L 5 KR 371/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 1885/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 371/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 10/23
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V normierte Dreijahresfrist zum Nachweis der tatsächlich im betreffenden Kalenderjahr erzielten Einnahmen bildet eine absolute Grenze. Aus der strikten Anwendung der Dreijahresfrist ergibt sich keine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 03.01.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand

Im Streit steht die Höhe der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2018.

Der 1958 geborene Kläger ist als Rechtsanwalt hauptberuflich selbständig tätig und war im streitgegenständlichen Zeitraum freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten zu 1) und als solcher pflichtversichert bei der Beklagten zu 2).

Mit Bescheid vom 22.12.2017 setzte die Beklagte zu 1) – auch im Namen der Beklagten zu 2) – gegenüber dem Kläger Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.01.2018 in Höhe von 772,17 € monatlich fest. Dabei legte sie die Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 4.425,00 € sowie einen Zusatzbeitragssatz von 0,9 Prozent zugrunde.

Mit Schreiben vom 31.07.2018 teilte die Beklagte zu 1) dem Kläger mit, dass die Beiträge reduziert würden, wenn das Arbeitseinkommen sich um mehr als 25 Prozent reduziert habe. Hierzu solle der Kläger einen Fragebogen ausfüllen und einen Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid übersenden.

Mit E-Mail vom selben Tag übersandte der Kläger den ausgefüllten Fragebogen für das Jahr 2016 und gab an, in diesem Jahr habe sein monatliches Einkommen 3.527,00 € betragen. Zudem übersandte er die erste Seite seines Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2015. Er bat darum, die laufenden KV- und PV-Beiträge herabzusetzen. Mit Schreiben vom 03.08.2018 forderte die Beklagte zu 1) den Kläger auf, einen vollständigen Bescheid für 2015 und einen aktuellen Einkommenssteuerbescheid vorzulegen. Dies wiederholte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 28.08.2018. Am 31.08.2018 teilte der Kläger telefonisch mit, er wolle mit dem Einkommensteuerbescheid 2015 nur anzeigen, dass er seitdem keine Einnahmen über der Beitragsbemessungsgrenze habe. Mit Schreiben vom 19.09.2018 forderte die Beklagte zu 1) den Kläger erneut auf, den vollständigen Einkommenssteuerbescheid für 2015 vorzulegen und setzte eine Frist bis zum 10.10.2018. Hieran erinnerte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 01.11.2018.

Mit Bescheid vom 22.11.2018 lehnte die Beklagte zu 1) den Antrag vom 31.07.2018 auf Herabsetzung der Beiträge ab, weil eine Prüfung ohne Vorlage des Einkommenssteuerbescheids nicht möglich sei.

Im Rahmen seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 27.12.2018 verwies der Kläger im Wesentlichen auf die übersandte Seite aus dem Einkommensteuerbescheid für 2015. Ihm erschließe sich nicht, weshalb aufgrund dessen nicht eine Reduzierung der Beiträge habe erfolgen können. Zudem übersandte er den Einkommensteuerbescheid vom 06.09.2018 für das Jahr 2016, aus dem sich Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 42.324,00 € ergaben.

Mit Bescheid vom 16.04.2019 setzte die Beklagte zu 1) – auch im Namen der Beklagten zu 2) – für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 31.12.2018 Beiträge in Höhe von 615,46 € monatlich vorläufig fest.

Der Kläger erhielt seinen Widerspruch aufrecht und forderte, die Beiträge bereits ab Juli 2018 zu reduzieren, da er den Antrag am „31. Juni 2018“ gestellt habe. Die Beklagte zu 1) teilte dem Kläger daraufhin mit, dass die Berechnung aufgrund des Steuerbescheids vom 06.09.2018 erst ab Oktober 2018 erfolgen könne, für die zuvor liegenden Zeiten liege trotz mehrfacher Aufforderung kein vollständiger Steuerbescheid vor. Die Beklagte zu 1) bat den Kläger erneut, den Einkommensteuerbescheid für 2015 vollständig vorzulegen und erinnerte mehrfach daran. Am 10.11.2019 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2015 vor, aus dem sich Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 25.493,00 € ergaben.

Mit Bescheid vom 11.11.2019 half die Beklagte zu 1) dem Widerspruch des Klägers ab und setzte die monatlichen Beiträge für den Zeitraum 01.01.2018 bis 30.09.2018 vorläufig auf 398,52 € fest.

Am 31.08.2020 schrieb die Beklagte zu 1) den Kläger erneut an und forderte ihn auf, den Fragebogen zu seinen Einkommensverhältnissen auszufüllen und die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2017 und 2018 vorzulegen. Hieran erinnerte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 22.09.2020 und vom 15.10.2020. Am 22.10.2020 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid vom 06.02.2020 für 2017 vor, wonach er Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 25.807,00 € hatte.

Mit Schreiben vom 26.09.2021 forderte die Beklagte zu 1) den Kläger erneut auf, den Fragebogen zu den Einkommensverhältnissen sowie den letzten Einkommenssteuerbescheid vorzulegen. Hieran erinnerte sie den Kläger mit Schreiben vom 31.10.2021 und 02.11.2021.

Mit Schreiben vom 07.11.2021 erinnerte die Beklagte zu 1) den Kläger daran, dass die Beiträge für 2018 bislang nur vorläufig festgesetzt seien und zur endgültigen Festsetzung der Einkommenssteuerbescheid für 2018 benötigt werde.

Am 09.12.2021 erinnerte die Beklagte zu 1) erneut an die Vorlage des Einkommensteuerbescheids 2018 und führte aus: „Wir brauchen Ihre vollständigen Unterlagen bis zum 31. Dezember 2021. Ansonsten müssen wir Ihre monatlichen Beiträge anhand der geltenden Beitrags-Bemessungsgrenze 2018 in Höhe von 4.425 EUR endgültig festsetzen. Ist Ihr Einkommen tatsächlich geringer, können wir das nicht rückwirkend berücksichtigen.“

Mit Bescheid vom 17.12.2022 setzte die Beklagte zu 1) – auch im Namen der Beklagten zu 2) – die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab Januar 2022 vorläufig auf Grundlage der geltenden Beitragsbemessungsgrenze fest.

Mit Bescheid vom 29.01.2022 setzte die Beklagte zu 1) – auch im Namen der Beklagten zu 2) – für den Zeitraum 01.01.2018 bis 31.12.2018 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung endgültig in Höhe von 772,17 € monatlich fest. Zur Begründung führte sie an, der Kläger sei mehrfach zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2018 aufgefordert worden. Dieser liege immer noch nicht vor. Deshalb sei sie gesetzlich dazu verpflichtet, die Beiträge auf Basis der geltenden Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen.

Nachdem eine Abbuchung der Beiträge gescheitert war, setzte die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 21.02.2022 Säumniszuschläge in Höhe von 44,50 € und Retourekosten für das abgelehnte Lastschriftverfahren in Höhe von 3,25 € gegenüber dem Kläger fest.

Gegen beide Bescheide legte der Kläger am 28.02.2022 Widerspruch ein.

Am 04.04.2022 übersandte der Kläger den Einkommensteuerbescheid vom 21.12.2020 für das Jahr 2018, aus dem sich Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 28.000,00 € ergaben. Unter „Erläuterungen“ findet sich der Hinweis, das Finanzamt habe die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) geschätzt, weil der Kläger bisher keine Steuererklärung abgegeben habe. Der Kläger schrieb ergänzend, es handele sich um einen Schätzungsbescheid. Dessen Grundlagen seien selbstverständlich unzutreffend; ein Rechtsbehelfsverfahren sei deshalb anhängig. Er werde noch ergänzende Unterlage einreichen, die jedoch erst „entarchiviert“ werden müssten. Am 02.05.2022 übersandte er Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2018 und führte aus, dass sich hieraus ein betrieblicher Umsatz von 45.119,00 € bzw. 3.760,00 € monatlich ergebe. Alleine schon hieraus ergebe sich, dass der angefochtene Bescheid unzutreffend sei. Bei Berücksichtigung von 35% Betriebsausgaben ergebe sich ein Betriebsergebnis von etwa 29.327,00 € bzw. 2.444,00 € monatlich. Der Ansatz der Beitragsbemessungsgrenze sei also unzutreffend.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2022 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 25.07.2022 hat der Kläger zum Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, es sei unzutreffend, dass die Beklagte zu 1) unter dem 07.11.2021 darauf hingewiesen habe, dass keine Korrektur einer Beitragsfestsetzung mehr möglich sei, wenn ein Einkommensnachweis nicht bis Ende 2021 vorliege. Sinngemäß gelte dies auch für das Schreiben der Beklagten vom 09.12.2021, mit dem lediglich darauf hingewiesen worden sei, dass ein unter der Beitragsbemessungsgrenze liegendes Einkommen nicht rückwirkend berücksichtigt werden könne. Daraus erschließe sich nicht, was das aktuelle Einkommen mit dem Veranlagungszeitraum 2018 zu tun haben solle. Den Einkommensteuerbescheid für 2018 habe die Beklagte im laufenden Widerspruchsverfahren am 04.04.2022 erhalten. Danach habe das für 2018 maßgebliche Einkommen durchschnittlich 2.333,33 € monatlich betragen. Die Beklagte zu 1) meine, die Unterlage sei unbeachtlich, weil verspätet übermittelt. Aus § 240 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe sich das aber nicht im von der Beklagten gemeinten Sinne. Zutreffend sei zwar, dass nach Ablauf von drei Jahren ab Ende des betreffenden Kalenderjahres für die Beitragsfestsetzung die Beitragsbemessungsgrenze anzusetzen sei. Daraus folge aber nicht zugleich, dass dadurch die Regelungen für ein an eine Beitragsfestsetzung anschließendes Rechtsbehelfsverfahren außer Kraft gesetzt würden. Im Widerspruchsverfahren könne der Widerspruchsführer bislang unerörterten Sachverhalt vorbringen, ebenso zusätzliche Unterlagen vorlegen oder weitere Beweismittel anführen. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 240 SGB V daran etwas habe ändern wollen. Insbesondere die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/11205) verhalte sich darüber mit keinem Wort. Die Beklagte messe dem Wort „endgültig“ bzgl. der Beitragsfestsetzung eine überschießende Bedeutung bei, nämlich deren Unabänderlichkeit bereits vor der Bestandskraft des Beitragsbescheids, obwohl es sich dabei nur um eine Abgrenzung zu der (oder den) bis dahin vorzunehmenden vorläufigen Beitragsfestsetzung(en) handele.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

Den zugleich gestellten Antrag des Klägers, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen, hat das SG mit Beschluss vom 16.08.2022 abgelehnt (S 16 KR 1900/22 ER). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 25.10.2022 (L 11 KR 2722/22 ER-B) die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.01.2023 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es schließe sich den Entscheidungsgründen des Beschlusses des LSG Baden-Württemberg vom 25.10.2022 (L 11 KR 2722/22 ER-B) nach eigener Überzeugungsbildung vollumfassend an. Danach komme hier § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V zum Tragen, wonach als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze gelte, wenn das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweise. Dabei bildeten die drei Jahre die absolute Grenze, eine Regelung zum nachträglichen Nachweis wie in § 240 Abs. 1 Satz 3 SGB V und auch eine Änderung der endgültigen Beitragsfestsetzung wegen Kenntnis der Krankenkasse vom Unterschreiten der Mindestbeitragsbemessungsgrenze sehe Abs. 4a nicht vor. Die Voraussetzungen dieser Norm seien vorliegend erfüllt. Der Antragsteller habe den Einkommensteuerbescheid über das Jahr 2018 erst Anfang April 2022 bei der Beklagten zu 1) eingereicht und damit nach Ablauf der Dreijahresfrist, die am 31.12.2021 geendet habe. Er sei über diese Frist und auch über die Folgen eines Verstreichenlassens zwar entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht bereits im Schreiben vom 07.11.2021, wohl aber im Schreiben vom 09.12.2021 ausreichend informiert gewesen. Ohne Bedeutung sei, dass der Einkommensteuerbescheid über 2018 nur ein Schätzungsbescheid sei und sich dieser - nach dem unbelegten Vortrag des Klägers im Widerspruchsverfahren - noch im Rechtsbehelfsverfahren befunden habe. Der Kläger hätte den Einkommensteuerbescheid, der auf den 21.12.2020 datiert sei, ohne Weiteres bei der Beklagten einreichen können, zumal dieser nach seinem eigenen Vortrag die Einkommenssituation im Wesentlichen korrekt widerspiegele.

Gegen den ihm am 04.01.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 03.02.2023 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Er wiederholt im Wesentlichen seine Argumentation aus der Klagebegründung. Ergänzend macht er geltend, es sei in der Literatur unumstritten, dass die Änderung einer sog. endgültigen Beitragsfestsetzung nach deren Bestandskraft gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich sei. Folglich müsse eine solche Änderung einer Beitragsfestsetzung aufgrund neuer Erkenntnisse erst recht vor deren Bestandskraft möglich sein. Der Übergang von der vorläufigen zur endgültigen Beitragsfestsetzung bewirke keine Verkürzung des verfügbaren Rechtsbehelfs. Es sei auch unerheblich, dass § 240 Abs. 4a SGB V keine dem § 240 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechende Regelung enthalte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 03.01.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29.01.2022 und 21.02.2022, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022, zu verpflichten, die Beitragsfestsetzung für 2018 anhand des Einkommensteuerbescheids für 2018 vorzunehmen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagten beantragen,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten den Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend.

Am 17.08.2023 hat die Berichterstatterin mit den Beteiligten die Rechts- und Sachlage erörtert. Der Kläger gab auf Nachfragen an, dass der Einkommenssteuerbescheid für 2018 vom 21.12.2020 bestandskräftig geworden sei. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, aber in der Sache unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens sind allein die Bescheide vom 29.01.2022 und 21.02.2022, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022 (§ 95 SGG). Die zuvor ergangenen Bescheide über die vorläufige Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung haben sich mit der Entscheidung über die endgültige Beitragsfestsetzung erledigt im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X; einer gesonderten Aufhebung dieser Bescheide bedurfte es nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10.10.2017 - B 12 KR 16/16 R -, in juris).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 29.01.2022 und 21.02.2022, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen geregelt. § 57 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) bestimmt, dass bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung und Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, die Regelung des § 240 SGB V für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden ist. Dabei gilt für freiwillige Mitglieder nach § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (<HHVG>, vom 04.04.2017, BGBl. I S. 778) ab 01.01.2018, dass „die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommenssteuerbescheides vorläufig festgesetzt werden“. Die danach vorläufig festgesetzten Beiträge werden gemäß § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommenssteuerbescheides endgültig festgesetzt. Weiter wird in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V für den Fall, dass „das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweist“, bestimmt, dass „für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze gilt“, dass dann also die Höchstbeiträge festzusetzen sind. Die Vorschrift des § 240 Abs. 1 Satz 3, Satz 4 SGB V in der Fassung des GKV-Versichertenentlastungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, S. 2387), die für bestimmte freiwillig Versicherte eine rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung nach dem Höchstbeitrag ermöglicht, ist auf den Personenkreis der hauptberuflich Selbständigen nicht anwendbar; für diese trifft § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V eine spezielle Regelung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2021 - L 5 KR 4162/19 -, in juris; Hessisches LSG, Urteil vom 28.07.2022 - L 8 KR 522/21 -, in juris).

Vorliegend kommt § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V zum Tragen. Die darin normierte Dreijahresfrist zum Nachweis der tatsächlich im betreffenden Kalenderjahr erzielten Einnahmen bildet eine absolute Grenze (Padé in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 240 SGB V, Stand: 18.04.2023, Rn. 72; vgl. auch Hessisches LSG, Urteil vom 28.07.2022 - L 8 KR 522/21 -, in juris, Rn. 23). Eine Regelung zum nachträglichen Nachweis wie in Absatz 1 Satz 3 und auch eine Änderung der endgültigen Beitragsfestsetzung wegen Kenntnis der Krankenkasse vom Unterschreiten der Mindestbeitragsbemessungsgrenze sieht Absatz 4a nicht vor. § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V setzt ein Verlangen der Krankenkasse voraus. Dieses Erfordernis hat Warnfunktion, d.h. der Versicherte soll erkennen können, dass die Festsetzung des Höchstbeitrags droht (Padé aaO; Schmidt in Orlowski/Remmert, GKV-Kommentar SGB V, § 240 Beitragspflichtige Einnahmen freiwilliger Mitglieder, Rn 80). Eine Ausnahme von der Nachweispflicht könnte gelten, wenn dem Versicherten die Vorlage des Einkommenssteuerbescheids nicht möglich oder zumutbar war (vgl. Padé aaO Rn 72; Schmidt in Orlowski/Remmert aaO Rn 80).

Eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten ergibt sich aus der strikten Anwendung der Dreijahresfrist entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Denn hinsichtlich des Tatbestands der Norm (nicht fristgemäße Vorlage der Nachweise auf Verlangen der Krankenkasse) bleibt es dem Versicherten unbenommen bis zur letzten Tatsacheninstanz (ggf. auch neue) Tatsachen vorzutragen. Die tatsächliche Höhe der erzielten Einnahmen ist für das Eintreten der Rechtsfolge dagegen nicht relevant, weshalb eine Nachholung auch nichts an der Erfüllung des Tatbestandes ändern kann. Würde eine Nachholung dagegen entgegen dem Wortlaut grundsätzlich zugelassen, liefe die Frist ins Leere.

Vorliegend ist dem Kläger rechtzeitig vor Ablauf der Dreijahresfrist ein Verlangen der Beklagten zu 1) im Sinne von § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V zugegangen. Er wurde im Schreiben vom 09.12.2021 über die Frist und auch über die Folgen eines Fristversäumnisses informiert. Die Beklagte zu 1) hat darin zum Ausdruck gebracht, dass es nach Ablauf der Frist auf das tatsächliche Einkommen nicht mehr ankommt bzw. die nach Fristablauf eingereichten Unterlagen unberücksichtigt bleiben und für die endgültige Feststellung der Beiträge für 2018 die Beitragsbemessungsgrenze maßgeblich ist. Es erfüllt damit nach Überzeugung des Senats unzweifelhaft die erforderliche Warnfunktion. Dieses Schreiben ist dem Kläger auch – unstreitig – zugegangen.

Ob eine Ausnahme von der Nachweispflicht in Fällen eines unzumutbaren oder unmöglichen Nachweises anzuerkennen ist, kann vorliegend offen bleiben. Denn dem Kläger war die Vorlage des Einkommenssteuerbescheids vom 21.12.2020 bis spätestens 31.12.2021 weder unmöglich noch unzumutbar. Der Kläger war ohne Weiteres in der Lage diesen Bescheid bei der Beklagten zu 1) vor Fristablauf einzureichen, zumal dieser nach seinem eigenen Vortrag im Verwaltungsverfahren die Einkommenssituation im Wesentlichen sogar korrekt widerspiegelte. Ohne Bedeutung ist dabei, dass der Einkommensteuerbescheid für 2018 ein Schätzungsbescheid ist und sich dieser damals noch im Rechtsbehelfsverfahren befand. § 240 Abs. 4a SGB V fordert für die endgültige Festsetzung die Vorlage von Einkommensteuerbescheiden und differenziert nicht danach, auf welcher Grundlage diese erstellt worden sind. Wird ein nicht bestandskräftiger Einkommenssteuerbescheid vorgelegt, können etwaige Fehler, die später von der Finanzverwaltung oder den Finanzgerichten korrigiert werden, grundsätzlich über § 44 SGB X bei der endgültigen Beitragsfestsetzung nachträglich (d.h. auch nach Ablauf der Dreijahresfrist) berücksichtigt werden. Voraussetzung ist aber, dass der (nicht bestandskräftige) Einkommenssteuerbescheid fristgemäß bei der Krankenkasse eingereicht wurde. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Kläger ist dem Verlangen der Beklagten zu 2) nicht rechtzeitig nachgekommen und hat den Einkommensteuerbescheid über das Jahr 2018 erst Anfang April 2022 bei der Beklagten zu 1) eingereicht und damit nach Ablauf der Dreijahresfrist, die am 31.12.2021 endete.

Damit hat die Beklagte zu 1) – zugleich im Namen der Beklagten zu 2) – zu Recht, die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2018 auf Grundlage der damals gültigen Beitragsbemessungsgrenze endgültig festgesetzt. Berechnungsfehler bei der Höhe der Krankenversicherungs- bzw. Pflegeversicherungsbeiträge sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die Höhe der Säumniszuschläge (§ 24 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IV>) und die Retourekosten (Rücklastschriftgebühren, vgl. § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB IV).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
 

 

Rechtskraft
Aus
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