S 14 U 98/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 98/10
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

            Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

 

 

 

G r ü n d e :

 

I.

 

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

 

Der am 00.00.0 geborene Kläger absolvierte von August 1968 bis Juni 1972 eine Lehre zum KFZ-Mechaniker und arbeitete in diesem Beruf anschließend im Ausbildungs-

unternehmen bis Januar 1979. Seitdem war er als Bau- und Instandhaltungsschlosser bei der Firma J KG in M bis zum Eintritt dauerhafter Arbeitsunfähigkeit im September 2008 beschäftigt und dabei mit der Reparatur von Produktionsmaschinen befaßt. Im Rahmen einer Arbeitsplatzanalyse gelangte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten (Stellungnahme vom 21.08.2009) zum Ergebnis, der Kläger sei im Hinblick auf das Heben und Tragen schwerer Lasten sowie regelhafte Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung wirbelsäulengefährdend tätig gewesen und erfülle die arbeitstech-

nischen Voraussetzungen einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV.

 

Der Kläger beantragte im Februar 2009 die Anerkennung von Gesundheitsstörungen der Lendenwirbelsäule (LWS) und machte geltend, seit einigen Jahren unter schmerzhaften Bewegungseinschränkungen zu leiden. Unter der Diagnose von Lumboischialgien bei fortgeschrittener Osteochondrose im Segment L5/S1 bei altem Bandscheibenvorfall war

er kurz zuvor im Reha-Zentrum C Q im Rahmen eines Heilverfahrens vom

04.12. bis 24.12.2008 behandelt und aus diesem als arbeitsunfähig entlassen worden.

 

Im Feststellungsverfahren zog die Beklagte ärztliche Behandlungsunterlagen bei, befragte das Beschäftigungsunternehmen, schaltete zum Zwecke der Arbeitsplatzanalyse ihren Technischen Aufsichtsdienst ein und veranlaßte letztlich eine radiologische Untersuchung durch Dr. B., Radiologische Gemeinschaftspraxis in G., zur Klärung des aktuellen Befundes der LWS; befundet wurden insoweit am 08.04.2009 osteochondro-

tische Veränderungen der Wirbelsäule maximaler Ausprägung im Schlußsegment und Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes, was Dr. A., Arzt für Chirurgie in Braunschweig, in einer beratungsärztlichen Stellungnahme (vom 10.06.2009) für ein belastungskonformes Schadensbild erachtete. Entsprechend seiner Empfehlung erstatte-te zur zuverlässigen Klärung Dr. Y., Institut für Medizinische Begutachtung in U., am 09.10.2009 ein fachorthopädisches Gutachten, in welchem er

dieser Einschätzung widersprach und zur Begründung darauf hinwies, bei lediglich mono-

segmental altersvorauseilender Befundlage im Sinne einer Bandscheibenschädigung, ansonsten jedoch Fehlen begleitspondylotischer Veränderungen der übrigen Wirbelsäule

und auch Schwerpunktbildung von Bandscheibenveränderungen und degenerativen Veränderungen im Bereich der mittleren und unteren Brustwirbelsäule lasse sich eine Relation zwischen der wirbelsäulenbelastenden Exposition und der Veränderungen im lumbosakralen Segment nicht wahrscheinlich machen. Mit Bescheid vom 07.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2010 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, die geltend gemachten Gesundheitsstörungen der Wirbelsäule als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und dem Kläger deshalb Leistungen zu gewähren.

 

Hiergegen richtet sich die am 16.03.2010 erhobene Klage. Der Kläger vertritt die Auf-

fassung, seine Gesundheitsstörungen der LWS seien wesentlich beruflich verursacht bzw. durch die berufliche Tätigkeit richtunggebend verschlimmert worden. Entsprechend beratungsärztlicher Stellungnahme sei ein belastungskonformes Schadensbild mit Zerrüttung der Bandscheibe im lumbosakralen Segment festzustellen.

 

Der Kläger beantragt,

 

            die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2009 in der Gestalt des             Widerspruchsbescheides vom 15.03.2010 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung         einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV Entschädigungsleistungen   aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie macht die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen mit dem zugrundeliegen-

den Gutachten von Dr. Y. zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung.

 

Das Gericht hat entsprechend klägerischer Anregung Streitverfahrensakten betreffend einen weiteren Rechtsstreit des Klägers gegen die Deutsche Rentenversicherung Westfalen beigezogen; in diesem Verfahren war der Kläger durch Dr. I., Arzt für Orthopädie in Z., gutachterlich am 11.05.2010 untersucht worden; auf den näheren Inhalt seines Gutachtens vom 25.05.2010 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

 

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

 

 

II.

 

Das Gericht konnte nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) entscheiden, da der Sach-

verhalt geklärt war und die Streitsache auch keine besonderen Schwierigkeiten tatsäch-

licher oder rechtlicher Art aufwies.

 

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

 

Die Beklagte hat es zutreffend abgelehnt, beim Kläger eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV festzustellen, so dass der Kläger durch den angefochtenen Bescheid vom 07.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2010 nicht beschwert ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

 

Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverord-

nung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV erfaßt bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehal-

tung. Die Feststellung einer BK setzt voraus (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII Rdnr. 3; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14), dass in der Person des Versicherten zunächst die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d. h. er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der streitigen BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die schädigende Einwirkung einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Hingegen beurteilt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung sowie zwischen Einwir-

kung und Erkrankung nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung; hiernach sind nur die Bedingungen ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg für dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Kausalität muss dabei hinreichend wahrscheinlich sein; die bloße Möglichkeit genügt nicht. Der Zusammenhang ist unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehr-

auffassung, die bei der Beurteilung maßgebend ist, erst dann gegeben, wenn mehr für als gegen ihr spricht und ernste Zweifel einer anderen Verursachung ausscheiden; insoweit müssen die Faktoren, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, die gegenteiligen deutlich überwiegen.

 

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen nicht der Nachweis geführt, dass beim Kläger eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt. Zwar sind entsprechend den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in der Person des Klägers im Bezug auf die seit 1968 ausgeübten Tätigkeiten, maßgeblich die seit 1979 verrichtete Tätigkeit als Bau- und Instandhaltungs-

schlosser, gegeben; nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD), welches nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 4 - 2700 § 9 Nr. 1) und in modifi-

zierter Form (BSG, Urteil vom 30.10.2007 -Az. B 2 U 4/06 R-) derzeit noch geeignetes Modell ist, um die gesundheitsgefährdende Belastungsdosis eines Versicherten zu er-

mitteln und im Bezug auf sein Erkrankungsrisiko zu setzen, wird die zu fordernde Gesamt-

belastungsdosis überschritten.

 

Sind insoweit die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben, so fehlt es jedoch einer ursächlichen Verknüpfung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen der LWS mit der belastenden Tätigkeit. Bei Ursachenbeurteilung ist insoweit eine Gesamtbetrach-

tung vorzunehmen, wobei die belastenden Einwirkungen, das Krankheitsbild, insbeson-

dere, ob ein altersuntypischer bandscheibenbedingter Befund der LWS und ein belas-tungskonformes Schadensbild vorliegen und eine zeitliche Korrelation zwischen den Ein-

wirkungen und dem Erkrankungsverlauf besteht sowie das Vorliegen von konkurrierenden Ursachen wie Schadensanlagen zu berücksichtigen (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a. a. O. M 2108 Rdnr. 6.1). Hierzu hat das versicherungsmedizinische Schrifttum auf Anregung des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften "Medizinische Beurtei-

lungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule"

(sog. Konsensempfehlungen) entwickelt, die den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und die herrschende arbeitsmedizinische Lehrmeinung wiedergeben und insoweit berücksichtigt werden müssen (vgl. hierzu auch Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 07.11.2007 -Az. L 17 U 26/07-). Hiernach müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt sein, bevor anhand weiterer Kriterien beurteilt werden kann, ob ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich ist; diese Abwägung haben Verfasser der Konsensempfehlungen in bestimmten typischen Fallkonstellationen vorweggenommen, wobei sie sich in verschiedenen Befundkonstellationen geeinigt, in anderen nicht geeinigt haben.

 

Die Grundvoraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind einmal der Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung, wobei der bild-

gebend darstellbare Bandscheibenschaden seiner Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, und zum weiteren eine ausreichende berufliche Belastung, wobei diese eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung ausweisen muss. Vorliegend fehlt es bereits am Vollbeweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Eine solche wird definiert als Kombination aus einem Bandschei-

benschaden mit korrelierender klinischer Symptomatik im Sinne eines lokalen Lumbal-

syndroms oder lumbalen Wurzelsyndroms. Ein Bandscheibenschaden liegt beim Kläger zwar vor im Sinne einer fortgeschrittenen Bandscheibenschädigung im lumbosakralen Segment; eine segmentale Zuordnung, d. h. ein segmentbezogener auffälliger Befund, ist jedoch nicht gegeben; das Gericht stützt sich hier auf das urkundsbeweislich verwertbare Gutachten von Dr. I., ausweislich dessen ein spezifischer, mit der Bandscheiben-

schädigung korrelierender segmentaler Befund nicht erhebbar war, vielmehr Schmerz-

haftigkeit vom Kläger im gesamten Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne segmental bezogene Besonderheiten angegeben wurden; ebenso wenig war der radiku-

läre Status auffällig.

 

Im Übrigen wäre, selbst wenn man hier ein dem morphologischen Befund entsprechendes klinisches Beschwerdebild bejahen würde, d. h. eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS als erwiesen ansähe, deren berufliche Verursachung nicht hinreichend wahr-

scheinlich. Denn unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen handelte es sich im Falle des Klägers bei ausreichender beruflicher Belastung um eine Konstellation B 3, d. h. es liegt war eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor, es bestünde -unterstellt- eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Erkrankung, die bandscheibenbedingte Erkrankung beträfe -wie hier- das Segment L 5/S1, jedoch liegt eine Begleitspondylose nicht vor. Als solche wird nach den Konsensempfehlungen definiert eine Spondylose im nicht von Chondrose oder vorfallbetroffenem Segment; um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss im Übrigen die Begleitspondylose über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei weitere Segmente betreffen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben. Dies haben sowohl Dr. Y. in seinem ausführlichen, von der Beklagten veranlaßten Gutachten, welches ebenfalls urkundsbeweislich verwertet werden konnte, dargelegt als auch

Dr. I.. Spondylotische Veränderungen sind insoweit lediglich festzustellen im von der Bandscheibenschädigung betroffenen Segment, nicht jedoch weiteren Segmenten; soweit hier, was Dr. I. anspricht, kalkdichte Ausziehungen an den Wirbelkörpern L2 bis L5 vorliegen, sind diese nicht als Begleitspondylose zu qualifizieren und etwa als Ausdruck einer Bandscheibenschädigung und als deren Folge zu interpretieren; zu unterscheiden ist nämlich richtigerweise zwischen marginalen und submarginalen Spondylosen; marginale sind insoweit Ausdruck vermehrter Bandscheibendegeneration, wohingegen submarginale auf einer Verkalkung des vorderen Längsbandes beruhen. Dass insoweit sie im vorliegen-

den Fall nichts mit einer beruflichen Verursachung zu tun haben, belegt dabei auch der Befund der Brustwirbelsäule, wonach ebenfalls, abgesehen von erheblichen Bewegungs-

einschränkungen und Bandscheibenschädigungen fortgeschritteneren Maßes als im Bereich der Lendenwirbelsäule, überschießende verkalkende Veränderungen feststellbar sind. Bei einer Fallkonstellation B 3 hat jedoch die interdisziplinäre Arbeitsgruppe keinen Konsens erzielt, so dass ein Ursachenzusammenhang, da auf die geltende ärztlich-

wissenschaftliche Lehrmeinung abzustellen ist, nicht wahrscheinlich gemacht werden kann.

 

Die Klage war daher abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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