Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.04.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in der Zeit vom 01.06.2019 bis 30.11.2019.
Der am 00.00.1976 geborene Kläger beantragte beim Beklagten am 13.06.2019 Leistungen nach dem SGB II. Hierbei gab er an, über ein Konto bei der Sparkasse Z. sowie ein Konto bei der Commerzbank zu verfügen und einer geringfügigen Erwerbstätigkeit bei einer Spielhalle nachzugehen, aufgrund derer er ein monatliches Gehalt von 450 Euro beziehe. Angefügt waren Kontoauszüge der Sparkasse Z. für den Zeitraum vom 13.03.2019 bis zum 13.06.2019 sowie Kontoauszüge der Commerzbank für die Zeit vom 01.04.2019 bis zum 30.06.2019. Aus einer Kontenabfrage des Beklagten bei dem Bundeszentralamt für Steuern vom 03.07.2019 ergab sich, dass der Kläger darüber hinaus Inhaber von sieben weiteren eigenen Konten sowie Verfügungsberechtigter über zwei weitere Konten war, von denen es sich bei dem einen um das seines Arbeitgebers handelte. Aus den vom Kläger mit Antragstellung vorgelegten Kontoauszügen war ersichtlich, dass er in regelmäßigen Abständen Beträge in bar auf diese eingezahlt hatte. Im Monat Juni 2019 beliefen sich die Bareinzahlungen auf dem Konto bei der Sparkasse Z. auf insgesamt 100 Euro und auf dem Konto bei der Commerzbank auf 1.540 Euro. Zudem war aus den Kontoaktivitäten bei der Commerzbank ersichtlich, dass dem Kläger am 25.04.2019 ein Darlehen in Höhe von 11.900 Euro ausgezahlt worden war. Unter demselben Datum fand sich ebenfalls eine Überweisung des Klägers auf eines seiner weiteren Konten in Höhe von 8.915,23 Euro.
Mit Schreiben vom 03.07.2019 forderte der Beklagte den Kläger auf, eine Erklärung über die diversen Einzahlungen und Überweisungen auf seinen Konten abzugeben sowie Kontoauszüge für die bisher nicht angegebenen Konten einzureichen. Hierzu führte der Kläger mit Schreiben vom 05.08.2019 aus, dass es sich bei den Bareinzahlungen um Einzahlungen mit Münzen gehandelt habe, die er im Rahmen seiner geringfügigen Erwerbstätigkeit für seinen Arbeitgeber getätigt habe. Er habe immer dann, wenn der Arbeitgeber Banknoten benötigt habe, das Münzgeld aus den Spielautomaten auf sein Konto eingezahlt, um das Geld sogleich in Form von Banknoten abzuheben. Die anderen Einzahlungen seien entweder Abhebungen von Kreditkarten, um Raten für andere Kreditkarten zu zahlen, oder Darlehen von Freunden und Bekannten gewesen, um seine Schulden zu begleichen. Er reichte zudem diverse Kreditkartenabrechnungen und Unterlagen zu dem bei der Commerzbank aufgenommenen Darlehen ein.
Mit Bescheid vom 12.08.2019 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Hilfebedürftigkeit des Klägers sei zweifelhaft. Aus seinen Kontoauszügen sei ersichtlich, dass allein seine monatlichen Ausgaben die angegebenen Einkommensverhältnisse weit überstiegen. Auch bestünden Zweifel an der Herkunft der Bareinzahlungen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger für die Münzeinzahlungen seines Arbeitgebers sein Privatkonto verwende, zumal er eine Verfügungsbefugnis für das Geschäftskonto seines Arbeitgebers innehabe. Auch sei die Behauptung, dass die weiteren Bareinzahlungen und Abhebungen „Ausleihen“ von Freunden und Bekannten seien, nicht belegt und damit als Schutzbehauptung zu werten.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2019 zurück. Das Vorbringen des Klägers, dass es sich bei den Einzahlungen und Überweisungen (insbesondere der 11.900 Euro auf das Konto bei der Commerzbank) um Darlehen handele, sei weder nachgewiesen noch plausibel. Das eingezahlte Geld müsse, selbst wenn es sich um Darlehen handele, als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen werden, da davon auszugehen sei, dass der Kläger dieses zur Steuerung seiner Notlage verwenden könne.
Einen am 20.12.2019 gestellten Weiterbewilligungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23.04.2020 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 19.06.2020 ab.
Am 07.01.2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Ablehnungsbescheides vom 12.08.2019 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), ohne ihn zu begründen. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 03.02.2020 ab. Es seien keine Gründe vorgetragen worden, die für die Unrichtigkeit des Bescheides sprächen. Eine erneute Sach- und Rechtsprüfung sei daher nicht erforderlich gewesen.
Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein, dass er hilfebedürftig sei. Es treffe nicht zu, dass er einen Lebensstil habe, der mit seinen Einkommensverhältnissen nicht zu erklären sei. Die von ihm erfolgten Einzahlungen gehörten nicht ihm. Er habe Kredite aufgenommen, die er zurückzahlen müsse.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 05.03.2020 zurück. Eine Rücknahme des Bescheides vom 12.08.2019 komme nicht in Betracht. Weder im Überprüfungs- noch im Widerspruchsverfahren seien neue Tatsachen oder Anhaltspunkte genannt worden, die zum Zeitpunkt der Entscheidung am 12.08.2019 nicht bekannt gewesen wären und die die Annahme der Rechtswidrigkeit der Entscheidung begründen könnten.
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 09.03.2020 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 09.04.2020 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhoben. Er sei hilfebedürftig und könne seinen Lebensunterhalt nicht ohne Leistungen nach dem SGB II bestreiten.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 12.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2019 zurückzunehmen und ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren verwiesen.
Mit Verfügung vom 30.07.2020 hat das SG den Kläger unter Fristsetzung von drei Wochen aufgefordert, lückenlose und sortierte Kontoauszüge zu sämtlichen seiner Konten für den Zeitraum vom 01.06.2019 bis 30.11.2019 zu den Akten zu reichen und sämtliche sich daraus ergebende Eingänge substantiiert zu erläutern und zu belegen. Ferner ist er aufgefordert worden, die Namen und ladungsfähigen Anschriften sämtlicher Personen mitzuteilen, von denen er im vorgenannten Zeitraum Darlehen erhalten hat und zugehörige Darlehensverträge zu den Akten zu reichen. Das Gericht habe erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers.
Nachdem der Kläger auf ein Erinnerungsschreiben vom 09.09.2020 nicht reagiert hatte, hat das SG mit weiterem Schreiben vom 16.11.2020 den Kläger erneut an die Erledigung der Verfügung vom 30.07.2020 erinnert und ihm hierfür eine Frist von drei Wochen ab Zugang des Schreibens gesetzt. Das SG hat ferner darauf hingewiesen, dass es Erklärungen und Beweismittel, die nach dieser Frist eingingen, nach § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückweisen und über den Rechtsstreit ohne weitere Ermittlungen entscheide, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Kläger die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Das Schreiben ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.11.2020 zugestellt worden.
Mit einem am 02.03.2021 eingegangenen Schriftsatz vom 24.02.2021 hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten erklärt, dass er die geforderten Kontoauszüge bei den entsprechenden Banken bestellt habe, die Zusendung aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen könne.
Das SG hat die Beteiligten mit einem Schreiben vom 03.03.2021, dem Klägerbevollmächtigten am 08.03.2021 zugestellt, Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben. Das SG hat sodann mit Gerichtsbescheid vom 16.04.2021 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen einer Rücknahme des Ablehnungsbescheids vom 12.08.2019 nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.06.2019 bis 30.11.2019 nicht nachgewiesen. Diese sei vorliegend auch nicht mehr zu ermitteln. Der Kläger sei der Aufforderung des Gerichts aus den Verfügungen vom 30.07.2020 und 16.11.2020 nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen. Dementsprechend könne das Gericht gemäß § 106a Abs. 3 SGG ohne weitere Ermittlungen entscheiden.
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 23.04.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.05.2021 Berufung eingelegt. Er wiederholt seinen bisherigen Vortrag. Ergänzend führt er aus, dass es sich bei den weiteren von ihm ursprünglich nicht angegebenen Konten allesamt um Kreditkarten handele, die er genutzt habe, um die Rechnungen anderer Kreditkarten zu begleichen. Die Überweisung in Höhe von 8.915,23 Euro von seinem Konto bei der Commerzbank sei aus einem ihm gewährten Darlehen in Höhe von 15.000 Euro erfolgt und verwendet worden, um die aus dem Darlehen bestehende Restschuld zu tilgen. Er sei den Aufforderungen des SG bezüglich der von ihm einzureichenden Unterlagen nicht gefolgt, weil er aus psychischen Gründen nicht dazu in der Lage gewesen sei. Sein Prozessbevollmächtigter habe ihm auch gesagt, dass er die Unterlagen einreichen sollte, es sei aber dazu wegen seiner damaligen Verfassung nicht gekommen.
Mit einem Schreiben vom 23.03.2022 hat der Kläger Auszüge seines Kontos bei der Commerzbank für den Zeitraum vom 31.12.2018 bis 31.03.2019 sowie bei der Sparkasse Z. für den Zeitraum vom 16.04.2019 bis 15.11.2019, ferner diverse Kreditkartenabrechnungen, Darstellungen seines Kontoverlaufs und Unterlagen zu dem gewährten Kredit in Höhe von 15.000 Euro bei der Commerzbank eingereicht. Mit einem weiteren Schreiben vom 10.04.2022 hat der Kläger eine Übersicht aller Bareinzahlungen vorgelegt, inklusive einer Erklärung hierzu. Er hat erklärt, aus welchen Quellen die Einzahlungen auf seinen Konten getätigt worden seien. Zudem hat er zwei private Darlehensverträge zwischen ihm und Herrn R. G. über einen Betrag von 4.500 Euro sowie Herrn J. O. über einen Betrag von 4.000 Euro und Bestätigungsschreiben seines Arbeitgebers über diverse von dem Kläger für den Arbeitgeber getätigte Münzeinzahlungen in Höhe von 6.748 Euro vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.04.2021 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 zu verpflichten, den Bescheid vom 12.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2019 zurückzunehmen und ihm für den Zeitraum vom 01.06.2019 bis 30.11.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger mit der Vorlage der im Berufungsverfahren eingereichten Unterlagen nach § 106a SGG i.V.m. § 157a Abs. 2 SGG präkludiert und die Berufung deshalb unbegründet sei.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen (Beschluss vom 03.08.2022).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung des Klägers kann der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Es liegt ein Fall des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Der Senat hat die Übertragung – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen. Es handelt sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Verfahren, das keine Fragen aufwirft, die einer Mitwirkung der vollen Richterbank des Senats (vgl. § 33 Abs. 1 S. 1 SGG) bedürfen.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Diese ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 zu Recht eine Rücknahme des Bescheides vom 12.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2019 nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X (i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 SGB II) und eine Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt. Streitig ist dabei der Zeitraum vom 01.06.2019 bis 30.11.2019. Wird ein neuer Bescheid erlassen, endet die zeitliche Wirkung des vorangegangenen Bescheides rückwirkend zum Zeitpunkt des neuen Leistungs- bzw. Antragszeitpunkts, sodass der Streitgegenstand insoweit eingegrenzt ist (vgl. BSG Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, Rn. 13 m.w.N., juris). Durch den Antrag vom 20.12.2019 und den daraufhin ergangenen Bescheid vom 23.04.2020 wurde der Leistungszeitraum bis zum 30.11.2019 eingegrenzt, weil die mit Bescheid vom 23.04.2020 erfolgte erneute Ablehnung Rückwirkung ab dem 01.12.2020 entfaltet (vgl. § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II).
Ein Leistungsanspruch nach §§ 7 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 1 S. 1, 20 SGB II steht dem Kläger mangels Hilfebedürftigkeit nicht zu. Hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Für den Senat ist vorliegend jedoch nicht nachgewiesen, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, seinen Bedarf aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu decken. Der Senat darf die vom Kläger im Berufungsverfahren eingereichten Unterlagen nicht auswerten und keine ergänzenden Amtsermittlungen durchführen. Denn das SG hat diesbezügliche weitere Erklärungen und Beweismittel rechtsfehlerfrei mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen, mit der Folge, dass der Senat ohne Ermessensspielraum hieran gebunden bleibt. Dies ergibt sich aus § 157a Abs. 2 SGG. Nach § 157a Abs. 1 SGG kann das Gericht neue Erklärungen und Beweismittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist (§ 106a Abs. 1 und 2 SGG) nicht vorgebracht worden sind, unter den Voraussetzungen des § 106a Abs. 3 SGG zurückweisen. Erklärungen und Beweismittel, die das SG zu Recht zurückgewiesen hat, bleiben auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen (§ 157a Abs. 2 SGG).
Einschlägig ist vorliegend nicht § 157a Abs. 1 SGG, sondern Abs. 2. Die vom SG mit Verfügung vom 16.11.2020 angeforderten Erklärungen und Unterlagen im Hinblick auf die verschiedenen Konten, Darlehensbeträge, Bargeldeinzahlungen und Überweisungen des Klägers waren notwendig, um die Amtsermittlung aufnehmen zu können. Dementsprechend handelte es sich nicht um „neue“ Erklärungen i.S.d. § 157a Abs. 1 SGG. Für das Vorliegen einer „neuen“ Erklärung ist es nicht ausreichend, dass diese nicht bereits in der ersten Instanz vorgetragen wurde. Vielmehr liegt ein „neues“ Vorbringen nur dann vor, wenn das SG sich hiermit gar nicht auseinandergesetzt und dementsprechend auch keine Erklärungen angefordert hat (LSG Hamburg Urteil vom 30.03.2022, L 2 U 9/20, Rn. 30, juris). Das ist hier nicht der Fall. Die hier streitigen Unterlagen und Erklärungen hatte das SG bereits ausdrücklich vom Kläger angefordert.
Die Präklusion richtet sich infolgedessen nach § 157a Abs. 2 SGG, der – anders als Abs. 1 der Norm – kein Ermessen des Berufungsgerichts vorsieht. Sind die Voraussetzungen des § 157a Abs. 2 SGG erfüllt, ist es unerheblich, ob beim LSG eine Verzögerung eintritt. Voraussetzung von § 157a Abs. 2 SGG ist, dass das SG die Erklärungen bzw. Beweismittel zu Recht zurückgewiesen hat, wobei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des SG maßgebend ist. Neue Entschuldigungsgründe i.S.d. § 106a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGG, die im Berufungsverfahren erstmals vorgebracht werden, sind jedoch in verfassungskonformer Auslegung von § 157a Abs. 2 SGG zu berücksichtigen, wenn das Vorbringen des Entschuldigungsgrunds in erster Instanz ohne Verschulden versäumt wurde (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 157a, Rn. 7 m.w.N.).
Gemessen an diesen Voraussetzungen hat das SG die mit Verfügung vom 16.11.2020 geforderten Erklärungen und Beweismittel zu Recht nach § 106a Abs. 3 SGG zurückgewiesen. Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt (§ 106a Abs. 1 SGG). Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen 1. Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen, 2. Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist (§ 106a Abs. 2 SGG). Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 106a Abs. 1 und 2 SGG gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn 1. ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und 2. der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und 3. der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist (§ 106a Abs. 3 S. 1 SGG). Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 106a Abs. 3 S. 2 SGG). § 106a Abs. 3 S. 1 SGG gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln (§ 106a Abs. 3 S. 3 SGG). Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Entscheidung durch das SG am 16.04.2021 vor.
Vorliegend ist der Kläger durch Verfügung des SG vom 16.11.2020 aufgefordert worden, die zur Aufnahme von Amtsermittlungen erforderlichen Unterlagen und Erklärungen zu seiner Hilfebedürftigkeit im Streitzeitraum vorzulegen (§ 106a Abs. 1 und 2 SGG). Das SG hat dem Kläger mit Schreiben vom 16.11.2020 eine dreiwöchige Frist ab Zugang gesetzt. Eine Übersendung der entsprechenden Unterlagen und Erklärungen innerhalb dieser Frist ist unterblieben. Die Einreichung von Unterlagen ist erst im Berufungsverfahren mit den Schriftsätzen des Klägers vom 24.03.2022 und 10.04.2022 erfolgt. Dass der Kläger Unterlagen vor der Entscheidung des SG tatsächlich nicht eingereicht hat, ist für die Anwendung des § 157a Abs. 2 SGG unschädlich, weil sich das SG ausdrücklich auf die Präklusion nach § 106a Abs. 3 SGG berufen hat und weil ansonsten § 157a Abs. 2 SGG sinnentleert wäre, wenn er nur dann zum Tragen käme, wenn Unterlagen in der ersten Instanz (tatsächlich) verspätet eingereicht wurden. Das SG hat den Kläger in seiner Verfügung vom 16.11.2020 auch ausdrücklich und eindeutig über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt (§ 106a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGG). Die gesetzte Dreiwochenfrist war überdies angemessen. Ob sie das ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Zumutbarkeit für den betroffenen Beteiligten (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 106a, Rn. 5). Davon ist auszugehen, zumal der Kläger bereits mit Schreiben des SG vom 30.07.2020 erstmals aufgefordert worden war, entsprechende Unterlagen und Erklärungen einzureichen und auf eine weitere Erinnerung des SG vom 09.09.2020 ebenfalls nicht reagiert hatte.
Weitere Voraussetzung einer rechtmäßigen Präklusion nach § 106a Abs. 3 SGG ist, dass das Gericht den Vorrang des Amtsermittlungsgrundsatzes beachtet hat. Nach § 106a Abs. 3 S. 3 SGG gilt § 106a Abs. 3 S. 1 SGG nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Hieraus wird deutlich, dass das Gericht die Präklusionsregelung grundsätzlich nicht zur Entlastung von der Amtsermittlungspflicht einsetzen darf. Eine Präklusion kommt also grundsätzlich nur hinsichtlich solcher Tatsachen bzw. Beweismittel in Betracht, die in der Person oder der Sphäre des Beteiligten liegen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 106a, Rn. 15). Dies ist hier der Fall. Alle angeforderten Unterlagen und Erklärungen konnten ohne die Mitwirkung des Klägers nicht zumutbar ermittelt und ins Verfahren eingebracht werden. Dass das SG sich zu weiteren Ermittlungen nicht veranlasst und infolge der nicht vorgelegten Unterlagen hinsichtlich der vielzähligen (Bar-)Einzahlungen auch nicht in der Lage gesehen hat, ist auch vor dem Hintergrund der im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlung nicht zu beanstanden. Zwar haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 103 S. 1 Hs. 1 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge gebunden zu sein. Jedoch sind dabei „die Beteiligten heranzuziehen“ (§ 103 S. 1 Hs. 2 SGG). Der Aufklärungspflicht des Vorsitzenden nach § 106 SGG steht dabei die Pflicht der Beteiligten gegenüber, auf die Aufforderungen des Gerichts hin die entsprechenden Angaben zu machen (LSG Hamburg Urteil vom 30.03.2022, L 2 U 9/20, Rn. 26, juris). Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 S. 1 Hs. 1 SGG entbindet die Beteiligten nicht davon, nach ihren Kräften bei der Sachaufklärung mitzuwirken. Machen die Beteiligten trotz der Aufforderung des Gerichts die zur Aufnahme der gerichtlichen Ermittlungen erforderlichen Angaben nicht, so besteht auch keine weitere Verpflichtung des Gerichts zur Amtsermittlung nach § 103 SGG (BSG Urteil vom 01.07.2010, B 13 R 58/09 R, Rn. 47, juris).
Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens erfordert weiter, dass eine Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und dass der Beteiligte eine eingetretene Verspätung nicht genügend entschuldigt hat. Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat bis zum Erlass des Gerichtsbescheides am 16.04.2021 keine Entschuldigungsgründe geltend gemacht. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.03.2021 hat der Kläger lediglich vortragen lassen, dass er Kontoauszüge angefordert habe. Wann er dies getan hat und wann er mit dem Eingang rechnete, sagte er nicht. Auf die anderen, in der Verfügung vom 16.11.2020 genannten Unterlagen und Erklärungen (Mitteilung der Namen und ladungsfähigen Anschriften von Darlehensgebern und Vorlage von Darlehensverträgen) ist er gar nicht eingegangen. Selbst nach Zugang der Anhörung zur Entscheidung per Gerichtsbescheid am 08.03.2021 hat der Kläger nicht reagiert und etwa um Fristverlängerung gebeten oder Entschuldigungsgründe geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund durfte das SG davon ausgehen, dass eine nachträgliche Befassung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde. Ermessensfehler des SG sind vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
Der Kläger hat die Säumnis auch im Berufungsverfahren nicht ausreichend entschuldigt, so dass aus einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung des § 157a Abs. 2 SGG nichts anders resultiert. Bei der Frage, wann die Verspätung genügend entschuldigt ist, sind die Kriterien zu beachten, die die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 67 SGG) entwickelt hat (BVerwG Urteil vom 06.04.2000, 9 B 50/00, 9 PKH 15.00, Rn. 8, juris). Verschulden umfasst Vorsatz und Fahrlässigkeit. Schuldlos handelt, wer diejenige Sorgfalt beachtet, die einem gewissenhaften Prozessführenden, der seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnimmt, nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zuzumuten ist (BSG Beschluss vom 06.04.2021, B 11 AL 14/21 B, Rn. 2, juris). Der Kläger hat seine Rechte und Pflichten nicht in diesem Umfang wahrgenommen. Nach eigenem Vortrag hat er die vom SG gestellte Frist versäumt, da er seine Post aufgrund von einem Gefühl von Belastung hinsichtlich seiner finanziellen Situation nicht geöffnet habe. Dies reicht für die Annahme schuldlosen Handelns nicht aus. Der Kläger trägt insoweit keine konkrete psychische oder anderweitige Erkrankung vor, die eine Unfähigkeit zur Einhaltung der gestellten Fristen darlegen oder nur plausibel erscheinen lassen würde. Es wäre ihm zumutbar gewesen, die Post zu öffnen und die Unterlagen zu übersenden oder zumindest auf seine Situation hinzuweisen und eine spätere Übersendung zuzusagen. Insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass er durch seinen Bevollmächtigten auf die Übersendung der Unterlagen hingewiesen wurde und dies dennoch unterließ, ist eine ausreichende Entschuldigung der Säumnis nicht festzustellen.
Der Senat kann angesichts der Präklusion nach §§ 106a, 157a Abs. 2 SGG die Frage dahinstehen lassen, ob der angefochtene Bescheid vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 auch deshalb rechtmäßig ist, weil der Kläger seinen Antrag nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht begründet und seinen Widerspruch bis zum Ende des Vorverfahrens nicht konkretisiert hat, der Beklagte sich infolgedessen zu Recht auf die Bestandskraft des Bescheides vom 12.08.2019 berufen haben könnte und der Senat insoweit an einer inhaltlichen Prüfung gehindert wäre (vgl. dazu BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, Rn. 13, 19 juris; BSG Beschluss vom 14.03.2012, B 4 AS 239/11 B, Rn. 6 f., juris; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 25.10.2017, L 7 AS 2722/17 B, Rn. 26 ff., juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.