Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2020 aufgehoben und die Klage unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses, wonach die Erstattungsforderung nur noch 1.435,76 € für die Monate April und Mai 2016 beträgt, abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen zu einem Drittel zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit des damaligen Lebensgefährten (und jetzigen Ehemannes) der Klägerin auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Monate April und Mai 2016 im Streit.
Auf den Antrag der Klägerin vom 26. Januar 2016 (und ergänzend vom 5. April 2016) bewilligte der Beklagte mit Bescheiden vom 14. April 2016 (Bl. 62 VA Bd. I) sowie Änderungsbescheid vom 22. April 2016 (Bl. 69 VA Bd. I) für die Zeit ab 1. Mai 2016 (betreffend die laufenden Leistungen) und ebenfalls vom 14. April 2016 (betreffend eine Babyerstausstattung - Bl. 63 VA Bd. I) Leistungen nach dem SGB II vorläufig für die Zeit von April bis September 2016. Die Vorläufigkeitserklärung erfolgte im Hinblick auf monatlich schwankende Einnahmen der Klägerin aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung als Kellnerin. Die Klägerin war zum damaligen Zeitpunkt an der Universität F1 für das Sommersemester 2016 immatrikuliert, allerdings beurlaubt (weshalb sie für diese Zeit auch keine BAföG-Leistungen erhielt - siehe Vermerk Bl. 7 VA Bd. I).
Zugleich lehnte der Beklagte Leistungen für den damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann der Klägerin, R1 (im folgenden R.) ab. R. absolviere eine Ausbildung, die im Rahmen des BAföG förderungsfähig sei.
Ausweislich der von R. vorgelegten abschließenden Anlage EKS vom 26. Oktober 2016 (nicht blattiert VA R.) stellen sich für die Zeit April 2016 bis September 2016 Einnahmen und Ausgaben wie folgt dar:
Monat |
Betriebseinnahmen |
Betriebsausgaben |
Gewinn/Verlust |
April 2016 |
0,00 € |
1.195,29 € |
-1.195,29 € |
Mai 2016 |
0,00 € |
1.727,42 € |
-1.727,42 € |
Juni 2016 |
1.200,00 € |
387,98 € |
812,02 € |
Juli 2016 |
8.139,60 € |
450,68 € |
7.688,92 € |
August 2016 |
18.475,96 € |
8.436,06 € |
10.039,90 € |
September 2016 |
44.451,59 € |
14.045,18 € |
30.406,41 € |
Gesamt |
72.267,15 € |
26.242,61 € |
46.024,54 € |
Danach sind zwar unter anderem in den Monaten April und Mai 2016 keinerlei Einnahmen (0,00 €) angegeben, aber Ausgaben in Höhe von 1.195,29 € bzw. 1.727,42 € ausgewiesen (unter anderem für Telefonkosten, Arbeitskleidung, Geschäftsessen, Übernachtungskosten, Reparaturen und Werbung), während für die Monate Juni 2016 bis September 2016 jeweils die Ausgaben (zum Teil deutlich) übersteigende Einnahmen ausgewiesen sind.
Ausgehend von dieser von R. vorgelegten EKS berechnete der Beklagte mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 die Leistungen für den Zeitraum April bis September 2016 endgültig. Hierbei berücksichtigte der Beklagte Einkommen des R. aus einer selbstständigen Tätigkeit als Monteur von Photovoltaikanlagen in Höhe von durchschnittlich monatlich 11.952,31 €, weshalb für den Bewilligungszeitraum April bis September 2016 keine Hilfebedürftigkeit vorliege und die überzahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 4.939,51 € zu erstatten seien.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, das Einkommen ihres Lebenspartners sei in falscher Höhe angerechnet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs sei ein Durchschnitt des in den Monaten Juni bis September 2016 erzielten Einkommens zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung der angegebenen Einnahmen für den streitigen Zeitraum zuzüglich des zum April 2016 aufgenommenen betrieblichen Darlehens in Höhe von 9.179,38 € (Einnahmen damit insgesamt 81.477,22 €) ergebe sich nach Abzug der Tilgungsraten für das betriebliche Darlehen (584 €), Beiträgen zur Kranken-/Pflegeversicherung (2.226,63 €), Beiträgen zur Lebensversicherung (250 €) und weiteren geltend gemachten (und vom Beklagten anerkannten) Ausgaben in Höhe von 10.343,26 € ausgehend somit von einem Gewinn des Lebenspartners von 68.073,33 € (= 78.416,59 € -10.343,26 €) geteilt durch die sechs Monate des Bewilligungszeitraumes und Berücksichtigung von Freibeträgen in Höhe von 300 € ein monatlich zu berücksichtigender Betrag in Höhe von 11.045,55 €.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. August 2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg (S 4 AS 3301/17) erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin geltend gemacht, ihr damaliger Lebensgefährte habe erstmals am 13. Juni 2016 seine selbstständige Tätigkeit ausgeübt. Einkommen sei nur für den Bewilligungszeitraum anzurechnen, in dem es erzielt werde. Für die Monate April bis Mai 2016 seien daher Leistungen wie mit Bescheid vom 14. April 2016 berechnet, auch endgültig zu bewilligen. Die Klägerin beantragte, unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten diesen zu verpflichten, den Erstattungsbescheid für die Monate April und Mai aufzuheben und ihr für diese Zeit Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen ihres Partners zu bewilligen.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten.
Das Verfahren war vom SG mit Beschluss vom 1. Februar 2019 zum Ruhen gebracht worden, am 10. Dezember 2019 wieder angerufen und unter dem Aktenzeichen S 4 AS 4971/19 fortgeführt worden.
Mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2020 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. April 2016 bis 31. Mai 2016 Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen des R. aus selbstständiger Tätigkeit zu bewilligen und den Erstattungsbescheid für diese Monate aufzuheben.
Das SG hat hierbei die Auffassung vertreten, dass der Beklagte für die hier streitige Zeit April und Mai 2016 zu Unrecht Einkommen des R. leistungsmindernd angerechnet habe. Bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs sei nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Entscheidung erfolge unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit, erfasse alle Einkommensarten und alle Monate des Bewilligungszeitraums (mit Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 11. Juli 2019 - B 14 AS 44/18 R – sowie Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020 - L 18 AS 732/18 - juris). Mit der Bildung eines Durchschnittseinkommens knüpfe § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II an § 2 Abs. 3 ALG II-Verordnung (ALG II-V) in der bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung und an § 3 Abs. 4 ALG II-V an. Diese Vorschriften hätten die Bildung eines Durchschnittseinkommens für die Berechnung des Einkommens aus nicht selbstständiger Arbeit vorgesehen (§ 2 Abs. 3 ALG II-V; mit Hinweis auf BSG-Urteil vom 30. März 2017 - B 14 AS 18/16 R -) und würden diese für die Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft vorsehen (§ 3 Abs. 4 ALG II-V). § 41a Abs. 4 SGB II löse diese Verbindung mit einer bestimmten Einkommensart und erstrecke die Bildung eines Durchschnittseinkommens auf alle von dieser Vorschrift erfassten Fälle der abschließenden Entscheidung über den monatlichen Leistungsanspruch nach einer vorläufigen Entscheidung (BSG, Urteil 11. Juli 2019 - B 14 AS 44/18 R - Rn. 31).
Indes gelte u.a. nach § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Spezialregelung des § 41a Abs. 4 Satz 1 und Satz 3 SGB II eine Rückausnahme, die eine Berechnung auf der Grundlage des tatsächlichen monatlichen Einkommens erfordere, und die hier zur Anwendung komme. Danach sei ein Durchschnittseinkommen nicht zu bilden, soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraumes durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfalle. Dies sei hier durch den Zufluss des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit im Juni 2016 der Fall, denn nach dem seinerzeit maßgeblichen und hier anwendbaren Recht (§ 11 Abs. 2 und 3 SGB II) sei das im Juni 2016 zugeflossene Einkommen ungeachtet dessen, ob dieses als laufende Einnahme, die in größeren als monatlichen Zeitabständen geflossen sei, oder als einmalige Einnahme zu qualifizieren sei, (jetzt) im Zuflussmonat bzw. im Folgemonat oder in einem Sechsmonatszeitraum (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II) zu berücksichtigen gewesen, nicht jedoch in den streitbefangenen Monaten.
Die Rückausnahme des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei als Ausnahme vom alle Einkommensarten umfassenden Grundsatz des § 41a Abs. 4 Sätze 1 und 3 SGB II auch auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit anwendbar, und zwar schon deshalb, weil sich der Regelung keine entsprechende Beschränkung auf bestimmte Einkommensarten entnehmen lasse. Auch eine teleologische Reduktion dahingehend, dass eine Anwendung bei Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht erfolge, scheide aus. Hiergegen spreche bereits, dass dem Gesetzgeber die - auch nach dem 1. August 2016 weiter geltende - Regelung in § 3 Abs. 4 ALG II-V bei Schaffung der Ausnahmevorschrift bekannt gewesen sei, diese indes als Verordnungsrecht von § 41a SGB II als lex spezialis verdrängt werde (so auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/8041 S. 52). Durchgreifende Gründe gegen eine Einbeziehung aller Einkommensarten seien im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II ebenso wenig ersichtlich wie bei der Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens (mit Hinweis auf BSG a.a.O. Rn. 34 f.) nach § 41a Abs. 4 Sätze 1 und 3 SGB II. Auch nach der zitierten Entscheidung des BSG, das auch hinsichtlich der Einkommensart maßgeblich auf den Wortlaut des Gesetzestextes abstelle, greife hier die Rückausnahme nach § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Insofern habe das BSG ausgeführt (Rn. 29 und 30): „Für eine systematische Auslegung seien insbesondere die §§ 11 ff. SGB II in den Blick zu nehmen, von denen § 41a Abs. 4 SGB II eine spezialgesetzliche Ausnahme regele. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II seien als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Nach § 11 Abs. 2 seien laufende Einnahmen grundsätzlich für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen würden. Einmalige Einnahmen seien nach § 11 Abs. 3 SGB II grundsätzlich in dem Monat, in dem sie zufließen würden, zu berücksichtigen. Von dem (auch) hierin zum Ausdruck kommenden Monatsprinzip im SGB II (mit Hinweis auf ständige Rechtsprechung des BSG und entsprechende Urteile) weiche § 41a Abs. 4 SGB II ab, weil bei der abschließenden Entscheidung nicht die in einem Monat tatsächlich zugeflossenen Einnahmen der Berücksichtigung als Einkommen zugrunde zu legen seien, sondern ein monatliches Durchschnittseinkommen zu bilden sei. Diese Abweichung differenziere ebenso wenig nach Einkommensarten (insbesondere Einkommen aus nichtselbstständiger und aus selbstständiger Arbeit, Einkommen aus anderen Sozialleistungen), wie die Regelungen zum Monatsprinzip der §§ 11 f. SGB II.“
Zusammenfassend sei hiernach davon auszugehen, dass insgesamt in der Vorschrift des § 41a Abs. 4 SGB II nicht nach Einkommensarten zu differenzieren sei. Es verbliebe der Einschätzung des Gesetzgebers, ob es sich generell so verhalte, dass die Vorschrift zu ungerechtfertigten Besserstellungen bestimmter Leistungsberechtigter führe und ob dem womöglich durch Korrekturen im Regelungsprogramm zu begegnen sei (BSG ,a.a.O. Rn. 37). Dasselbe gelte für die Auslegung, die den fachlichen Weisungen der Bundesagentur zugrunde liegen würden. Mit Blick auf die geltende Fassung des § 41a SGB II fehle es hierfür in dessen Wortlaut an einer Stütze (Hinweis auf BSG a.a.O. Rn. 39).
Bei der Klägerin sei danach das Einkommen des R. aus selbstständiger Tätigkeit für die Zeit vom 1. April 2016 bis 31. Mai 2016 nicht zu berücksichtigen. Es seien daher insoweit auch nicht die nach § 41a Abs. 6 SGB II bereits erbrachten Leistungen zu erstatten.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 22. Dezember 2020 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil am 20. Januar 2021 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt.
Zur Begründung macht der Beklagte geltend, dass die vom SG vertretene Rechtsauffassung, gestützt auf die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg, zur Folge hätte, dass auch bei Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit eine monatsgenaue Berechnung durchzuführen wäre, wenn in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraumes durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen Hilfebedürftigkeit entfalle. Dies sei im Juni 2016 der Fall gewesen, weshalb im Juni 2016 zugeflossenes Einkommen jedenfalls nicht in den streitbefangenen Monaten angerechnet werden könne (hier in den Monaten April bis Mai 2016).
Dem könne nicht gefolgt werden, so seien unter anderem auch das SG Berlin (Urteil vom 20. Januar 2021 - S 123 AS 13.858/17 -, juris) und das SG Braunschweig (Urteil vom 18. Januar 2021 - S 52 AS 1405/19 -, juris) ausdrücklich dem LSG Berlin-Brandenburg nicht gefolgt und hätten vielmehr die Auffassung vertreten, dass § 3 ALG II-V ohne Einschränkungen anzuwenden sei.
Weder das SG noch das LSG Berlin-Brandenburg seien in ihren Entscheidungen auf die Besonderheiten eingegangen, die eine selbstständige Tätigkeit mit sich bringe. Je nach Art der selbstständigen Tätigkeit sei es keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, dass in allen Monaten Einkünfte erzielt würden. Im Extremfall erziele der Selbstständige nur in einem Monat Einkommen und habe in den übrigen Monaten nur Ausgaben zu tragen. Die Durchschnittsberechnung nach der ALG II- V vermöge diese teilweise extremen Schwankungen auszugleichen und als Konsequenz das finanzielle Risiko der Selbstständigen abzufedern. Diese Grundüberlegung der grundsätzlich schwankenden und unregelmäßigen Einkommenssituation habe gerade zur Regelung des § 3 Abs. 4 ALG II-V geführt.
Zwar könne es für den Selbstständigen im Einzelfall verschmerzbar sein, wenn er in einem Monat durch die monatsgenaue Berechnung aufgrund seines Einkommens keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen habe. Problematisch seien hingegen die Monate, in denen (umfangreiche) Ausgaben getätigt werden müssten, sei es, weil Arbeitsmittel gekauft, Fixkosten beglichen oder umfangreiche Investitionen getätigt werden müssten, aber keinerlei Einkünfte erzielt würden. In diesen Monaten würde nämlich der Selbstständige auf seinen Ausgaben „sitzen bleiben“. Eine Berücksichtigung der Ausgaben könne nicht erfolgen, da diese zwingend Einnahmen voraussetzten, von denen sie abgezogen werden könnten.
Dies werde auch in einer Anmerkung zum Urteil des LSG Berlin-Brandenburg so gesehen, wonach sich gerade nicht aus dem Urteil des BSG vom 11. Juli 2019 (B 14 AS 44/18 R) ergebe, dass § 41a Abs. 4 SGB II die Anwendung der weitergeltenden ALG II-V verdränge. Sie ergebe sich auch nicht bei sorgfältiger Anwendung der Auslegungsgrundsätze. Denn der Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit werde nach § 3 Abs. 2 ALG II-V durch Abzug der „im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben“ ermittelt. Eine monatsweise Gewinnermittlung verhindere die Anrechnung der in den einnahmeschwachen Monaten für die Einkommenserzielung aufgewandten Ausgaben, das für Leistungsberechtigte sehr ungünstig sein könne.
Der Beklagte habe auch schon im SG-Verfahren darauf hingewiesen, dass in den Monaten April und Mai R. zwar keine Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit hätten erzielen können; während des gesamten Zeitraums, also auch in den Monaten ohne Einnahmen, seien jedoch aus selbstständiger Tätigkeit Betriebsausgaben angefallen, die sich nur mit einer selbstständigen - wenn auch nicht monatlich gewinnbringenden - Tätigkeit erklären ließen. So seien beispielsweise im April 2016 Kosten für Reparaturen des betrieblichen Kfz, für Büromaterial, Arbeitskleidung und Geschäftsessen angefallen. Diese Auffassung finde beispielsweise auch ihre Stütze im Urteil des SG Berlin vom 29. Juli 2013, wonach die selbstständige Tätigkeit nicht lediglich in Zeiten ausgeübt werde, in denen der Selbstständige konkrete Aufträge ausführe, sondern auch in den Zeiten, in denen er Aufträge akquiriere und beispielsweise Betriebsausgaben tätige (SG Berlin, Urteil vom 29. Juli 2013 - S 197 AS 15266/10 -, juris Rn. 34).
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Frage der Anwendung der Rückausnahme des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II alter Fassung bei der Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit im Rahmen der abschließenden Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung sei umstritten und zwischenzeitlich Gegenstand des Verfahrens vor dem BSG (B 4 AS 38/21 R). Das SG habe der Klage jedoch unabhängig von dieser Problematik zu Recht stattgegeben. Selbst wenn § 3 Abs. 4 ALG II-V die Anwendung des § 41a Abs. 4 Satz 2 SGB II alter Fassung ausschließen würde, wie der Beklagte meine, verdränge § 3 Abs. 4 Satz 2 ALG II- V als speziellere Regelung § 41a Abs. 4 SGB II alter Fassung auch insoweit, als dort eine generelle Umlegung des Einkommens auf die Monate des Bewilligungsabschnitts angeordnet werde (so SG Berlin, Urteil vom 12. August 2020 - S 142 AS 445/19 -; Münder/Geiger, SGB II § 11 Rn. 105).
Da der Lebensgefährte der Klägerin erst ab Juni 2016 selbstständig tätig gewesen sei, wäre auch bei vorrangiger Anwendung der ALG II-V in den Monaten April und Mai 2016 kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen. In diesem Fall wären der Klägerin für die Zeit 1. April 2016 bis 31. Mai 2016 Leistungen ohne die Anrechnung von Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit des R. zu bewilligen und wäre der Erstattungsbescheid für diese Monate aufzuheben.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2022 wurde das Berufungsverfahren im Hinblick auf die beim BSG anhängige Revision (B 4 AS 38/21 R) gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021 (L 7 AS 992/20) zum Ruhen gebracht.
Nachdem die Revision vom dortigen Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG am 29. November 2022 zurückgenommen worden war, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Januar 2023 das Verfahren wieder angerufen, das nunmehr unter dem Aktenzeichen L 2 AS 186/23 fortgeführt wird.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2023 hat die Klägerbevollmächtigte noch darauf verwiesen, dass bezüglich der hier auch geltend gemachten Erstattung von Leistungen für Bekleidung und für Möbel bei Geburt in Höhe von insgesamt 854 € die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III nicht erfüllt seien, da diese Leistungen mit Bescheid vom 14. April 2016 endgültig bewilligt worden seien und dieser Bescheid auch bis heute nicht aufgehoben worden sei.
Der Beklagte hat im Hinblick darauf mit Schreiben vom 20. Juli 2023 insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben, als das für diese Leistungen keine Erstattung mehr geltend gemacht wird. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 26. Juli 2023 angenommen.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 2. März 2023 (Beklagter) und vom 14. Juli 2023 (Klägerin) einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten (1 Band die Klägerin betreffend und 1 Band R. betreffend) sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
II.
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet.
Streitgegenstand ist die Anrechnung von Einkommen des damaligen Lebensgefährten der Klägerin, R., lediglich betreffend die Monate April und Mai 2016 im Bescheid vom 29. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. August 2017. Im Hinblick auf das angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten vom 20. Juli 2023, wodurch sich der Rechtsstreit insoweit erledigt hat (§ 102 Abs. 1 SGG), steht nach Abzug der ursprünglich auch geltend gemachten Erstattung in Höhe von 291 € und 563 € im Zusammenhang mit der Erstausstattung für Bekleidung und Geburt sowie für Möbel bei Geburt noch eine Rückforderung in Höhe von 725,88 € für April 2016 und 709,88 € für Mai 2016 im Streit.
Entgegen der Auffassung des SG hat der Beklagte zur Überzeugung des Senates zum einen zutreffend das vom damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann der Klägerin, R., während des Bewilligungszeitraumes April bis September 2016 erzielte Einkommen auf den gesamten Bewilligungszeitraum anteilig umgelegt, da die selbstständige Tätigkeit auch während des gesamten Bewilligungszeitraumes bereits ausgeübt worden war.
Der Beklagte hat daher auch rechtmäßig im Rahmen der endgültigen Festsetzung der Leistungen mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 im Hinblick auf die zunächst gemäß § 41a SGB II erfolgte vorläufige Bewilligung von Leistungen festgestellt, dass für den (gesamten) Bewilligungszeitraum keine Hilfebedürftigkeit gemäß §§ 19, 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II vorliegt und daher die erbrachten Leistungen nicht nur hinsichtlich des Zeitraumes Juni 2016 bis September 2016, sondern auch für die Monate April und Mai 2016, also in vollem Umfang zu erstatten sind. Die Klägerin ist dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld II bezüglich des hier streitigen Zeitraumes soweit es um die Kriterien Altersgrenze (§ 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 7a SGB II) und Erwerbsfähigkeit (§ 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II) geht, nicht jedoch hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit gemäß § 19 i.V.m. §7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II.
Der Beklagte hatte schon im Hinblick auf die eigenen schwankenden Einnahmen der Klägerin zutreffend die Leistungen gemäß § 41a Abs. 1 und Abs. 2 SGB II zunächst nur vorläufig bewilligt.
Gemäß § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II hat der Grundsicherungsträger bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruches ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Dies ist eine Ausnahme von dem ansonsten gemäß § 11 Abs. 2 und 3 SGB II geltenden Zuflussprinzip.
Eine Rückausnahme folgt nicht aus § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Hiernach gilt die Ausnahme von dem Zuflussprinzip nicht, soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraums durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfällt. Die Frage, welches Einkommen in welcher Höhe in diesem Sinne "zu berücksichtigen" ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Einkommensanrechnung (so LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 18. Februar 2021 - L 7 AS 992/20 - juris Rn. 27/28; ebenso SG Berlin Urteil vom 20.01.2021 - S 123 AS 13858/17- und SG Braunschweig Urteil vom 18. Januar 2021 - S 52 AS 1405/19 -; Schifferdecker, NZS 2021, 73; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II § 41a Rn. 61). Für die Berechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit gilt § 3 Abs. 4 Satz 1 der insoweit auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II gestützten ALG II-V. Hiernach ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Zutreffend ist der Beklagte in Anwendung dieser Bestimmung von einem monatlichen Durchschnittseinkommen in Höhe von 11.045,55 € ausgegangen, das, auch wenn man die von R. vorgelegten Zahlen unverändert übernimmt, mit dann zumindest 7.670,76 € monatlich ebenfalls noch deutlich über dem monatlichen Bedarf der Klägerin (und des R.) gelegen hätte.
§ 3 Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 Satz 3 ALG II-V ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht einschlägig, weil die selbstständige Erwerbstätigkeit nicht nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums ausgeübt wurde. Denn R. hat die selbstständige Tätigkeit nicht etwa erst zum 1. bzw. 14. Juni 2016, sondern bereits zum 1. April 2016 aufgenommen. Maßgeblich ist nämlich nicht, wann erstmals Einnahmen erzielt wurden (hier im Juni 2016), sondern wann tatsächlich die selbstständige Tätigkeit aufgenommen wurde. Mit anderen Worten: eine selbstständige Tätigkeit wird nicht lediglich in Zeiten ausgeübt, in denen der Selbstständige konkrete Aufträge ausführt, sondern auch in den Zeiten, in denen er z.B. Aufträge akquiriert und beispielsweise Betriebsausgaben tätigt (siehe SG Berlin, Urteil vom 29. Juli 2013 - S 197 AS 15266/10 -, juris Rn. 34). Die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit erfolgte aber tatsächlich schon im April 2016. So hat R. in der Gewerbeanmeldung vom 29. März 2016 als Beginn der Tätigkeit den 29. März 2016 angegeben und weiter in der abschließenden EKS vom 20. Oktober 2016 ausdrücklich als Betriebsausgaben bereits im April 2016 unter anderem Reparaturen (B 5.1) in Höhe von 855,91 €, Büromaterial einschließlich Porto (B 10) in Höhe von 111,75 €, Telefonkosten (B 11) in Höhe von 27,50 € sowie in der Rubrik sonstige Betriebsausgaben (B 14) Kosten für Arbeitskleidung in Höhe von 134,50 € und Geschäftsessen in Höhe von 65,60 € geltend gemacht. Im Mai 2016 wurden als Betriebsausgaben unter anderem betriebliche Versicherungen (B 4) in Höhe von 78,77 €, Werbungskosten (B 6) in Höhe von 1.064,80 €, Übernachtungskosten in Höhe von 185,76 € (B 7) sowie Telefonkosten in Höhe von 70,76 € (B 11) geltend gemacht. Damit ist aber zur Überzeugung des Senates festzustellen, dass R. in der Tat schon in den Monaten April und Mai 2016 neben der damals von ihm noch ausgeübten abhängigen Beschäftigung bereits mit Werbung und Akquise hinsichtlich der ausweislich der Gewerbeanmeldung am 29. März 2016 aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit begonnen hatte, sodass der Beklagte zu Recht die während des Bewilligungszeitraums erzielten Einnahmen unter Berücksichtigung der (soweit berücksichtigungsfähigen) Ausgaben auf alle sechs Monate des Bewilligungszeitraumes anteilig verteilt hat.
Das in den jeweiligen einzelnen Monaten zugeflossene Einkommen ist für die Berechnung des monatlichen Leistungsanspruchs nicht relevant (so LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 29; abweichend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020 - L 18 AS 732/18 -).
Die Rückausnahme des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II enthält schon nach ihrem Wortlaut kein Verbot einer Durchschnittsberechnung, sondern nur die Aussage, dass § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht gilt, mithin keine Sonderregelung zur Einkommensanrechnung allein aufgrund der zunächst vorläufigen Leistungsbewilligung anwendbar ist. Die allgemeinen Vorschriften zu der Frage, welches Einkommen "zu berücksichtigen" ist, werden hingegen durch die Regelung nicht berührt. Wenn in der Rechtsprechung aus dem Urteil des BSG vom 11. Juli 2019 (B 14 AS 44/18 R) geschlossen wird, auch die Rückausnahme des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit anwendbar (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020 - L 18 AS 732/18 -), weshalb bei Anwendung dieser Bestimmung abweichend von § 3 Abs. 4 ALG II-V auch für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit das Zuflussprinzip gelte, wenn zuvor vorläufig bewilligt wurde, verkennt dies die eigenständige Bedeutung des Verweises auf das "zu berücksichtigende" Einkommen in § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 30). Zwar erfasst - mit der genannten Rechtsprechung des BSG - § 41a Abs. 4 SGB II alle Einkommensarten, die Vorschrift regelt jedoch nicht, welche Einkommen nach dem Zuflussprinzip und welche Einkommen im Rahmen einer Durchschnittsberechnung "zu berücksichtigen" sind (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 30).
Systematische Gesichtspunkte sprechen gegen eine Verdrängung von § 3 Abs. 4 ALG II-V durch § 41a Abs. 4 SGB II. Würde man § 41a Abs. 4 SGB II so auslegen, dass § 3 Abs. 4 Alg II-V bei der Anwendung von § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht gilt, also verdrängt würde, hätte diese Vorschrift keinen relevanten Anwendungsbereich mehr. Denn das Einkommen von Selbstständigen unterliegt in aller Regel unvorhersehbaren Entwicklungen und Schwankungen. Eine Leistungsbewilligung, die bei zu erwartenden Einkommensschwankungen nicht vorläufig erfolgt, ist rechtswidrig im Sinne des § 45 SGB X (BSG, Urteile vom 8. Dezember 2020 - B 4 AS 46/20 R - und vom 24. Juni 2020 - B 4 AS 10/20 R -, jeweils in juris). Um eine anfängliche Rechtswidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift zu vermeiden, muss der Leistungsträger bei Selbstständigen in aller Regel zunächst vorläufig bewilligen. Die ausdrücklich für Selbstständige konzipierte Regelung des § 3 Abs. 4 ALG II-V würde damit in der Praxis weitgehend leer laufen. Ein entsprechender Regelungswille des Gesetzgebers ist aber dem Regelungszusammenhang des § 41a SGB II nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II gerade eine für alle Einkommensarten geltende Erweiterung der Durchschnittsbildung bei abschließender Festsetzung nach vorläufiger Bewilligung vorgenommen, so dass nicht anzunehmen ist, dass gerade im "Musterfall des schwankenden Einkommens" (so treffend LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 31; ebenso SG Braunschweig Urteil vom 18. Januar 2021 - S 52 AS 1405/19 -) eine Abkehr von diesem Prinzip geregelt werden sollte (so auch SG Berlin Urteil vom 20. Januar 2021 - S 123 AS 13858/17 -; SG Braunschweig, Urteil vom 18. Januar 2021 - S 52 AS 1405/19 -).
Auch die Entwicklung der Vorschriften spricht für eine weitere Anwendung von § 3 Abs. 4 ALG II- V. Für Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit sah § 2 Abs. 3 ALG II-V vor Inkrafttreten des Neunten SGB II-ÄndG vom 26. Juli 2016 (BGBl. I S.1858) ebenfalls eine Regelung zur Durchschnittsberechnung vor. Mit Wirkung zum 1. August 2016 wurde § 2 Abs. 3 ALG II-V vollständig aufgehoben (Art. 1 Nr. 2 der Siebten Verordnung zur Änderung der ALG II/Sozialgeld-Verordnung vom 26. Juli 2016 - BGBl. I, 1858), weil sich die Grundsätze der Durchschnittsberechnung für Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit seither allein nach § 41a Abs. 4 SGB II richten (Begründung zum Verordnungsentwurf des BMAS S. 6). Die demgegenüber erfolgte Beibehaltung von § 3 Abs. 4 ALG II-V spricht dafür, dass eine ausschließliche Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 SGB II für das Einkommen von Selbstständigen nicht gewollt war und § 3 Abs. 4 ALG II-V auch nach Inkrafttreten von § 41a Abs. 4 SGB II eine eigenständige (vorgelagerte) Bedeutung zukommen soll (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 32; SG Berlin, Urteil vom 20. Januar 2021 - S 123 AS 13858/17 -; SG Braunschweig, Urteil vom 18. Januar 2021 - S 52 AS 1405/19 -).
Auch der Sinn und Zweck der Durchschnittsberechnung gemäß § 3 Abs. 4 ALG II-V spricht vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit für die hier vertretene Auslegung. Bei einem Selbstständigen stehen sich typischerweise Einnahmen und Ausgaben in einem Monat nicht korrespondierend gegenüber. Es gehört zu den typischen Abläufen bei Selbständigen, dass Investitionen getätigt werden müssen, Betriebsausgaben anfallen und sich Gewinne erst zeitlich verzögert realisieren lassen. Eine monatsweise Betrachtung der Einnahmen würde das wirtschaftliche Bild der Tätigkeit häufig zum Nachteil der Selbstständigen verzerren. Diese würden die Möglichkeit verlieren, Betriebsausgaben in Monaten ohne Gewinn in anderen Monaten, in denen Gewinn erzielt wurde, geltend zu machen. Außerdem würde ein Ausschluss der Gewinnermittlung nach § 3 Abs. 4 ALG II-V die endgültige Leistungsberechnung manipulationsanfällig zulasten des Leistungsträgers gestalten (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 33; SG Berlin, Urteil vom 20. Januar 2021 - S 123 AS 13858/17 -).
Für die Annahme, der Gesetzgeber habe diese Folgen mit der Einfügung von § 41a Abs. 4 SGB II in Kauf genommen, gibt es keine Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8041, S. 53 f). Die Ausnahmeregelung des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II trägt allein dem Umstand Rechnung, dass bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat der Bewilligungszeitraum unterbrochen wird und die Bildung eines Durchschnittseinkommens für diesen Zeitraum damit nicht mehr gerechtfertigt wäre. Verhindert werden soll, dass in Fällen, in denen die Hilfebedürftigkeit für einen Monat unterbrochen wurde und danach ohne vorläufige Bewilligung ein neuer Leistungsfall gegeben wäre (BSG, Urteil vom 9. April 2014 - B 14 AS 23/13 R -), bei vorläufigen Bewilligungen systemwidrig dennoch ein Einkommensüberhang aus dem vorherigen Zeitraum (vor der Unterbrechung der Hilfebedürftigkeit) auf Zeiträume nach dem neuen Leistungsfall angerechnet werden (so LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 34 mit Hinweis auf Grote-Seifert in jurisPK SGB II § 41a Rn. 61). Bei Selbstständigen führt eine Bedarfsdeckung durch Gewinne in einzelnen Monaten gemäß § 3 Abs. 4 ALG II-V aber gerade nicht zu einer Unterbrechung des Bewilligungszeitraums (so LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 34).
Eine Verpflichtung des Beklagten, das Einkommen monatsweise zu berechnen, folgt schließlich nicht aus § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB II. Hiernach gilt § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht, wenn die leistungsberechtigte Person vor der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs eine Entscheidung auf der Grundlage des tatsächlichen monatlichen Einkommens beantragt. Die Klägerin hat einen solchen Antrag vor Erteilung des Bescheides vom 29. Dezember 2016 nicht gestellt. Die Vorlage der EKS durch R. am 16. Oktober 2016 stellt einen solchen Antrag nicht dar, da die Klägerin in diesem Zusammenhang keine weitergehenden Erklärungen abgegeben hat. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie einen Antrag auf monatsweise Betrachtung rechtzeitig gestellt (hierzu Kemper in: Eicher/Luik SGB II § 41a Rn. 58 f). Von § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB II wird nach der Gesetzesbegründung der Fall erfasst, dass die leistungsberechtigte Personen bereits während des laufenden Bewilligungszeitraumes nach Ablauf eines jeden Kalendermonats eine monatliche abschließende Entscheidung unter Berücksichtigung des im abgelaufenen Kalendermonat tatsächlich erhaltenen Einkommens wünscht, da aufgrund großer Einkommensschwankungen in Monaten mit deutlich geringerem Einkommen das Existenzminimum ansonsten nicht sichergestellt wäre (BT-Drs. 18/8041, S. 54). Diese Gesetzesbegründung findet sich zwar nicht im Gesetzestext wieder, wonach es nicht auf eine Antragstellung "während des laufenden Bewilligungszeitraums", sondern auf eine Antragstellung "vor der endgültigen Feststellung" ankommt. Aus der Gesetzesbegründung entnimmt der Senat aber, dass es nach der Vorstellung des Gesetzgebers darum geht, ungeachtet der Regelung des § 41a Abs. 2 Satz 2 SGB II das Existenzminimum des Betroffenen während des laufenden Bewilligungszeitraums zu sichern. Dieser Gesetzeszweck limitiert den Beratungsanlass. Der Bedarf der Klägerin war während des laufenden Bewilligungszeitraums zu jedem Zeitpunkt sichergestellt, weil sie in vollständig bedarfsdeckender Höhe vorläufig Leistungen erhalten hat, so dass für den Beklagten kein Anlass bestand, die Klägerin auf die Möglichkeit des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB II hinzuweisen. Der Herstellungsanspruch ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass ein Leistungsträger ungefragt und spontan eine Optimierungsberechnung schuldet (so LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, juris Rn. 35 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. November 1980 - 1 RA 45/79 -). Hier war vielmehr der Bewilligungszeitraum schon abgelaufen und die EKS von R. auch erst nach Aufforderung mit Schreiben vom 6. Oktober 2016 vorgelegt worden.
Der Senat kann daher offen lassen, ob § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB II überhaupt für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit gilt (woran nach den vorstehenden Ausführungen zu § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II erhebliche Zweifel bestehen).
Da folglich eine Durchschnittsberechnung des Gesamteinkommens für April 2016 bis September 2016 vorzunehmen ist, ist monatlich ein Einkommen von 11.345,55 € bzw. im günstigsten Fall von 7.670,76 € zu berücksichtigen. Hiermit war die Klägerin bei einem Gesamtbedarf von monatlich 1.579,88 € hinsichtlich des Monats April 2016 (unter Berücksichtigung einer Erstausstattung für Bekleidung bei Geburt und Möbel bei Geburt), 709,88 € für Mai 2016, 705,75 € für Juni 2016 und jeweils 648 € für die Monate Juli 2016 bis September 2016 auch unter Berücksichtigung aller Absetzungsbeträge nach § 11b SGB II und des eigenen Bedarfs des R. im Bewilligungszeitraum April bis September 2016 nicht hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II.
Die zu Unrecht erhaltenen Leistungen bezüglich der hier allein noch streitigen Monate April und Mai 2016 in Höhe von insgesamt noch 1.435,76 € (ohne die durch das angenommene Teilanerkenntnis nicht mehr streitgegenständlichen Beträge für eine Erstausstattung für Bekleidung bei Geburt und Möbel bei Geburt) hat die Klägerin damit gemäß § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II zu erstatten.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. So ist festzustellen, dass es sich bei der hier streitigen Regelung in § 41a Abs. 4 SGB II um altes Recht handelt. Seit dem 1. April 2021 besteht die hier streitige Regelung (Durchschnittsberechnung und Ausnahmen hiervon) nicht mehr, sondern wird in § 41a Abs. 4 SGB II nunmehr lediglich noch klarstellend erklärt, dass die abschließende Entscheidung nach Abs. 3 nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes erfolgen solle.