I. Der Bescheid der Beklagten vom 25.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2023 wird insoweit abgeändert, als die Beklagte als Beitragsbemessungsgrundlage ein monatliches Einkommen oberhalb der für den Kläger im Jahre 2019 geltenden Mindestbemessungsgrundlage zugrunde gelegt hat.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheids, mit dem Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2019 anhand der maßgebenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von 4.537,50 € endgültig festgesetzt werden. Die Beklagte macht damit eine Nachforderung in Höhe von 7.528,05 € geltend.
Der am 1969 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 10.12.2018 als Selbstständiger freiwillig versichert.
Mit Bescheid vom 01.02.2019 wurden die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab Januar 2019 entsprechend der Angaben des Klägers anhand monatlicher beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 1.303,80 € auf insgesamt 241,86 € (202,09 € - KV; 39,77 € - PV) festgesetzt. Mit Bescheid vom 27.01.2020 wurden die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 10.06.2019 wegen niedrigerer Einnahmen nach der Mindestbemessungsgrundlage für das Jahr 2019 in Höhe von 1.038,33 € auf insgesamt 192,61 € (160,94 € - KV; 31,67 € - PV) festgesetzt. In beiden Bescheiden wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Beitragsfestsetzung unter Vorbehalt und auch im Namen der Pflegekasse erfolge. Zugleich wurde für die endgültige Berechnung der Beiträge um zeitnahe Übersendung des Einkommensteuerbescheides für das betreffende Jahr gebeten.
Mit Schreiben vom 03.11.2021 forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr bis zum 26.11.2021 eine Kopie des Einkommensteuerbescheides für 2018 zu übersenden. Die gesetzliche Frist, den Bescheid vorzulegen, ende am 31.12.2021. Werde der Einkommensteuerbescheid nicht bis dahin vorgelegt, sei die Beklagte verpflichtet, die Beiträge für das jeweilige Jahr endgültig nach Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (2018: monatlich 4.425,00 €) festzusetzen. Mit Schreiben vom 09.12.2021 erinnerte sie ihn, bis zum 28.12.2021 eine Kopie seines Einkommensteuerbescheides für 2018 zuzuleiten. Mit Schreiben vom 21.12.2021 übermittelte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2018, woraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2021 auch im Namen der Pflegekasse die Beiträge für 2018 endgültig festsetzte.
Mit Schreiben vom 22.09.2022 bat die Beklagte den Kläger, ihr bis zum 28.10.2022 eine Kopie des Einkommensteuerbescheides für 2019 zu übersenden. Die gesetzliche Dreijahresfrist, den Bescheid vorzulegen, ende am 31.12.2022. Werde der Einkommensteuerbescheid nicht bis dahin vorgelegt, sei die Beklagte verpflichtet, die Beiträge für das jeweilige Jahr endgültig nach Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (2019: monatlich 4.537,50 €) festzusetzen. Danach sei eine Korrektur dieser Einstufung nicht möglich. Mit Schreiben vom 24.10.2022 sowie vom 22.11.2022 erinnerte sie den Kläger an die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2019 bis zum 15.11.2022 bzw. 16.12.2022.
Mit Bescheid vom 25.01.2023 setzte die Beklagte die beitragspflichtigen Einnahmen mit Wirkung vom 01.01.2019 bis 31.12.2019 endgültig auf 4.537,50 € monatlich fest, da der Einkommensteuerbescheid für 2019 nicht vorliege. Für das Beitragsjahr 2019 errechne sich daraus ein monatlicher Gesamtbeitrag in Höhe von 841,70 € (703,31 € - KV; 138,39 € - PV). Der Bescheid erging auch im Namen der Pflegekasse.
Der Kläger rief am 30.01.2023 bei der Beklagten an und teilte mit, die Unterlagen bereits im November 2022 versandt zu haben. Am 31.01.2023 reichte er seinen Einkommensteuerbescheid für 2019 als Mailanhang ein und wies im Anschreiben darauf hin, dass er die Steuerklärung bereits im vergangenen Jahr als Kopie mit der Post an die Beklagte unter der Adresse DAK Gesundheit Postzentrum, 22778 Hamburg gesandt habe.
Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 01.02.2023 mit, dass die Frist für die Einreichung am 31.12.2022 abgelaufen sei. Der Bescheid vom 25.01.2023 sei damit maßgeblich. Mit Bescheid vom 01.02.2019 habe sie darüber informiert, dass die Beitragseinstufung unter Vorbehalt erfolge und eine Prüfung dieser mit dem jeweiligen Einkommensteuerbescheid vorgenommen werde. Am 22.11.2022 habe sie nochmals über den Sachverhalt informiert. Leider seien vom Kläger keine Unterlagen dazu eingegangen.
Mit Schreiben und E-Mail vom jeweils 07.02.2023 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2023. Den Steuerbescheid 2019 habe er bereits Anfang Dezember 2022 per Post an die Beklagte übersandt. Sein Mitarbeiter könne dies bestätigen, weil dieser das Kuvert zur Post aufgegeben habe.
Im aufklärenden Schreiben vom 23.02.2023 erläuterte die Beklagte, dass nach Ablauf der gesetzlichen Dreijahresfrist zur Vorlage des Einkommensteuerbescheids die Beiträge endgültig festgesetzt werden, was auch durch nachträgliche Vorlage des Einkommensteuerbescheids nicht mehr geändert werden könne. Der Vortrag, wonach ein Mitarbeiter den Einkommensteuerbescheid zur Post aufgegeben habe, sei unbehelflich, denn der Nachweis sei erst nach dem 31.12.2022 bei der Beklagten per E-Mail am 31.01.2023 eingegangen. Zudem belege das Absenden eines Briefes durch die Post nicht, dass dieser in den Verfügungsbereich eines Adressaten, hier der Beklagten, gelangt sei.
Daraufhin bestellte sich der Bevollmächtigte des Klägers und machte geltend, dass der Widerspruch zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu werten sei. Das Fristversäumnis sei ohne Verschulden erfolgt. Der Kläger habe die vermeintlich versäumte Handlung unstreitig nachgeholt.
Im Widerspruchsbescheid vom 09.05.2023, der auch im Namen der Pflegekasse erging, hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest. Da der Einkommensteuerbescheid für das Steuerjahr 2019 der Beklagten nicht bis zum 31.12.2021 [sic! gemeint ist: 2022] vorgelegen habe, entspreche die endgültige Festsetzung der Beiträge vom 01.01.2019 bis 31.12.2019 auf 841,70 € nach monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen auf der Basis der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze für 2019 in Höhe von 4.537,50 € im Bescheid vom 25.01.2023 der gesetzlichen Regelung. Bei der Dreijahresfrist in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V handle es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist. Versäume das Mitglied, seine tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres gegenüber der zuständigen Krankenkasse per Einkommensteuerbescheid nachzuweisen, erlösche sein Anspruch auf eine einkommensgerechte Beitragsfestsetzung. Die nach dem Fristablauf eingereichten Einkommensteuerbescheide entfalten keine Rechtswirkung und können nicht mehr berücksichtigt werden. Gerade weil es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handle, könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Im Übrigen sei dem Kläger bereits aus dem Vorjahr bekannt gewesen, wie wichtig die Vorlage des Steuerbescheids sei. Er habe volle 27 Monate Zeit gehabt, den bereits am 29.09.2020 erlassenen Einkommensteuerbescheid vorzulegen. Es sei unverständlich, dass er nicht nachgefragt habe, ob die Unterlagen bei der Kasse eingegangen seien. Des Weiteren habe der Kläger das Risiko zu tragen, dass die Unterlagen auf dem Postweg verloren oder verspätet eingingen. Dem Einwand, die Vorlagefrist habe unverschuldet nicht eingehalten werden können, könne nicht gefolgt werden.
Der Kläger erhob daraufhin mit Schreiben vom 12.06.2023, eingegangen am 22.06.2023, Klage vor dem Sozialgericht München. Laut Kanzleistempel auf dem in Kopie beigefügten Widerspruchsbescheid ging dieser am 22.05.2023 zu. Die Beklagte sei bei der beantragten Wiedereinsetzung fälschlicherweise davon ausgegangen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag gesetzlich ausgeschlossen sei und es einer Prüfung nicht bedürfe. Tatsächlich gebe es aber gerade bei potenziellen drastischen Folgen, wie z.B. einer materiellen Präklusion auch Ausnahmetatbestände. So z.B. § 5 KSchG.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid vom 25.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2023 insoweit abzuändern, als die Beklagte als Beitragsbemessungsgrundlage ein monatliches Einkommen oberhalb der für den Kläger im Jahr 2019 geltenden Mindestbemessungsgrundlage zu Grunde gelegt hat.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrem Standpunkt fest. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 240 Abs. 4a SGB V ließen eine andere Bewertung zu. Die Aufforderungsschreiben der Beklagten seien als Anhörung vor Erlass des endgültigen Festsetzungsbescheids in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu verstehen.
Mit Beschluss vom 18.09.2023 wurde die Pflegekasse bei der Beklagten zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.
Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1.
Die (Teil-)Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig. Sachlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und örtlich (§ 57 Abs. 1 SGG) zuständig ist das Sozialgericht München. Das gesetzlich vorgesehene (§ 78 SGG) Vorverfahren wurde durchgeführt und die Klage fristgerecht binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 2 SGG) erhoben. Der Widerspruchsbescheid ging unstreitig am 22.05.2023 zu; die Klage ging am 22.06.2023 bei Gericht ein.
Die Pflegekasse bei der Beklagten wurde nach § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen, da die Entscheidung des Gerichts auch der Beigeladenen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Denn mit der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung geht nach § 20 Abs. 3 SGB XI die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung einher. Gem. § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI ist bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung für die Beitragsbemessung § 240 SGB V entsprechend anzuwenden.
2.
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 25.01.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2023 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Beklagte hat die Beitragsbemessung für den streitigen Zeitraum nicht zutreffend vorgenommen.
a.
Der angegriffene Verwaltungsakt ist bereits formell rechtswidrig.
Zwar war die Beklagte berechtigt, im Namen der Beigeladenen auch die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung festzusetzen. Gem. § 46 Abs. 2 Satz 4 SGB XI können Krankenkassen für Mitglieder, die ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge selbst zu zahlen haben, die Höhe der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in einem gemeinsamen Beitragsbescheid festsetzen. Dabei ist das Mitglied darauf hinzuweisen, dass der Bescheid über den Beitrag zur Pflegeversicherung im Namen der Pflegekasse ergeht, § 46 Abs. 2 Satz 5 SGB XI. In diesen Fällen kann ein gemeinsamer Widerspruchsbescheid erlassen werden, § 46 Abs. 2 Satz 6 SGB XI. Den erforderlichen Hinweis hat die Beklagte gegeben.
Nach Auffassung des Gerichts wurde der Kläger jedoch vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes vom 25.01.2023 nicht angehört. Gem. § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine Entbehrlichkeit der Anhörung nach den Ziffern 1-7 des § 24 Abs. 2 SGB X ist nicht ersichtlich. Zu einer ordnungsgemäßen Anhörung gehört nach Ansicht der Kammer in der vorliegenden Konstellation die Vorlage des konkreten Inhalts der beabsichtigten Entscheidung einschließlich einer (Probe-)Berechnung, um dem Versicherten die damit einhergehende Rechtsfolge und das Ausmaß einer evtl. Untätigkeit seinerseits (hier: Nichtvorlage des Einkommensteuerbescheids) aufzuzeigen. Der Hinweis in den Anforderungs- bzw. Erinnerungsschreiben, dass sonst die monatlichen Beiträge anhand der geltenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze für 2019 in Höhe von 4.537,50 € endgültig festzusetzen sind, lässt den Laien nicht erkennen, welches finanzielle Ergebnis das in seinem Fall bedeutet; dies insbesondere im Hinblick auf sich regelmäßig ändernde Beitragssätze in der Krankenversicherung und das Ob eines Zusatzbeitrags und dessen Höhe. Insofern sind die Anforderungs- bzw. Erinnerungsschreiben ohne deutliches Aufzeigen der Rechtsfolge entgegen der Ansicht der Beklagten nicht als Anhörung zu werten.
Da im Widerspruchsverfahren das Vorbringen des Klägers unter Hinweis auf die seitens der Beklagten angenommenen Ausschlussfrist im § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V keine Beachtung fand, ist eine Heilung der erforderlichen Anhörung mangels Nachholung nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X eingetreten.
b.
Der angegriffene Bescheid ist zudem materiell rechtswidrig.
Gem. § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI ist bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung die Regelung des § 240 SGB V für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden.
Gem. § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße.
Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, gilt nach § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung ab 01.01.2018, dass die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig festgesetzt werden. Die auf dieser Grundlage vorläufig festgesetzten Beiträge werden gemäß § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt. Weist das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V. Dies bedeutet eine Beitragsfestsetzung zu den jeweiligen Höchstbeträgen.
Zwar besteht die Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung bei nachträglicher Vorlage der geforderten Nachweise entsprechend § 240 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V nicht, weil auf diese in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V nicht Bezug genommen wird (vgl. Mecke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 3. Aufl., § 57 SGB XI (Stand: 02.08.2022), Rn. 151). Die Regelungen des § 240 Abs. 4a Sätze 3 und 4 SGB V stellen ein in sich geschlossenen Regelungssystems für selbstständig Tätige und somit lex specialis gegenüber der Vorschrift des § 240 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V dar (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 2022 - L 8 KR 522/21 -, Rn. 30, juris).
Die Beklagte war jedoch aus anderen Gründen zur Berücksichtigung der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen verpflichtet.
Zunächst war die Beklagte aufgrund der vorläufigen Beitragsfestsetzungen vom 01.02.2019 ebenso berechtigt wie gezwungen, die vom Kläger geschuldeten Beiträge rückwirkend endgültig festzusetzen. Allerdings war der endgültigen Festsetzung als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag nicht der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V) zugrunde zu legen, sondern die Beklagte hätte bei Erlass des Widerspruchsbescheides gemäß § 240 Abs. 4a S. 3 SGB V den Einkommensteuerbescheid 2019 beachten müssen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seine Einnahmen im Kalenderjahr 2019 nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des vorgenannten Kalenderjahres nachgewiesen hat, noch, dass der Gesetzgeber für diesen Fall eine endgültige Beitragsfestsetzung auf der Grundlage der Höchstbeitragsbemessungsgrenze vorgeben hat.
Das SG Stralsund hat in seinem Urteil vom 21.04.2023, Az.: S 3 KR 79/22 (dort: Rn. 42, juris) entschieden, dass die Beitragsfestsetzung nämlich deshalb noch nicht als endgültig im Sinne des Gesetzes zu betrachten ist, weil die streitgegenständlichen Beitragsbescheide aufgrund der rechtzeitigen Widerspruchseinlegung noch nicht bestandskräftig im Sinne des § 77 SGG geworden sind. Die (rechtzeitige) Einlegung des Rechtsbehelfs hat vielmehr zu Folge, dass der Sozialversicherungsträger gehalten ist, im Rahmen der ihm im Vorverfahren gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG obliegenden Prüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Beitragsbescheide den ihm im Widerspruchsverfahren zugegangenen Einkommensteuerbescheid zu berücksichtigen. Maßgeblich hierfür ist, dass für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung im Rahmen der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage nach den allgemeinen im Sozialgerichtsprozess geltenden Grundsätzen regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen ist (MKLS/Keller, 12. Aufl. 2017, SGG § 54 Rn. 33, beck-online; Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 49). Nach der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts galt deshalb auch im Falle einer zunächst vorläufigen Beitragsfestsetzung eines freiwilligen Mitglieds, dass im Rahmen der Anfechtung eines Beitragsbescheides für die Beurteilung, ob und welche niedrigeren Einnahmen von einem hauptberuflich Selbstständigen nachgewiesen und im endgültigen Beitragsbescheid zu berücksichtigen sind, regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen ist, d.h., der Nachweis niedrigerer Einnahmen selbst dann rückwirkend zu berücksichtigen ist, wenn der sie nachweisende Steuerbescheid von dem Mitglied erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt worden ist (BSG, Urteil vom 11. März 2009 - B 12 KR 30/07 R = SozR 4-2500 § 240 Nr. 10, Leitsatz 1 bzw. Rn. 16 ff, Urteil vom 30. März 2011 - B 12 KR 18/09 R, = RegNr. 29961 (BSG-Intern), Orientierungssätze und Rn. 21 ff, zitiert nach juris; vgl. statt vieler auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2018 - L 1 KR 215/18 B ER, Orientierungssätze und Rn. 37 ff, zitiert nach juris).
Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an. Im Widerspruchsverfahren ist der endgültige Beitragsbescheid von der Widerspruchsbehörde in dem Umfang, in dem er mit dem Widerspruch angefochten wurde, zu überprüfen.
Dies bedeutet keinen Rückgriff auf die Regelung des § 240 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V, denn dieser erlaubt den freiwillig Versicherten, die keine Einnahmen aus Arbeitseinkommen haben und bei denen es aufgrund eines Verstoßes gegen die Nachweispflicht nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V zur Festsetzung der Höchstbeiträge kommt, eine nachträgliche Änderung der endgültigen Beitragsfestsetzung nach Bestandskraft (im zeitlich begrenzten Rahmen von 12 Monaten), wohingegen im vorliegenden Fall gerade noch keine Bestandskraft eingetreten ist. Nach Eintritt der Bestandskraft hingegen besteht im Anwendungsbereich des § 240 Abs. 4a SGB V keine Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung bei nachträglicher Vorlage der geforderten Nachweise.
Für die Ansicht einer materiellen Ausschlussfrist hätte die Vorgehensweise der Krankenkasse gesetzlich klarer geregelt werden müssen, um den Versicherten nicht unverhältnismäßig zu benachteiligen. Wegen der einschneidenden Folgen für den Säumigen haben Präklusionsvorschriften strengen Ausnahmecharakter und müssen sich durch ein besonderes Maß an Rechtsklarheit auszeichnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 29). So kann zB eine Anforderung iSv § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V ohne deutliches Aufzeigen der Rechtsfolge einschließlich einer Probeberechnung, um dem Versicherten das Ausmaß eines evtl. Unbeachtetlassens vor Augen zu führen, für eine unverrückbare Entscheidung nicht genügen. Der Hinweis, dass sonst die monatlichen Beiträge anhand der geltenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze 2019 von 4.537,50 € endgültig festzusetzen sind, lässt den Laien auch an dieser Stelle nicht erkennen, welches finanzielle Ergebnis das in seinem Fall bedeutet. Diese Verfahrensweise ist für eine von der Beklagten vertretene Ausschlussfrist mit Präklusionswirkung unzureichend.
Nach Auffassung des Gerichts gibt die Dreijahresfrist des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V lediglich den zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen der Gesetzgeber von einem regelmäßigen Vorliegen des für die Beitragsbemessung erforderlichen Einkommensteuerbescheides ausgeht, und ihre Funktion erschöpft sich in erster Linie in einer Handlungsaufforderung an die jeweilige Krankenkasse, das Mitglied aus Gründen der in der Gesetzesbegründung ausdrücklich angeführten Verwaltungseffizienz frühestens zum Ablauf der Dreijahresfrist zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides aufzufordern. Gleichzeitig wird hiermit die endgültige Beitragsberechnung auf das Kalenderjahr beschränkt, für das die Nachweise nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf eingereicht wurden (vgl. SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 - S 3 KR 79/22 -, Rn. 47, juris). § 240 Abs. 4a Sätze 3 und 4 SGB V enthalten keine Aussage darüber, ob in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren vorgelegte Unterlagen nicht mehr berücksichtigt werden können. Denn es fehlt an einer Formulierung, nach der nach Ablauf der gesetzten Frist oder nach Ergehen der Verwaltungsentscheidung vorgelegte Unterlagen unberücksichtigt bleiben können (vgl. § 4a Abs. 5 BauGB nF) oder der Leistungsberechtigte mit weiteren Einwendungen ausgeschlossen ist (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG, § 7 Abs. 3 Satz 1 UmwRG, § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG) (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 30). In all diesen Fällen hat der Gesetzgeber den Ausschluss ausdrücklich, klar und unmissverständlich im Gesetz geregelt.
Demnach enthält § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V keinen zwingenden Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen nach Ablauf der Dreijahresfrist. Geregelt ist ausschließlich, dass nach entsprechendem Nachweisverlangen und Fristablauf die Beiträge für das betreffende Jahr seitens der Krankenkasse endgültig nach der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen sind. Ein Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen trotz Nachweises im neuen Jahr noch vor Erlass des Beitragsbescheides oder spätestens im Widerspruchsverfahren hätte aber - wie in den oben angeführten Präklusionsbeispielen - explizit geregelt werden müssen, zumal die Vorschrift in dem von der Beklagten verstandenen Regelungsgehalt gegenüber dem Versicherten eine ganz erhebliche Sanktionierung der Säumigkeit befiehlt. Nach deren Verständnis nimmt die Norm dem Wortlaut nach keine Rücksicht darauf, ob eine Obliegenheitsverletzung vorliegt, noch nicht einmal, ob der Nachweis überhaupt objektiv möglich ist. Sogar Fälle eines Behördenversagens, die bei Massenverwaltungen allein aufgrund der Fülle an täglichem Posteingang - wenn zwar vereinzelt, so doch den Einzelnen massiv treffend - auftreten, gingen damit zulasten des Versicherten.
Den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/11205, S. 73) lässt sich ebenso wenig entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst eine faktische Nachfrist durch Einreichung nach Jahresende im noch laufenden Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren ausschließen wollte. Dort wird lediglich der Norminhalt wiederholt (ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2023 - L 1 KR 145/23 B ER -, Rn. 26 ff, juris).
c.
Unabhängig davon war dem Kläger hinsichtlich der Dreijahresfrist alternativ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 1 SGB X zu gewähren. Nach dessen Satz 1 ist dem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Voraussetzungen der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 1 SGB X sind vorliegend erfüllt.
Da der Einkommensteuerbescheid der Beklagten nach deren Vortrag nicht bis zum 31.12.2022 zugegangen war, war die gesetzliche Dreijahresfrist des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V versäumt. Bei der Dreijahresfrist handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist iSd § 27 Abs. 5 SGB X, nach der eine Wiedereinsetzung unzulässig ist. Weder die Vorschrift des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V noch die zugehörige Gesetzesbegründung nennt ein derartiges Verbot. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Fristenregelung ausdrücklich den Ausschluss der Wiedereinsetzung mit Wortlaut nennt. Auch dann, wenn sich durch Auslegung einer Vorschrift zeigt, dass es sich um eine materiell-rechtliche absolute Ausschlussfrist handelt, greift § 27 Abs. 5 SGB X. Dies ist dann der Fall, wenn sich aus dem Wesen der Frist ergibt, dass Ziel und Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrunde liegenden Interessenabwägung der Ausschluss der Wiedereinsetzung ist. Hierbei sind das öffentlich-rechtliche Interesse an der Einhaltung der Frist einerseits sowie das Interesse des Einzelnen, bei Fristversäumung keinen Rechtsnachteil zu erleiden, andererseits miteinander abzuwägen. Eine absolute Ausschlussfrist ist dann zu bejahen, wenn nach Sinn und Zweck der die Frist enthaltenden Norm die gesetzliche Regelung mit der Frist steht oder fällt (vgl. Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 27 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 49, m.w.N.; SG Berlin, Urteil vom 12. Juli 2023 - S 223 KR 868/22 -, Rn. 31, juris).
Vorliegend erschließt sich kein Sinn und Zweck der in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V genannten Frist, wonach die darin bestimmte gesetzliche Regelung gerade mit dieser Frist "steht oder fällt". Nach Auffassung der Kammer wird mit dieser Regelung sichergestellt, dass die Krankenkassen trotz einer Säumnis des Mitglieds in die Lage versetzt werden, nach Ablauf der Dreijahresfrist und einer hierauf bezogenen vorherigen Aufforderung zeitnah einen endgültigen Beitragsbescheid zu erlassen (vgl. SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 - S 3 KR 79/22 -, Rn. 49, juris). Diesem Ziel steht eine Wiedereinsetzung allerdings nicht entgegen, nachdem diese gleichfalls zeitlichen Begrenzungen unterliegt. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung, wonach mit der Gesetzesänderung "den Krankenkassen unverändert ein Sanktionierungsinstrument zur Verfügung steht, sofern das Mitglied seinen Mitwirkungspflichten nach § 206 nicht nachkommt" (BT-Drucks. 18/11205, S. 72). Denn die Wiedereinsetzung wird nur dann gewährt, wenn die Fristversäumung "ohne Verschulden" erfolgt ist. Liegt kein Verschulden vor, ergibt sich insoweit gerade kein Sanktionierungsbedürfnis (vgl. SG Berlin, Urteil vom 12. Juli 2023 - S 223 KR 868/22 -, Rn. 34, juris).
Der Kläger hat keinen expliziten Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Der Antrag ist indes an keine Form gebunden und kann ebenso konkludent gestellt werden. Erforderlich wie ausreichend ist, dass aus dem Vorbringen erkennbar wird, dass eine gesetzliche Frist ohne Verschulden versäumt worden ist und gleichwohl ein bestimmtes Begehren weiterhin verfolgt wird. Sowohl dem Anruf des Klägers bei der Beklagten am 30.01.2023 als auch der E-Mail vom 31.01.2023 kann zweifellos entnommen werden, dass es dem Kläger darum ging, trotz der Versäumung der Frist noch seinen Einkommensteuerbescheid bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen.
Ein Verschulden ist dem Kläger nicht vorzuwerfen. Denn er hat mit der Sorgfalt gehandelt, die einem gewissenhaft Handelnden nach den Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise zuzumuten ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung nicht überspannt werden, um die verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzgarantien, insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör, zu wahren (vgl. Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 27 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 18). Im hier zu entscheidenden Verfahren erfolgte die Versäumung der Frist, weil der per Post übersandte Einkommensteuerbescheid nicht bei der Beklagten eintraf. Grundsätzlich liegt es im Verantwortungsbereich des Versicherten, dass der Einkommensteuerbescheid nicht nur zur Post aufgegeben wird, sondern auch bei der Krankenkasse ankommt. Nach seinem glaubhaften und unbestrittenen Vortrag hat der Kläger den Einkommensteuerbescheid durch seinen Mitarbeiter zur Post bringen lassen. Der am 02.12.2022 zur Post aufgegebene Brief hatte mehrere Wochen Zeit, um bei der Beklagten bis zum Fristende am 31.12.2022 anzukommen. Da er zudem richtig adressiert war, war nach dem regelmäßigen Betriebsablauf der Post mit einer rechtzeitigen Ankunft zu rechnen. Der Einwand der Beklagten, der Kläger hätte den Einkommensteuerbescheid, der bereits vom 29.09.2020 datiere, schon deutlich früher an die Beklagte übersenden können, verfängt nicht. Fristen dürfen bis zu deren Ende genutzt werden. Eine Pflicht zur frühzeitigen Reaktion besteht nicht und würde die Sinnhaftigkeit der Existenz eingeräumter zeitlicher Spielräume aushebeln. Dass der Kläger bei der Beklagten nicht nachgefragt habe, ob sein Schreiben angekommen sei, ist ihm nicht zur Last zu legen. Nachdem es im Jahr zuvor keine Auffälligkeiten gab, bestand für ihn kein Anlass zur Nachfrage. Dies widerspräche außerdem der Realität. Regelmäßig wird von Behördenseite darum gebeten, von Nachfragen zum Bearbeitungsstand Abstand zu nehmen. Behörden ihrerseits forschen dem Zugang ihrer Schreiben ohne Anlass ebenso wenig nach.
Der Kläger hat die Frist nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X eingehalten. Danach ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen, § 27 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Mit Bekanntgabe des Bescheids vom 25.01.2023 ist das Hindernis weggefallen, weil damit bekannt wurde, dass der Einkommensteuerbescheid nicht bis zum 31.12.2022 bei der Beklagten eingegangen war. Der Kläger hat mit der Übersendung des Einkommensteuerbescheids am 31.01.2023 die versäumte Handlung nachgeholt. Selbst ohne Berücksichtigung der Postlaufzeit des Bescheides vom 25.01.2023 war am 31.01.2023 die Zweiwochenfrist nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X noch nicht abgelaufen.
Gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Der Kläger hat in seinem Telefonat am 30.01.2023 und in seiner Mail vom 31.01.2023 den Grund für das Fristversäumnis dargelegt, nämlich den nicht durch den Kläger verschuldeten Verlust seines Briefes durch die Post, und dies durch die Benennung seines Mitarbeiters als Zeugen glaubhaft gemacht. Dies wurde von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
Demnach hatte die Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2019 des Klägers wahlweise im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu berücksichtigen. Aus dem nachgereichten Einkommensteuerbescheid 2019 ergibt sich, dass der Kläger im Jahr 2019 keine Einkünfte erzielt hat, so dass die endgültige Beitragsfestsetzung in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze, d.h. auf den monatlichen Höchstbeitrag, nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Indem somit die im Jahr 2019 maßgebliche Mindestbemessungsgrenze iSd § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V in Höhe von 1.038,33 € unterschritten ist, war der streitgegenständliche Bescheid vom 25.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2023 insoweit abzuändern, als die Beklagte ein Arbeitseinkommen oberhalb der der für den Kläger im Jahre 2019 geltenden Mindestbemessungsgrenze zugrunde gelegt hat. Diese gibt die untere Marke des Einkommens, das bei der Berechnung mindestens zugrunde gelegt wird, vor. Versicherte, deren Einkommen unterhalb dieser Mindestbemessungsgrenze liegt, werden bei der Beitragsberechnung so behandelt, als würden sie über dieses Mindesteinkommen verfügen und zahlen damit den Mindestbeitrag. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Krankenversicherungs- wie auch der Pflegeversicherungsbeiträge.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Festlegung einer Mindestbemessungsgrenze für freiwillig Versicherte ebenso wie die unterschiedliche beitragsrechtliche Berücksichtigung von Kapitaleinkünften bei freiwillig Versicherten einerseits und Pflichtversicherten andererseits mit der Verfassung vereinbar ist - selbst wenn mancher geringverdienende Pflichtversicherte mit geringeren Beiträgen belastet wird als es die Mindestbemessungsgrenze für freiwillig Versicherte vorsieht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvL 4/96 -; BSG, Urteil vom 7. November 1991 - 12 RK 37/90 -, juris Rn. 23).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.