L 10 R 2933/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 3481/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2933/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Liegen die Voraussetzungen für eine ungekürzte Auszahlung der Rente nach durchgeführtem Versorgungsausgleich bei Versterben der ausgleichsberechtigten Person gemäß § 37 Abs. 2 VersAusglG wegen Rentenbezug von mehr als 36 Monaten nicht vor, kommt eine analoge Anwendung von § 27 VersAusglG nicht in Betracht. Angesichts der ausdrücklichen gesetzgeberischen Wertung in § 37 Abs. 2 VersAusglG kann der Bezug einer weiterhin gekürzten Rente trotz Versterbens der ausgleichsberechtigten Person nicht grob unbillig i.S.v. § 27 VersAusglG sein.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.07.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer nicht durch einen Versorgungsausgleich gekürzten Altersrente im Streit.

Der 1939 geborene Kläger war von 1969 bis zur Scheidung der Ehe durch das Amtsgericht S1 Familiengericht (AG) mit Urteil vom 12.02.2009 (Bl. 289 ff. VA II) mit Frau A1 (im Folgenden: G.A., geboren 1935) verheiratet. Im Scheidungsurteil wurden Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich insgesamt 249,32 € (199,62 € zuzüglich 49,70 € erweitertes Splitting) bezogen auf den 31.07.2008 von dem Versichertenkonto des Klägers auf das Versichertenkonto der G.A. übertragen. Sowohl der Kläger - dieser bezog bereits ab Februar 1987 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (s. Bl. 58 ff. VA I) - als auch G.A. bezogen zum Zeitpunkt der Scheidung eine Altersrente (s. Bl. 215 ff. VA I sowie die Entscheidungsgründe des Urteils des AG vom 12.02.2009). Die Entscheidung des Amtsgerichts S1 war nach Zurückweisung der vom Kläger eingelegten Berufung durch das Oberlandesgericht M1 (OLG, Bl. 315 ff. VA II) seit dem 28.11.2009 rechtskräftig (Bl. 323 VA II). Die Rechtskraftmitteilung des OLG ging am 17.12.2009 bei der Beklagten ein (Bl. 322 ff. VA II).

Mit Schreiben vom 21.12.2009 (Bl. 327 VA II) teilte die Beklagte dem Kläger sodann mit, dass G.A. aufgrund der seit dem 28.11.2009 rechtskräftigen Entscheidung über den Versorgungsausgleich ab dem 01.12.2009 Anspruch auf den Versorgungsausgleich habe, weshalb die Einstellung der laufenden Rentenzahlung zu Ende Januar 2010 veranlasst worden sei. Für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.01.2010 erhalte er noch die ungeminderte Rente, obwohl ein Rechtsanspruch hierauf nicht mehr bestehe. Er werde darauf aufmerksam gemacht, dass G.A. nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung von ihm die Herausgabe der ihr materiell-rechtlich zustehenden, jedoch von ihr - der Beklagten - mit befreiender Wirkung an ihn erbrachten Rentenleistungen aus dem Versorgungsausgleich verlangen könne. Ab dem 01.02.2010 berücksichtigte die Beklagte den durchgeführten Versorgungsausgleich zu Lasten des Klägers und gewährte ihm fortan eine um 9,3870 Entgeltpunkte geminderte Altersrente (s. Bl. 328 ff. VA II). Demgegenüber erhielt G.A. eine - entsprechend des Versorgungsausgleichs - höhere Altersrente. 2013 verstarb G.A. (s. Bl. 362/RS VA II).

Mit Schreiben vom 12.03.2019 - bei der Beklagten am 14.03.2019 eingegangen - beantragte der Kläger die Auszahlung der Altersrente ohne Berücksichtigung des durchgeführten Versorgungsausgleichs, da G.A. verstorben sei.

Mit Bescheid vom 22.05.2019 (Bl. 363 f. VA II) lehnte die Beklagte die beantragte Aussetzung der Kürzung der Rente durch den Versorgungsausgleich mangels Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen (§ 37 Abs. 2 Versorgungsausgleichsgesetz - VersAusglG -) ab, da G.A. länger als 36 Monate Rente aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht bezogen habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 365 VA II) wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2019 (Bl. 369 f. VA II) zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 19.08.2019 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass er § 37 Abs. 2 VersAusglG für verfassungswidrig halte. Der dort veranschlagte starre Zeitraum von 36 Monaten sei willkürlich und beschneide seine Rechte angesichts einer 40jährigen Ehedauer unverhältnismäßig, weshalb ein Verstoß gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) vorliege. Insbesondere könne diese Regelung auch zu einer finanziellen Belastung von Kindern bei Pflegebedürftigkeit des Elternteils führen.

Mit Urteil vom 27.07.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 VersAusglG für die Anpassung wegen Todes der ausgleichsberechtigten Person nicht erfüllt seien, da G.A. eine Rente aus ihrem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht von Februar 2010 bis Mai 2013, damit 40 Monate und folglich länger als die in § 37 Abs. 2 VersAusglG vorgesehenen 36 Monaten bezogen habe. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestünden nicht. Insoweit habe bereits das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 11.02.2015 (B 13 R 9/14 R, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.07.1989 (1 BvL 11/87) zur Vorgängerregelung (§ 4 Abs. 2 Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich - VAHRG -; darin hatte das BVerfG dargelegt, dass § 4 Abs. 2 VAHRG nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, Art 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 GG verstoße) ausgeführt, dass der zum 01.09.2009 in Kraft getretene und in § 37 Abs. 2 VersAusglG normierte „Rückausgleich“ bei Tod des Ausgleichsberechtigten (ebenfalls) nicht gegen Verfassungsrecht verstoße und darauf hingewiesen, dass § 37 Abs. 2 VersAusglG die Grenze, bis zu der ein Versorgungsbezug des Ausgleichsberechtigten einer Anpassung nicht entgegenstehe gegenüber dem früheren Recht (§ 4 Abs. 2 VAHRG) zugunsten des Ausgleichspflichtigen mit der Umstellung von einer Wert- auf eine Zeitgrenze faktisch sogar um ein Jahr (von 24 auf 36 Monate) verlängert habe. Im Übrigen sei der Gesetzgeber nach dem Urteil des BVerfG (a.a.O.) nicht gehalten gewesen, eine einzelfallbezogene Härteregelung zu treffen, weshalb es ihm daher auch nicht verwehrt gewesen sei, für eine Härteregelung eine feste zeitliche Grenze zu setzen und nicht - wie vom Kläger gefordert - die Umstände des Einzelfalls wie die Höhe der Beitragszahlung, die Dauer der Ehe und das Vorhandensein von Kindern aus der Ehe zu berücksichtigen.

Gegen das - seinem Prozessbevollmächtigten am 11.08.2021 zugestellte - Urteil hat der Kläger am 13.09.2021 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die Verfassungsmäßigkeit von § 37 Abs. 2 VersAusglG angezweifelt. Die Bezugnahme auf das bereits im Jahr 1989 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei keine ausreichende Begründung, um eine Verfassungskonformität der aktuellen Vorschrift anzunehmen. Die genannte Regelung verstoße gegen Art. 6 GG und Art. 14 GG, da sie keine „Öffnungs- bzw. Anpassungsklausel“ habe und dazu führe, dass selbst bei einer geringen Überschreitung der zeitlichen Grenze von 36 Monaten eine Zurückerstattung bzw. Rückholung der Rentenanwartschaften für alle Zeiten ausgeschlossen sei. Dies müsse er - der Kläger - nicht hinnehmen. Der Ehedauer von 40 Jahren stehe eine Überschreitung des Bezugszeitraumes von nur vier Monaten gegenüber, die zu einer dauerhaften erheblichen Kürzung seiner Rente führe. Dies sei grob unbillig, weshalb in diesem Fall § 27 VersAusglG analog heranzuziehen sei, um diese Härte abzumildern. Zwar betreffe § 27 VersAusglG das Stadium vor dem durch einen Versorgungsausgleich vorzunehmenden Ausgleich der erworbenen Rentenanrechte, wohingegen §§ 32 ff. VersAusglG lediglich die betragsmäßige Anpassung des Versorgungsausgleiches nach dessen Rechtskraft betreffe. Es sei jedoch nicht ersichtlich, weshalb eine feste zeitliche Grenze gerade nur für die Zeit nach der Rechtskraft gelten solle, während zuvor sämtliche Umstände zu berücksichtigen seien.
 
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.07.2021 und den Bescheid der Beklagten vom 22.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine ungekürzte Altersrente ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.


Sie beruft sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und weist darauf hin, dass sie die geltenden Gesetze - namentlich § 37 Abs. 2 VersAusglG, dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien - auszuführen habe.

Der Senat hat die Beteiligten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung im Beschlussweg ohne mündliche Verhandlung angehört.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2019 in der Gestalt (§ 95 SGG) Widerspruchsbescheides vom 23.07.2019 mit dem es die Beklagte ablehnte, dem Kläger eine ohne Berücksichtigung des durchgeführten Versorgungsausgleichs ungekürzte Altersrente auszuzahlen. Indes hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf eine ungekürzte Auszahlung seiner Altersrente hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die rechtlichen Grundlagen für den hier vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf ungekürzte Auszahlung seiner Altersrente nach § 37 Abs. 1 und 2 VersAusglG dargelegt und gestützt auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerfG a.a.O. und BSG a.a.O.) zutreffend ausgeführt, dass der Kläger trotz Versterbens der ausgleichsberechtigten G.A. keinen Anspruch auf Auszahlung einer ungekürzten Altersrente hat. Der Senat macht sich diese Ausführungen des SG zu eigen, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung auch insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Insbesondere hat das SG zu Recht ausgeführt, dass der Gesetzgeber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG a.a.O.) gerade nicht gehalten gewesen ist, eine einzelfallbezogene Härtefallregelung zu schaffen.

Eine analoge Anwendung des § 27 VersAusglG, wie vom Kläger für geboten erachtet, kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er nach den gesamten Umständen des Einzelfalls grob unbillig wäre. Aus Gründen der Gesetzessystematik kann eine grobe Unbilligkeit nicht mit Umständen begründet werden, deren Auswirkungen auf den Versorgungsausgleich der Gesetzgeber an anderer Stelle ausdrücklich geregelt hat. So liegt es hier im Hinblick auf den Umstand, dass die frühere Ehefrau des Klägers als im Rahmen des Versorgungsausgleichs ausgleichsberechtigte Person verstorben ist. Dies führt gemäß § 37 Abs. 2 VersAusglG nur dann zur Anpassung des Versorgungsausgleichs nach Absatz 1 der Vorschrift, wenn die ausgleichsberechtigte Person die Versorgung aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht nicht länger als 36 Monate bezogen hat. Daran fehlt es vorliegend. Vor dem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Wertung kann der Umstand, dass die frühere Ehefrau des Klägers verstorben, er aber weiterhin ausgleichspflichtig ist, nicht grob unbillig im Sinne von § 27 VersAusglG sein (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen 16.02.2016, 1 A 304/15). Für eine analoge Anwendung der Vorschrift fehlt es angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 37 VersAusglG schon an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung jeglicher Analogie.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass G.A. auch nicht lediglich 40 Monate lang Altersrente unter Berücksichtigung des durchgeführten Versorgungsausgleichs bezog, sondern vielmehr 42 Monate lang. G.A. hatte nämlich bereits ab dem Monat nach Rechtskraft der den Versorgungsausgleich durchführenden Entscheidung des AG Starnberg am 28.11.2009 - mithin also ab 01.12.2009 - Anspruch auf eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs (vgl. § 224 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten er freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG - i.V.m. § 101 Abs. 3 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -). Allerdings zahlte die Beklagte dem Kläger entsprechend § 30 Abs. 1 und 2 des VersAusglG zu Recht im Dezember 2009 und Januar 2010 noch eine ohne Berücksichtigung des durchgeführten Versorgungsausgleichs ungekürzte Rente aus. Insoweit hat das BSG in seiner Entscheidung vom 11.02.2015 (a.a.O.) bereits klargestellt, dass mit der Zahlung des auf den übertragenen Rentenanwartschaften beruhenden Teils der Rente an den ausgleichsverpflichteten Ehegatten auch im Sinne des § 37 Abs. 2 VersAusglG Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht vom Ausgleichsberechtigten „bezogen“ worden sind und diese Monate daher bei der Berechnung des Bezugszeitraums nach § 37 Abs. 2 VersAusglG zu berücksichtigen sind.

Für eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens und Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG besteht kein Anlass. Der Senat hat angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG a.a.O. und BSG a.a.O.) sowie in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des hiesigen LSG (s. u.a. LSG Baden-Württemberg 27.06.2017, L 11 R 4695/16 und 19.02.2020, L 5 R 2759/18) und anderer Berufungsgerichte (s. u.a. LSG Sachsen-Anhalt 10.10.2013, L 1 R 471/12; LSG Saarland 29.03.2012, L 1 R 78/11; LSG Berlin-Brandenburg 29.09.2016, L 3 R 916/15) keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 37 VersAusglG, weshalb eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens und Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.




 

Rechtskraft
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