L 11 KR 7/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 KR 637/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 7/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21.10.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung des Zusatzbeitrages zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (KV) sowie die Höhe des Beitrages zur sozialen Pflegeversicherung (PV) im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.07.2021.

Die 2004 geborene Klägerin war vom 01.08.2008 bis zum 31.07.2021 gemäß § 9 Abs. 2 Fünftes Buch Sozial­gesetzbuch (SGB V) bei der Beklagten zu 1 freiwillig kranken-, bei der Beklagten zu 2 pflegepflichtversichert. Seit dem 01.08.2021 ist die Klägerin erneut bei den Beklagten familienversichert.


Seit dem 01.01.2015 erhebt die Beklagte von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag zur KV i.H.v. 0,9 % (Satzung der Beklagten in der ab dem 01.07.2009 geltenden Fassung i.V.m. dem 32. Nachtrag zur Satzung vom 13.12.2014). Dieser Beitragssatz wurde zum 01.01.2016 auf 1,2 % (Satzung der Beklagten in der ab dem 01.07.2009 geltenden Fassung i.V.m. dem 39. Nachtrag zur Satzung vom 12.12.2015) und zum 01.04.2017 auf 1,5 % (Satzung der Beklagten in der ab dem 01.07.2009 geltenden Fassung i.V.m. dem 46. Nachtrag zur Satzung vom 17.03.2017) angehoben. Seitdem erfolgte keine weitere Änderung des Zusatzbeitragssatzes.

Im Dezember 2014 informierte die Beklagte die Klägerin u.a. über die Einführung des Zusatzbeitrages ab dem Jahr 2015 in der GKV. Eine entsprechende Festsetzung der Beiträge zur KV und PV einschließlich Zusatzbeitrag erfolgte mit Bescheid aus „Dezember 2014“. Mit Bescheid aus „Dezember 2015“ setzte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - die Beiträge zur KV und PV i.H.v. insgesamt 169,95 € ab dem 01.01.2016 fest (147,19 € zur KV einschl. Zusatzbeitrag; 22,76 € zur PV). Die Beitragssätze betrügen insgesamt 15,2 % bzw. 15,8 % einschließlich eines Zusatzbeitrages i.H.v. 1,2 %. Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren Vater und Prozessbevollmächtigten, unter dem 14.01.2016 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 06.01.2017 setzte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - aufgrund einer Anhebung des gesetzlich vorgegebenen Mindestbeitragsbemessungswerts sowie einer Anhebung des Beitragssatzes zur sozialen PV um 0,3 Prozentpunkte die Beiträge zur KV und PV i.H.v. insgesamt 176,02 € ab dem 01.01.2017 fest (150,73 € zur KV einschl. Zusatzbeitrag; 25,29 € zur PV). Auch hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.01.2017 Widerspruch ein. Eine weitere Anhebung der monatlichen Beiträge erfolgte sodann mit Bescheid aus „März 2017“ ab dem 01.04.2017 auf 179,00 € (153,71 € zur KV einschl. Zusatzbeitrag; 25,29 € zur PV) durch die Anhebung des Zusatzbeitrages auf 1,5 %. Hiergegen legte die Klägerin ebenfalls Widerspruch ein. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies die Widersprüche der Klägerin hinsichtlich des kassenindividuellen Zusatzbeitrages ab 01.01.2016 und 01.04.2017 sowie der Änderung der Beitragsbemessung durch gesetzliche Anpassung der monatlichen Bezugsgröße und Erhöhung des Beitrages zur PV ab dem 01.01.2017 mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2017 zurück. Die hiergegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) am 05.12.2017 erhobene Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2020 ab (S 18 KR 6718/17). Berufung gegen den der Klägerin am 14.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wurde nicht eingelegt.


Aufgrund einer geringfügigen Anhebung der vorgegebenen Bezugsgröße setzte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - mit Bescheid vom 11.01.2018 die Beiträge zur KV und PV i.H.v. insgesamt 183,21 € ab dem 01.01.2018 neu fest (157,33 € zur KV einschl. Zusatzbeitrag; 25,88 € zur PV).

Unter dem 18.01.2018 legte die Klägerin unter Bezugnahme auf die „bereits bekannte Vertretung sowie das derzeit anhängige Sozialgerichtsverfahren bzgl. der Jahre 2016 und 2017“ hiergegen „anlässlich der Beitragserhöhung“ Widerspruch ein. Eine weitere Begründung des Widerspruchs erfolgte nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2018 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin hinsichtlich der Änderung der Beitragsbemessung durch gesetzliche Anpassung der monatlichen Bezugsgröße zum 01.01.2018 zurück. Hinsichtlich der Beitragsbemessung als freiwillig versichertes Kind in der GKV werde auf § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V i.V.m. § 3 Abs. 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (BVGrSz) verwiesen. Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung sei, soweit in den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes bestimmt sei, das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag. Die monatliche Bezugsgröße am 01.01.2018 betrage 3.045,00 € (§ 18 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Die Beitragsbemessung als freiwillig versichertes Kind in der GKV erfolge seit Jahren aus dem monatlichen Mindestbemessungswert als Versicherte ohne Einkommen. Durch die gesetzliche Anpassung der Bezugsgröße ab 01.01.2018 (von 2.975,00 € auf 3.045,00 €) sei auch die Beitragsbemessung der Klägerin zu prüfen und neu festzustellen. Der monatliche Beitrag betrage ab 01.01.2018 zur KV 1.015,00 € x 14,00 % (= 157,33 € einschließlich eines Zusatzbeitrages von 1,5 %), zur PV 1.015,00 € x 2,55 % (= 25,88 €), insgesamt also 183,21 €. Die Beiträge zur KV und PV seien zutreffend berechnet worden.

Aufgrund eines Verlängerungsantrages der Klägerin vom 02.08.2018 setzte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - mit Bescheid vom 16.08.2018 die Beiträge zur KV und PV - befristet bis zum 31.07.2020 - i.H.v. insgesamt 183,21 € ab dem 01.08.2018 neu fest (157,33 € zur KV einschließlich Zusatzbeitrag; 25,88 € zur PV).

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.08.2018 erhob die Klägerin am 07.09.2018 unter dem Aktenzeichen S 18 KR 4757/18 Klage beim SG und verwies zur Begründung auf die Ausführungen im Verfahren S 18 KR 6718/17. Zudem führte sie aus, der Bescheid der Beklagten sei mangels Unterscheidung zwischen Kassengrundbeitrag und Zusatzbeitrag zu unbestimmt, eine Belehrung über ein Sonderkündigungsrecht sei nicht erfolgt, auch lägen keine tragfähigen Gründe für eine Erhöhung und Fortführung des erhobenen Zusatzbeitrages, aber auch des Beitrags zur PV für Kinder vor. Es bestehe eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin mit vergleichbaren Mitgliedern der GKV ohne eigenes Einkommen. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2020 ab. Hiergegen legte die Klägerin unter dem Aktenzeichen L 11 KR 372/21 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein, die sie am 27.06.2023 zurückgenommen hat.

Mit Bescheid vom 27.12.2018 setzte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - aufgrund einer Anhebung des gesetzlich vorgegebenen Mindestbeitragsbemessungswerts von monatlich 1.015,00 € auf 1.038,33 € sowie einer Anhebung des Beitragssatzes zur PV um 0,5 Prozentpunkte die Beiträge zur KV und PV
i.H.v. insgesamt 192,61 € ab dem 01.01.2019 fest (160,94 € zur KV einschließlich Zusatzbeitrag; 31,67 € zur PV). Den hiergegen am 24.01.2019 eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2020 zurück.

Mit Bescheid vom 27.12.2019 erfolgte aufgrund einer Anhebung des gesetzlich vorgegebenen Mindestbeitragsbemessungswerts von monatlich 1.038,33 € auf 1.061,67 € eine erneute Anhebung der Beiträge zur KV und PV ab dem 01.01.2020 auf insgesamt 196,94 € (164,56 € zur KV einschließlich Zusatzbeitrag; 32,38 € zur PV).

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.01.2020 hat die Klägerin am 20.02.2020 die vorliegende Klage beim SG erhoben (S 18 KR 637/20).

Mit Bescheid vom 14.12.2020 hat die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - aufgrund einer Anhebung des gesetzlich vorgegebenen Mindestbeitragsbemessungswerts von monatlich 1.061,67 € auf 1.096,67 € die Beiträge zur KV und PV
i.H.v. insgesamt 203,43 € ab dem 01.01.2021 festgesetzt (169,98 € zur KV einschließlich Zusatzbeitrag; 33,45 € zur PV).

Zur Begründung der Klage, mit welcher die Klägerin die Aufhebung des Bescheids vom 27.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2020 beantragt hat, hat sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Es gehe um „den unklar, intransparent erhobenen Zusatzbeitrag“. Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid nur auf die Anhebung des Mindestbemessungswertes und Beitragssatzes der Pflegeversicherungen abhebe, so werde „nochmals“ klargestellt, dass diese Bestandteile der Beitragsbemessungserhebung nicht Gegenstand des Widerspruchs (zur Höhe der Beiträge) gewesen seien.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie in den Verfahren S 18 KR 6718/17 und S 18 KR 4757/18 verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2020 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.12.2018 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20.01.2020 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Bescheid vom 27.12.2018 sei formell rechtmäßig, auch wenn er maschinell ohne Unterschrift erstellt worden sei und eine Rechtsbehelfsbelehrung fehle. Sollte es dem Bescheid an einer hinreichenden Begründung mangeln, sei diese im Widerspruchs- und gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Beklagten hätten zutreffend ab dem 01.01.2019 den Mindestbeitrag für die freiwillige KV und PV der Klägerin festgesetzt. Der Bescheid sei hinreichend bestimmt, da sich aus dem Bescheid ergebe, welche konkrete Summe an Beiträgen für die KV und PV von der Klägerin zu zahlen sei. Von der dargelegten Beitragsberechnung sei auch nicht deshalb abzuweichen, weil die Klägerin als minderjähriges Kind außer dem Kindergeld über keine Einkünfte verfüge. Freiwillig versicherte Mitglieder in der GKV hätten jedenfalls den Mindestbeitrag zu zahlen, unabhängig von der Höhe ihrer Einnahmen und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Für die Erhebung der Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung ergebe sich nämliches. Weiterhin seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für Erhebung und „Fortführung" des Zusatzbeitrages
i.H.v. 1,5 % ab dem 01.01.2019 erfüllt. Rechtsgrundlage für die Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrages der Beklagten zu 1 sei § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung vom 11.12.2018 i.V.m. der Satzung der Beklagten in der ab dem 01.07.2009 geltenden Fassung i.V.m. dem 39. und dem 46. Nachtrag zur Satzung in der ab dem 01.07.2009 geltenden Fassung. Materiell-rechtlich sei § 21 der Satzung der Beklagten ebenfalls nicht rechtswidrig, soweit die Regelung den kassenindividuellen Zusatzbeitrag auf 1,5 % ab dem 01.04.2017 festgelegt habe. Das Gericht könne bei den Prognoseentscheidungen der Beklagten zu 1 für das Jahr 2019 keine Auffälligkeiten erkennen. Ein Ermessen habe der Beklagten zu 1 hinsichtlich der Erhebung des Zusatzbeitrages auch nicht zugestanden. Es handele sich bei § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V um eine gebundene Entscheidung. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei die Beklagte zu 1 nach § 242 Abs. 1 Satz 2 SGB V auch dann zur Erhebung eines monatlichen Zusatzbeitrages berechtigt, wenn der Versicherte unstreitig über keinerlei Einkommen verfüge. Ein Härtefall nach § 242 Abs. 3 SGB V habe ebenfalls nicht vorgelegen. Der Klägerin habe auch kein Sonderkündigungsrecht zugestanden, so dass über ein solches nicht zu belehren gewesen sei. In dem Bescheid vom 27.12.2018 habe weder die erstmalige Erhebung noch eine Erhöhung des Zusatzbeitrages stattgefunden, eine entsprechende Kündigung der Mitgliedschaft der Klägerin gemäß § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V zu Ende Dezember 2018 wäre demnach nicht möglich gewesen. Die Zusatzbeiträge ab dem 01.10.2019 seien auch jeweils fällig geworden. Auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 27.12.2018 komme es dabei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an. Der Zusatzbeitrag für freiwillig minderjährig Versicherte ohne eigenes Einkommen verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), auch nicht vor dem Hintergrund, dass er nicht von allen Krankenkassen erhoben werde.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 30.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.12.2020 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt (L 11 KR 7/21) und zur Begründung ausgeführt, moniert und angegriffen würden ausschließlich die gegenüber der Klägerin erhobenen und in keinen Grundbescheiden bezifferten und auch nicht begründeten Zusatzbeiträge zur KV, mithin der Beklagten zu 1, nicht hingegen die Grundbeiträge. Das Gericht gehe in der Urteilsbegründung für die Erhebung der Zusatzbeiträge i.H.v. 1,5 % ab 01.01.2019 bis 31.12.2019 und zuvor vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 im Parallelverfahren nicht nachvollziehbar davon aus, dass die Voraussetzungen für die Erhebung jeweils vor Erlass der Bescheide vorgelegen hätten. Die angegriffenen Bescheide ließen jedoch allesamt nicht erkennen, ob und in welcher Höhe Zusatzbeiträge erhoben worden seien, wie sich diese zusammensetzten, auf welcher Grundlage der Entscheidungsfindung und der herangezogenen Kriterien diese ganz konkret und fallbezogen bei der Beklagten erfolgten, welche konkreten kassenindividuellen Umstände in die Prognoseentscheidung bei der Beklagten mit eingeflossen seien, die ja jeweils um 0,4 Prozentpunkte über dem vom Bundesministerium für Gesundheit bekanntgegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragswertes (1,1) gelegen hätten und die auf der Auswertung der Ergebnisse eines Schätzerkreises (Bundesamt für Soziale Sicherung, Spitzenverband Bund der Krankenkassen und BMG) beruhten. Am 31.05.2022 (Schreiben vom 31.05.2022) hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, sich auch gegen die Erhebung des Beitrags zur PV zu wenden. Dieser werde von ihr erhoben, obwohl sie einkommenslos, minderjährig, schulpflichtig und nicht leistungsfähig sei. Sie werde daher gegenüber anderen gleichaltrigen Personen benachteiligt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21.10.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2020 aufzuheben und bezüglich des Zusatzbeitrags zum gesetzlichen Krankenversicherungsbeitrag und des Pflegeversicherungsbeitrags neu zu bescheiden.

Die Beklagten beantragen,

            die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung haben sie auf den angegriffenen Gerichtsbescheid verwiesen. Zudem haben sie dem Senat die Satzungen 2019 bis 2022, die Jahresberichte 2018 bis 2020 sowie die nach dem 27.12.2018 ergangenen Bescheide vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Gerichtsakten S 18 KR 6718/17, S 18 KR 4757/18, L 11 KR 372/21 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da die Klägerin sich gegen die Höhe der Festsetzung des Zusatzbeitrages für einen Zeitraum (ab 01.01.2019) von über einem Jahr wendet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid der Beklagten vom 27.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2020, mit welchem diese den Beitrag der Klägerin zur freiwilligen gesetzlichen KV, den Zusatzbeitrag zur KV sowie den Beitrag zur sozialen PV zukunftsoffen für den Zeitraum ab dem 01.01.2019 festgesetzt haben. Aufgrund der zukunftsoffenen Festsetzung und der diesbezüglich fehlenden Beschränkung des klägerischen Begehrens auf den Zeitraum bis zum 31.12.2019 sind die Beitragsbescheide vom 27.12.2019 für den Zeitraum ab dem 01.01.2020 sowie vom 14.12.2020 für den Zeitraum ab dem 01.01.2021 ebenfalls Streitgegenstand geworden, da diese ab den genannten Zeitpunkten jeweils den vorherigen Beitragsbescheid ersetzt haben. Als die frühere Beitragsfestsetzung ersetzende Bescheide wurden diese daher nach § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klage- bzw. Berufungsverfahrens. Zeitlich begrenzt wird der streitgegenständliche Zeitraum durch den Eintritt der Familienversicherung am 01.08.2021.

Indem sich die rechtskundig vertretene Klägerin in der Berufungsschrift vom 30.12.2020 unmissverständlich nur gegen die Erhebung des monatlichen Zusatzbeitrages zur KV wendet (Zitat: „Das Sozialgericht ging dabei davon aus, dass sich die Widersprüche und Einwendungen der Klägerin sowohl gegen die Grundbeiträge als auch gegen die Zusatzbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung richten. Moniert und angegriffen wurden allerdings nur die gegenüber der Klägerin erhobenen und in keinen Grundbescheiden bezifferten und auch nicht begründeten Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung, mithin der Beklagten zu 1).“), nicht jedoch gegen die „Grundbeiträge“ zur KV und PV, hat sie ihr Klagebegehren insoweit beschränkt. Darin liegt unzweifelhaft eine teilweise Klagerücknahme im Sinne von § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG. Eine Klagerücknahme braucht hierbei nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sie ist auch konkludent möglich, vor allem dann, wenn der Kläger seinen Antrag beschränkt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 102 Rn. 7b m.w.N.; vgl. auch Sächsisches LSG 28.01.2020, L 3 AS 1242/17 NZB, juris Rn. 43). Bei der von der Klägerin begehrten Entscheidung über die Pflicht zur Zahlung des Zusatzbeitrages handelt es sich auch um einen abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil der Beitragsforderung. Damit ist im Berufungsverfahren bezüglich der Grundbeiträge zur KV und PV die Rechtsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG eingetreten, dass nämlich insoweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt und der angefochtene Bescheid teilweise bestandskräftig geworden ist.

Da die Erklärung der Klagerücknahme als Prozesshandlung nicht mit Erfolg anfecht- bzw. widerrufbar ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 156 Rn. 2a m.w.N.), ist der vom Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 31.05.2022 gestellte Antrag auf Aufhebung und Neubescheidung des Pflegeversicherungsbeitrags im Hinblick auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2020 keine fristgemäße - neue - Klageerhebung. Auch eine Deutung als Klageänderung im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG bzw. Klageerweiterung gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG führt nicht zu einer Zulässigkeit der Klage, denn auch in diesem Fall steht dem die Versäumung der (einmonatigen) Klagefrist entgegen.

3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 27.12.20218 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2020 in der Fassung der Bescheide vom 27.12.2019 und 14.12.2020 ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da der wiederholten Festsetzung des Zusatzbeitrages in den genannten Bescheiden
i.H.v. 1,5 % kein neuer Regelungsgehalt bzw. keine neue Sachentscheidung zu entnehmen ist. Eine entsprechende Regelung über die Erhebung bzw. Anhebung des Zusatzbeitrages ist bereits in den Bescheiden „aus Dezember 2014“, „Dezember 2015“ bzw. „März 2017“ erfolgt.

In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass eine neue Sachentscheidung im Sinne einer Regelung nicht vorliegt, wenn nur auf den Inhalt früherer Bescheide verwiesen wird oder wenn - wie hier - unangefochtene oder unanfechtbar gewordene Entscheidungsbestandteile früherer Bescheide in den späteren Bescheid übernommen werden. Der lediglich die Regelungen des ursprünglichen Bescheides wiederholende Verwaltungsakt kann, da er insoweit keine neuen selbständigen Regelungen enthält, hinsichtlich der lediglich wiederholten Regelungen nicht mehr mit Rechtsbehelfen, die sich gegen den Anspruch wenden, angefochten werden. Eine Klage, mit welcher die Aufhebung eines solchen lediglich wiederholende Regelungen enthaltenden Verwaltungsaktes, von denen keine selbständige Rechtsbeeinträchtigung des Klägers ausgeht, begehrt wird, ist wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (LSG Hamburg 14.02.2017, L 3 R 59/16, juris Rn. 11 m.w.N.).

Vorliegend hat die Beklagte zu 1 im Bescheid aus „Dezember 2014“ erstmals einen Zusatzbeitrag von 0,9 % erhoben. Dieser Bescheid war bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung (formell) bestandskräftig. Gegen den Bescheid, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigefügt war, wurden nämlich innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG Rechtsbehelfe nicht eingelegt.

Die Anhebung des Zusatzbeitrages auf 1,2 % bzw. 1,5 % hat die Beklagte in ihren Bescheiden aus „Dezember 2015“ bzw. „März 2017“ mitgeteilt. Diese Bescheide waren Streitgegenstand des abgeschlossenen Verfahrens S 18 KR 6718/17. Der nicht mit der Berufung angefochtene Gerichtsbescheid vom 21.10.2020 ist zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen.
Nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und die Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die von Amts wegen zu beachtenden Wirkungen der Rechtskraft haben zur Folge, dass eine neue Klage über denselben Streitgegenstand unzulässig ist (Bundessozialgericht [BSG] 12.12.2013, B 4 AS 17/13 R, juris Rn. 17).

Die nunmehr angegriffenen Beitragsbescheide vom 27.12.20218, 27.12.2019 und 14.12.2020 enthalten demgegenüber nur noch Beitrags(neu)festsetzungen infolge veränderter Beitragsbemessungsgrundlagen (BSG 29.02.2012, B 12 KR 19/09 R, juris Rn. 17), wogegen sich die Klägerin gerade nicht wendet. Eine Änderung des Zusatzbeitragssatzes ist im hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2019 bis 31.07.2021 hingegen nicht erfolgt. Die Beklagte hat in den genannten Bescheiden somit weder erneut über die Erhebung des Zusatzbeitrages entschieden noch über dessen Anhebung, eine erneute Sachentscheidung diesbezüglich mithin nicht getroffen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.



 

Rechtskraft
Aus
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