L 10 U 965/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1652/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 965/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) kann keiner Listen-BK zugeordnet werden. Es liegen weiterhin keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Anerkennung des MCS-Syndroms als Wie-BK vor.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.03.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.


Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Multiplen Chemikalien-Sensitivität (MCS) als Berufskrankheit (BK) nach der Liste der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) oder als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) streitig.

Der 1954 geborene Kläger war von Januar 1989 bis Juni 2004 als Laborant im Bereich Forschung und Entwicklung bei der C1 AG (Standort: Firma W1, seit 1997 O1 GmbH) in M1 beschäftigt (Bl. 5 f. VA).

Eine Anerkennung seiner Herz- und Leberbeschwerden als BK oder Wie-BK lehnte die BG Chemie als Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden nur noch Beklagte) bereits mit Bescheid vom 05.11.2004 (Bl. 29 VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2005 (Bl. 17 ff. VA) ab, da der Kläger bei seiner Tätigkeit als Laborant nicht in gesundheitlich relevantem Ausmaß gegenüber Gefahrstoffen exponiert gewesen sei. Die anschließende Klage blieb erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim - SG - 09.05.2007, S 1 U 28/06, Bl. 21 ff. VA); das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 10 U 3071/07) erklärte der Kläger für erledigt, nachdem sich die Beklagte zur Prüfung verpflichtet hatte, ob seine psychischen Probleme als BK anzuerkennen sind (Bl. 80 f. VA).

Die Anerkennung der seelischen Beschwerden als BK oder Wie-BK lehnte die Beklagte nachfolgend ab (Bescheid vom 07.04.2009, Bl. 127 ff. VA; Widerspruchsbescheid vom 05.08.2009, Bl. 150 ff. VA; nachgehend Gerichtsbescheid des SG vom 25.05.2010, S 14 U 2969/09, Bl. 194 ff. VA). Die Berufung des Klägers wies das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 21.07.2011 (L 6 U 3018/10, Bl. 338 ff. VA) und der Begründung zurück, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1101 ff. lägen nicht vor; die psychischen Beeinträchtigungen, namentlich eine paranoide Schizophrenie, seien auch nicht als Wie-BK anzuerkennen (nachgehend Bundessozialgericht - BSG - 26.10.2011, B 2 U 233/11 B).

Ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) wegen der zuletzt genannten Bescheide blieb ebenfalls erfolglos (Bescheid vom 12.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 05.12.2012, Gerichtsbescheid des SG vom 28.01.2014, S 13 U 13/13, Bl. 444 ff. VA). Im nachgehenden, ebenfalls erfolglosen Berufungsverfahren (L 6 U 1278/14) holte das LSG Baden-Württemberg auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei B1 vom 01.11.2014 ein (dazu später).

Mit Bescheid vom 12.10.2012 (Bl. 717 f. VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2012 (Bl. 719 f. VA) lehnte die Beklagte die Anerkennung eines reduzierten Lungenvolumens, eines Reizdarms, Rückenschmerzen und einer Verschlechterung des Sehvermögens als BK ab. Den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 11.08.2014 (S 13 U 14/13, Bl. 455 ff. VA) und die angefochtenen Bescheide hob das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 24.09.2015 (L 6 U 3792/14, Bl. 475 ff. VA) aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und wies zugleich die Klage wegen fehlenden Vorverfahrens ab.

Nachfolgend lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Lungenerkrankung (reduziertes Lungenvolumen) als BK 1315, 4301/4302 und als Wie-BK ab (Bescheid vom 19.11.2015, Bl. 661 ff. VA; Widerspruchsbescheid vom 01.06.2016, Bl. 665 ff. VA; nachgehend Gerichtsbescheid des SG vom 04.06.2018, S 12 U 1796/16, Bl. 530 ff. VA; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.09.2021, L 9 U 2536/18, Bl. 545 ff. VA; Beschluss des BSG vom 16.03.2022, B 2 U 172/21 B, vgl. S. 56 ff. SG-Akte). Im Berufungsverfahren L 9 U 2536/18 war auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG das Gutachten bei F1 vom 12.10.2020 (dazu später) eingeholt worden.

Mit Schreiben vom 21.03.2022 beantragte der Kläger die Anerkennung einer MCS als BK oder Wie-BK (Bl. 580 ff. VA). Nach Einholung einer Stellungnahme bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV; Bl. 883, 892 ff. VA) und bei dem staatlichen gewerbeärztlichen Dienst beim Regierungspräsidium S1 (Bl. 903 VA) lehnte die Beklagte die Anerkennung als BK oder Wie-BK mit Bescheid vom 08.08.2022 (Bl. 920 f. VA) ab.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 26.08.2022 (Bl. 924 VA) Widerspruch ein, zu dessen Begründung er im Wesentlichen vortrug, bei seiner beruflichen Tätigkeit als Laborant bei der Firma W1 in M1 sei er über Jahre vergiftet worden durch Gase aus und über die Kanalisation sowie defekte Lüftungssysteme (u.a. durch Schwefelwasserstoff, Thionylchlorid, Zyanid, Alkohole, Ester, Teere). Auf diese Exposition seien seine Beschwerden, insbesondere seine schlechten Leberwerte, Hauterkrankungen, Erysipele mit Blutvergiftungen und Lähmungen der Füße, zurückzuführen (Bl. 924 f. VA). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2022 zurück. Da das MCS-Syndrom als Krankheitsbild keiner Listen-BK der Anlage 1 der BKV zugeordnet werden könne, scheide eine Anerkennung als BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) aus. Auch eine Anerkennung als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII komme nicht in Betracht. Es sei nach den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht klar, ob es sich bei einem MCS-Syndrom überhaupt um ein eigenständiges Krankheitsbild handele. Eine allgemein anerkannte Definition, welche Symptome zu einem MCS-Syndrom gehörten und gesicherte Erkenntnisse, welche chemischen Stoffe als Ursache dafür verantwortlich sein könnten, existierten nicht. Daher könne ein MCS-Syndrom auch nicht kausal auf die berufliche Tätigkeit und einen Kontakt zu spezifischen chemischen Stoffen zurückgeführt oder ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko zum Entstehen eines MCS-Syndroms durch einen bekannten Stoff festgestellt werden (Bl. 936 ff. VA).

Bereits am 23.08.2022 (S. 1 SG-Akte) hat der Kläger Klage beim SG erhoben (S 2 U 1652/22) und unter Vorlage des Gutachtens des B1 vom 01.11.2014 (S. 196 ff. SG-Akte) und des Gutachtens des F1 vom 12.10.2020 (S. 144 ff. SG-Akte) erklärt, diese bestätigten, dass er an einer MCS erkrankt sei.

B1 hatte nach Untersuchung des Klägers eine paranoide Persönlichkeitsstörung, eine arterielle Hypertonie sowie nach Eigenangaben des Klägers einen Zustand nach (Z.n.) einer Borreliose und nach Meningitis diagnostiziert (S. 215 f. SG-Akte). Hinweise für eine Krankheitsentität im Sinne einer MCS habe er bei dem Kläger nicht gewinnen können, auch nicht nach der von ihm behaupteten mehrjährigen Exposition. Es lägen keine solchen medizinisch-wissenschaftlichen Ergebnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vor, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten in der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen würden (S. 229 f. SG-Akte).

F1 hatte in seinem Gutachten nach Untersuchung des Klägers ausgeführt, mehrere Betriebsunfälle sowie gravierende technische und Sicherheitsmängel sprächen für eine wiederholte Exposition gegenüber Schadstoffen am Arbeitsplatz des Klägers. Meldungen, Messprotokolle oder Protokolle einer Begehung des Arbeitsplatzes des Klägers, sowie eine genaue Auflistung der infrage kommenden Schadstoffe hätten in dem sich über mehr als 17 Jahren hinziehenden Verfahren nicht beigebracht werden können. Die Feststellung von Berufskrankheiten setze aber einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen den schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) voraus. Ob und wenn ja in welcher Konzentration der Kläger gegenüber Schadstoffen exponiert gewesen bzw. diesen ausgesetzt gewesen sei, sei gutachterlich nicht zu klären gewesen, sodass es an objektiven Belegen fehle, die das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Bestehen einer Berufskrankheit im Wege eines Vollbeweises belegen könnten.

Mit Urteil vom 10.03.2023 hat das SG die Klage abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf die behördliche Feststellung einer MCS als Listen- oder Wie-BK habe. Der geltend gemachte Anspruch richte sich nach den am 01.01.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII. Nach den medizinischen Unterlagen sei eine MCS, wenn überhaupt, jedenfalls nicht vor 1997 gesichert. Der Versicherungsfall könne somit erst ab diesem Jahr eingetreten sein. Nach § 9 Abs. 1 SGB VII seien Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung sei ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht seien, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt seien; sie könne Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2).

Für die Feststellung einer Listen-BK sei im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt habe (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich ziehe (haftungsausfüllende Kausalität), sei keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müsse die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genüge indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. „Wesentlich“ sei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache könne für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange der anderen Ursache keine überragende Bedeutung zukomme. Die MCS sei keiner der in Anlage 1 zur BKV aufgeführten Listen-BK zuzuordnen, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen habe.

Die Voraussetzungen für eine Wie-BK lägen ebenfalls nicht vor. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII hätten die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet sei oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen würden, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt seien (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-BK). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift sei unter anderem davon abhängig, dass die allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Berufskrankheit nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen vorliegen. Diese allgemeinen Voraussetzungen seien erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach § 2, § 3 oder § 6 SGB VII in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen würden. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

Der Kläger hat gegen das ihm am 16.03.2023 zugestellte Urteil am 30.03.2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt, vertieft und ergänzt, es sei im gerichtlichen Verfahren nie etwas ermittelt und alles falsch dargestellt worden.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.03.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.08.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2022 zu verpflichten, bei ihm eine Multiple Chemikalien-Sensitivität als Listen- oder Wie-Berufskrankheit festzustellen.

Die Beklagte betragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung im Beschlussweg ohne mündliche Verhandlung angehört (s. S. 58 ff. und 72 Senatsakte).


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


II.

Der Senat entscheidet über die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und nach den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 08.08.2022 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2022.
 

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit dieser kombinierten Klage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 08.08.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2022, weil dieser anderenfalls seinem weiteren Begehren, der Verpflichtung zur Feststellung einer MCS als BK oder Wie-BK durch die Beklagte entgegenstünde. 

Das SG hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 10.03.2023 die rechtlichen Grundlagen der geltend gemachten Verpflichtung zur Feststellung einer MCS als BK bzw. Wie-BK sowie die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend dargestellt und unter Heranziehung der auch regelmäßig vom Senat seinen Entscheidungen zugrunde gelegten unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 266) überzeugend dargelegt, dass das MCS-Syndrom keiner Listen-BK i.S.v. § 9 Abs. 1 SGB VII zugeordnet werden kann und auch keine Wie-BK vorliegt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den diesbezüglichen überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend merkt der Senat noch an, dass weiterhin keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für eine Anerkennung des MCS-Syndroms als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII vorliegen (so bereits
LSG Baden-Württemberg 21.06.2013, L 1 U 3109/11, juris und Senatsurteile vom 19.04.2007, L 10 U 500/06 und 25.01.2007, L 10 U 1021/03, n.v.). Solche neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen nämlich nur dann vor (BSG 04.06.2002, B 2 U 20/01 R, juris, auch zum Nachfolgenden), wenn sie bei der letzten Änderung der BKV noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten BKV bzw. etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind. Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit neu sind aber auch diejenigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandenseins bei Erlass der letzten BKV oder einer Änderungsverordnung vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erkennbar geprüft worden sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BK-Liste scheitert oder er es auf Grund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse bereits abgelehnt hat, den Versicherungsschutz listenmäßig zu erweitern. Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzukommenden Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben. Eine derartige Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zu tragen (BSG 21.01.1997, 2 RU 7/96, juris; BSG 04.06.2002, a.a.O.; Senatsurteil vom 25.02.2010, L 10 U 3254/06, juris). Hat sich der Verordnungsgeber erkennbar mit den betreffenden Erkenntnissen befasst und diese als unzureichend für die Einführung einer BK abgelehnt, sind diese Erkenntnisse grundsätzlich nicht mehr neu (vgl. BSG 23.06.1977, 2 RU 53/76, juris) und die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK durch Verwaltung und Gerichte ist regelmäßig ausgeschlossen (BSG 04.06.2002, a.a.O.), wobei es einer förmlichen Ablehnungsentscheidung des Verordnungsgebers nicht bedarf (vgl. BSG 30.01.1986, 2 RU 80/84, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt vorliegend die Anerkennung einer Wie-BK weiterhin nicht in Betracht. In den letzten Jahren erfolgten wiederholt Änderungen der BKV durch den Verordnungsgeber, ohne dass dieser einen Anlass gesehen hätte, die MCS aufzunehmen (vgl. Dritte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22.12.2014 m.W.v. 01.01.2015, BGBl. I S. 2397: u.a. Aufnahme mehrerer Listen-BK in Anlage 1; Vierte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 10.07.2017 m.W.v. 01.08.2017, BGBl. I S. 2299: u.a. Aufnahme mehrerer Listen-BK in Anlage 1; Art. 24 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020 m.W.v. 01.01.2021, BGBl. I S. 1248: u.a. Ergänzung von Tatbeständen einzelner BK; Fünfte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 29.06.2021 m.W.v. 01.08.2021, BGBl. I S. 2245: Aufnahme weiterer Listen-BK in Anlage 1). Auch im Anschluss an das Urteil des Hessischen LSG vom 30.11.2021 (L 3 U 246/15, juris, Rn. 51) und die dort eingeholten Gutachten bestehen keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung. Der Kläger selbst hat das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur MCS nicht einmal behauptet; solche sind für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.

Ohne dass es noch darauf ankommt, merkt der Senat ergänzend an, dass schon das Vorliegen einer MCS beim Kläger keineswegs gesichert ist, wie sich aus dem urkundsbeweislich verwertbaren Gutachten des B1 ergibt, der beim Kläger lediglich eine
paranoide Persönlichkeitsstörung, eine arterielle Hypertonie sowie (anamnestisch) Z.n. Borreliose und Z.n. Meningitis diagnostiziert hat.

Auch das Vorbringen im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit der Kläger vorgetragen hat, das SG habe nie etwas ermittelt und alles falsch dargestellt, vermag der Senat die Kritik nicht nachzuvollziehen. Der Kläger selbst hat im Rahmen des laufenden Gerichtsverfahrens das Gutachten des F1 vorgelegt, aus dem sich - unter dessen Verwertung im Wege des Urkundsbeweises - ergibt, dass nicht feststellbar ist, ob und wenn ja, in welcher Konzentration der Kläger gegenüber Schadstoffen exponiert bzw. diesen ausgesetzt gewesen ist, sodass es schon an objektiven Belegen fehlt, die das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Bestehen einer BK belegen. Auch trifft der Vortrag des Klägers nicht zu, B1 habe bei ihm im Ausschlussverfahren eine MCS festgestellt. Dieser hat im Gegenteil gerade keine Hinweise für eine MCS bei dem Kläger finden können, auch nicht nach der von ihm behaupteten mehrjährigen Exposition. Die Grundlagen der und Schlussfolgerungen aus den vom Kläger im Verfahren vorgelegten Gutachten hat das SG richtig dargestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.




 

Rechtskraft
Aus
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