S 7 AS 1561/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 1561/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Höhe der Regelbedarfe der Stufe 2, 5 und 6 genügt in der Zusammenschau mit weiteren finanziellen Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers in den Jahren 2020, 2021 und 2022 –  noch –  den an die Bestimmung ihrer Höhe zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

 

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

 

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von höheren laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiträume 1.5.2020 –  30.4.2021 sowie 1.5.2021 –  30.4.2022 unter dem Aspekt der Höhe der Regelsätze.

 

Die Kläger zu 1. –  4. –  Eheleute und ihre zwei gemeinsamen minderjährigen Kinder - bewohnten in den streitgegenständlichen Zeiträumen eine Mietwohnung in der …str.  in M. (Landkreis B.), für die eine monatliche Grundmiete/Kaltmiete von 930,00 € zzgl. Heizkostenvorauszahlungen von 100,00 €  und sonstige Wohnnebenkosten von 100,00 €  zu entrichten waren. Für die Kläger zu 3. und 4. wurden von der Familienkasse monatlich je 204,00 €  Kindergeld gezahlt. Die Klägerin zu 1. bezog ferner eine zeitlich befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt und leidet nach eigenen Angaben des Weiteren auch an Bluthochdruck sowie einer Eisenmangelanämie.

 

Die Familie bildete eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II und bezog als solche seit dem 1.5.2018 ergänzende laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld) vom Beklagten. Diese Leistungen waren ihnen für den Zeitraum 1.5.2020 –  30.4.2021 zunächst durch Bescheid vom 21.4.2020 bewilligt worden. Der Beklagte hatte einen Bedarf der Familie von monatlich 1.268,45 €  ermittelt, der sich aus den Regelsätzen Stufe 2 (389,00 € ) für die Kläger zu 1. und 2., dem Regelsatz Stufe 5 für den Kläger zu 3. (308,00 € ) und dem Regelsatz Stufe 6 für die Klägerin zu 4. (250,00 € ) sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen monatlichen Aufwendungen von 1.130,00 €  zusammensetzte. Auf den Bedarf angerechnet wurden das Kindergeld von monatlich 204,00 €  pro Kind sowie die Erwerbsminderungsrente der Klägerin zu 1. in Höhe von monatlich 819,54 €  abzüglich des Versicherungsfreibetrags von 30,00 € .

 

Mit Änderungsbescheid vom 15.5.2020 bewilligte der Beklagte den Klägern zusätzlich  Leistungen für eine im Mai 2020 fällige Nachzahlung aufgrund der Nebenkosten-Jahresabrechnung für die von den Klägern bewohnte Wohnung sowie für die Klägerin zu 1. einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II für den gesamten Leistungszeitraum in Höhe von monatlich 43,20 €. Mit Änderungsbescheid vom 26.10.2020 rechnete der Beklagte im November 2020 ein Einkommen der Klägerin zu 1. aus einer Tätigkeit als Dozentin an der Volkshochschule (938,66 €  abzüglich 267,73 €  Freibetrag, also 670,93 € ) auf den Bedarf an. Im Übrigen blieb die Leistungsberechnung unverändert. Mit Änderungsbescheid vom 21.11.2020 bewilligte der Beklagte ferner die laufenden Leistungen für den Zeitraum 1.1. –  30.4.2021 neu, nunmehr unter Berücksichtigung der zum 1.1.2021 erhöhten Regelsätze von 401,00 €  (Stufe 2) bzw. 309,00 €  (Stufe 5) bzw. 283,00 €  (Stufe 6). Der vom Beklagten anerkannte Bedarf stellte sich also für den Teilzeitraum vom 1.5.2020 –  31.12.2020 im Ergebnis wie folgt dar:

 

Regelsatz Stufe 2 für die Klägerin zu 1.:                                        389,00 €

Mehrbedarf kostenaufwändige Ernährung Klägerin zu 1.:                 43,20 €

Regelsatz Stufe 2 für den Kläger zu 2.:                                          389,00 €

Regelsatz Stufe 5 für den Kläger zu 3. (geb. 2012):                       308,00 €

Regelsatz Stufe 6 für die Klägerin zu 4. (geb. 2017):                      250,00 €

Grundmiete/Kaltmiete:                                                                   930,00 €

Heizkosten:                                                                                   100,00 €

sonstige Wohnnebenkosten:                                                          100,00 €

 

Im Teilzeitraum vom 1.1. –  30.4.2021 ging der Beklagten von folgendem Bedarf aus:

 

Regelsatz Stufe 2 für die Klägerin zu 1.:                                        401,00 €

Mehrbedarf kostenaufwändige Ernährung Klägerin zu 1.:                 44,60 €

Regelsatz Stufe 2 für den Kläger zu 2.:                                          401,00 €

Regelsatz Stufe 5 für den Kläger zu 3. (geb. 2012):                       309,00 €

Regelsatz Stufe 6 für die Klägerin zu 4. (geb. 2017):                      283,00 €

Grundmiete/Kaltmiete:                                                                   930,00 €

Heizkosten:                                                                                   100,00 €

sonstige Wohnnebenkosten:                                                          100,00 €

 

Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

 

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 26.3.2021 hin bewilligte der Beklagte den Klägern durch Bescheid vom 6.4.2021 auch für den Folgezeitraum vom 1.5.2021 –  30.4.2022 Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Den Bedarf setzte der Beklagte dabei in identischer Höhe an wie im Teilzeitraum 1.1. –  30.4.2021 mit Ausnahme des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung, der der Klägerin zu 1. nicht mehr gewährt wurde, da die Klägerin zu 1. im Weiterbewilligungsantrag keine aktuelle ärztliche Bescheinigung darüber vorgelegt hatte. Durch Bescheid vom 6.5.2021 berechnete der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum 1.6.2021 –  30.4.2022 neu, da sich die Nebenkostenvorauszahlungen für die Mietwohnung erhöht hatten. Im Übrigen blieb die Berechnung unverändert. Durch weiteren Bescheid vom 6.5.2021 berechnete der Beklagte die Leistungen für den Monat April 2021 neu und berücksichtigte in diesem Monat eine Nebenkostennachzahlung aus der Jahresabrechnung für die Mietwohnung. Auch insoweit blieb die Leistungsberechnung im Übrigen unverändert.

 

Auch diese Bescheide wurden bestandskräftig.

 

Durch Bescheid vom 7.5.2021 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. und dem Kläger zu 2. eine Einmalzahlung in Höhe von je 150,00 €  zur Bestreitung der durch die Covid-19-Pandemie entstandenen Mehraufwendungen nach § 70 SGB II.

 

Für den Kläger zu 3. und die Klägerin zu 4. wurde im Rahmen des Kindergelds im Monat Mai 2021 ein Kinderbonus nach § 66 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Einkommens-steuergesetzes (EStG) von je 150,00 €  ausgezahlt.

 

Außerdem bewilligte der Beklagte für die Kläger zu 3. und 4. einen Kinderfreizeitbonus von 100,00 €  pro Kind nach § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB II

 

Am 22.10.2021 beantragten die Kläger über ihren Bevollmächtigten die Überprüfung des Bescheids vom 15.5.2020 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unter dem Aspekt der Bewilligung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für die Klägerin zu 1. und legten eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vor. Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag für den Zeitraum 1.5.2020 –  30.4.2021, den der Bescheid vom 15.5.2020 regelte, ab unter Verweis darauf, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für die Klägerin zu 1. darin bereits berücksichtigt wurde. Der Beklagte überprüfte allerdings gleichzeitig von Amts wegen auch die Leistungsbewilligung für den Folgezeitraum vom 1.5.2021 –  30.4.2022, in dem zuvor kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gewährt worden war, und bewilligte diesen durch Änderungsbescheid vom 27.12.2021 für den Zeitraum 1.5.2021 –  30.4.2022 in Höhe von 44,60 €  bzw. 44,62 €  für die Monate Mai bis Dezember 2021 und in Höhe von 44,90 €  für die Monate Januar bis April 2022. Gleichzeitig erhöhte der Beklagte die Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft ab Januar 2022 aufgrund der turnusmäßigen Erhöhung der Regelsätze. Der vom Beklagten festgestellte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft betrug im Ergebnis also im Teilzeitraum 1.5.2021 –  31.12.2021

 

Regelsatz Stufe 2 für die Klägerin zu 1.:                                        401,00 €

Mehrbedarf kostenaufwändige Ernährung Klägerin zu 1.:                 44,60 €

Regelsatz Stufe 2 für den Kläger zu 2.:                                          401,00 €

Regelsatz Stufe 5 für den Kläger zu 3. (geb. 2012):                       309,00 €

Regelsatz Stufe 6 für die Klägerin zu 4. (geb. 2017):                    283,00 €

Grundmiete/Kaltmiete:                                                                   930,00 €

Heizkosten:                                                                                   100,00 €

sonstige Wohnnebenkosten:                                                          160,00 €

 

sowie im Teilzeitraum 1.1.2022 –  30.4.2022

 

Regelsatz Stufe 2 für die Klägerin zu 1.:                                        404,00 €

Mehrbedarf kostenaufwändige Ernährung Klägerin zu 1.:                 44,90 €

Regelsatz Stufe 2 für den Kläger zu 2.:                                          404,00 €

Regelsatz Stufe 5 für den Kläger zu 3. (geb. 2012):                       311,00 €

Regelsatz Stufe 6 für die Klägerin zu 4. (geb. 2017):                      285,00 €

Grundmiete/Kaltmiete:                                                                   930,00 €

Heizkosten:                                                                                   100,00 €

sonstige Wohnnebenkosten:                                                          160,00 €

 

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 17.1.2022 bewilligte der Beklagte die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft für den Monat Februar 2022 nochmals neu. Geändert wurde allerdings lediglich die Berechnung der Kosten der Unterkunft und Heizung aufgrund der Berücksichtigung der Jahresabfallgebühr.

 

Gegen den Bescheid vom 27.12.2021 (Ablehnung der Überprüfung der Leistungen für den Zeitraum 1.5.2020 –  30.4.2021) legten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 29.1.2022 Widerspruch ein. Die Berechnung der Höhe des Mehrbedarfs für die Klägerin zu 1. sei fehlerhaft. Die Klägerin zu 1. leide an Multipler Sklerose, für die der Mehrbedarf in Höhe von 10 % des Regelsatzes gewährt worden sei. Die Klägerin zu 1. leide aber darüber hinaus auch an Bluthochdruck und einer chronischen Eisenmangelanämie. Es liege daher eine Kumulation von Mehrkosten vor, so dass der Mehrbedarf insgesamt zu erhöhen sei. Eine ärztliche Bescheinigung über die geltend gemachten Mehrkosten legten die Kläger allerdings nicht vor.

 

Gegen den Bescheid vom 27.12.2021 (Änderungsbescheid über Leistungen für den Zeitraum 1.5.2021 –  30.4.2022) legten die Kläger ebenfalls am 29.1.2022 durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein, mit gleicher Begründung wie bei dem Widerspruch vom gleichen Tag bzgl. des vorausgegangenen Leistungszeitraums. Allerdings wurde auch hier keine ärztliche Bescheinigung über die geltend gemachten Mehrkosten vorgelegt.

 

Zum 8.3.2022 nahm der Kläger zu 2. eine Erwerbstätigkeit auf. Mit Bescheid vom 30.3.2022 hob der Beklagte die bisherige Leistungsbewilligung ab dem 1.4.2022 vollständig auf und erließ einen weiteren Bescheid vom gleichen Tag, durch den die Leistungen für April 2022 im Hinblick auf das zu erwartende Erwerbseinkommen des Klägers zu 2. nur noch vorläufig gewährt wurden. Die Bedarfsberechnung blieb unverändert.

 

Durch gemeinsamen Widerspruchsbescheid vom 25.4.2022 wies der Beklagte beide Widersprüche der Kläger vom 29.1.2022 gegen die Bescheide vom 27.12.2021 als unbegründet zurück. Die Klägerin zu 1. habe keinen Anspruch auf einen höheren Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in den beiden streitbefangenen Zeiträumen 1.5.2020 –  30.4.2021 sowie 1.5.2021 –  30.4.2022. Zum einen sei ein solcher Mehrbedarf nicht ärztlich bestätigt; zum anderen lösten die geltend gemachten Erkrankungen (Bluthochdruck und Eisenmangelanämie) auch bei ärztlicher Bescheinigung nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge e. V. keinen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II aus.

 

Am 25.5.2022 haben die Kläger zu 1. –  4. beim Sozialgericht Freiburg gegen den Widerspruchsbescheid vom 25.4.2022 die vorliegende Klage erhoben. Sie haben zunächst –  wie im Widerspruchsverfahren –  nur die Höhe des Mehrbedarfs der Klägerin zu 1. beanstandet. Des Weiteren haben sie ausgeführt, dass zumindest ab Januar 2022 auch der Regelsatz insgesamt (und damit indirekt auch der bereits gewährte Mehrbedarf) aufgrund der allgemeinen Teuerung nicht mehr ausreiche, um das verfassungsrechtlich geschützte menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten. Auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten müssten die Leistungen daher erhöht werden.

 

Auf Aufforderung des Gerichts zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die geltend gemachten weiteren Erkrankungen der Klägerin zu 1. sowie der dadurch ausgelösten Mehrkosten haben die Kläger allerdings keinen höheren Mehrbedarf für die Klägerin zu 1. mehr geltend gemacht. Die Klage richte sich vielmehr auf die Berücksichtigung höherer Regelsätze in der Bedarfsberechnung sämtlicher Kläger.

 

Die Kläger zu 1. –  4. beantragen, teilweise sinngemäß,

 

die Bescheide des Beklagten vom 27.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.4.2022 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern zu 1. –  4. für den Zeitraum 1.5.2020 –  30.4.2021 unter Abänderung der Bescheide vom 15.5.2020, 26.10.2020 und 21.11.2020 sowie für den Zeitraum 1.5.2021 –  30.4.2022 unter Abänderung der Bescheide vom 72.12.2021, 17.1.2022 und 30.3.2022 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in gesetzlicher bzw. in verfassungsgemäßer Höhe zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

          die Klage abzuweisen.

 

Er verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 25.4.2022. 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Bedarfsgemeinschaft der Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten (Stand 2.6.2022), die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Das Gericht kann nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

 

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft nach § 54 Abs. 4 SGG.

 

Die Klage ist aber nicht begründet.

 

Die Kläger zu 1. –  4. haben keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in den Zeiträumen 1.5.2020 –  30.4.2021 bzw. 1.5.2021 –  30.4.2022 als der Beklagte ihnen durch die Bescheide vom 15.5.2020 (1.5. –  31.10.2020 sowie 1.12.-31.12.2020), 26.10.2020 (1.11. –  30.11.2020) und 21.11.2020 (1.1. –  30.4.2021) bzw. durch die Bescheide vom 27.12.2021 (1.5.2021 –  31.1.2022), 17.1.2022 (1. –  28.2.2022) und 30.3.2022 (1.4. –  30.4.2022) bewilligt hat. Die soeben genannten Bescheide sind für die gerichtliche Überprüfung der korrekten Leistungshöhe in den streitgegenständlichen Zeiträumen maßgeblich, da es sich jeweils um die zeitlich letzte Bewilligung für die entsprechenden Zeiträume bzw. Teile derselben handelt. Der Bescheid vom 30.3.2022 über die Leistungen für April 2022 erging erst nach Eingang der Widersprüche der Kläger vom 29.1.2022 und ist daher nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass diese Bescheide sämtlich der einfachgesetzlichen Rechtslage vollkommen entsprechen. Die Kläger zu 1. –  4. erfüllen unstreitig die persönlichen gesetzlichen Voraussetzungen für den Leistungsbezug nach dem SGB II wie Erwerbsfähigkeit (bzw. die Eigenschaft als Familienmitglied eines Erwerbsfähigen im Fall der Kläger zu 3. und 4.), den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Hilfebedürftigkeit im Sinne der §§ 7ff. SGB II. Der Beklagte hat auch sowohl auf der Bedarfsseite als auch bei der Einkommensanrechnung sämtliche berücksichtigungsfähige Positionen tatsächlich berücksichtigt und es sind ihm keine Berechnungsfehler unterlaufen. Die Kläger haben insoweit auch keine Beanstandungen erhoben, so dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

 

Die Kammer ist allerdings auch nicht davon überzeugt, dass den Klägern –  wie für sie vorgetragen - unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten höhere Leistungen nach dem SGB II zustehen, insbesondere unter Zugrundelegung eines höheren Regelsatzes. Dies gilt sowohl für die unmittelbare Anfechtung der Bescheide hinsichtlich des Zeitraums 1.5.2021 –  30.4.2022 als auch im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X für den Zeitraum 1.5.2020 –  30.4.2021.

 

Die Höhe des den Klägern zustehenden jeweiligen Regelbedarfs richtet sich im Falle der Kläger zu 1. und 2. nach § 20 Abs. 1a, Abs. 4 SGB II und im Falle der Kläger zu 3. und 4. nach § 20 Abs. 1a SGB II, jeweils i. V. m. § 28 und § 28a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) und der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung. Dementsprechend standen den Klägern zu 1. –  2. als nicht dauerhaft getrennt lebenden Ehepartnern und daher „ Partnern“  im Sinne des SGB II (§ 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II) nach § 20 Abs. 1a, Abs. 4 i. V. m. § 28 SGB X, § 8 Nr. 2 RBEG Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2, also gemäß den jeweiligen Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnungen im Zeitraum 1.5.2020 –  31.12.2020 monatlich 389,00 € , im Zeitraum vom 1.1. –  31.12.2021 monatlich 401,00 €  und im Zeitraum vom 1.1. –  30.4.2022 monatlich 404,00 €  zu. Dem Kläger zu 3., der in den streitgegenständlichen Zeiträumen zwischen 7 und 9 Jahre alt war, standen nach § 20 Abs. 1a SGB II i. V. m. § 28 SGB XII und § 8 Nr. 5 RBEG Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 5, also gemäß den jeweiligen Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnungen im Zeitraum 1.5.2020 –  31.12.2020 monatlich 308,00 € , im Zeitraum vom 1.1. –  31.12.2021 monatlich 309,00 €  und im Zeitraum vom 1.1. –  30.4.2022 monatlich 311,00 €  zu. Der Klägerin zu 4., die während der streitgegenständlichen Zeiträume zwischen 2 und 4 Jahre alt war, standen nach § 20 Abs. 1a SGB II i. V. m. § 28 SGB XII und § 8 Nr. 6 RBEG Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 6, also gemäß den jeweiligen Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnungen im Zeitraum 1.5.2020 –  31.12.2020 monatlich 250,00 € , im Zeitraum vom 1.1. –  31.12.2021 monatlich 283,00 €  und im Zeitraum vom 1.1. –  30.4.2022 monatlich 285,00 €  zu.

 

Die Höhe dieser Regelbedarfe genügt nach Überzeugung der Kammer in der Zusammenschau mit weiteren finanziellen Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers in den Jahren 2021 und 2022 –  noch –  den an die Bestimmung ihrer Höhe zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.

 

Der Staat hat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins erfüllt werden, wenn einem Menschen die hierfür erforderlichen notwendigen materiellen Mittel weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus seinem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zur Verfügung stehen (BVerfG, Urteil vom 9.2.2010, Az. 1 BvL 1/09- juris). Da dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Absicherung des menschenwürdigen Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zusteht (BVerfG, Urteil vom 9.2.2010, Az. 1 BvL 1/09; Beschluss vom 27.7.2016, Az. 1 BvR 371/11 – beide in juris), ist aber lediglich zu prüfen, ob die Regelbedarfe nach dem SGB II evident unzureichend sind, um eine menschenwürdige Absicherung des soziokulturellen Existenzminimums zu ermöglichen. Dies wäre dann der Fall, wenn es offensichtlich wäre, dass die Leistungen in Summe nicht ausreichen können, um den staatlichen Schutzauftrag hinsichtlich der Menschenwürde des Einzelnen (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) sowie den sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag (Art. 20  Abs. 1 GG) zu erfüllen. Nach Überzeugung der Kammer sind die von den Klägern in den streitgegenständlichen Zeiträumen bezogenen Leistungen nach dem SGB II –  in Zusammenschau mit weiteren gesetzgeberischen Entlastungsmaßnahmen, hierzu siehe unten –  nicht evident unzureichend, um ein menschenwürdiges Existenzminimum abzusichern.

 

Die Festsetzung der Regelbedarfe hat in einem transparenten, nachvollziehbaren, schlüssigen und faktenbasierten Verfahren zu erfolgen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten (Beschluss vom 27.7.2016, Az. 1 BvR 371/11; Beschluss vom 23.7.2014, Az. 1 BvL 10/12 –  beide in juris), dass die vom Gesetzgeber gewählte Methode zur  Bestimmung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf im Rahmen des SGB II grundsätzlich den Anforderungen an eine hinreichend transparente, jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe genügt. Der Gesetzgeber hat die relevanten Bedarfsarten berücksichtigt, die für einzelne Bedarfspositionen aufzuwendenden Kosten mit einer im Grundsatz tauglichen und im Einzelfall mit hinreichender sachlicher Begründung angepassten Methode sachgerecht, also im Wesentlichen vollständig und zutreffend, ermittelt und auf dieser Grundlage die Höhe des Gesamtbedarfs bestimmt. Es ist nicht erkennbar, dass er für die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz relevante Bedarfsarten übersehen oder die zu ihrer Deckung erforderlichen Leistungen durch gesetzliche Ansprüche nicht gesichert hätte (BVerfG, Beschluss vom 23.7.2014, Az. 1 BvL 10/12; Beschluss vom 27.7.2016, Az. 1 BvR 371/11 –  juris).

 

Eine andere Beurteilung ist nach Überzeugung der Kammer im Ergebnis auch nicht deswegen angezeigt, weil in den Jahren seit 2020 und insbesondere im Jahr 2022 gegenüber den Vorjahren eine erhebliche Teuerung der Verbraucherpreise eingetreten ist. Das LSG Baden-Württemberg hat in einem Urteil vom 20.7.2022 (Az. L 3 AS 1169/22 –  juris) betreffend den Leistungszeitraum 1.10.2021 –  30.9.2022 hierzu im Hinblick auf die Regelbedarfsstufe 1 für alleinstehende Erwachsene folgendes ausgeführt:

 

„Zutreffend ist, dass die Erhöhung der Regelbedarfsstufen hinter der aktuellen Inflation zurückgeblieben ist. So sind die Regelbedarfsstufen nach § 8 des RBEG zum 01.01.2022 nur um 0,76 % erhöht und die Ergebnisse nach § 28 Abs. 5 SGB XII auf volle Euro gerundet worden (vgl. § 1 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2022 vom 13.10.2021), während laut dem statistischen Bundesamt der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vorjahresmonat wie folgt gestiegen ist: Oktober 2021 +4,5 %, November 2021 +5,2 %, Dezember 2021 +5,3 %, Januar 2022 +4,9 %, Februar 2022 +5,1 %, März 2022 +7,3 %, April 2022 +7,4 %, Mai 2022 +7,9 % und Juni 2022 +7,6% (https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Basisdaten/vpi041j.html). Die durchschnittliche Preissteigerung hat damit von Oktober 2021 bis Dezember 2021 5 % und von Januar 2022 bis Juni 2022 6,7 % betragen. In Bezug auf die Regelsatzhöhe haben sich die Kosten damit durchschnittlich um 22,30 € /Monat für den Zeitraum von Oktober 2021 bis Dezember 2021 und um 26,88 € /Monat (446 x 0,067 = 29,88 €  abzgl. Regelsatzerhöhung von 3,- € ) für den Zeitraum von Januar bis Juni 2022 erhöht.

 

Soweit der Kläger auf die Nahrungsmittelpreise abgestellt hat, hat im Zeitraum von Oktober 2021 bis Dezember 2021 eine durchschnittliche Preissteigerung um 4,97 % und von Januar 2022 bis Juni 2022 eine Steigerung um durchschnittlich 8,15 % stattgefunden (https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Basisdaten/vpi041j.html). In Bezug auf die vom Kläger angeführte Verteuerung der Lebensmittelpreise berechnet sich im Hinblick auf die Abteilung 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren) des § 5 Abs. 1 RBEG damit eine Erhöhung der Ausgaben für den Zeitraum von Oktober 2021 bis Dezember i.H.v. durchschnittlich 7,50 €  pro Monat (4,97 % von 151,- € ) und für den Zeitraum von Januar 2022 bis Juni 2022 i.H.v. 11,16 €  pro Monat (8,15 % - 0,76 % = 6,48 % von 151,- € ).“

 

Das LSG Schleswig-Holstein hat ferner in einem Beschluss vom 11.10.2022 (Az. L 6 AS 87/22 B ER - juris) für den Zeitraum 1.4. –  30.9.2022 festgestellt:

 

„ Die Inflationsrate bezogen auf den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) im September 2022 beträgt nach vorläufigen Berechnungen des statistischen Bundesamtes 10 % gemessen an dem Gesamtindex im vergleichbaren Vorjahresmonat, also im Vergleich zu September 2021 (vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemit- teilungen/2022/09/PD22_413_611.html). Im August betrug die Inflationsrate 7,9 % zum vergleichbaren Vorjahresmonat, im Juli 7,5 %, im Juni 7,6 %, im Mai 7,9 %, im April 7,4 % (vgl. https://www.destatis.de Fachserie 17, Reihe 7 Tabelle 1.1 und https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Basisdaten/vpi041j.html).“ 

 

Entsprechend diesen Zahlen, auf die das hier erkennende Gericht nach eigener Überprüfung auch die hier zu treffende Entscheidung stützt, ist in der Tat zumindest seit Herbst 2021 im Vergleich zu den vorherigen Leistungszeiträumen eine erhebliche landesweite Teuerung in einer Vielzahl von Lebensbereichen eingetreten. Das LSG Baden-Württemberg (a. a. O.) spricht insoweit von einer „offensichtlichen und erheblichen Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter“. Anders stellte sich die Situation allerdings noch 2020 dar. Die Verbraucherpreise stiegen laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr lediglich um 0,5 % (www.destatis.de, Pressemitteilung Nr. 025 vom 19. Januar 2021). Im Jahr 2021 betrug die Teuerungsrate für die Verbraucherpreise 3,1 % (www.destatis.de, Pressemitteilung Nr. 025 vom 19. Januar 2022). Im Jahr 2022, das eine durchschnittliche Inflationsrate von 7,9 % aufwies (www.destatis.de, Pressemitteilung Nr. 022 vom 17. Januar 2023), betrug der durchschnittliche Anstieg in den ersten vier Monaten (d. h. bis zum Ende des letzten hier streitbefangenen Zeitraums) 6,1  %. Im Ergebnis war nach Überzeugung der Kammer daher zumindest bis zum Herbst 2021 die vom LSG Baden-Württemberg festgestellte erhebliche Entkoppelung der Höhe der Regelsätze von der Inflationsrate noch nicht eingetreten. Die Erhöhung der Regelsätze hielt vielmehr im Jahr 2020 und auch noch Anfang 2021 weitgehend mit der Inflationsrate Schritt. Eine kritische Entkopplung begann erst im Herbst 2021.

 

Allerdings weist das LSG Schleswig-Holstein zu Recht in seinem Beschluss vom 11.10.2022 (a. a. O. ) auch darauf hin, dass eine Steigerung der Verbraucherpreise sich bereits systemisch nicht unmittelbar im Verhältnis eins zu eins auf die Höhe der Regelsätze auswirken kann und soll, da diese nicht allein auf den Verbraucherpreisen basieren, sondern auch das Lohnniveau einbeziehen. Das LSG Schleswig-Holstein führt dazu aus:  

 

„ Allerdings beruht das gesetzliche Konzept der Dynamisierung der Regelbedarfsstufen auf einer eigenständigen Methodik der regelbedarfsrelevanten Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach dem SGB II unter Bezug auf das SGB XII und beinhaltet eine Kombination nicht der allgemeinen sondern der regelbedarfsrelevanten Teuerungsrate (70%) und der Einkommensentwicklung (30%, zum statistischen Konzept vgl. Elbel/Wolz, Berechnung eines regelbedarfsrelevanten Verbraucherpreisindex für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach dem SGB XII, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Dezember 2012, S. 1122 ff). Für den aktuellen Vergleichszeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 im Verhältnis zum vorausgehenden Vergleichszeitraum vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 hat das Statistische Bundesamt eine regelbedarfsrelevante Preisentwicklung von 4,7 % und eine Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer von 4,16 % ermittelt, woraus sich für den Mischindex eine für 2023 aufgrund der aktuellen gesetzlichen Vorgaben (§ 28 a SGB XII) zu berücksichtigende Veränderungsrate von 4,54 % ergibt (zu den konkreten Zahlen vgl. Regierungsentwurf Bürgergeld, S 137).“

 

 

Auch das LSG Baden-Württemberg hat im Ergebnis trotz der von ihm im oben zitierten Urteil vom 20.7.2022 (a. a. O.) festgestellten Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter seit Herbst 2021 im Ergebnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelbedarfshöhe (dort: Stufe 1 für Alleinstehende) im Zeitraum 1.10.2021 –  30.6.2022 gehegt. Dem schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung für die hier in Frage stehenden Regelbedarfsstufen 2, 5 und 6 an. Dies gilt sowohl für den Teil des streitbefangenen Zeitraums ab Herbst 2021 als auch erst recht –  allein schon aufgrund der damals noch wesentlich geringeren Teuerungsraten –  für die Monate von Mai 2020 bis September 2021. Denn die Kammer geht –  wie das LSG Baden-Württemberg - davon aus, dass der Gesetzgeber die wachsende Diskrepanz zwischen Regelsatzhöhe und Inflation -  soweit überhaupt erforderlich - in hinreichendem Umfang kompensiert hat.

 

Dieses gebotene zeitnahe Gegensteuern des Gesetzgebers bei Gefährdung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums z. B. aufgrund erheblicher und sprunghafter Preissteigerungen muss nach den Vorgaben des Bundeverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23.7.2014, Az. 1 BvL 10/12 - juris) nicht zwingend durch eine umgehende deutliche Erhöhung des monatlichen Regelbedarfs bzw. durch eine Systemänderung bei der Berechnungsmethode des Regelbedarfs erfolgen. Vielmehr gehört es zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum dazu, dass ein Ausgleich für erhebliche Preissteigerungen auch durch andere Instrumente geschaffen werden kann. Hierzu gehören beispielsweise Einmalzahlungen im Rahmen der Grundsicherung nach dem SGB II wie auch sonstige finanzielle Leistungen oder Entlastungen.

 

Auch in den hier streitbefangenen Zeiträumen profitierten die Kläger zusätzlich zum Regelbedarf bereits von diversen weiteren Sonderleistungen nach dem SGB II sowie aufgrund anderer Gesetze, die in Summe zu einer klaren finanziellen Entlastung der Familie führten. Die Kammer schließt sich daher der vom LSG Baden-Württemberg getroffenen Bewertung an, dass in Zusammenschau mit diesen weiteren Leistungen bzw. Entlastungen keine verfassungswidrige Unterschreitung des Existenzminimums der Klägerfamilie eingetreten ist; und zwar weder in dem unmittelbar angefochtenen Leistungszeitraum vom 1.5.2021 –  30.4.2022 noch in dem im Rahmen des § 44 SGB X zu überprüfenden vorausgegangenen Leistungszeitraum vom 1.5.2020 –  30.4.2021.

 

Die Kläger zu 1. und 2. erhielten im Mai 2021 eine Einmalzahlung in Höhe von je 150,00 €  zur Bestreitung der durch die COVID-19-Pandemie entstandenen Mehraufwendungen nach § 70 SGB II. Diese Einmalzahlung war nach der Intention des Gesetzgebers ausdrücklich zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen bestimmt, welche beispielsweise für den Kauf spezieller Hygieneprodukte und Gesundheitsartikel (insbesondere Coronavirus-Selbsttests und FFP2-Masken) entstanden sind (BT-Drs. 19/26542, S. 19).

 

Die Kläger zu 3. und 4. erhielten ferner einen Kinderfreizeitbonus von 100,00 €  pro Kind nach § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB II, der –  entgegen seiner Bezeichnung –  nicht zweckgebunden für Freizeitgestaltung verwendet werden musste, sondern zur freien Verfügung der Familien stand. 

 

Des Weiteren wurde für die Kläger zu 3. und 4. im Mai 2021  im Rahmen des Kindergelds ein einmaliger Kinderbonus nach § 66 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG in der Fassung vom Mai 2021 in Höhe von 150,00 €  ausgezahlt, der auf die Leistungen nach dem SGB II nicht angerechnet wurde.

 

Auch im Jahr 2022 hat der Gesetzgeber eine weitere Sonderzahlung für erwachsene Leistungsbezieher von nunmehr 200,00 €  vorsehen (§ 73 SGB II), die die Kläger zu 1. –  2. mittlerweile, vermutlich im Juli 2022, erhalten haben müssen. Auch diese dient zum Ausgleich der weiterhin aufgrund der COVID-19-Pandemie entstehenden Mehrkosten (BT-Drucksache 20/1411), aber auch zum Ausgleich der weiteren Preissteigerungen aufgrund anderer Ursachen, insbesondere der gestiegenen Energiepreise und aufgrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine seit Februar 2022 (BT-Drucksache 20/1768).

 

Für die Kläger zu 3. und 4., denen die Einmalzahlung nach § 73 SGB II nicht zusteht, weil sich ihr Bedarf nach den Regelbedarfsstufen 5 bzw. 6 bemisst, wird  dagegen eine Erhöhung des Regelbedarfs (Sofortzuschlag) nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB II von monatlich 20,00 €  ab Juli 2022 gewährt.

 

Schließlich wird für die Kläger zu 3. und 4. im Rahmen des Kindergeldes im Juli  2022 ein weiterer Bonus von einmalig 100,00 €  pro Kind nach § 66 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG gezahlt worden sein, der ebenfalls nicht auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet wurde.

 

Ferner hat der Gesetzgeber auch durch ein umfassendes Gesetzgebungsverfahren reagiert, welches inzwischen zum Inkrafttreten des Zwölften Gesetzes zur Änderung des SGB II –  Bürgergeldgesetz –  vom 16.12.2022 zum 1.1.2023 geführt hat. In diesem wurde der Regelbedarf erhöht (Regelbedarfsstufe 2 : jetzt 451,00 € ; Regelbedarfsstufe 5: jetzt 348,00 € ; Regelbedarfsstufe 6: jetzt 318,00 € ) und die zu erwartende regelbedarfsrelevante Preisentwicklung bei der Fortschreibung der Regelbedarfe stärker berücksichtigt.

 

Diese letztgenannten Fortentwicklungen trat en zwar erst nach Ablauf des jüngsten hier streitbefangenen Zeitraums in Kraft. Sie sind aber trotzdem für die Gesamtbewertung der gesetzgeberischen Reaktion auf die Teuerung der Jahre 2020 - 2022 mit zu berücksichtigen und im Ergebnis als ausreichend zu würdigen, da eine solche umfassende Reaktion im demokratischen Gesetzgebungsverfahren schlechterdings nicht „ von jetzt auf gleich“  erfolgen kann, sondern immer mit einigen Monaten Vorlauf verbunden ist.

 

In Zahlen ausgedrückt hatte die turnusmäßige Erhöhung der Regelsätze im Jahr 2020 für die Kläger noch einen vollen Inflationsausgleich geboten (Jahresinflationsrate 2020: 0,5 %). Ab dem Jahr 2021 profitierten die Kläger dann –  zusätzlich zu der ohnehin erfolgten turnusmäßigen Erhöhung der Regelsätze –  von weiteren Leistungen bzw. Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers. So standen im Ergebnis den Klägern zu 1. –  2. im Jahr 2021 zusätzlich zum Regelbedarf der Stufe 2 monatlich 12,50 €  mehr zur Verfügung, den Klägern zu 3. und 4. zusätzlich zum Regelbedarf der Stufe 5 bzw. 6 monatlich 20,83 € mehr. Dies entspricht einer Erhöhung um 3 % für die Kläger zu 1. und 2., 6,7 % für den Kläger zu 3. und 7,3 % für die Klägerin zu 4., was ebenfalls im Fall der Kläger zu 1. und 2. annähernd einem vollständigen Ausgleich der Jahresinflationsrate von 3,1 % entspricht und im Falle der Kläger zu 3. und 4. über einen vollen Inflationsausgleich sogar deutlich hinausgeht. Im Jahr 2022 erhöhten die Zusatzleistungen für die Kläger zu 1. und 2. (monatlich 16,66 €  mehr) die Leistungen um 4 %, für den Kläger zu 3. (monatlich 18,33 €  mehr) um 5,9 % und für die Klägerin zu 4. (monatlich ebenfalls 18,33 €  mehr) um 6,4 %. Diese Zahlen liegen zwar noch unterhalb der Gesamtteuerungsrate des Jahres 2022 von 7,9 %; gleichwohl ist aber selbst hierbei zu berücksichtigen, dass die Teuerung während der hier nur streitbefangenen ersten vier Monate des Jahres 2022 noch niedriger war (6,1%) und bei strenger Betrachtung nur die regelbedarfsrelevante Teuerungsrate (LSG Schleswig-Holstein, a. a. O.) ausschlag-gebend sein darf, nicht die Teuerung insgesamt, da diese auch Kosten einbezieht, die nicht Teil des Regelbedarfs nach dem SGB II bzw. SGB XII sind, wie etwa Kosten für Heizenergie oder für Ausgaben, die nicht zum Existenzminimum gehören.  

 

Vor diesem Hintergrund sind auch die –  extrem knappen -  Ausführungen der Klägerseite im Klageverfahren nicht geeignet, bei der Kammer Zweifel daran zu wecken, dass das Existenzminimum der Familie während der streitbefangenen Zeiträume noch gedeckt war. Die Klagebegründung beschränkt sich auf den pauschalen Verweis auf die allgemeinen Kostensteigerungen. Dass die Familie konkrete, spezifische Bedarfe, die Teil des soziokulturellen Existenzminimums sind, trotz entsprechender Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers nicht mehr decken konnte, ist nicht vorge-tragen.

 

Im Ergebnis können die Kläger zu 1. –  4. also weder aufgrund der einfachgesetzlichen Rechtslage noch aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen in den Zeiträumen vom 1.5.2020 –  30.4.2021 und 1.5.2021 –  30.4.2022 höheres Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach dem SGB II vom Beklagten erhalten, als dieser ihnen bereits bewilligt hat. Für den früheren der beiden Zeiträume hat der Beklagte insbesondere auch nicht das Recht unrichtig angewandt oder ist von einem fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen (§ 44 SGB X). Die mit der Klage angefochtenen Bescheide sind vielmehr rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klage war daher abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.

 

Die Berufung war vorsorglich zuzulassen. Das Gericht hält sie bereits nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG für ohnehin zulässig, weil laufende Leistungen für mehr als ein Jahr streitgegenständlich sind, selbst wenn der Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG –  die Kläger haben ihren Klageantrag nicht beziffert – unterschritten sein sollte. Darüber hinaus ist die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze nach § 20 SGB II in den Jahren 2020, 2021 und 2022 aber auch nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG von grundsätzlicher Bedeutung.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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