L 8 R 3224/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 4347/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3224/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.09.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der 1960 geborene Kläger ist gelernter Stahlformenbauer mit abgeschlossener Weiterbildung zum Werkzeugmachermeister. Er war als Werkzeugmacher und Werkzeugmachermeister versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Ende 2014 war er arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos und bezog ab November 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Seit dem 01.07.2021 bezieht der Kläger von der Beklagten eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Vom 24.11.2015 bis 15.02.2016 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Tagesklinik K1 mit den Diagnosen Störung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Coxalgie und grenzwertige arterielle Hypertonie. Im Entlassbericht wurde ein vollschichtiges Leistungsvermögen sowohl für den allgemeinen Arbeitsmarkt als auch für die letzte Tätigkeit als Werkzeugmacher bescheinigt.

Der Kläger stellte erstmals am 31.07.2017 erfolglos einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, der mit Bescheid vom 06.11.2017 abgelehnt wurde. In diesem Verfahren wurde der Kläger von B1 am 17.10.2017 chirurgisch begutachtet. Diese diagnostizierte eine verminderte Belastbarkeit der Hüften durch degenerative Veränderungen mit geringgradiger Funktionseinschränkung, eine verminderte Belastbarkeit der LWS, mutmaßlich degenerativ bedingt, eine vorbeschriebene depressive Erkrankung, eine vorbeschriebene Angststörung sowie eine vorbeschriebene somatoforme Schmerzstörung. Im Vordergrund stehe die depressive Erkrankung. Von Seiten des Bewegungsapparates stellte die Gutachterin ein 6- und mehrstündiges Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit als Werkzeugmacher sowie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit diversen qualitativen Einschränkungen fest. Aufgrund der psychiatrisch-psychosomatischen Erkrankung sei jedoch von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit auszugehen, weshalb sie ein psychosomatisches Heilverfahren befürworte.

Vom 05.03.2018 bis 10.04.2018 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik G1. Im Entlassbericht vom 13.04.2018 wurden als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung mit schwerer Episode, eine generalisierte Angststörung, Alkoholabusus, Coxarthrose bds., LWS-Syndrom und Tinnitus aurium genannt. Das Leistungsvermögen wurde sowohl hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Werkzeugmachermeister als auch im Hinblick auf leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit unter 3 Stunden arbeitstäglich eingeschätzt. Es habe sich eine subjektiv deutlich eingeschränkte Belastbarkeit bei eher geringem Interesse an berufsfördernden Therapieangeboten gezeigt. Die Belastbarkeit sei aufgrund der langen und nicht remittierten psychischen Erkrankungen auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit deutlich eingeschränkt.

Am 27.04.2018 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies er auf eine schwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung, eine generalisierte Angststörung, einen Alkoholabusus, eine beidseitige Coxarthrose, ein Syndrom der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie auf einen Tinnitus. Die Beklagte zog das Gutachten von B1 vom 17.10.2017 sowie den Entlassbericht der Rehaklinik G1 bei. Sodann veranlasste die Beklagte eine psychiatrische Begutachtung durch H1 am 03.07.2018. In ihrem Gutachten vom 10.07.2018 stellte die Gutachterin folgende Diagnosen: vorbeschriebene depressive Störung, Z.n. schwerer Episode (gebessert), aktuell in der Ausprägung nicht genau einzuordnen, jedoch Ausschluss eines schweren depressiven Syndroms; V.a. sonstige anhaltende affektive Störung mit depressiven Verstimmungen und Verbitterung, ohne wesentliche Einschränkungen der Antriebs- und Gestaltungskompetenzen im Alltag; V.a. anhaltenden schädlichen Alkoholkonsum mit verminderter Kontrollfähigkeit, ggf. bei episodischem Substanzgebrauch; vorbeschriebene Angststörung mit episodisch paroxysmaler Angst, keine Hinweise auf relevante Einschränkung im Lebensradius; verminderte Belastbarkeit der Hüftgelenke durch degenerative Veränderungen, mit geringgradiger Funktionseinschränkung; verminderte Belastbarkeit der LWS, mutmaßlich degenerativ bedingt, ohne relevante funktionelle Einschränkungen; Tinnitus aurium. Nach Beendigung der Rehamaßnahme am 10.04.2018 habe keine weitere psychiatrische Behandlung stattgefunden abgesehen von einer einmaligen Vorstellung bei E1. Weder die empfohlene teilstationäre Behandlung, noch eine ambulante Psychotherapie seien initiiert oder gar durchgeführt worden. Die antidepressive Behandlung mit Citalopram habe der Kläger nach Beendigung des Heilverfahrens abgesetzt. Das sehr niedrig dosierte Amitriptylin nehme der Kläger offenbar nur unregelmäßig, da es bei der Laborkontrolle nicht nachweisbar gewesen sei. Der Kläger sei noch in der Lage, sowohl eine Tätigkeit als Werkzeugmacher als auch eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung diverser qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens 6 Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Anhaltende quantitative Leistungseinschränkungen aufgrund der psychischen Erkrankungen seien nicht festzustellen gewesen.

Mit Bescheid vom 17.07.2018 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da der Kläger noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könne. Dies sei ihm aufgrund seines beruflichen Werdegangs zumutbar, weshalb auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ausscheide.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er leide seit Jahrzehnten unter den Auswirkungen seiner depressiven Erkrankung. Die Symptomatik habe sich erheblich verstärkt, so dass er seit 2013 durchgehend arbeitsunfähig sei. Weiter leide er unter den Folgen des Alkoholmissbrauchs. Er habe im April 2018 wieder begonnen zu trinken. Aufgrund seiner schweren Beeinträchtigungen sei sein Leistungsvermögen auf unter 3 Stunden täglich gesunken, was auch die behandelnden Ärzte in der Reha-Klinik G1 festgestellt hätten. Zudem bestehe qualifizierter Berufsschutz, da er in seine Tätigkeit als Werkzeugmachermeister schon aufgrund der orthopädischen Beeinträchtigungen nicht zurückkehren könne. Aufgrund seines Werdegangs bestehe keine Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Beklagte holte daraufhin eine sozialmedizinische Stellungnahme vom 10.09.2018 von H1 ein. Diese führte aus, dass die im psychiatrischen Gutachten beschriebenen, bewusst und tendenziell anmutenden Verhaltensweisen mit negativen Verzerrungen nicht als Teil einer Krankheitssymptomatik zu verstehen seien. Wenn die physischen und psychischen Beeinträchtigungen tatsächlich so schwer seien, wie vom Bevollmächtigten dargestellt, sei davon auszugehen, dass der Kläger die vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen wie die Fortsetzung der psychiatrischen Behandlung und eine suffiziente antidepressive Medikation in Anspruch nehmen würde.

In einer ergänzenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 21.09.2018 führte H1 aus, gegen eine Tätigkeit als Werkzeugmachermeister bzw. Werkzeugmacher spreche allenfalls die anamnestisch bekannte Allergie gegen Öle. Der Kläger könne in diesem Fall auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur verwiesen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Kläger seien noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht, in Frühschicht/Spätschicht, ohne erhöhtes Konfliktpotenzial, ohne leichtem Zugang zu Alkoholika, ohne Wirbelsäulen-Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken und Hocken, ohne Ersteigen von Leitern und Gerüsten und ohne Gehen in unebenem Gelände 6 Stunden und mehr täglich zumutbar. Als Werkzeugmachermeister/Werkzeugmacher sei er ebenfalls noch 6 Stunden und mehr täglich einsatzfähig, sofern sich die bekannte Allergie gegen Öle am Arbeitsplatz nicht relevant einschränkend auswirke. Für den Fall, dass die bestehende Allergie gegen Öle einer Tätigkeit als Werkzeugmacher(meister) entgegenstehe, sei er auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie zu verweisen.

Am 11.12.2018 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und ausgeführt, sein Leistungsvermögen sei aufgrund einer schweren depressiven Erkrankung und damit einhergehenden Schlafstörungen, Angstattacken, Antriebsminderung, Erschöpfung und sozialem Rückzug erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus bestehe ein schädlicher Alkohol-Missbrauch, Ganzkörperschmerzen sowie körperliche Einschränkungen in Form von degenerativen Veränderungen in beiden Hüft- und Kniegelenken sowie im Bereich der gesamten Wirbelsäule und schließlich eine Hautallergie auf diverse in der Industrie verwendeten Öle, welche zur Aufgabe der letzten Tätigkeit geführt habe. Im Hinblick auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Werkzeugmachermeister sei zudem weitergehender Berufsschutz zu gewähren. Denn hierbei handele es sich um eine Tätigkeit auf Facharbeiter-Niveau. Die Ölallergie und die psychischen Beeinträchtigungen stünden der benannten Verweisungstätigkeit entgegen.

Das SG hat zunächst Auskünfte der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen eingeholt.

Der E1 hat den Kläger aufgrund der Depression, der Angststörung und Panikattacken sowie der orthopädischen Probleme nur noch für unter 3 Stunden täglich leistungsfähig gehalten und eine Behandlung in einer psychiatrischen Tagesklinik empfohlen. Der W1 hat neben den bekannten orthopädischen Befunden von einer Fraktur des Capitulum humeri und Radiusköpfchen links im Dezember 2018 berichtet und ein Leistungsvermögen von höchstens 4 Stunden täglich gesehen. Der I1 hat von einer Verschlechterung des psychischen Befindens seit Oktober 2017 berichtet und den Kläger für nicht mehr leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gehalten.

N1 hat in einer sozialmedizinischen Stellungnahme für die Beklagte darauf hingewiesen, dass H1 in ihrer Untersuchung Mitte 2018 eine Verschlechterung seit 2017 bereits berücksichtigt habe. Zudem finde lediglich eine minimale antidepressive Behandlung quasi auf Placebo-Niveau statt. Die orthopädischen Einschränkungen seien von B1 in ihrem Gutachten 2017 ebenfalls berücksichtigt worden.

Das SG hat ferner beim letzten Arbeitgeber des Klägers, der Firma N2 GmbH, eine schriftliche Auskunft vom 18.11.2019 zu den Umständen des letzten Arbeitsverhältnisses des Klägers eingeholt. Dieser hat angegeben, das Arbeitsverhältnis sei durch eine Kündigung wegen Betriebsaufgabe beendet worden. Für die Tätigkeit des Klägers als Werkzeugmacher sei eine Berufsausbildung erforderlich. Der Kläger habe eine Vorgesetztenfunktion innegehabt, indem er Mitarbeiter beaufsichtigt und unterwiesen habe, und sei übertariflich bezahlt worden. Eine berufliche Umstellung aus gesundheitlichen Gründen sei nicht notwendig gewesen.

Die Beklagte hat daran festgehalten, dass der Kläger die Tätigkeit als Werkzeugmacher weiterhin vollschichtig ausüben könne. Grundsätzlich könne er jedoch zumutbar auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie, als Fachberater im Innendienst für den Bereich Metallwerkstoffe oder aufgrund seiner Erfahrung in der Lehrlingsausbildung als Anleiter in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen verwiesen werden.

Das SG hat sodann ein neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinisches Gutachten von R1 mit Untersuchung des Klägers am 27.07.2020 eingeholt. In seinem am 14.09.2020 erstatteten Gutachten hat R1 eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und einen leichten chronischen Nervenwurzelschaden im Segment S1 rechts diagnostiziert. Während der Begutachtung habe sich keine erhöhte Ängstlichkeit gezeigt und sei keine Panikattacke aufgetreten. Unter Berücksichtigung der Akten sei eine leichte Panikstörung aber nicht auszuschließen, die jedoch keinen Einfluss auf das quantitative berufliche Leistungsvermögen habe. Leichte, leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie die Tätigkeiten als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie, als Fachberater im Innendienst für den Bereich der Metallwerkstoffe sowie als Anleiter in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen könnten mindestens 6 Stunden arbeitstäglich ausgeführt werden. In kleinen Betrieben bestehe die Aufgabe von Feinwerkmechaniker-Meistern bzw. Werkzeugmachermeistern darin, selbst praktisch mitzuarbeiten, so dass es sich dabei um auch um mittelschwere körperliche Tätigkeiten handeln könnte, die der Kläger nicht mehr verrichten könne.

Das SG hat zudem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers nach § 109 SGG beim S1,  A1-Klinik B2, ein Gutachten mit Untersuchung des Klägers am 29.04.2021 eingeholt. In seinem am 25.06.2021 erstatteten Gutachten hat S1 ein Alkoholabhängigkeitssyndrom, eine aktuell schwergradige Episode einer rezidivierenden depressiven Störung ohne psychotische Symptome sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Alkoholabhängigkeit stehe dabei im Vordergrund. Der Kläger sei alkoholisiert zur Begutachtung erschienen, habe jedoch einen Alkoholtest zur Verifizierung der Intoxikation abgelehnt. Die dennoch stattfindende Untersuchung sei auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers erfolgt. Eine Tätigkeit als Werkzeugmachermeister sei aufgrund der körperlichen Einschränkungen nicht mehr leistbar, wenn damit körperliche Arbeit verbunden sei. Tätigkeiten als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie, als Fachberater im Innendienst für den Bereich der Metallwerkstoffe sowie als Anleiter in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen seien möglich. Das Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten mit diversen qualitativen Einschränkungen hat der Gutachter mit mindestens 6 Stunden täglich eingeschätzt. Derzeit sei durch die Alkoholabhängigkeit eine erhebliche Einschränkung der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit gegeben, die aber durch eine geeignete Therapie wiederherstellbar sei. Die Alkoholabhängigkeit könne mit einer geeigneten Therapie innerhalb von 6 bis 12 Monaten ausreichend gebessert werden, wodurch auch die anderen psychischen Diagnosen gebessert werden könnten, so dass die Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt werden könne. Derzeit bestehe Arbeitsunfähigkeit, jedoch keine Erwerbsunfähigkeit.

Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.09.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht eingeschränkt. R1 habe überzeugend dargestellt, dass beim Kläger zwar gelegentlich auch schwergradige depressive Episoden vorkämen, diese aber nur vorübergehend seien und deshalb keine sechs Monate überdauernde Erwerbsminderung, sondern lediglich eine Phase der Arbeitsunfähigkeit darstellten. Die Erkrankungen des Klägers auf psychiatrischem Gebiet, insbesondere die depressive Störung und die Schmerzstörung, schlössen eine leidensgerechte Tätigkeit im Umfang von 6 Stunden arbeitstäglich nicht aus, da die funktionellen Ausfälle nicht den hierfür erforderlichen Schweregrad erreichten. Hierfür sprächen neben dem nur mittelgradig gestörten psychischen Befund insbesondere noch die erhaltenen Alltagsaktivitäten und Interessen des Klägers, der insbesondere noch in der Lage sei, seinen Haushalt allein zu führen und Gartenarbeit zu leisten. Aus den Schilderungen des Klägers diesbezüglich sei auch eine noch erhaltene Tagesstruktur sowie kein völliger sozialer Rückzug erkennbar. Auch kognitive Defizite oder eine vorzeitige Erschöpfbarkeit seinen von R1 nicht festgestellt worden. Unabhängig davon, ob beim Kläger eine Alkoholabhängigkeit vorliege, sei diesbezüglich keine weitere Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Klägers zu erkennen, welche das Leistungsvermögen noch weitergehend einschränken würde. Insbesondere liege noch keine Alkoholfolgekrankheit vor. Die leichte Panikstörung habe ebenfalls keinen Einfluss auf das zeitliche Leistungsvermögen. Die Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet seien nur leichtgradig ausgeprägt und gingen allenfalls mit geringen funktionellen Auswirkungen einher. Der Tinnitus und die leichte Hörminderung, welche mit Hörgeräten ausgeglichen werden könne, führe nur zur Vermeidung einer erheblichen Lärmbelastung am Arbeitsplatz. Wegefähigkeit sei laut R1 ebenfalls gegeben. Der Kläger sei ebenfalls nicht berufsunfähig. Zwar gehe das SG davon aus, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit als Werkzeugmachermeister nicht mehr ausüben könne. Er könne aber auf die ihm subjektiv und objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit des Fachberaters im Innendienst für den Bereich der Metallwerkstoffe verwiesen werden, in die er aufgrund der Erfahrung in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Werkzeugmachermeister innerhalb von 3 Monaten eingearbeitet werden könne.

Der Kläger hat gegen den ihm am 05.10.2021 zugestellten Gerichtsbescheid durch seine neue Bevollmächtigte am 15.10.2021 Berufung beim Landessozialgericht Stuttgart (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, R1 habe in seinem Gutachten nicht seine bestehende Alkoholabhängigkeit berücksichtigt, die jedoch im Vordergrund stünde und die Leistungsfähigkeit massiv einschränke. Zudem bestünden Alkoholfolgeerkrankungen, was das SG verkannt habe. Das Gutachten von S1 sei insoweit widersprüchlich, als dass dieser von einer Alkoholabhängigkeit mit Alkoholfolgeerkrankungen ausgegangen sei, aus dem Gutachten jedoch nicht entnommen werden könne, weswegen dies nicht zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens führe. Ferner schränke auch die Panikstörung des Klägers seine Leistungsfähigkeit ein. Die Einschätzung des SG, dass die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht zu einer quantitativen Minderung des Leistungsvermögens führten, sei nicht nachvollziehbar, da der behandelnde W1 das Leistungsvermögen diesbezüglich auf maximal 4 Stunden täglich eingeschätzt habe. Eine Verweisung des Klägers auf eine Tätigkeit als Fachberater im Innendienst für den Bereich der Metallwerkstoffe komme nicht in Betracht, da er auch dort mit Metallhüllen/Ölen in Kontakt käme, was eine sofortige Auslösung der Hautallergie zur Folge hätte. Die Hautallergie auf Öle sei in den Gutachten nicht berücksichtigt worden. Zudem sei ihm diese Tätigkeit aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit und des sozialen Rückzugs weder subjektiv noch objektiv zumutbar.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Karlsruhe vom 30.09.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2018 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, ab 01.04.2018 bis 30.06.2021 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat einen Befundbericht des E1 vom 07.07.2022 vorgelegt. Dieser hat als Diagnose eine Alkoholabhängigkeit bei rezidivierender Depression, derzeit mittelschwer mit generalisierter Angststörung und Somatisierung, Tavor- und Ibuprofen-Abusus, Arterielle Hypertonie und Coxarthrosen beidseits aufgeführt. Infolge der Alkoholerkrankung zeige sich auf neurologischem Gebiet eine leichte hirnorganische Verlangsamung und eine klinisch beginnende PNP (Polyneuropathie) der Beine. Er stimme mit der Beurteilung des Gutachters S1 überein, glaube aber, dass der Kläger weder auf dem aktuellen Arbeitsmarkt vermittelbar sei, noch dass mit einer stationären Langzeittherapie andauernde Alkoholabstinenz zu erzielen sei. Der Kläger hat zudem Laborwerte seiner Blutbilder für den Zeitraum 20.06.2013 bis 12.11.2021 vorgelegt.

Das Verfahren ist mit den Beteiligten am 29.07.2022 nichtöffentlich erörtert worden.

In einer von der Beklagten eingeholten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 28.09.2022 hat D1 erläutert, dass die Laborwerte den erhöhten Alkoholkonsum der Leber belegten, jedoch nichts über den Schädigungsgrad der Leber aussagen würden.

Der Senat hat ein internistisch-gastroenterologisches Gutachten nach Aktenlage vom 28.01.2023 von S2 eingeholt. Dieser hat dargelegt, dass eine anamnestisch in den Akten erwähnte Hepatitis-B-Infektion im Jahr 1994 nicht durch zur Verfügung stehende Laborwerte objektiviert werden könne. Aber selbst im Fall einer chronischen Hepatitis-B-Infektion könne anhand der vorliegenden Befunde (Laborparameter und Abdomensonographie) eine Leberschädigung, welche zu einer Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit hätte führen können, nicht festgestellt werden. Ab August 2015 habe anamnestisch eine Phase der Alkoholkarenz vorgelegen, wobei nach den unterschiedlichen Berichten und Gutachten immer wieder in unterschiedlicher und nicht genau feststellbarer Intensität Alkohol konsumiert worden sei. Aufgrund der Laborparameter habe es sich jedoch im streitigen Zeitraum um einen kompensierten Alkoholkonsum gehandelt, so dass aus gastroenterologischer Sicht eine alkoholbedingte komplette Arbeitsunfähigkeit unwahrscheinlich sei. Erst im Befundbericht vom 07.07.2022 von E1 seien ein deutlich erhöhter Alkoholkonsum angeführt und Krankheitserscheinungen beschrieben worden, die auf einen chronischen Alkoholmissbrauch zurückzuführen seien. Im streitigen Zeitraum habe ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen sowohl für die Tätigkeit als Werkzeugmachermeister als auch für die genannten Verweisungsberufe und leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bestanden.

Mit Schriftsatz vom 19.04.2023 bzw. 27.04.2023 haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 17.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Nachdem der Kläger seit dem 01.07.2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen erhält, hat er sein Klagebegehren auf den Zeitraum 01.04.2018 bis 30.06.2021 begrenzt. Der Kläger hat jedoch in diesem Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.


1. Gemäß § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche - ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage war, im streitigen Zeitraum körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter den in den Sachverständigengutachten genannten qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.

Der Kläger leidet hauptsächlich an Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet. Dies schließt der Senat aus den Angaben sämtlicher behandelnden Ärzte und Gutachter, die alle übereinstimmend die psychiatrischen Erkrankungen des Klägers als führend ansahen. Dabei stützt sich der Senat auf die im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten von R1, S1 und S2, sowie das Verwaltungsgutachten von H1, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Danach liegen beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, ein Alkoholabhängigkeitssyndrom sowie eine somatoforme Schmerzstörung vor.

R1 hat bei seiner Untersuchung kein Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit, keine Störung der Orientierung und keine Gedächtnisstörungen festgestellt. Der Antrieb hat sich leicht vermindert und die Stimmungslage überwiegend subdepressiv gezeigt. S1 hat bei seiner Untersuchung ebenfalls keine Störung der Orientierung festgestellt. Zwar hat er deutliche Defizite bei kognitiven Fähigkeiten festgestellt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger zu dieser Untersuchung in alkoholisiertem Zustand erschienen ist. Zudem ist vorliegend lediglich der Zeitraum 01.04.2018 bis 30.06.2021 für die Gewährung einer Rente streitig. Daher ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Untersuchung durch R1 am 27.07.2020 abzustellen.

Alkoholbedingte Folgeschäden wie eine strukturelle Leberschädigung haben im relevanten Zeitraum nicht vorgelegen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von S2, der insoweit lediglich einen kompensierten Alkoholkonsum festgestellt hat. Die Erhöhung einzelner Laborparameter lässt, wie S2 nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit D1 ausgeführt hat, keine Aussage über das Vorliegen einer relevanten chronischen Leberschädigung zu.

Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Einschätzung von H1, R1, S1 und S2 von einem Leistungsvermögen des Klägers für körperlich leichte Tätigkeiten von wenigstens 6 Stunden täglich aus.

Im Rahmen der depressiven Störung war die quantitative Leistungsfähigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum nicht eingeschränkt. Zwar sind beim Kläger schwere depressive Episoden beschrieben worden. Maßgeblich ist jedoch der Verlauf der depressiven Störung insgesamt. So haben sowohl H1 als auch R1 nur eine mittelgradige depressive Episode festgestellt. Längere stationäre Aufenthalte sind abgesehen von der Rehabilitationsmaßnahme vom 05.03.2018 bis 10.04.2018 nicht dokumentiert. Die fehlende Notwendigkeit einer stationären Behandlung zusammen mit der niedrig dosierten antidepressiven medikamentösen Behandlung sprechen zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit den von den Gutachtern erhobenen Befunden im streitigen Zeitraum gegen das Vorliegen einer schweren depressive Störung. Dies steht im Einklang mit der im Berufungsverfahren vorgelegten Auskunft des behandelnden E1, der von einer mittelschweren Depression  und sich der Leistungseinschätzung des Gutachters S1 angeschlossen hat. Sofern E1 darauf abstellt, dass der Kläger auf dem Arbeitsmarkt nur schwer zu vermitteln sei, ist dies bei der Frage, ob generell noch ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht, nicht zu berücksichtigen.

Die depressive Störung führt ebenso wie die orthopädischen Beeinträchtigungen, die somatoforme Schmerzstörung und die Alkoholabhängigkeit lediglich zu den von den Gutachtern benannten qualitativen Leistungseinschränkungen, namentlich nur leichte körperliche Tätigkeiten ohne Akkord- und Fließbandarbeit, ohne Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 Kilogramm, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Zwangshaltung der Wirbelsäule, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Arbeiten unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, in Nachtschicht, ohne Lärmbelastung ohne Kontakt mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln.

Bei den beschriebenen Leistungseinschränkungen handelt es sich auch weder um eine Summierung mehrerer ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, noch liegt eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, welche ausnahmsweise – trotz vollschichtigen Leistungsvermögens – die Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit und – falls dies nicht möglich ist – einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach sich ziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R -, juris m.w.Nw.). Nach Überzeugung des Senats sind die beim Kläger vorliegenden Leistungseinschränkungen weder als ungewöhnlich noch als schwer zu bezeichnen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere die Gutachten von H1, R1 und S2 haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO).

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Nach § 240 Abs. 2 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Kann der Versicherte seinen „bisherigen Beruf“ aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist (sogenannte subjektive Zumutbarkeit) und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann (objektive Zumutbarkeit). Das Bundessozialgericht (BSG) hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung sozial zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/96 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55 - Juris Rdnr. 30; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der „oberen Angelernten“ (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und „unteren Angelernten“ (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit derselben oder der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG vom 22.09.1977 - 5 RJ 96/76 = SozR 2200 § 1246 Nr. 23 - Juris Rdnr. 15; BSG vom 09.09.1986 - 5b RJ 50/84 = SozR 2200 § 1246 Nr. 139 - Juris Rdnr. 11). Ausgangspunkt der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist danach der „bisherige Beruf“, den der Versicherte ausgeübt hat. Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (BSG vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 - SozR 3-2600 § 43 Nr. 17 = Juris Rdnr. 16).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht berufsunfähig war. Der Senat stellt zwar in Übereinstimmung mit R1 und S1 fest, dass der Kläger den Beruf als Werkzeugmachermeister nicht mehr ausüben konnte, da es sich dabei auch um eine mittelschwere Tätigkeit handelt. Der Kläger konnte jedoch auf Grund des von ihm zuletzt ausgeübten Berufs als Werkzeugmacher zumutbar auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie verwiesen werden. Es handelt sich dabei um eine leichte Tätigkeit, die im Sitzen, Gehen und Stehen verrichtet wird. Dies steht für den Senat fest aufgrund der Tätigkeitsbeschreibung in der Verwaltungsakte der Beklagten. Leichte Tätigkeiten waren dem Kläger wie oben dargestellt, noch möglich. Die vom Kläger angegebene Allergie gegen Öle steht dieser Tätigkeit nicht entgegen. Zum einen wird diese Allergie in keinem der zahlreichen ärztlichen Befunde erwähnt. Zum anderen hat der ehemalige Arbeitgeber des Klägers angegeben, dass der Kläger keinerlei gesundheitliche Probleme während seiner Tätigkeit als Werkzeugmachermeister hatte. Eine betriebsinterne Umsetzung aufgrund einer Allergie ist ebenfalls nicht erfolgt. Der Kläger hat seinen Beruf auch nicht aufgrund gesundheitlicher Probleme aufgegeben, sondern ihm wurde ausweislich der Angaben des Arbeitgebers wegen Betriebsaufgabe gekündigt. Ferner ist aus der Berufsbeschreibung nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Tätigkeit als Qualitätskontrolleur zwangsläufig direkten Kontakt mit Ölen hat. Einen Nachweis für diese Behauptung hat der Kläger nicht erbracht. Zudem wären bei Hautkontakt Schutzmaßnahmen wie Handschuhe möglich.

Der Kläger hat eine Meisterprüfung für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Werkzeugmacher abgelegt, wie sich aus dem vorgelegten Meisterprüfungszeugnis vom 09.05.1987 ergibt (Bl. 20 SG-Akte). Nach der Arbeitgeberauskunft hat der Kläger die Tätigkeit als Werkzeugmachermeister mit Vorgesetztenfunktion ausgeübt. Dementsprechend kann der Kläger zumutbar auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie, die einer Tätigkeit als Facharbeiter entspricht, verwiesen werden. Aufgrund seiner Ausbildung als Werkzeugmachermeister und seiner langjährigen Berufserfahrung wäre es ebenfalls möglich gewesen, dass der Kläger die für eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur in der Metallindustrie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer Einarbeitungszeit von 3 Monaten erwirbt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
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