S 38 KA 261/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 261/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine Frist für die Nachbesetzung einer Arztstelle nach § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V ist gesetzlich nicht geregelt.

2. Aus dem Gesichtspunkt der Bedarfsplanung, der Verpflichtung der Zulassungsgremien zum Abbau der Überversorgung und aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V ergibt sich, dass die Nachbesetzung grundsätzlich zeitnah nach dem Freiwerden der Arztstelle erfolgen soll und nicht für eine unbegrenzte Zeit, insbesondere zur Sicherung der Arztstelle und des Versorgungsauftrages möglich ist.

3. In Analogie zu § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V erscheint es verhältnismäßig und zumutbar (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011, Az B 6 KA 23/11 R), eine Nachbesetzung der Arztstelle innerhalb von sechs Monaten ab Freiwerden der Arztstelle zu fordern.

4. Liegen besondere Umstände vor, die die Einhaltung der Frist deutlich erschweren oder sogar unmöglich machen, ist diese Frist auf Antrag hin angemessen zu verlängern. Es handelt sich hierbei um eine im Ermessen stehende Härtefallregelung. Die Einräumung einer Nachbesetzung einer Arztstelle über ein Jahr ab dem Freiwerden der Arztstelle hinaus lässt sich auch unter Härtefallgesichtspunkten nicht rechtfertigen.


I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage richtet sich gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses aus der mündlichen, nicht-öffentlichen Verhandlung vom 15.07.2021. Der beklagte Berufungsausschuss lehnte den Antrag auf Verlängerung der Frist zur Nachbesetzung einer Angestelltenstelle mit Bedarfsplanungsfaktor 0,5 (Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin) bis zum 30.04.2021 ab. Die Klägerin verfügte über eine Genehmigung zur Anstellung von Dr. P. D. Diese Genehmigung endete zum 31.10.2019. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19.02.2020 wurde entsprechend dem Antrag der Klägerin die Nachbesetzungsfrist bis 31.10.2020 verlängert.
Zur Begründung des neuen Antrags (erneute Verlängerung der Nachbesetzungsfrist bis 30.04.2021) wurde ausgeführt, es sei sehr schwierig einen entsprechenden Facharzt zu finden. Es gebe viele offene Facharztstellen. Hinzu komme, dass durch die SARS-COV-2 Pandemie die Besetzung von Arztstellen zusätzlich erschwert werde.
Dem entgegnend verwies der Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.10.2011, Az B 6 KA 23/11 R). Nach Auffassung des Bundessozialgerichts sei grundsätzlich eine Frist von sechs Monaten nach Freiwerden der Arztstelle zu wahren. Dies bedeute hier, dass grundsätzlich eine Nachbesetzung bis 31.03.2020 möglich sei. Die Anforderungen würden jedoch dann nicht gelten, wenn nur eine Arztstelle mit einem Beschäftigungsumfang von 1/4 zur Verfügung stehe. Hier aber geht es um eine Besetzung einer 0,5 Arztstelle. Insofern seien die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen zu beachten. Den besonderen Umständen (Besetzungsschwierigkeiten mangels Vorhandensein entsprechender Fachärzte; SARS-COV-2 Pandemie) sei bereits mit der ersten Verlängerung bis 31.10.2020 Rechnung getragen worden. Insofern seien die Umstände als Härtefall anerkannt worden.
Dagegen legte die Klägerin Klage zum Sozialgericht München ein. Zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.10.2011, Az B 6 KA 23/11 R) wurde vorgetragen, das BSG habe die hier vorliegende besondere Konstellation in seiner Entscheidung nicht berücksichtigen können. Im Übrigen ergebe sich eine Verlängerung der Nachbesetzungsfrist aus keiner gesetzlichen Vorschrift. Sie sei vielmehr aus einer Analogie zu § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V entwickelt worden. Zu berücksichtigen sei auch, dass hier nur eine 0,5 Stelle und nicht eine 1,0 Stelle zu besetzen sei. Insgesamt wäre daher eine weitere Verlängerung sachgerecht und ermessensfehlerfrei gewesen.
Der Beklagte verwies in seiner Replik auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid hin.
In der mündlichen Verhandlung am wurde die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten 24.10.2023 besprochen.
Auf Frage des Gerichts, ob bis zum beantragten Zeitpunkt, also bis zum 30. 04.2021 ein Nachfolger gefunden worden sei, wurde seitens des Bevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, man habe im Hinblick auf das streitgegenständliche Verfahren die Suche nach einem geeigneten Nachfolger nicht mehr weiterverfolgt.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 23.09.2021, beschränkt auf den Hauptantrag.
Die Vertreterin des Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand des Verfahrens war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 24.10.2023 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Berufungsausschusses aus der Sitzung vom 15.07.2021 ist als rechtmäßig anzusehen.
Der Beklagte hat zu Recht den Verlängerungsantrag der Klägerin auf Nachbesetzung bis zum 30.04.2021 abgelehnt. Nach § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V ist Medizinischen Versorgungszentren die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. Da die Anstellung von Herrn Dr. P.D. zum 31.10.2019 endete, machte die Klägerin von ihrem Recht Gebrauch, die Nachbesetzung dieser Arztstelle mit einem Bedarfsplanungsfaktor 0,5 zu beantragen. In diesem Fall ist entsprechend dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19.10.2011, Az B 6 KA 23/11 R) grundsätzlich eine Nachbesetzung der Arztstelle innerhalb von sechs Monaten ab Freiwerden der Arztstelle vorzunehmen. Dies bedeutet, dass eine Nachbesetzung bis zum 31.03.2020 zu erfolgen hätte. Im Hinblick auf die von der Klägerin geschilderten Umstände (Arztsuche trotz aller Bemühungen bislang vergebens; pandemisches Geschehen) wurde dem Antrag auf Verlängerung der Frist um maximal sechs weitere Monate bis zum 31.10.2020 stattgegeben.
Auch nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf die beantragte abermalige Verlängerung der Nachbesetzungsfrist bis zum 30.04.2021. Eine Ermessensüberschreitung bzw. ein Ermessensfehlgebrauch ist nicht ersichtlich. Denn bei § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die Medizinischen Versorgungszentren auch bei Überversorgung die Möglichkeit eröffnet, eine vakant gewordene Arztstelle neu zu besetzen. Der Klägerin ist zwar einzuräumen, dass der Gesetzgeber Fristen für die Nachbesetzung nicht vorgesehen hat. Aus dem Gesichtspunkt der Bedarfsplanung, der Verpflichtung der Zulassungsgremien zum Abbau der Überversorgung und aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 103 Abs. 4a S. 5 SGB V ergibt sich jedoch, dass die Nachbesetzung grundsätzlich zeitnah nach dem Freiwerden der Arztstelle erfolgen soll und nicht für eine unbegrenzte Zeit, insbesondere zur Sicherung der Arztstelle und des Versorgungsauftrages möglich ist. In Analogie zu § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V erscheint es verhältnismäßig und zumutbar (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011, Az B 6 KA 23/11 R), eine Nachbesetzung der Arztstelle innerhalb von sechs Monaten ab Freiwerden der Arztstelle zu fordern. Liegen besondere Umstände vor, die die Einhaltung der Frist deutlich erschweren oder sogar unmöglich machen, ist diese Frist auf Antrag hin angemessen zu verlängern. Davon hat die Klägerin mit ihrem Antrag auf Verlängerung der Frist bis 31.10.2020 Gebrauch gemacht, dem der Zulassungsausschuss auch mit seinem Beschluss vom 19.02.2020 entsprochen hat. Damit hat der Zulassungsausschuss den von der Klägerin vorgetragenen Umständen (Arztsuche trotz aller Bemühungen bislang vergebens; pandemisches Geschehen) im Rahmen der im Ermessen stehenden Härtefallregelung Rechnung getragen. Der Klägerin wurde es ermöglicht, die Nachbesetzung innerhalb eines Jahres vorzunehmen. Für eine weitere Verlängerung aus Gründen, die bereits zu der erstmaligen Fristverlängerung geführt haben, besteht nach Auffassung des Gerichts im Hinblick auf die oben genannten Gesichtspunkte, insbesondere den Gesichtspunkten der Bedarfsplanung kein Raum. Die Einräumung einer Nachbesetzung einer Arztstelle über ein Jahr ab dem Freiwerden der Arztstelle hinaus lässt sich auch unter Härtefallgesichtspunkten nicht rechtfertigen. Im Übrigen wurde in der mündlichen Verhandlung am 24.10.2023 deutlich, dass Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin nur in geringer Zahl ausgebildet werden und deshalb kaum verfügbar sind. Daraus mag sich erklären, dass die Suche der Klägerin nach einem Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin nicht zum Erfolg geführt hat und auch nicht absehbar war, dass bis zum 30.04.2021 ein Nachfolger gefunden werden konnte und wann ein solcher Facharzt zur Verfügung steht. In diesem Fall wäre es mit den Grundsätzen der Bedarfsplanung und vor allem mit dem Erfordernis, eine bestehende Überversorgung abzubauen, nicht zu vereinbaren, eine weitere Verlängerung der Nachbesetzungsfrist zu gewähren.
Was den Hinweis des Bevollmächtigten der Klägerin betrifft, es handle sich hier lediglich um eine Nachbesetzung einer 0,5 Stelle, hat das Bundessozialgericht in der oben genannten Entscheidung (aaO) auch ausgeführt, dass die Anforderungen nicht für eine 0,25 Stelle gelten, wohl aber für eine Nachbesetzung einer 0,5 Arztstelle. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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