Nachträgliche Korrekturen von Befundberichten unterliegen der allgemeinen Beweiswürdigung.
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Außergerichtluche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die (vorläufige) Zahlung von Krankengeld.
Die Antragstellerin ist Versicherte der Antragsgegnerin. Sie erhielt seit 2019 Krankengeld von der Antragsgegnerin aufgrund orthopädischer Beschwerden (Folgen einer Fraktur des Beines). Mit Bescheid vom 25.05.2021 stellte die Antragsgegnerin fest, dass die Antragstellerin aufgrund dieser Erkrankung die Höchstbezugsdauer am 19.06.2021 erreicht habe. Ihr Krankengeldanspruch ende mit diesem Tag. Einen Rechtsbehelf legte die Antragstellerin dagegen nicht ein.
Die Antragstellerin befand sich vom 29.07.2021 bis 23.09.2021 in stationärer Behandlung wegen psychischer Beschwerden. Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin telefonisch mit, sie sei ab 29.07.2021 arbeitsunfähig erkrankt und dies werde länger dauern. Sie legte eine Erstbescheinigung für Arbeitsunfähigkeit vom 08.10.2021 von S. für den Zeitraum 08.10.2021 bis 25.10.2021 mit den Diagnosen F33.1 G und F43.1 G vor. In der Folgezeit wurden weitere AU-Bescheinigungen, nun ausgestellt von der behandelnden Fachärztin, mit gleichen Diagnosen ausgestellt. Die Antragstellerin befragte den behandelnden Orthopäden zum Stand der orthopädischen Erkrankung. Dieser gab im Schreiben vom 11.10.2021 an, es habe deshalb auch nach Ablauf der Höchstbezugsdauer des Krankengeldes weiterhin Behandlungsbedürftigkeit und dem Grunde nach Arbeitsunfähigkeit bestanden. Aufgrund dieser Erkrankung wurden weiterhin Heilmittelverordnungen ausgestellt. Der Akte der Antragsgegnerin liegt eine Zusammenfassung der AU-Zeiten der Antragstellerin bei. Darin enthalten sind auch AU-Bescheinigungen mit F-Diagnosen (F32.1, F45.40) in den Jahren 2019 und 2020.
Nach Auskunft des Arbeitgebers der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin hatte die Antragstellerin vom 21.06.2021 bis 18.07.2021 Urlaub, vom 19.07.2021 bis 27.07.2021 Freizeitausgleich und am 28.07.2021 hat sie gearbeitet. Sie habe allerdings praktisch keine Arbeitsleistung erbracht.
Im Dezember 2021 bewilligte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine Psychotherapie.
Mit Bescheid vom 24.04.2022 lehnte die Antragsgegnerin die Zahlung von Krankengeld ab 29.07.2021 ab. Die orthopädischen Diagnosen seien auch weiterhin dem Grunde nach AU-begründend. Damit sei die psychische Erkrankung hinzugetreten. Diese führe nicht zu einer Verlängerung des Krankengeldanspruches. Vielmehr liege ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB V vor. Hiergegen legte die Antragstellerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Widerspruch ein. Es liege kein Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB V vor. Sie legte ein Attest des behandelnden Orthopäden vor. Dieser bestätigt nun, dass die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der orthopädischen Diagnosen am 21.06.2021 endete und die Behandlung abgeschlossen sei. Der Fragebogen der Antragsgegnerin sei "von einer Helferin falsch angekreuzt" worden. Außerdem wird ein Arztbericht des C. (stationäre Behandlung ab 29.07.2021) vorgelegt. Danach bestehe kein Zusammenhang zwischen der akut-stationären psychosomatischen Behandlung und den orthopädischen Vorerkrankungen.
Mit Schriftsatz vom 31.10.2022 stellte die Antragstellerin den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
Der Vorsitzende wies mit Schreiben vom 17.11.2022 darauf hin, dass der gesamte zeitliche Ablauf, insbesondere die Verordnung der stationären Behandlung bereits im April 2021und der einzige Arbeitstag unmittelbar am Tag vor der geplanten Aufnahme am 29.07.2021 eher darauf hindeuten, dass die psychische Erkrankung zur orthopädischen Erkrankung hinzugetreten ist und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem auch die orthopädische Erkrankung noch Arbeitsunfähigkeit begründet. Auf den Hinweis wird konkret Bezug genommen.
Die Antragstellerin führte daraufhin aus, dass die Aufnahme am 29.07.2021 sich erst kurzfristig ergab. Die Aufnahme sei eigentlich für einen späteren Zeitpunkt geplant gewesen. Die Antragstellerin entband daraufhin die Medizinische Klinik und Poliklinik IV der LMU von der Schweigepflicht. Gleichzeitig legt sie den Befundbericht vom 01.03.2021 vor. Bei der Antragstellerin liege eine rezidivierende Depression vor sowie Teilsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung vor. Die Indikation für eine stationäre Psychotherapie sei gegeben.
Der Vorsitzende erhielt seitens der LMU lediglich den Befundbericht und die Angabe, es sei keine AU-Bescheinigung ausgestellt worden. Die Frage nach der Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach im März 2021 wurde nicht beantwortet.
Nach weiteren richterlichen Hinweis vom 09.02.2023 entband die Antragstellerin auch den C. von der Schweigepflicht. Auch auf diesen Hinweis wird konkret Bezug genommen. Der Vorsitzende hat einen Befundbericht eingeholt. In der Anamnese wird der Zustand der Antragstellerin bei Aufnahme beschrieben. Beschrieben werden u.a. eine depressive Symptomatik, Alpträume, Burnout-Symptomatik durch Überlastung im Beruf. Auch der weitere Verlauf der Behandlung wird beschrieben. Auf weitere Nachfrage durch den Vorsitzenden gab die Klinik auch eine Einschätzung zur Arbeitsfähigkeit bei Aufnahme ab. Die Antragstellerin sie arbeitsunfähig angereist. Es sei daher unwahrscheinlich, dass die am Vortag der Aufnahme arbeitsfähig gewesen sei.
Die Antragstellerin kündigte daraufhin an, sie werde einen korrigierten Bericht der Klinik vorlegen. Während des stationären Aufenthaltes habe sich die depressive Symptomatik verschlechtert und die posttraumatische Belastungsstörung sei eine Neudiagnose. Bei der Aufnahme sei die Antragstellerin arbeitsfähig gewesen. Erst während des Aufenthaltes sei ihr die Tragweite der depressiven Symptomatik bewusstgeworden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihr Krankengeld ab 31.10.2022 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin hält beide korrigierte Befundberichte für nicht glaubhaft.
II.
Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz erst ab Antragstellung bei Gericht am 31.10.2022 begehrt. Der entsprechende Hinweis des Vorsitzenden wurde aufgegriffen.
Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Wege einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG nur dann begründet, wenn "eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint".
Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen allerdings nicht isoliert nebeneinander, sondern es besteht eine Wechselbeziehung in der Weise, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und -grund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. zum Ganzen: Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage, § 86b, Rn. 27 und 29 m.w.N.).
Bei Auslegung und Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes [GG]) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich in nicht wieder gut zu machender Weise verletzen könnte. Ferner muss das Gericht ggfs. auch im Sinne einer Folgenabwägung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde.
Anordnungsanspruch wie -grund müssen gemäß § 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft sein. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte sowie darauf, dass nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes notwendig ist (vgl. § 23 Abs. 1 S. 2 SGB X; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., Rn. 16 b, 16 c). Die Antragstellerin hat den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat den Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht gemäß § 46 Satz 1SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.
Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin ab 29.07.2021 einen neuen Anspruch auf Krankengeld aufgrund der Diagnosen F33.1 G und F43.1 G hat. In der Gesamtschau der Befundberichte und des zeitlichen Ablaufes ist es zumindest ebenso wahrscheinlich, dass es sich dabei um eine hinzugetretene Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB V handelt und der Anspruch auf Krankengeld am 19.06.2021 endete. Hinzutreten in diesem Sinn liegt vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Ersterkrankung (hier: die orthopädische Erkrankung) unabhängig von dieser Krankheit eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt (vgl. BSG vom 08.11.2005 - B 1 KR 27/04 R, Rn. 16).
Es ist schon nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin aufgrund der orthopädischen Erkrankung am 19.06.2021 endete. So bestätigte der behandelnde Orthopäde auch zunächst gegenüber der Antragstellerin die weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit. Die Korrektur dieser Angabe ist auch nicht vollständig plausibel. Dass ein Schreiben einer Krankenkasse, in dem es explizit um eine medizinische Einschätzung geht (liegt weiterhin Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach vor) von einer Helferin ohne Rücksprache angekreuzt wird, ist wenig wahrscheinlich. Das Schreiben wurde auch vom behandelnden Arzt unterschrieben und es wurde der Passus "bestand weiterhin Behandlungsbedürftigkeit, die dem Grunde nach Arbeitsunfähigkeit begründet hätte" unterstrichen. Die Korrektur ist auch nicht vollständig schlüssig. So wird mit keinem Wort beschrieben, worin die Heilung am 19.06.2021 bestanden haben soll. Welcher Behandlungserfolg wurde genau an diesem Tag erreicht? Die Korrektur ist auch insoweit falsch, als über den 19.06.2021 hinaus Behandlungsbedürftigkeit insgesamt verneint wird. Es wurden nachweislich auch nach dem 19.06.2021 Heilmittelverordnungen zur Behandlung ausgestellt. Die Frage, ob nach dem 19.06.2021 weiterhin eine orthopädische Erkrankung vorlag, die dem Grunde nach Arbeitsunfähigkeit begründete, kann abschließend nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Derzeit ist die Frage offen.
Ebenso ist offen, ab welchem Zeitpunkt die psychische Erkrankung dem Grunde nach Arbeitsunfähigkeit begründete. Es ist in der Gesamtschau der Befundberichte nicht überwiegend wahrscheinlich, dass diese erst im Laufe der stationären Behandlung am 29.07.2021 in einem Umfang vorlag, der auch Arbeitsunfähigkeit begründete. Der korrigierte Bericht des C. ist dabei im Rahmen der vorliegenden sonstigen Befundberichte zu würdigen. Die Beschreibung, erst die Selbsteinsicht im Rahmend er stationären Behandlung habe zur Arbeitsunfähigkeit geführt, ist nicht vollständig plausibel. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass bereits in den Jahren zuvor vereinzelt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit F-Diagnosen vorlagen. Hinzu kommt der Befundbericht der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV der LMU. Bereits im März 2021 lag eine rezidivierende Depression vor sowie Teilsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Indikation für eine stationäre Psychotherapie war gegeben. Insoweit ist die posttraumatische Belastungsstörung jedenfalls nicht vollständig neu erst im Rahmen der stationären Behandlung aufgetreten. Hinzu kommt, dass bereits in der Anamnese des Befundberichtes des C. die Burnout-Symptomatik, die Überlastung im Beruf beschrieben werden. Es ist damit auch bei noch unzureichender Selbsteinsicht zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme mindestens ebenso wahrscheinlich, dass die Antragstellerin vor der stationären Aufnahme nur arbeiten konnte mit der Gefahr, ihren gesundheitlichen Zustand zu verschlimmern. Auf den richterlichen Hinweis vom 02.05.2023 wird verwiesen. Die Ermittlung, ab wann die offenkundig bereits länger andauernde psychische Erkrankung auch zur Arbeitsunfähigkeit führte, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der Vorsitzende hat auch Bedenken im Hinblick auf den Anordnungsgrund. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dieser aufgrund der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes in der Regel besteht. Hier ist allerdings zu beachten, dass die Antragstellerin den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erst über ein Jahr nach dem von ihr behaupteten Beginn des neuen Krankengeldanspruches gestellt hat und auch für diesen Anspruch die Höchstbezugsdauer am 25.01.2023 abgelaufen wäre. Somit kommt allenfalls die eine vorläufige Leistung von etwa 3 Monaten Krankengeld für den Zeitraum November 2022 bis Januar 2023 in Betracht. Die Antragstellerin hat keine Gründe vorgetragen, weshalb die Leistung für drei Monate für einen mittlerweile in der Vergangenheit liegenden Zeitraum besonders dringend sei soll und das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sein soll.
Da weder eine besondere Dringlichkeit glaubhaft gemacht wurde noch sonstige besondere Umstände vorgetragen wurden, kommt auch eine vorläufige Leistung ausschließlich für die Vergangenheit für etwa drei Monate allein aufgrund einer Güterabwägung nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.