L 4 SO 85/23 B

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 26 SO 53/23
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 85/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zur Bestimmung der zu verweisenden Streitgegenstände bei objektiver Klagehäufung im Falle der teilweisen Nichteröffnung des Sozialrechtsweges.


Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 14. August 2023 insoweit aufgehoben, als er den Streitgegenstand der Geltendmachung von Kosten der Hotelübernachtung für den Zeitraum vom 6. bis 14. März 2023 (Schreiben an das Sozialgericht vom 21. Juni 2023, „Widerspruch“ gegenüber dem Magistrat der Beklagten – Sozialleistungs- und Jobcenter, Wohnungsnotfallhilfe – vom 5. April 2023) sowie den Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe (Fahrt- und Fotokopiekosten; Schreiben an das Sozialgericht vom 24. Juni 2023) betrifft. 

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Gründe

Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. §§ 202, 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 12. September 2023 form- und fristgerecht erhobene Beschwerde mit dem Antrag (sinngemäß),
                              den Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 14. August 2023 aufzuheben, 
ist zulässig und teilweise begründet.

Nur teilweise zu Recht hat das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Wiesbaden verwiesen.

Welcher Rechtsweg zulässig ist, ergibt sich aus der Gerichtsverfassung, den speziellen gesetzlichen Bestimmungen und ansonsten aus den jeweiligen Prozessordnungen (hier: § 40 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und § 51 SGG als lex specialis). Bei der Prüfung am Katalog des § 51 Abs. 1 SGG ist die Natur des Rechtsverhältnisses maßgeblich, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (auch zum Folgenden: BSG, Beschluss vom 28. September 2010 - B 1 SF 1/10 R -, SozR 4-1500 § 51 Nr. 9; BSGE 58, 247 <248>; vgl. bereits GmSOGB, BSGE 37, 292 = SozR 1500 § 51 Nr. 2 = NJW 1974, 2087). Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG als auch von § 40 VwGO und § 51 Abs. 1 SGG. Dabei kommt es primär darauf an, welche Regelungsbereiche den prozessualen Anspruch unmittelbar (Thüringer LSG, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - L 1 SV 1411/17 B -, juris Rn. 8) erfassen. Fehlt es an einem derartigen unmittelbaren Bezug, genügt es, wenn eine Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sich der dahinterstehende Wille des Gesetzes jedoch aus dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und logisch zwingend ergibt (BSG, Beschluss vom 1. April 2009 - B 14 SF 1/08 R -, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, zitiert nach juris Rn. 15 f. m.w.N. auch zur Gegenauffassung, dort zur Problematik eines Hausverbots). Nur subsidiär (ungenau insoweit SG Marburg, Beschluss vom 3. Juni 2020 - S 12 KA 305/19) kommen damit normative Erwägungen einer Gesamtbetrachtung und (auch) faktische Erwägungen einer Sachnähe zum Zuge (zum Ganzen: Senatsbeschluss vom 4. September 2020 – L 4 KA 13/20 B, BeckRS 2020, 45104 Rn. 10).

Bei der Abgrenzung materiell-rechtlich mehrdeutiger Sachverhalte ist § 17 Abs. 2 GVG zu beachten. Nach dessen Satz 1 entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. In Fällen, in denen der Klageanspruch auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht daher zuständig, sofern nur der Rechtsweg für eine von ihnen gegeben ist (auch zum Folgenden BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 – 3 B 29/21, NVwZ 2022, 12 88 Rn. 7 m.w.N.). Erforderlich und ausreichend ist, dass zumindest für einen der nach dem Klagevorbringen bei objektiver Würdigung in Betracht kommenden Klagegründe der beschrittene Rechtsweg eröffnet ist. Dabei nicht zu berücksichtigen sind Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht einschlägig sind. Die umfassende Sachkompetenz gilt nur für gemischte Rechtsverhältnisse, nicht aber bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche. Werden also im Wege der objektiven Klagehäufung mehrere selbständige Ansprüche gemeinsam geltend gemacht, so muss die Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtsweges für jeden Anspruch getrennt geprüft werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. November 2010 – L 5 KR 1815/10 B, BeckRS 2011, 67714).

Bis auf die aus dem Tenor ersichtlichen Streitgegenstände ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Anträge, die mittelbar oder unmittelbar die Räumungsverfügung vom 6. März 2023 betreffen, nicht Angelegenheiten der Sozialhilfe i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, sondern als dem Polizei- und Ordnungsrecht unterfallende Sachverhalte in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO fallen.

Nur wenn um Art oder Höhe der Unterkunftsleistung in der Weise gestritten wird, dass eine Rechtsfolge aus dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) oder dem Asylbewerberleistungsgesetz begehrt wird, so handelt es sich um eine Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2020 – 9 E 649/20 –, juris Rn. 2 und 8). Soll hingegen eine Räumungsverfügung auf der Grundlage des Hessischen Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung angegriffen werden, so bemisst sich der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Jedenfalls soweit die Benutzung der Obdachlosenunterkunft öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist oder sich eine Behörde öffentlich-rechtlicher Befugnisse berühmt, so fällt auch die Streitigkeit um die Rechte und Pflichten aus dem Unterbringungsverhältnis in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit (zur öffentlich-rechtlichen Streitigkeit: Armbrüster in: Erman BGB, 17. Aufl. 2023, Vorbemerkung vor § 145 Rn. 18). Auch auf rechtswidriges Handeln der Verwaltung bezogene Ansprüche auf Folgenbeseitigung in diesem Zusammenhang unterfallen § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Hiernach begegnet es keinen Bedenken, alle Anträge, die im Zusammenhang mit der „rechtswidrigen Räumung vom 6. März 2023“ stehen – also im Wesentlichen die Klageschrift ohne das mit Beschluss vom 12. Juli 2023 abgetrennte Berichtigungsbegehren – an das Verwaltungsgericht zu verweisen. 

Zu Recht verwiesen wurden Anträge bezüglich unbestimmter und nicht näher bezifferte Folgekosten, die „durch die Beklagte entstanden“ sind. Hier ist – im Gegensatz zu den nachfolgend genannten Kosten kein Bezug zu einem Antrag auf Sozialleistungen erkennbar. Nach dem Schreiben vom 12. Mai 2023 (Bl. 115 d.A.) sieht sich die Beklagte – offenbar nach zwischenzeitlich erfolgter Wiedereinweisung – auch als berechtigt an, auf Verstöße gegen die Hausordnung öffentlich-rechtlich zu reagieren. Soweit die Anträge der Klägerin auch als (Sekundär)-Ansprüche aus dem Benutzungsverhältnis oder Ansprüche auf Folgenbeseitigung ausgelegt werden könnten, ist nicht von vornherein auszuschließen, diese dem Öffentlichen Recht zuzuordnen, soweit sich die Beklagte öffentlich-rechtlicher Handlungsformen berühmt.

Unzutreffend geht das Sozialgericht indes davon aus, dass die Kosten der Hotelübernachtung für den Zeitraum vom 6. bis 14. März 2023 (Schreiben an das Sozialgericht vom 21. Juni 2023, „Widerspruch“ gegenüber dem Magistrat der Beklagten – Sozialleistungs- und Jobcenter, Wohnungsnotfallhilfe – vom 5. April 2023) sowie der Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe (Fahrt- und Fotokopiekosten; Schreiben an das Sozialgericht vom 24. Juni 2023) keine Anträge auf Sozialhilfeleistungen seien. Denn im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes und aufgrund der Vorgeschichte ist es naheliegender, bei einer bereits gegenüber dem Sozialamt beantragten Leistung von Anträgen auf Leistungen auf die Kosten der Unterkunft und auf einen einmaligen Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII auszugehen. Die Rechtsauffassung des Sozialgerichts bezüglich der Unterbringung wäre nur dann zutreffend, wenn der Antrag nicht auf Kostenübernahme oder Kostenerstattung, sondern allein auf Zuweisung einer neuen Unterkunft gerichtet gewesen wäre (vgl. ähnlich OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 9 B 1056/22, BeckRS 2023, 3467, das allerdings eine Mitentscheidungsbefugnis des erstangegangenen Verwaltungsgerichts für sozialrechtliche Kosten der Unterkunft sieht). Bezüglich der letztgenannten Leistungen ist auch die Beklagte von Leistungen nach dem SGB XII ausgegangen (ablehnender Bescheid vom 22. März 2023, Bl. 196 d.A.); dies ist ein weiteres Indiz für die Auslegung. Am o.g. Maßstab des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ist es unbeachtlich, dass bei weiterer Konkretisierung des Sachverhalts möglicherweise auch Sekundäransprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnis oder ein Folgenbeseitigungsanspruch zu prüfen wären (vgl. den umgekehrten Fall bei OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 9 B 1056/22, BeckRS 2023, 3467). 

Die Vorgehensweise des Sozialgerichts, aus dem hochgradig unbestimmten und zugleich „begehrensreichen“ Vorbringen zunächst nur einige eindeutig dem Sozialrechtsweg zuzuordnenden Anträge abzutrennen und unter dem Aktenzeichen S 26 SO 73/23 fortzuführen und sodann den „Rest“ an das Verwaltungsgericht zu verweisen, begegnet hinsichtlich der oben noch nicht genannten Gegenstände am Maßstab des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nur deshalb keinen Bedenken, weil die weiteren möglichen Gegenstände keinerlei Bezug zu den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Materien aufzeigen und zugleich – soweit die Zuständigkeit der Ordentlichen Gerichtsbarkeit berührt sein könnte – die Schilderung des jeweiligen Begehrens nicht das notwendige Mindestmaß einer Konkretisierung aufweist, das für die ordnungsgemäße Klageerhebung nach § 92 SGG erforderlich ist. Soweit die Klägerin jenseits der o.g. Positionen weiteren Kostenersatz aufgrund einer rechtswidrigen Aufhebung der Einweisungsverfügung verlangt, fehlt es beispielsweise an einer Sachverhaltsschilderung, die auf die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs hindeuten könnte. Auch soweit sie sich über Mitbewohnerinnen „beschwert“, erscheint dies nicht als eigenständiger Unterlassungsanspruch im Privatrechtsverhältnis, sondern als umgangssprachliche Beschwerde, die möglicherweise auch den Wunsch einer hoheitlichen Durchsetzung der Hausordnung durch die Beklagte umfasst. Ob in diesem Vorbringen überhaupt eine Antragstellung gesehen werden kann, obliegt dann der Auslegung durch das Verwaltungsgericht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung. In Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde hat grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu ergehen (vgl. ausf. BSG, Beschluss vom 1. April 2009 – B 14 SF 1/08 R –, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, SozR 4-1720 § 17a Nr. 7). Die Regelung des § 17b Abs. 2 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtstreits an ein anderes Gericht die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht entstandenen Kosten als Teil der Kosten im Verfahren vor dem aufnehmenden Gericht behandelt werden und deshalb in dem Verweisungsbeschluss keine eigenständige Kostenentscheidung zu treffen ist, beschränkt sich auf die Kosten des ersten Rechtszugs. Die Entscheidung über die anteilige Erstattung etwaiger außergerichtliche Kosten beruht auf dem Gedanken, dass dann, wenn nur eine Partei Beschwerde eingelegt, die andere die Kosten tragen muss (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 17a GVG Rn. 35), auch wenn sich – wie hier – trotz Erfolgs der Beschwerde eine unrichtige Sachbehandlung nicht feststellen lässt.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
 

Rechtskraft
Aus
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