Ein Widerspruch ist grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig und wird auch nicht dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt später ergeht. In diesen Fällen ist vielmehr erneut Widerspruch einzulegen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.11.2022, S 28 KA 306/21, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Die Kosten der übrigen Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten über die Nachbesetzung eines vollen Vertragsarztsitzes für Urologie in M. Der Beklagte hatte den Widerspruch des Klägers gegen den für ihn negativen Beschluss des Zulassungsausschusses als unzulässig verworfen.
Der Kläger ist seit 04.12.1978 approbiert und seit 11.10.1989 Facharzt für Urologie. Er war vom 01.01.1991 bis 30.06.2020 zur vertragsärztlichen Versorgung in M zugelassen. Seit dem 01.07.2020 arbeitet er im Rahmen eines Jobsharings in der urologischen Praxis seines Sohnes.
Der Beigeladene zu 1. ist seit dem 19.05.2010 approbiert und seit dem 01.03.2016 Facharzt für Urologie. In der Zeit vom 01.01.2020 bis 31.03.2021 war er angestellter Arzt in der U, ab dem 01.01.2021 bis 31.03.2021 zugleich auch mit hälftigem Versorgungsauftrag in der bisherigen (Einzel-) Praxis des Beigeladenen zu 2. tätig.
Der Beigeladene zu 2. ist seit dem 28.03.1991 approbiert und seit dem 06.05.1998 Facharzt für Urologie. Er ist seit dem 01.01.2000 zur vertragsärztlichen Versorgung in M zugelassen.
Der Zulassungsausschuss (ZA) gab mit Beschluss vom 07.12.2020 dem Antrag des Beigeladenen zu 2. auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens statt. Die beigeladene KVB schrieb daraufhin den vollen Vertragsarztsitz im Bayerischen Staatsanzeiger aus.
Innerhalb der Bewerbungsfrist bewarben sich sowohl der Kläger (Zulassung für den Vertragsarztsitz W Platz, M) als auch der Beigeladene zu 1. (Teilzulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag und zugleich die Genehmigung zur Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. am Vertragsarztsitz W Platz, M mit einem Beschäftigungsumfang von 20 Wochenstunden) auf den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz.
Mit Beschluss vom 15.03.2021 aus der Sitzung vom gleichen Tag ließ der Zulassungsausschuss den Beigeladenen zu 1. mit Wirkung ab 01.04.2021 am Vertragsarztsitz W Platz, M, Planungsbereich Stadtkreis M, zur Fortführung der Praxis des Beigeladenen zu 2. zu. Die an diesem Vertragsarztsitz bereits bestehende Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag werde damit zu einer Zulassung mit vollem Versorgungsauftrag. Dem Antrag des Beigeladenen zu 1. auf Genehmigung zur Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. als angestellter Arzt im Rahmen einer Praxisübernahme (Praxisabgeber: Beigeladener zu 2.) zum 01.04.2021 mit 20 Wochenstunden (AF 0,5) wurde stattgegeben. Den Antrag des Klägers auf Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Rahmen einer Praxisübernahme lehnte der ZA ab. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung der Entscheidung angeordnet. Zur Begründung für die Auswahlentscheidung führte der Zulassungsausschuss an, dass der Beigeladene zu 1. als der am besten geeignete Bewerber zuzulassen gewesen sei. Er habe mit der beruflichen Eignung und dem Fortführungsgedanken die meisten Kriterien für sich entscheiden können.
Mit Telefax vom 28.03.2021, eingegangen beim ZA am gleichen Tag, erhob der Kläger "vorsorglich Widerspruch gegen einen möglicherweise ergangenen Bescheid". Er habe nach der Sitzung des ZA am 15.03.2021 noch keinen Bescheid erhalten. Da die Übergabe des Sitzes bereits zum 01.04.2021 erfolgen solle und er daher die Vermutung habe, dass ein Bescheid bereits ergangen sei, er diesen aber aus ihm unbekannten Gründen nicht erhalten habe, wolle er, um eine mögliche Fristversäumnis zu vermeiden, hiermit gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bescheid vorsorglich Widerspruch einlegen für den Fall, dass die Vertragsarztzulassung des Beigeladenen zu 2. nicht ihm zuerkannt worden sei. Für diesen Fall bitte er um Information über den Stand des Verfahrens.
Der ZA leitete das Telefax am 29.03.2021 an den Beklagten weiter, das Original des Widerspruchs vom 28.03.2021 ging am 30.03.2021 zunächst beim ZA ein, der es am selben Tag an den Beklagten weiterleitete.
Der Beschluss des Zulassungsausschusses aus der Sitzung vom 15.03.2021 wurde am 29.03.2021 als Bescheid ausgefertigt und dem Kläger am 30.03.2021 zugestellt. Der Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, die auf die Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs binnen einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheides hinwies.
Den Eingang seines Widerspruchs vom 28.03.2021 bestätigte die Geschäftsstelle des Beklagten dem Kläger mit Schreiben vom 29.03.2021 und bat zugleich um Überweisung der Widerspruchsgebühr i.H.v. 200,00 €.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. nahmen zum 01.04.2021 ihre vertragsärztliche Tätigkeit am W Platz auf.
Die anwaltliche Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 1. wies mit Schriftsatz vom 07.05.2021 (dem Kläger nach eigenen Angaben zugegangen am 18.05.2021) darauf hin, dass die Einlegung des Widerspruchs des Klägers entgegen § 84 SGG vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erfolgt sei und beantragte die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig.
Der Beklagte terminierte mit Schreiben vom 01.09.2021 das Verfahren gegen den Beschluss des ZA vom 15.03.2021 auf den 30.09.2021, woraufhin der Kläger aufgrund seines lange geplanten Jahresurlaubs eine Verlegung des Termins beantragte. Der Beklagte gab dem Kläger daraufhin auf, die für das Verlegungsgesuch erheblichen Gründe glaubhaft zu machen. Der Kläger bot mit Telefax vom 21.09.2021 an, "hiermit eidesstattlich zu versichern", dass er den Urlaub zu den genannten Terminen schon lange geplant habe.
Mit Schriftsatz vom 23.09.2021 begründete der Kläger seinen Widerspruch näher. Er teilte mit, dass der Beschluss des ZA bei ihm am 30.03.2021 zusammen mit der Eingangsbestätigung seines Widerspruchs vom 28.03.2021 eingegangen sei.
Der Beklagte wies mit Beschluss vom 30.09.2021 (Bescheid vom 04.11.2021) den Antrag des Klägers auf Terminsverlegung zurück und verwarf zudem den Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15.03.2021 als unzulässig. Der Beklagte könne das Schreiben des Klägers vom 28.03.2021 nicht als zulässigen Widerspruch werten, da es vor Bekanntgabe des entsprechenden ZA-Beschlusses vom 15.03.2021 an den Beklagten gegangen sei. Der Bescheid des ZA sei dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.03.2021 zugestellt und damit frühestens an diesem Tag wirksam bekannt gegeben worden. Das Schreiben des Klägers sei am 28.03.2021 und damit vor der Zustellung des Bescheides des ZA am 30.03.2021 verfasst worden. Der Kläger habe selbst angegeben, dass er keine Kenntnis von der Entscheidung des ZA insgesamt habe. Der Wille des Klägers, dass er gegen eine für ihn negative Entscheidung vorgehen und diese anfechten möchte, sei zwar in dem Schreiben vom 28.03.2021 erkennbar. Die vorsorgliche Einlegung eines Widerspruchs sei aber wegen der gesetzlichen Regelungen der wirksamen Bekanntgabe nicht möglich. Der Kläger sei am 28.03.2021 noch nicht in seinen Rechten verletzt gewesen und habe daher keinen zulässigen Widerspruch einlegen können. Der "Widerspruch" gegen einen noch nicht erlassenen VA sei unzulässig und werde auch nicht dadurch nachträglich zulässig, dass ein zunächst nur erwarteter Verwaltungsakt später tatsächlich ergehe. Nach der Zustellung des Bescheides des ZA am 30.03.2021 habe der Kläger keinen - weiteren - Widerspruch beim Beklagten eingelegt. Der Kläger habe aus der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheides des ZA entnehmen können, dass er gegen diese für ihn jetzt bekannt gewordene, negative Entscheidung Widerspruch einlegen konnte. Dies sei nicht erfolgt. Damit sei der Widerspruch des Klägers unzulässig und daher zurückzuweisen. Inhaltlich bleibe es deswegen bei der Entscheidung des Zulassungsausschusses.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er führt aus, dass der Beklagte den Widerspruch des Klägers erhalten und bestätigt habe. Der Beklagte habe dem Kläger niemals mitgeteilt, dass sein Widerspruch unzulässig und "vorfristig" gewesen sei. Sollte er dieser Meinung gewesen sein, wäre er als behördliches Organ verpflichtet gewesen, dies dem Kläger mitzuteilen, was aber nicht geschehen sei. Der Kläger als Nichtjurist habe davon ausgehen können, dass sein Widerspruch rechtlich korrekt gestellt und nicht als "vorfristig" angesehen werde. Spätestens nach der Rückäußerung der Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. hätte der Beklagte seinen Fehler erkennen können/sollen und den Kläger diesbezüglich informieren und ihm Gelegenheit geben müssen, seinen Widerspruch nochmals korrekt und fristgerecht zu stellen. Der Kläger beanstandet, dass die Geschäftsstelle des Beklagten nicht unterwiesen sei, die Zulässigkeit eines Widerspruchs zu prüfen und im Zweifelsfalle mit Vorgesetzten Rücksprache zu nehmen. Hierin sei ein eklatantes Organisationsversagen zu sehen, mit dem das Recht des Widerspruchführers, gegebenenfalls nochmals einen fristgerechten Widerspruch einzulegen, unzulässig beschnitten werde. Auf Nachfrage des SG hat der Kläger ergänzt, er habe einen nochmaligen Widerspruch oder eine Klarstellung, dass er tatsächlich Widerspruch habe einlegen wollen, nicht für nötig erachtet. Widerspruch sei Widerspruch; sein Widerspruch vom 28.03.2021 sei ja auch von der Geschäftsstelle des Beklagten bestätigt worden. Er sei nicht auf die Idee gekommen, trotz der Rechtsbehelfsbelehrung nochmals Widerspruch einzulegen. Auf den Vorhalt, warum er auch nicht auf das Schreiben der Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. vom 07.05.2021 hin, in dem die Vorfristigkeit und Unzulässigkeit des Widerspruchs gerügt worden war, nochmals Widerspruch eingelegt habe, äußerte sich der Kläger dahingehend, dass er angenommen habe, es handele sich um eine der "üblichen Nebelkerzen von den gegnerischen Rechtsanwälten".
Der Beklagte sieht keine Belehrungspflicht zur vorfristigen Einlegung des Widerspruchs von seiner Seite. Der Beklagte sei ein Selbstverwaltungsgremium, das sich nur in Sitzungen für Sachentscheidungen zusammenfinde, Umlauf-Beschlüsse seien rechtlich unzulässig. Vom SG zum üblichen Geschäftsgang befragt wird mitgeteilt, dass nach Eingang eines Widerspruchs ein Aktenzeichen vergeben, eine Akte angelegt und der Widerspruch in einer elektronischen Liste erfasst werde. Der Widerspruchsführer erhalte eine Empfangsbestätigung sowie die Anforderung der Widerspruchsgebühr. Für alle am Verfahren Beteiligten werde ein Abdruck des Widerspruchs erstellt und von der KVB die Verwaltungsakte angefordert. Liege die vollständige Verwaltungsakte vor, werde der Widerspruch auf die nächst mögliche Sitzung eines Ausschusses genommen. Sei eine Sitzung mit einer ausreichenden Anzahl an Widersprüchen versehen, würden die Akten dem jeweiligen Vorsitzenden zur Verfügung gestellt, eine Tagesordnung erstellt und die Sitzung geladen. Ein genauer Zeitpunkt, wann im vorliegenden Verfahren der Widerspruch des Klägers vom 28.03.2021 erstmals dem Vorsitzenden vorgelegt worden sei, sei nicht festgehalten worden. Die zuständige Geschäftsstellenangestellte habe die Unzulässigkeit des vorfristigen Widerspruchs nicht (rechtzeitig) erkennen können, da zum Zeitpunkt des Widerspruchseingangs der Geschäftsstelle noch keine Verwaltungsakte vorgelegen habe. Unabhängig davon sei es nicht Aufgabe der Geschäftsstellenangestellten, vorab Widersprüche auf deren Zulässigkeit zu prüfen. Vorfristige Widersprüche kämen extrem selten vor.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.11.2022 abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten, den Widerspruch des Klägers als unzulässig zu verwerfen, sei nicht zu beanstanden.
Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten sei formell rechtmäßig. Insbesondere liege kein Verfahrensfehler wegen Ablehnung des Terminsverlegungsantrags des Klägers vor. Denn gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV könne auch in Abwesenheit Beteiligter verhandelt werden, falls, wie hier, in der Ladung darauf hingewiesen wurde. Im Übrigen habe der Kläger seinen Jahresurlaub entgegen der Aufforderung des Beklagten nicht glaubhaft gemacht, sondern eine eidesstattliche Versicherung nur angeboten.
Auch in materiellrechtlicher Hinsicht sei der Bescheid des Beklagten nicht zu beanstanden. Zutreffend sei der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger nicht fristgemäß Widerspruch gegen den Beschluss des ZA vom 15.03.2021 (Bescheid vom 29.03.2021), der dem Kläger am 30.03.2021 zugestellt wurde, eingelegt habe.
Gem. § 97 Abs. 3 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 44 Satz 1 Ärzte-ZV sei der Widerspruch binnen einen Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden sei, schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses beim Berufungsausschuss einzulegen. Der Widerspruch sei somit grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Auflage, § 84 Rn. 4c).
Der vom Kläger mit Telefax vom 28.03.2021 erhobene "vorsorgliche Widerspruch gegen einen möglicherweise ergangenen Bescheid" sei als bedingter Rechtsbehelf unzulässig; er werde auch nicht zulässig, wenn die befürchtete Entscheidung später tatsächlich ergehe (Rennert in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung 15. Auflage, § 69 Rn. 2 m.w.N.). Der Verwaltungsakt des ZA sei mangels Bekanntgabe zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung am 28.03.2021 nicht existent und der klägerische Widerspruch - mangels entsprechender Beschwer - nicht statthaft gewesen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.2.2012, Az. L 19 AS 2270/11 B, Rn 17 m.w.N.).
Der Kläger habe innerhalb der Widerspruchsfrist, die am 30.03.2021 begonnen und am 30.04.2021 geendet habe, keinen Widerspruch eingelegt.
Der Beklagte habe dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist gewähren. § 67 SGG finde nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG auch im Widerspruchsverfahren Anwendung. Gem. § 67 Abs. 1 SGG sei jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 2 SGG sei der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist sei die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Sei dies geschehen, so könne die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Mit dem Schreiben des Klägers vom 23.09.2021 an den Beklagten, mit dem er ausführlich zum Beschluss des ZA vom 15.03.2021 Stellung nahm, habe er zugleich die Einlegung des Widerspruchs und damit die versäumte Rechtshandlung i.Sd. § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG nachgeholt.
Nach Überzeugung der Kammer seien die (weiteren) Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben. Weder habe der Kläger die Widerspruchsfrist ohne Verschulden versäumt noch habe er den nachgeholten Widerspruch innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses erhoben.
Hinsichtlich der Frage des Verschuldens des Klägers komme es darauf an, ob er "diejenige Sorgfalt gewahrt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist." Die Versäumnis der Frist müsse bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Auflage, § 67 Rn. 3 m.w.N.). Die Anforderungen an die zumutbare Sorgfalt könnten u.U. bei Privatpersonen weniger groß sein als bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, bei rechtskundigen und geschäftsgewandten Personen größer als bei anderen. Auch eine juristisch nicht geschulte Privatperson habe aber eine Sorgfaltspflicht, müsse die Rechtsbehelfsbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen (Keller, ebenda, Rn. 3d m.w.N.).
Vorliegend sei der Kläger einem Rechtsirrtum unterlegen, da er annahm, dass er aufgrund seines vorsorglichen Widerspruchs vom 28.03.2021 bereits wirksam Widerspruch gegen den Beschluss des ZA vom 15.03.2021 (Bescheid vom 29.03.2021) eingelegt hatte. Bei Rechtsirrtum treffe den Beteiligten nur dann ausnahmsweise kein Verschulden, wenn dieser den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte (Keller, ebenda, Rn. 8a m.w.N.).
Zur Überzeugung der Kammer habe der Kläger den Rechtsirrtum bei sorgfältiger Prüfung vermeiden können. Zwar könne die Kammer den Vortrag des Klägers im Ansatz durchaus nachvollziehen, dass er insbesondere aufgrund des Schreibens der Geschäftsstelle des Beklagten vom 29.03.2021, das ihm am selben Tag wie der Bescheid des ZA vom 29.03.2021 zugestellt wurde und das eine Bestätigung des Eingangs seines Widerspruchs vom 28.03.2021 enthielt, davon ausgegangen sei, dass er nicht nochmals Widerspruch einlegen müsse. Auf der anderen Seite wäre jedoch von einer geschäftsgewandten Person wie dem Kläger, der nahezu dreißig Jahre als Vertragsarzt selbstständig tätig war, bereits zuvor zwei Verfahren beim Beklagten angestrengt und lt. Eureka-Programm auch schon sieben Verfahren vor dem SG München bestritten habe, zu erwarten gewesen, dass er die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids des ZA aufmerksam liest. Dann hätte ihm auffallen können, dass der Widerspruch "binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses" eingelegt werden könne und der Widerspruch "in der genannten Frist" einzureichen sei. Von einem gewissenhaften Prozess- bzw. Widerspruchsführenden wäre nach Auffassung der Kammer zudem zu erwarten gewesen, dass er nach Erhalt des Bescheids des ZA gegenüber dem Beklagten klarstelle, dass er seinen ursprünglich nur vorsorglich "ins Blaue hinein" erhobenen Widerspruch nun tatsächlich gegen den Bescheid vom 29.03.2021 einlege. Dass der Kläger weder infolge des Studiums der Rechtsbehelfsbelehrung beim Beklagten oder bei einer rechtskundigen Stelle Rat eingeholt bzw. erneut Widerspruch eingelegt noch gegenüber dem Beklagten klargestellt habe, dass er den zunächst nur vorsorglich erhobenen Widerspruch tatsächlich einlegt, stelle aus Sicht der Kammer ein leicht fahrlässiges Verschulden des Klägers im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG dar.
Eine Fallgestaltung, in der trotz Verschuldens des Fristsäumigen ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, liege nicht vor. Eine solche wäre gegeben, wenn der Beklagte die Unzulässigkeit des vorfristigen Widerspruchs leicht und frühzeitig hätte erkennen und den Kläger aufgrund seiner Fürsorgepflicht darauf hinweisen können (Keller, ebenda, Rn. 4 ff. m.w.N.). Offenkundige Versehen, bei denen ein Beteiligter erwarten dürfe, dass das Gericht bzw. die Behörde diese in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb des üblichen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen trifft, damit die Frist nicht versäumt wird, seien etwa offensichtliche Schreibversehen (z.B. unsinnige Datumsangabe in Fristverlängerungsantrag) oder eine fehlende Unterschrift (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 233 Rn. 21a).
Aufgrund der Darlegungen des Beklagten, wie der Geschäftsgang bei ihm organisiert ist, sei vorliegend hinsichtlich der Frage, ob das klägerische Versehen offenkundig war, auf das Wissen der zuständigen Mitarbeiterin der Geschäftsstelle abzustellen. Es sei aufgrund des geschilderten üblichen Geschäftsgangs davon auszugehen, dass der Vorsitzende des Beklagten den klägerischen Widerspruch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist erhalten und zur Kenntnis genommen habe, so dass es hinsichtlich der Frage der Offenkundigkeit des klägerischen Versehens nicht auf ihn (sitzungsvorbereitende Entscheidungen sind gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV im Grundsatz dem Vorsitzenden zugewiesen, vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage, Stand 04.10.2022, § 97 Rn. 12), sondern auf die Kenntnis von Frau S, seit ca. 11 Jahren in der Geschäftsstelle des Beklagten tätig, ankomme.
Bei sog. vorfristigen Widersprüchen handle es sich sowohl nach Darstellung des Beklagten als auch nach Einschätzung der Kammer um eine extrem seltene Fallgestaltung, deren rechtliche Einordnung nicht einfach zu beantworten sei. Daher handele es sich nach Einschätzung der Kammer, bezogen auf die Sicht von Frau S, um kein offenkundiges Versehen von Klägerseite, das eine entsprechende Fürsorgepflicht des Beklagten habe begründen können.
Schließlich lägen die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht vor, da der Kläger den mit Schreiben vom 23.09.2021 nachgeholten Widerspruch nicht innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses erhoben habe, § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG. Mit dem Schriftsatz der Bevollmächtigten des Beigeladenen vom 07.05.2021, in dem diese die rechtliche Problematik des vorsorglich eingelegten Widerspruchs geschildert habe und das dem Kläger am 18.05.2021 zugegangen sei, habe dieser Kenntnis von der Unzulässigkeit seines vorsorglichen Widerspruchs vom 28.03.2021 erhalten. Mit der Kenntnis des Inhalts des Schriftsatzes vom 07.05.2021 sei beim Kläger das Hindernis für die Fristversäumnis i.Sd. § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG wegefallen. Der Kläger hätte daher die Rechtshandlung, also die Einlegung des Widerspruchs innerhalb eines Monats nach der Kenntnisnahme am 18.05.2021 nachholen müssen. Auch diese Frist habe er versäumt.
Das Fristversäumnis sei nicht ohne Verschulden des Klägers erfolgt. Nach Kenntnis des Schriftsatzes vom 07.05.2021 hätte der Kläger seine Rechtsansicht, dass er einen zulässigen, insbesondere fristgemäßen Widerspruch eingelegt hatte, hinterfragen, die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids des ZA (nochmals) sorgfältig lesen und zumindest sich beim Beklagten oder einem Anwalt erkundigen müssen. Den Inhalt des Schriftsatzes lediglich als "übliche Nebelkerze von den gegnerischen Rechtsanwälten" abzutun, entspreche nicht der Anwendung derjenigen Sorgfalt, die einem gewissenhaften Prozess- bzw. Widerspruchsführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten sei.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 21.12.2022 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und mit Schriftsatz vom 19.04.2023 begründet. Der Beschluss des Beklagten sei offensichtlich falsch.
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung führt der Kläger aus, es läge keine Vorfristigkeit vor. Unter Verweis auf eine Kommentierung von Meyer-Ladewig (§ 84 SGG, Rn 4c) sei aber in jedem Fall ausnahmsweise eine Einlegung des Widerspruchs vor Bekanntgabe des Bescheides zulässig, da der ZA den Bescheid mutwillig zurückgehalten und verzögert bekanntgegeben habe ("besondere Fairness"). Außerdem sei die Rechtsbehelfsbelehrung falsch gewesen, da der Widerspruch bekannt gewesen sei und Ausführungen zur Vorfristigkeit nicht enthalten gewesen seien. Es gelte daher die Jahresfrist. Außerdem sei der Kläger nicht ausreichend beraten worden (Verweis auf Meyer-Ladewig § 14 SGG, Rn 3). Er sei auch - anders als das SG behaupte - nicht geschäftsgewandt im Umgang mit Verwaltungshandeln. Der Kläger macht Organisationsversagen des Beklagten geltend, da dieser den Widerspruch nicht sofort als unzulässig erkannt habe mit der entsprechenden Folge einer Hinweispflicht.
Zur Frage der vorfristigen Einlegung des Widerspruchs wiederholt und ergänzt der Kläger seine bisherigen Einlassungen. Nachdem der Widerspruch nicht sofort nach seinem Eingang als unzulässig zurückgewiesen worden und er zudem noch zur Einzahlung der Widerspruchsgebühr aufgefordert worden sei, habe er von einer Zulässigkeit des Widerspruchs ausgehen dürfen. Zudem sei der Widerspruch vom 28.03.2021 postalisch am 30.03.2021, mithin mit Beginn der Widerspruchsfrist, beim Beklagten eingegangen. Er selbst habe am 30.03.2021 sowohl den Bescheid des Zulassungsausschusses als auch die Eingangsbestätigung des Widerspruchs erhalten, wobei er zuerst den Bescheid gelesen habe. Er habe mitnichten erkennen können, dass eine erneute Einlegung eines Widerspruchs erforderlich gewesen sei, zumal er bis heute die Widerspruchsgebühr nicht erstattet erhalten habe. Zudem hätte ihn der Beklagte insbesondere nach Hinweis der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs seinerseits auf die vorfristige Einlegung des Widerspruchs hinweisen und dem Kläger die Möglichkeit geben müssen, den Widerspruch vor der Sitzung des Beklagten zu wiederholen. Ein gewisses juristisches "beleidigt sein" über die "Nebelkerzen"-Bemerkung des Klägers, die nach individueller Lebenserfahrung mitnichten weit hergeholt ist, könnten nicht ein Mitgrund für die Gewährung oder Nichtgewährung einer Wiedereinsetzung sein. Gerichtlich sollte doch wohl allein die Sachlage entscheidend sein. Letztlich sei der Kläger der Ansicht, dass eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sehr wohl sachgerecht wäre.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.11.2022, Az.: S 28 KA 306/21, sowie den Beschluss des Beklagten vom 30.09.2021, ausgefertigt als Bescheid am 04.11.2021, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in der Sache zu entscheiden.
Der Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle sei weder zur Rechtsberatung in verfahrensrechtlichen Fragen oder sonstigen Rechtsfragen bestimmt noch befugt. Die Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Bescheid sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht geschildert, den Bescheid samt Rechtsmittelbelehrung vollständig gelesen zu haben. Im angefochtenen BA-Bescheid sei die maßgebliche Rechtsprechung zur Wirkungslosigkeit eines Widerspruchs vor dessen Bekanntgabe dokumentiert. Bei den Statusentscheidungen sehe das förmliche Recht eine Bekanntgabe gerade und nur durch förmliche Zustellung vor. So werde strukturell abgesichert, dass der Bescheid gesichert dem Betroffenen zugehe und dann von diesem beurteilt werden könne. Der Bescheid sei dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.03.2021 zugestellt worden. Der Kläger sei mitnichten der Aufgabe enthoben, innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist einen von ihm gewünschten Widerspruch einzulegen. Sei er sich nicht sicher, hätte er fachlichen Rat einholen müssen.
Der Beklagte weist zudem darauf hin, dass der Kläger gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses erneut Widerspruch eingelegt habe, den der Beklagte als unzulässig verworfen habe (derzeit anhängig beim SG München unter dem Aktenzeichen S 43 KA 10/23). Einen weiteren Widerspruch gegen den Bescheid des ZA habe der Kläger am 18.04.2023 eingelegt.
Die Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 1) beantragt ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Urteil des SG sei zutreffend. Die Ungeduld des Berufungsklägers, ein Rechtsmittel einlegen zu müssen, sei kein schützenswertes Interesse. Die Rechtsmittelbelehrung des streitigen Bescheides sei zutreffend. Von einem mutwilligen Zurückhalten des Bescheides könne keine Rede sein. Die weiteren Zitate, die der Berufungskläger unter Berufung auf den Kommentar Meyer-Ladewig vornehme, gingen ebenfalls fehl. Es sei nicht Aufgabe der Zulassungsbehörden, den Berufungskläger über die Rechtsmittelbelehrung hinaus persönlich zu beraten.
Die Beigeladene zu 3. hält - ohne einen Antrag zu stellen - das Urteil des SG ebenfalls für zutreffend. Ein Widerspruch sei grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig. Da der Verwaltungsakt von der Beklagten auch vor dessen Bekanntgabe nicht nach außen gegeben worden sei, läge auch kein Ausnahmefall für eine zulässige vorfristige Widerspruchseinlegung vor. Der Beklagte habe den Kläger auch nicht im Hinblick auf die Widerspruchseinlegung beraten müssen, da dieser den Widerspruch nicht zur Niederschrift, sondern schriftlich erhoben habe (Verweis auf Meyer-Ladewig, § 84 Rn. 3b). Dem Kläger sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Widerspruchsfrist zu gewähren. Das Schreiben der Geschäftsstelle des Beklagten vom 29.03.2021, aus dem der Kläger die Zulässigkeit seines Widerspruchs ableite, bestätige lediglich den Eingang des Widerspruchs, nicht aber dessen Zulässigkeit. Der ordnungsgemäße Geschäftsgang vor dem Beklagten sei nicht zu beanstanden. Zudem stelle auch die Frage der Zulässigkeit eines vorsorglich eingelegten Widerspruchs vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes kein leicht erkennbares Versehen des Klägers dar, bei dem grundsätzlich eine Fürsorgepflicht des Beklagten bestehen würde und gegebenenfalls eine Wiedereinsetzung trotz Verschuldens des Klägers zu gewähren wäre. Die Geschäftsstellenmitarbeiterin des Beklagten, die den Widerspruch erfasse und die Verwaltungsakte anlege, sei zudem keine Juristin. Mangels eines offenkundigen Versehens habe der Kläger von dem Beklagten nicht erwarten können, dass der unzulässig eingelegte Widerspruch in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen würden, um eine drohende Fristversäumung zu vermeiden.
Die übrigen Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Dem Senat liegen die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie des Zulassungsausschusses und die Akten des Sozialgerichts München zu dem Verfahren S 28 KA 306/21 sowie die Berufungsakte vor.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 04.11.2021 aus der Sitzung vom 30.09.2021 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.
Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen, § 153 Abs. 2 SGG.
Der Kläger hat in der Berufung keine neuen Gründe vorgetragen, die zu einer anderen Auffassung führen könnten.
Wie das Sozialgerichts zutreffend ausführt, ist der Widerspruch grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig und wird auch nicht dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt später ergeht (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 83, Rn. 3 mit weiteren Nachweisen).
Der "vorsorglich" erhobene Widerspruch vom 28.03.2021 richtet sich "gegen einen möglicherweise ergangenen Bescheid" aus der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 15.03.2021. Ein solcher Bescheid lag zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung nicht vor. Gemäß § 39 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 37 Abs. 2 SGB X wird ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er bekannt gegeben wurde. Vollzogen ist die Bekanntgabe eines schriftlich erlassenen Verwaltungsaktes regelmäßig im Zeitpunkt seines Zugangs. Dies bedeutet, in entsprechender Anwendung des § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass das Schriftstück dergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass mit der Kenntnisnahme durch diesen bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse zu rechnen ist (BSG Urteil v. 03.06.2004 - B 11 AL 71/03 R = SGB 2004, 479 = juris Rn. 24; st. Rspr. vgl. etwa BGH Urteil v. 11.04.2002 - I ZR 306/99 = NJW 2002, 2391 = juris Rn. 17 m.w.N.). Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Kläger am 30.03.2021 zugestellt. Dies bestreitet der Kläger auch nicht.
Der Verwaltungsakt war damit zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung am 28.03.2021 nicht existent und der Widerspruch - mangels entsprechender Beschwer - nicht statthaft.
Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Widerspruch auch nicht dadurch statthaft, wenn wie hier am 30.03.2021 tatsächlich eine mit Widerspruch angreifbare Entscheidung ergeht. Der Widerspruch bleibt vielmehr auch dann unzulässig, wenn der Bescheid durch nachträgliche Bekanntgabe wirksam wird. In diesen Fällen ist vielmehr erneut Widerspruch einzulegen (vgl. OVG NW Beschluss v. 05.05.1995 - 10 B 894/95 = DVBl 1996, 115 = juris Rn. 2; BVerwG Beschluss v. 08.12.1977 - VII B 76.77, juris Rn. 2; Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 13. Aufl. 2020 § 83 Rn. 3). Dem Erfordernis der nochmaligen Einlegung des Widerspruchs ist der Kläger aber nicht nachgekommen. Er hielt es vielmehr nach eigenem Vorbringen für nicht erforderlich, erneut Widerspruch zu erheben.
Auch soweit der Kläger vorträgt, das Original seines per Telefax am 28.03.2021 erhobenen Widerspruchs sei postalisch am 30.03.2021 und damit binnen offener Frist beim Beklagten eingegangen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn durch den Zugang des "originalen" Widerspruchsschreibens vom 28.03.2021 beim Beklagten hat der Kläger nicht nochmals Widerspruch erhoben, sondern es ist lediglich der zuvor per Telefax erhobene Widerspruch vom 28.03.2021 tatsächlich in Papierform beim Beklagten eingegangen. Eine neue - willentlich nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erfolgte - Widerspruchseinlegung war damit nicht verbunden, zumal der Widerspruch unter der Bedingung erhoben wurde, dass er nur für den Fall gelten solle, dass ein für den Kläger negativer Bescheid ergangen sei. Ein Widerspruch ist aber einer Prozesshandlung gleichgestellt und wie diese bedingungsfeindlich (Dolde/Porsch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VWGO, Stand August 2022, § 69 Rn. 6).
Das SG hat auch zutreffend ausgeführt, dass ein Ausnahmefall, nach dem bereits vor förmlicher Bekanntgabe ein Widerspruch eingelegt werden kann, nicht vorliegt. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses ist dem Kläger unstreitig nicht vor Zustellung des Bescheides am 30.03.2021 bekannt gegeben worden. Der Kläger trägt in seinem Widerspruch vom 28.03.2021 selbst vor, er habe noch keinen Bescheid erhalten und lege nur vorsorglich Widerspruch ein, falls die Entscheidung gegen ihn ergangen sein sollte. Umstände, die dem Beklagten zu einer über die Rechtsmittelbelehrung hinausgehenden Belehrung über Rechte und Pflichten veranlasst hätten, liegen nicht vor.
Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 67 SGG ist nicht zu gewähren. Der Kläger hat nicht diejenige Sorgfalt gewahrt, die einem gewissenhaften Widerspruchsführenden nach den gesamten Umständen des Einzelfalls und nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung im schriftlich ausgefertigten Beschluss vom 15.03.2021 war zutreffend. Sie hat entsprechend der Rechtslage auf die Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses hingewiesen. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Kläger sich bei Zweifeln über die Auslegung der Rechtsbehelfsbelehrung sachkundig beraten oder zumindest beim Beklagten nachfragen müssen. Allein die Bestätigung des Eingangs des Widerspruches durch den Beklagten bedeutet unter keinen Umständen, dass der Widerspruch zulässig ist. Dem Schreiben über den Eingang des Widerspruchs kann lediglich entnommen werden, dass dieser eingegangen, nicht aber, dass er zulässig ist, zumal die Widerspruchsgebühr auch bei einem unzulässigen Widerspruch anfällt.
Für die insoweit maßgebliche Geschäftsstellenmitarbeiterin war es auch nicht offensichtlich, dass der Widerspruch vorfristig eingelegt wurde, insbesondere da die entsprechenden Unterlagen des Zulassungsausschusses ihr zum Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchs noch gar nicht vorlagen. Es bestehen auch keine Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des geschilderten Geschäftsgangs, wonach die Unterlagen zunächst von den Geschäftsstellenmitarbeitern gesammelt und erst nach Vollständigkeit dem Vorsitzenden zur Prüfung vorgelegt werden.
Das SG hat daher auch den Antrag auf Widereinsetzung zu Recht abgelehnt.
Der erneute Antrag auf Wiedereinsetzung scheitert zum einen an der Monatsfrist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG. Danach ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Der Kläger hat spätestens mit Erhalt des Schreibens der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. (SS vom 07.05.2021) von der Versäumung der Widerspruchsfrist erfahren. Zum anderen hat der Kläger die Frist des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGG versäumt. Danach ist nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist (hier der 30.04.2022) der Antrag unzulässig. Ein am 19.04.2023 gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung wahrt weder die Monats- noch die Jahresfrist.
Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, § 160 Abs. 2 SGG.