlung findet sich auch weiter bei der Frage, „an welcher Stelle“ der Bedarf durch den Beklagten zu ermitteln ist. Hier hat der Beklagte einen unzutreffenden Rechtsmaßstab zugrunde gelegt, indem er der Rolle der hausärztlichen Versorgung eine erhebliche Bedeutung beigemessen hat.

 

Der Beklagte hat zum einen eine Umfrage bei Hausärzten und eine Umfrage bei Fachärzten für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie durchgeführt.

 

Ausgehend von der Begründung des Beschlusses und nach Aussage der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 27. September 2023 über den Inhalt der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten am 28. Februar 2023 lässt sich erkennen, dass der Beklagte hier der Frage des Bedarfs in der hausärztlichen Versorgung, für den Fall, dass dem Fachgruppenwechsel stattgegeben werden würde, eine erhebliche Bedeutung beimisst.

 

Der Beklagte gibt die Umfrage unter den Hausärzten (an der nur 6% der Hausärzte teilgenommen haben) im Verhältnis zu der Umfrage bei den Fachärzten für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie umfassend wieder. Der Beklagte erkennt selbst, dass die Umfrage nur von einem geringen Anteil der Hausärzte beantwortet wurde. Trotzdem lasse sich aus den Antworten erkennen, dass die Hausärzte an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten würden. Zwar würden „etwa 2/3 der antwortenden Hausärzte die onkologische Versorgung als nicht ausreichend einstufen, es würden sich jedoch „im Vergleich deutlich mehr gegen den Wegfall der hausärztlichen Sitze [aussprechen], da die hausärztliche Versorgung nicht ausreichend gewährleistet“ sei.

 

Die Wiedergabe an dieser Stelle durch den Beklagten im Beschluss wie auch im Weiteren zeigt, dass der Beklagte rechtlich davon ausgeht, dass entscheidungserheblich auch sei, ob in der Fachgruppe, aus der heraus der Fachgruppenwechsel erforderlich sei, ein Wegfall der Zulassung vertretbar ist (siehe auch oben bezüglich der Frage nach der örtlichen Verteilung der Hausarztsitze an die Abteilung Arztregister und Bedarfsplanung, S. 13 des Beschlusses: „Hingegen ist die hausärztliche Versorgung in Berlin mit einem Versorgungsgrad in der Spanne von 79,8 % bis 129,1 % im Vergleich zu der internistischen Versorgung schlecht“, „Zudem besteht die Gefahr, dass bei der Genehmigung der Fachgruppenwechsel auch andere internistisch tätige Hausärzte den Wechsel beantragen und sich die Versorgungssituation im Bereich der hausärztlichen Versorgung noch weiter verschlechtert). Dieses wird von dem Beklagten verneint und er lehnt auch deswegen den Fachgruppenwechsel des Klägers zu 2) ab.

 

Hier hat der Beklagte einen unzutreffenden Rechtsmaßstab zugrunde gelegt. Den Regelungen der §§ 38 i.V.m. 36 und 37 BedarfsplRL kann nicht entnommen werden, dass es rechtlich erheblich ist, wie der Bedarf der Arztgruppe ist, aus der heraus der Fachgruppenwechsel erfolgen soll. Vielmehr ist es allein so, dass wenn ein Bedarf in der Fachgruppe besteht, in die gewechselt werden soll, hierauf ein Anspruch besteht. Diesem kann nicht entgegengehalten werden, dass ein Arzt seine zuvor gewählte Arztgruppe wegen eines dort bestehenden Bedarfs nicht verlassen dürfe.

 

Beim Wechsel des Versorgungsbereichs – wegen der engen rechtlichen Verknüpfung mit der Zulassung ein statusrelevanter Verwaltungsakt – handelt es sich ebenso wie bei der Verlegung des Praxissitzes (BSG, Urteil vom 3. August 2016 – B 6 KA 31/15 R) oder der Führung einer Zweigpraxis (BSG, Urteil vom 5. Juni 2013 – B 6 KA 29/12 R) um ein generell zulässiges, dem grundrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG unterfallendes Verhalten, das lediglich im Hinblick auf übergeordnete schützenswerte Rechtspositionen einer präventiven Kontrolle unterzogen werden soll. Das erfordert eine Überprüfung des beantragten Wechsels anhand der Bedarfsplanung und der Versorgungslage in der Fachgruppe in die gewechselt werden soll. Ergeben sich insofern keine Bedenken, ist der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Wahl des Versorgungsbereichs durch den Vertragsarzt zu entsprechen.

 

Im Übrigen dürfte der Position des Beklagten im Hinblick auf den Kläger zu 2) rein tatsächlich entgegenzuhalten sein, dass dieser seine hausärztliche Zulassung im Planungsbereich I hat und damit in einem Bereich, der bereits nach Ansicht des Beklagten erheblich überversorgt ist. Inwieweit der Wegfall eines hausärztlichen Sitzes im Planungsbereich I die Versorgungslage verschlechtern sollte, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht.

 

  1. Soweit der Beklagte den Fachgruppenwechsel mit dem Argument ablehnt, dass der Planungsbereich im Bereich der Internisten deutlich überversorgt sei und dies deswegen auch die Internisten mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie umfasse, übersieht der Beklagte, dass die Feststellung einer Überversorgung (und damit einhergehend eine Sperrung des Planungsbezirks) bereits Grundvoraussetzung für die hier streitige Frage eines Fachgruppenwechsels ist (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BedarfsplRL: „Unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen […]“).

 

  1. Die getroffene Schlussfolgerung des Beklagten – auch unter Berücksichtigung eines ihm zukommenden weiten Beurteilungsspielraums –, ein Versorgungsbedarf bestehe nicht, wird durch die durchgeführte Ermittlung nicht gestützt. Die Umfrage unter den Fachärzten für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie zeigt aus Sicht der Kammer vielmehr, dass ein ungedeckter Bedarf besteht und der Fachgruppenwechsel vor diesem Hintergrund unerlässlich ist.

 

Der Beklagte hat 46 Fachärzte für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie befragt, von denen 18 (39 %) Stellung genommen haben. Der Beklagte hat diese konkret befragt:

 

Derzeit werden in Berlin auch onkologische Leistungen von hausärztlich tätigen Internisten erbracht. Ist aus Ihrer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt die onkologische Versorgung der Patienten sichergestellt?

Ja        9          Nein    9

 

Wäre die onkologische Versorgung in Berlin auch unter Außerachtlassung der derzeit hausärztlich tätigen Internisten, die nach der Onkologie-Vereinbarung abrechnen, sichergestellt?

Ja        3          Nein    15

 

Zusätzlicher Versorgungsbedarf?

Ja        15        Nein    3

 

Zusätzliche Kapazitäten haben 5 der befragten Fachärzte angegeben und 13 haben solche verneint.

 

Der Beklagte hat in seiner Fragestellung an die Fachärzte für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie die Vorgabe des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in dessen Urteil vom 28. November 2018 – L 7 KA 30/16 – berücksichtigt, dass wenn ein im hausärztlichen Versorgungsbereich zugelassener Facharzt für Innere Medizin mit einem Schwerpunktgebiet in den fachärztlichen Versorgungsbereich wechseln will, die von ihm bislang erbrachten Leistungen im Schwerpunktgebiet nicht berücksichtigt werden dürfen.

 

Das LSG hat die entsprechende Feststellung im Hinblick darauf getroffen, ob durch den Fachgruppenwechsel eine Verbesserung der Versorgung zu erwarten ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2018 – L 7 KA 30/16, Rn. 64). Aus Sicht der Kammer ist das LSG jedoch auch dahin zu verstehen, dass bereits bei der Frage, ob überhaupt ein weiterer Bedarf besteht, die im bisherigen Versorgungsbereich erbrachten Leistungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Würden die von dem Kläger zu 2) (sowie von den Klägern in den weiteren Verfahren) erbrachten onkologischen Leistungen „als abgedeckt“ angesehen werden, würde kein ungedeckter Bedarf bestehen, soweit die Ermittlungen nicht noch zusätzlich darüberhinausgehend ergeben, dass Versicherte bis dato von einer Behandlung Abstand genommen haben. Vielmehr muss aus Sicht der Kammer doch gerade die Frage sein, ob dann, wenn der hausärztliche erbrachte Leistungsanteil der fachärztlichen Versorgung nicht berücksichtigt wird, diese weiteren Kapazitäten von den bereits fachärztlich tätigen Internisten Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie aufgefangen werden können.

 

Dies haben die befragten Fachärzte eindeutig verneint.

 

Den auf die so gestellte konkrete Frage gegebenen Antworten spricht der Beklagte jedoch die Bedeutung ab, wenn er diese als „subjektive, gefühlsgetragene Antworten“ bezeichnet. Vielmehr dürfte es gerade so sein, dass den bekräftigenden Aussagen der als Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie als „Konkurrenten“ des Klägers zu 2) eine besondere Bedeutung zukommt.

 

Einen Bedarf hat auch der Verein der Niedergelassenen Internistischen Onkologen bejaht:

Wäre die onkologische Versorgung in Berlin auch unter Außerachtlassung der derzeit hausärztlich tätigen Internisten, die nach der Onkologievereinbarung abrechnen, sichergestellt?

 

Diese Frage kann mit einem klaren Nein beantwortet werden.

 

Auch die Aussage der Abteilung Qualitätssicherung der Klägerin zu 1) ist eindeutig:

 

Ohne die hausärztlich niedergelassenen Onkologen wäre eine Versorgung weder jetzt noch in Zukunft gesichert.

 

  1. Unberechtigt ist der Einwand des Beklagten, der Kläger zu 2) habe sich seinerzeit bewusst dazu entschieden, einen hausärztlichen Sitz zu übernehmen und die Genehmigung des Wechsels der Fachgruppe würde gegenüber anderen Ärzten suggerieren, dass man sich zunächst – ggf. je nach Niederlassungsort auch ohne Zulassungsbeschränkungen – als Hausarzt niederlassen könne und dann bei Bedarf den Wechsel der Fachgruppe beantragen könne.

 

Diesem ist bereits entgegen zu halten, dass der Fachgruppenwechsel unter den gesetzlichen Vorgaben §§ 38 i.V.m. 36 und 37 BedarfsplRL vorgesehen ist. Es handelt sich um ein generell zulässiges, dem grundrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG unterfallendes Verhalten. Wenn kein Bedarf ermittelt wird, besteht auch keine Wechselmöglichkeit.

 

  1. Vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs des Verfahrens, sieht es die Kammer als geboten an, die Verpflichtung des Beklagten, den Wechsel des Klägers zu 2) von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie zu genehmigen, direkt auszusprechen und das Verfahren nicht zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurückzuverweisen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Mai 2022 – L 7 KA 12/20, Rn. 78ff).

 

Der Beklagte hat sowohl im Beschluss vom 27. Oktober 2021 sowie auch in dem Beschluss vom 28. Februar 2023, der bereits als auf Anraten der Kammer nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16. November 2023 ergangen ist, erkennen lassen, dass zentral das – rechtlich nicht durchgreifende – Argument geführt wird, „im Augenblick“ keine Hausärzte aus der hausärztlichen Versorgung zu entlassen. Es steht aus Sicht der Kammer nicht zu erwarten, dass eine erneute Bedarfsermittlung hier ein Abweichen von dieser Position mit sich bringen wird.

 

Die Kammer entnimmt den abgegebenen Stellungnahmen der Fachärzte für Innere Medizin Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie sowie des Vereins der Niedergelassenen Internistischen Onkologen, die jeweils im Hinblick auf insgesamt sieben, einen Wechsel von der hausärztlichen in die fachärztliche Versorgung Antragstellenden befragt wurden, dass zumindest ein Bedarf von sieben weiteren Zulassungen gegeben ist.

 

  1. Die erteilte Genehmigung ist auf die Abrechnung solcher Leistungen zu beschränken, die im Zusammenhang mit der Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen stehen. Die Klage ist insoweit abzuweisen.

 

§ 38 Bedarfsplanungs-RL verweist umfassend auf § 36 und § 37 BedarfsplRL. Die Verweisung erfasst demnach auch die in § 36 und § 37 BedarfsplRL genannten Rechtsfolgen. Dementsprechend hat nach § 36 Abs. 6 Bedarfsplanungs-RL die Zulassung wegen qualifikationsbezogenem Sonderbedarf mit der Maßgabe zu erfolgen, dass für den zugelassenen Vertragsarzt nur die ärztlichen Leistungen, welche im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand stehen, abrechnungsfähig sind. Bei einem Wechsel des Versorgungsbereichs gilt dies ebenso.

 

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Klageabweisung betraf einen aus Sicht des Gerichts keine Kostentragungspflicht auslösenden Aspekt des Verfahrens. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keine eigenen Anträge gestellt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).

 

  1. Die Berufung ist zulässig, § 143 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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