Die ärztliche Empfehlung einer hochkalorischen und vermehrten Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit stellt eine Verhaltensvorschrift dar, die im Modul 5 beim Kriterium 5.16 (Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften) zu berücksichtigen ist.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung von Pflegegrad 2 über den 31.07.2018 hinaus streitig.
Die am 14.01.2017 geborene Klägerin und Berufungsklägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet an einer angeborenen Stoffwechselerkrankung (Mukoviszidose).
Auf ihren Antrag auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung vom 11.07.2017 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK, jetzt Medizinischer Dienst - MD), der im Gutachten vom 18.09.2017 nach einem Hausbesuch insgesamt 20 gewichtete Punkte ermittelte - allesamt im Modul 5, wo 7 Einzelpunkte festgestellt wurden. Pflegebegründende Diagnose sei eine zystische Fibrose. Die Voraussetzungen für Pflegegrad 2 lägen seit dem 01.07.2017 vor.
Die Beklagte teilte daraufhin dem gesetzlichen Vertreter der Klägerin mit Bescheid vom 12.10.2017 mit, der MDK habe festgestellt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für den Pflegegrad 1 vorlägen. Kinder würden jedoch bis zum vollendeten 18. Lebensmonat aufgrund ihrer noch natürlichen Unselbständigkeit pauschal einen Pflegegrad höher eingestuft als Kinder nach dem 18. Lebensmonat. Die Beklagte zahle deshalb in der Zeit vom 01.07.2017 bis 31.07.2017 für die Klägerin ein Pflegegeld nach Pflegegrad 2. Nach Vollendung des 18. Lebensmonats habe die Klägerin Anspruch auf Pflegeleistungen nach Pflegegrad 1. Hierüber werde im Juni 2018 ein neuer Bescheid erteilt werden.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19.06.2018 teilte die Beklagte mit, dass ab dem 01.08.2018 Pflegeleistungen nach Pflegegrad 1 für die Klägerin gewährt würden.
Dagegen erhoben die gesetzlichen Vertreter der Klägerin Widerspruch und machten geltend, dass bei der Klägerin mindestens Pflegegrad 2 festgestellt werden müsse. Die Stoffwechselerkrankung erfordere im hohen Maße die Vermeidung von Keimen durch sorgfältigste Hygiene, weshalb die Körperpflege sehr aufwändig sei. Auch im Bereich der Ernährung bestehe ein hoher zeitlicher Bedarf, da die Erkrankung der Klägerin geprägt sei durch eine schlechte Verwertung der Nahrung. Es müsse daher eine hochkalorische Nahrungsaufnahme gewährleistet werden unter Beigabe von Kreon, welches die Aufnahme der Nährstoffe sicherstelle. Dies erfordere eine äußerste Motivierung und verlange der Pflegeperson ein hohes Maß an Geduld ab. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz sei ebenfalls gegeben, insbesondere verlangten das mehrmalige Inhalieren und die kalorienreiche Nahrungsaufnahme der Klägerin in ihrem noch sehr jungen Alter große Verantwortung ab, so dass es täglich zu aggressivem Verhalten durch Schmeißen von Gegenständen komme. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung von Frau W vom 20.11.2018.
Der MDK stellte in seinem Gutachten vom 07.03.2019 nach einem weiteren Hausbesuch bei der Klägerin erneut insgesamt 20 gewichtete Punkte fest, die im Modul 5 bei 10 Einzelpunkten ermittelt wurden. Berücksichtigt wurde hier u.a. das Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften.
Die Beklagte wies den Widerspruch sodann mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2019 zurück.
Dagegen haben die gesetzlichen Vertreter der Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und ein Pflegeprotokoll vom 07.03.2019 vorgelegt. Außerdem ist ein Arztbericht des Krankenhauses J vom 20.11.2018 in Vorlage gebracht worden, in dem es heißt: "Außerdem ist auf eine regelmäßige kalorienreiche Nahrung zu achten, die jeweils - eigens für den in der jeweiligen Mahlzeit berechneten Fettgehalt - eine Gabe von Pankreasfermenten (gleichmäßig verteilt auf die Mahlzeit) bedarf".
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte S (Kinderärztin) und W (pädiatrische Pneumologin) eingeholt und sodann die Pflegesachverständige G um Erstellung eines Gutachtens im Wege eines Hausbesuchs gebeten.
In ihrem Gutachten vom 28.10.2019 ermittelte die Sachverständige 20 gewichtete Punkte, die sämtlich im Modul 5 bei 7 Einzelpunkten festgestellt wurden. Zum Item 4.8 (Essen) in Modul 4 wird ausgeführt, dass ein altersentsprechend entwickeltes Kind wie die Klägerin als selbständig gelte. Die Klägerin habe sowohl im Zeitpunkt ihres Hausbesuchs als auch bei Antragstellung die Voraussetzungen des Pflegegrades 1 erfüllt.
Die Eltern der Klägerin haben vorgetragen, dass die Erforderlichkeit der Einnahme hochkalorischer Kost nicht im Modul 5 unter Punkt 5.16, sondern im Modul 4 unter Punkt 4.8. zu verorten und als unselbstständig zu werten sei. Nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sei auch das Erkennen der Notwendigkeit der ausreichenden Nahrungsaufnahme (auch ohne Hungergefühl oder Appetit) bzw. die Einsicht der tatsächlichen Essenseinnahme der empfohlenen, gewohnten Menge relevant. Ein Kind ab 18 Monaten habe nicht die Einsichtsfähigkeit, dass die zubereitete Mahlzeit, mit genau abgestimmter Dosierung des Medikaments Kreon, vollständig zu verzehren sei.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2020 abgewiesen. Aufgrund der im Wesentlichen übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen G und der im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des MDK sei zur Überzeugung des Gerichts die erforderliche Summe der gewichteten Gesamtpunkte von mindestens 27 bei der Klägerin nicht erreicht. In allen vorliegenden Gutachten seien im Modul 5 (Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) 20 gewichtete Punkte und damit die Höchstpunktzahl vergeben worden. In allen anderen Modulen sei der Klägerin eine altersentsprechende Entwicklung bescheinigt worden.
Die bei der Klägerin notwendige hochkalorische Ernährung mit der Zugabe von Kreon und Vitaminen sowie die Einhaltung von fünf Mahlzeiten am Tag falle unter eine ärztlich angeordnete Nahrungszufuhr im Sinne des Items 4.5.16 der Begutachtungsrichtlinie. Einzelpunkte bzw. gewichtete Punkte im Modul 4 (Selbstversorgung) im Item 4.8 (Essen) seien nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin mundgerecht zubereitete Speisen wie Fingerfood selbstständig essen könne und auch das Essen mit einem Löffel möglich sei.
Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Ihre gesetzlichen Vertreter haben erneut geltend gemacht, dass die Bewertung des Hilfebedarfs bei der Nahrungsaufnahme fehlerhaft im Modul 5 berücksichtigt worden sei. Das SG habe sich nicht mit der Einsichtsfähigkeit der Klägerin im Hinblick auf die Notwendigkeit der ausreichenden Nahrungsaufnahme auseinandergesetzt.
Im Erörterungstermin am 23.03.2021 hat der Vater der Klägerin bekräftigt, dass die Aufnahme der ärztlich angeordneten erhöhten Kalorienzufuhr nach seiner Auffassung keine Frage einer einzuhaltenden Diät sei und damit nicht im Modul 5 (4.5.16), sondern als Bestandteil der Grundversorgung im Modul 4 (4.4.8) zu berücksichtigen sei.
Die behandelnde Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin W führt mit ärztlicher Stellungnahme vom 12.04.2021 aus, dass Patienten mit Mukoviszidose einen deutlich erhöhten Energiebedarf hätten. Aufgrund der Pankreasinsuffizienz könnten die Nährstoffe bei der Klägerin nur durch zusätzliche Einnahme von Pankreas- (Bauchspeicheldrüsen-) fermenten resorbiert werden. D.h. die Eltern müssten den Fettgehalt der jeweiligen Nahrung berechnen und die entsprechende Menge an Pankreasferment in Kapselform oder als Granulat verteilt auf die gesamte Mahlzeit verabreichen und sicherstellen, dass diese Medikamente zuverlässig eingenommen würden. Die erhöhte Energiezufuhr gehöre zur Grundversorgung "Essen", es handele sich nicht um eine Diät.
Die Beklagte hat dazu ausgeführt, dass in der fachärztlichen Stellungnahme vom 12.04.2021 detailliert beschrieben werde, welche Verhaltensvorschriften die Klägerin im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme/Ernährung zu beachten habe. Die von W dargestellten Verhaltensvorschriften seien daher im Modul 5 Item 16 "Einhaltung einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften" zu erfassen.
Der Senat hat sodann den Internisten, Sozialmediziner und Ernährungsmediziner W1 um Erstellung eines Gutachtens gebeten. In seinem Gutachten vom 06.11.2021 bestätigt der Sachverständige das Vorliegen von Pflegegrad 1 bei insgesamt 20 gewichteten Punkten (allesamt im Modul 5). Die mittlerweile vierjährige Klägerin habe sich altersentsprechend entwickelt, ihr könne eine unauffällige motorische Entwicklung attestiert werden, auch die kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten seien als altersgerecht zu beurteilen, so dass in den Modulen 1 und 2 keine Punkte festgestellt werden könnten.
Im Modul 3 seien auch unter Berücksichtigung des von den Eltern beschriebenen Abwehrverhaltens der Klägerin - da altersadäquat - keine Einzelpunkte zu vergeben, dies auch bei Berücksichtigung der minderen Einsicht und des fehlenden Durchhaltevermögens der Klägerin bei der medizinischen Inhalation oder Physiotherapie. Das Verhalten der Klägerin sei insoweit nicht als Abwehr einer pflegerischen Maßnahme zu werten, weil es sich um die willentliche Ablehnung bestimmter Maßnahmen handele. Auch das Werfen von Gegenständen oder das Schubsen der Schwester könne hier nicht berücksichtigt werden.
Im Modul 4 fänden sich keine Einschränkungen im vorgegebenen Sinne, weil die Klägerin eine normale motorische und geistige Entwicklung aufweise. Die Notwendigkeit einer hochkalorischen Nahrung und die damit verbundene Aufforderung und Motivation durch die Eltern könne hier nicht berücksichtigt werden. In den Vorgaben werde explizit darauf hingewiesen, dass zu bewerten sei, ob das Kind die jeweilige Aktivität praktisch durchführen könne.
In Modul 5 würden - wie in den vorangegangenen Begutachtungen auch - 10 Einzelpunkte und damit 20 gewichtete Punkte erreicht. Im Modul 6 könnten wegen der altersentsprechenden Entwicklung der Klägerin keine Punkte festgestellt werden.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.2022 hat W1 zum Abwehrverhalten der Klägerin in Bezug auf pflegerische oder unterstützende Maßnahmen erläutert, dass es sich nicht um ein pathologisches Abwehrverhalten handele, sondern um eine altersadäquate kindlich-willentliche Ablehnung in der altersentsprechenden Autonomiephase. Die Empfehlung einer hochkalorischen und vermehrten Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit sei als Verhaltensvorschrift zu interpretieren und dürfe nicht im Modul 4, sondern müsse im Modul 5 Berücksichtigung finden.
W gab am 03.02.2022 eine weitere Stellungnahme ab, in der sie ausführt, dass eine ärztlich verordnete Diät oder Verhaltensvorschrift nicht vorliege, weil der Klägerin hinsichtlich der Art und Menge der Lebensmittel wie auch der Art und dem Zeitpunkt der Aufnahme keine Vorgaben gemacht würden.
Auf Antrag der Klägerseite nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten des Sozialmediziners H eingeholt. Dieser kommt in seinem Gutachten vom 02.05.2022 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin aktuell mit insgesamt 41,25 gewichteten Punkten Pflegegrad 2 vorliege. Wie die Vorgutachten ermittelte er in den Modulen 1, 2 und 6 keine Punkte. Im Modul 3 könne jedoch aufgrund des Abwehrverhaltens der Klägerin beim Inhalieren im Item 3.8 ein pflegeabwehrendes Verhalten täglich gewertet werden, was zu 5 Einzelpunkten und damit zu 11,25 gewichteten Punkten führe. Im Modul 4 seien die Kriterien Essen (4.8) und Trinken (4.9) als überwiegend selbständig zu werten, weil die Klägerin der Aufforderung und Motivation zur ausreichenden und der Krankheit entsprechenden Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bedürfe. Dies führe zu 3 bzw. 2 (insgesamt also 5) Einzelpunkten und damit zu 10 gewichteten Punkten. Im Modul 5 stellt er wie die Vorgutachter insgesamt 20 gewichtete Punkte fest.
Der MD hat mit sozialmedizinischer Stellungnahme vom 06.07.2022 ausgeführt, dass das Abwehrverhalten der Klägerin beim Inhalieren definitiv nicht als krankhaft angesehen werden könne und daher nicht im Modul 3 zu berücksichtigen sei. Nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sei zu differenzieren zwischen alterstypischen Reaktionen und solchen, die Folgen eines psychischen Gesundheitsproblems seien. Der Klägerin sei durchgehend eine altersgerechte Entwicklung bescheinigt worden, über eine psychische Problemlage des Mädchens werde nicht berichtet. Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sei eine Einschränkung der Selbständigkeit und Fähigkeiten nur dann berücksichtigungsfähig, wenn eine kognitive oder psychische Beeinträchtigung vorliege.
Auch dem abweichenden Ergebnis des H im Modul 4 könne nicht gefolgt werden könne, da es sich bei der Anleitung zu einer erhöhten Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr um eine therapiebedingte Verhaltensvorschrift im Sinne des Kriteriums 5.16 im Modul 5 handele. Eine Wertung im Modul 4 könne nicht vorgenommen werden. Dort sei im Rahmen des Kriteriums 4.8 zu beurteilen, ob das Kind in der Lage sei selbständig zu essen und eine altersentsprechende Nahrungsmenge aufzunehmen. Dies sei der Klägerin bei nachweislich altersgerechter motorischer und kognitiver Entwicklung möglich. Wenn zusätzlich zur Grunderkrankung eine Schluckstörung etc. vorläge und das Kind auch eine altersentsprechende Nahrungsmenge nicht selbständig zu sich nehmen könne oder aufgrund einer psychisch bedingten Essstörung nicht zu sich nehmen würde, könne eine Wertung im Kriterium 4.8 vorgenommen werden. Das sei bei der Klägerin aber nicht der Fall.
Mit Stellungnahme vom 14.08.2022 hat H seine im Gutachten von 02.05.2022 geäußerte Einschätzung korrigiert und ausgeführt, dass das Abwehrverhalten der Klägerin bei den Inhalationen tatsächlich nicht im Modul 3 berücksichtigt werden könne.
Er bleibe jedoch bei seiner Auffassung, dass im Modul 4 bei den Kriterien 4.8 (Essen) und 4.9 (Trinken) eine überwiegende Selbständigkeit der Klägerin zu werten sei. Die Klägerin habe keine konkreten Essvorschriften zu beachten, es seien weder die Art und Menge der Lebensmittel noch die Art und der Zeitpunkt der Aufnahme aus therapeutischen Gründen geregelt. Damit seien aktuell lediglich 30 gewichtete Punkte zu ermitteln, wobei weiterhin der Pflegegrad 2 vorliege.
Die im Modul 4 festgestellten 10 gewichteten Punkte ließen sich jedoch erst ab einem Lebensalter von über zweieinhalb Jahren feststellen, da nach den Begutachtungsrichtlinien alle Kinder bis zum Alter von zweieinhalb Jahren in Bezug auf das Essen als überwiegend selbständig gelten, so dass auch für die Klägerin bis zum Alter von zweieinhalb Jahren keine Punkte daraus resultieren könnten. Für die Zeit vom 01.08.2018 bis 14.07.2019 seien damit insgesamt 20 gewichtete Punkte und damit Pflegegrad 1 festzustellen. Für die Zeit ab dem 15.07.2019 bis aktuell werde im Hinblick auf die ermittelten 30 Gesamtpunkte Pflegegrad 2 empfohlen.
Der MD hat hierzu mit Stellungnahme vom 06.10.2022 ausgeführt, dass bei der Diagnosestellung Mukoviszidose alle Pflegepersonen und altersentsprechend auch die erkrankten Kinder gezielt geschult würden, um einen milden Verlauf der Erkrankung sicherzustellen. Die Aufforderung zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme über das übliche Maß hinaus bei krankheitsbedingtem Mehrbedarf an Kalorien und Flüssigkeit sei eine krankheitsbedingte Verhaltensvorschrift. Die Klägerin müsse über das eigentliche Hungergefühl und die einem gesunden Kind empfohlene Menge hinaus essen und trinken. Daher sei eine Anerkennung im Modul 4 nicht möglich.
Die gesetzlichen Vertreter der Klägerin beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 06.05.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 19.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 zu verurteilen, der Klägerin über den 31.07.2018 hinaus Pflegegeld nach Pflegegrad 2 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der Beklagten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist seit dem 01.08.2018 dem Pflegegrad 1 zuzuordnen, die Voraussetzungen für den Pflegegrad 2 liegen nicht vor. Auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Auch unter Würdigung der im Berufungsverfahren eingeholten weiteren Gutachten steht für den Senat insbesondere aufgrund des überzeugend begründeten Gutachtens des W1 fest, dass die in jeder Hinsicht altersgerecht entwickelte Klägerin seit dem 01.08.2018 lediglich die Voraussetzungen für den Pflegegrad 1 erfüllt.
Für den Zeitraum 01.08.2018 bis 14.07.2019 gehen sämtliche Gutachter übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen für den Pflegegrad 2 nicht erfüllt waren. Soweit der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige H in seinem Gutachten vom 02.05.2022 unter Berücksichtigung des Abwehrverhaltens der Klägerin beim Inhalieren im Modul 3 das Vorliegen von Pflegegrad 2 auch für diesen Zeitraum festgestellt hatte, hat er sich mit Stellungnahme vom 14.08.2022 korrigiert und nun zutreffend ausgeführt, dass das Abwehrverhalten der Klägerin nicht im Modul 3 berücksichtigt werden kann. Er ist somit - in Übereinstimmung mit allen Vorgutachtern - zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin bis zum Alter von zweieinhalb Jahren nur 20 gewichtete Punkte, die sämtlich im Modul 5 festzustellen waren, berücksichtigt werden können und daher bis zum 14.07.2019 lediglich Pflegegrad 1 vorlag. Die Gutachtenslage ist damit für die Zeit bis einschließlich 14.07.2019 eindeutig. Stichhaltige Einwände sind insoweit von der Klägerseite nicht vorgetragen worden.
Nach Überzeugung des Senats erfüllt die Klägerin aber auch für die Zeit ab dem 15.07.2019 nicht die Voraussetzungen für den Pflegegrad 2. Er folgt insoweit den Feststellungen der gerichtlich gehörten Sachverständigen W1 und G sowie den Ausführungen des MD, wonach bei der Klägerin seit dem 01.08.2018 bis aktuell lediglich 20 gewichtete Punkte zu ermitteln sind.
Uneinigkeit besteht im Wesentlichen hinsichtlich der Frage, ob die Motivation und Unterstützung, welche die Klägerin im Zusammenhang mit der krankheitsbedingt erhöhten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme benötigt, im Rahmen des Moduls 4 bei den Kriterien 4.8 (Essen) und 4.9 (Trinken) zu berücksichtigen sind oder im Rahmen des Moduls 5 beim Kriterium 5.16 (Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften).
In den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungsrichtlinien) wird im Modul 4 zum Kriterium 4.8 ausgeführt:
"Dies beinhaltet das Aufnehmen, zum-Mund-Führen, gegebenenfalls Abbeißen, Kauen und Schlucken von mundgerecht zubereiteten Speisen, die üblicherweise mit den Fingern gegessen werden, zum Beispiel Brot, Kekse, Obst oder das Essen mit Gabel oder Löffel, gegebenenfalls mit speziellen Hilfsmitteln wie adaptiertem Besteck.
Zu berücksichtigen ist auch, inwieweit die Notwendigkeit der ausreichenden Nahrungsaufnahme (auch ohne Hungergefühl oder Appetit) erkannt und die empfohlene, gewohnte Menge tatsächlich gegessen wird. Das Einhalten von Diäten ist nicht hier, sondern unter 4.5.16 zu bewerten."
Aus den Begutachtungsrichtlinien ergibt sich ferner, dass bei Kindern in der Bewertung allein die Abweichung von der Selbständigkeit und den Fähigkeiten altersentsprechend entwickelter Kinder zugrunde gelegt wird (Begutachtungsrichtlinien Kapitel 5, Seite 106).
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.09.2017, B 3 P 3/16 R - juris Rn. 22) kommt den Begutachtungsrichtlinien zwar kein Rechtssatzcharakter zu, sie entfalten aber eine gewisse Bindungswirkung auch im Außenverhältnis zu den Versicherten, indem sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten sind.
Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass sich die inzwischen fünfjährige Klägerin altersentsprechend entwickelt hat. Dies gilt grundsätzlich auch in Bezug auf das Essen und Trinken. W1, Frau G und der MD haben daher völlig plausibel festgestellt, dass die Klägerin die Aktivitäten des Essens und Trinkens altersentsprechend und damit selbständig ausführen kann.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Rahmen der Kriterien 4.8 und 4.9 zudem zu berücksichtigen ist, inwieweit die Notwendigkeit der ausreichenden Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme (auch ohne Hungergefühl oder Durst) erkannt und die empfohlene, gewohnte Menge tatsächlich gegessen oder getrunken wird. Denn insoweit ist - wie der MD in seiner Stellungnahme vom 06.07.2022 zutreffend ausgeführt hat - die altersentsprechende Nahrungsmenge für ein gesundes Kind gemeint. Anhaltspunkte dafür, dass die Fähigkeit der Klägerin, ihrem Alter gemäß die Notwendigkeit einer altersentsprechenden Nahrungsaufnahme zu erkennen, eingeschränkt sein könnte, bestehen nicht. Dies wird auch weder von den Eltern der Klägerin noch vom Sachverständigen H behauptet.
Soweit H der Meinung ist, dass im Rahmen der Kriterien 4.8 und 4.9 auch zu berücksichtigen sei, ob die Notwendigkeit einer ausreichenden Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, die krankheitsbedingt höher ist als bei gesunden Gleichaltrigen, erkannt und auch umgesetzt wird, überzeugt dies nicht. Denn das Kriterium 4.8 enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass das Einhalten von Diäten nicht hier, sondern im Modul 5 beim Kriterium 5.16 zu bewerten ist. Der Senat teilt die Auffassung von W1, Frau G und des MD, dass es sich bei der ärztlichen Empfehlung einer hochkalorischen und vermehrten Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit um eine Verhaltensvorschrift handelt, die im Modul 5 beim Kriterium 5.16 (Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften) zu berücksichtigen ist.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.