Tritt eine Gonarthrose vor dem Stichtag 01.10.2002 und damit außerhalb des zeitlichen Rückwirkungsumfangs der BK 2112 auf, kann sie nicht als Berufskrankheit anerkannt werden. Das Vorliegen von schwerer Gonarthrose an einem Knie begründet den Eintritt des Versicherungsfalls nach BK 2112. Das zeitlich nach dem Stichtag erfolgende Auftreten einer entsprechenden Gonarthrose an dem anderen Knie begründet kein Eintreten eines neuen Versicherungsfalls, wenn - wie hier - eine einseitig kniebelastende Tätigkeit nicht vorgelegen hat (Anschluss an BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R). Dabei kommt für die Anerkennung einer Gonarthrose i.S.v. BK 2112 unter bestimmten Voraussetzungen auch der alleinige Nachweis schwerer Knorpelschäden mittels MRT-Untersuchung oder vorhandener Arthroskopiebefunde in Betracht.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.03.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung seiner beidseitigen Kniegelenkserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend BK 2112).
Der 1964 geborene Kläger absolvierte von Mitte August 1980 bis Ende Juli 1983 eine Ausbildung zum Fliesenleger und war anschließend bis Ende des Jahres 2010 (Bl. 57 SG-Akte) in seinem Ausbildungsbetrieb als Fliesenlegergeselle beschäftigt, wobei ab Dezember 2009 Arbeitsunfähigkeit bestand (S. 149 VerwA). Im Rahmen dieser beruflichen Tätigkeit hatte er sowohl Wand- als auch Bodenfliesen u.a. in hockender und kniender Haltung zu verlegen und zu verfugen. Ab Ende November 2011 arbeitete der Kläger als Hausmeister (a.a.O.).
Im Oktober 2009 wandte sich der Kläger zwecks „Anerkennung der Knieerkrankungen bei Fliesenlegern“ an die Beklagte und wies auf drei stattgehabte Operationen im Bereich des linken Knies und auf eine Operation des rechten Knies bei Knorpelablösung hin.
Die Beklagte zog medizinische Befundunterlagen bei, aus denen sich bezogen auf das linke Knie u.a. eine erste Arthroskopie mit Plicaresektion und Knorpelglättung links im Jahr 1993, erneute Beschwerden seit Ende Mai 1997, weiteren Arthroskopien Mitte Juni 1997 und Ende November 2004 sowie eine Bursektomie im September 2009 und bezogen auf das rechte Knie ein traumatischer Badeunfall Anfang August 2003 (Befund vom 13.08.2003) bei röntgenologisch altersentsprechendem Befund und eine Arthroskopie im September 2003 ergeben (s. namentlich im Einzelnen Befundbericht des H-Arztes F1 vom 03.12.2009, S. 38 ff. VerwA). Die Beklagte holte im Hinblick auf eine BK 2102 (Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten) zunächst die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes vom 14.12.2009 (S. 49 ff. VerwA) und sodann das Gutachten des M1 vom 06.10.2010 ein (S. 85 ff. VerwA), der beim Kläger nach Untersuchung im Juli 2010 und unter Auswertung der aktenkundigen Befundunterlagen eine mittelgradige Gonarthrose (Grad 3) links mit geringer Funktionseinschränkung und rezidivierenden Ergüssen sowie eine beginnende Gonarthrose (Grad 1) rechts ohne Funktionseinschränkung diagnostizierte. Meniskusschäden lägen nicht vor, mithin auch keine BK 2102. Dem schloss sich der Staatliche Gewerbearzt an. Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK 2102 mit Bescheid vom 25.11.2010 (S. 106 ff. VerwA) ab.
Im Hinblick auf eine BK 2112 holte die Beklagte sodann ein weiteres Gutachten bei M1 ein. Dieser nahm in seinem Gutachten vom 10.05.2011 (S. 143 ff. VerwA) im Wesentlichen auf sein vorangegangenes Gutachten Bezug und erwähnte als „einzige relevante Nebenerkrankung“ eine Adipositas des Klägers (BMI 33,5). Als Folge der langjährigen knienden Tätigkeit des Klägers sei eine Gonarthrose links mehr als rechts eingetreten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage in Ansehung der minimalen Beweglichkeitseinschränkung links ab dem Zeitpunkt der letzten Arthroskopie im November 2004 10 v.H.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.07.2011 (S. 157 VerwA) verneinte der K1 die Frage der Beklagten, ob auf der Grundlage der Röntgenaufnahmen des linken Knies des Klägers vom 18.06. und 19.12.1997 bereits seinerzeit eine Arthrose im Ausmaß Kellgren 2 bis 4 bestanden habe.
Die Beklagte holte nunmehr beim Präventionsdienst unter dem Gesichtspunkt der BK 2112 eine Stellungnahme Arbeitsplatzexposition ein. Der Dienst gelangte u.a. nach Befragung des Klägers zu einer kumulativen Einwirkungsdauer von 15.799 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt mehr als einer Stunde pro Schicht im Zeitraum vom 20.08.1980 bis 31.07.1983 und vom 01.08.1993 bis 03.12.2009 (Stellungnahme vom 08.08.2011, S. 165 ff. VerwA).
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2011 (S. 178 f. VerwA) führte M1 u.a. aus, dass „konkurrierende Faktoren erkennbar“ seien, die eine Anerkennung der BK 2112 in Frage stellten, das nachgewiesene Belastungsprofil stehe aber in Übereinstimmung mit der festgestellten Gonarthrose. In seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 07.11.2011 (S. 184 VerwA) gab der Gutachter dann u.a. an, im linken Knie des Klägers bestehe eine Arthrose Grad 3 nach Kellgren, im rechten Knie eine Arthrose Grad 1 mit fraglicher Gelenkspaltverschmälerung und beginnenden Osteophyten.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Präventionsdienst in seiner ergänzenden Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 21.11.2011 (S. 190 f. VerwA) mit, dass bei einem Fliesenleger typischerweise von einer gleichen Belastung beider Knie auszugehen sei. Damit konfrontiert führte M1 aus (ergänzende Stellungnahme vom 05.12.2011, S. 199 VerwA), dass seiner Meinung nach die Voraussetzungen der Anerkennung einer Gonarthrose als BK „weiterhin“ vorlägen. Dagegen spreche nicht, dass die degenerativen Veränderungen auf der linken Seite deutlich stärker ausgeprägt seien als auf der rechten Seite.
Auf Hinweis der Beklagten, dass in der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 08.08.2011 der Zeitraum vom 01.08.1983 bis 31.07.1993 fehle, korrigierte der Präventionsdienst dies und errechnete für den Zeitraum vom 20.08.1980 bis 03.12.2009 eine kumulative Einwirkungsdauer von 25.348 Stunden bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt mehr als einer Stunde pro Schicht (Stellungnahme vom 28.02.2012, S. 204 VerwA).
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.03.2012 (S. 209 VerwA) führte K1 aus, dass beim Kläger nach den Röntgenbildern vom 21.07.2010 zwar links eine Gonarthrose vom Schweregrad Kellgren 3 vorliege, rechts hingegen nur von Grad 1 und dass eine überwiegend einseitige Kniebelastung des Klägers überhaupt nicht ersichtlich sei. Bei einer beruflich verursachten Gonarthrose ohne überwiegend einseitige Belastung müsse das Schadensbild aber auf beiden Seiten annähernd das gleiche Ausmaß haben (Hinweis auf die Wissenschaftliche Begründung der BK), was vorliegend gerade nicht der Fall sei. Eine BK 2112 könne mithin nicht angenommen werden und der Gutachter habe seine gegenteilige Auffassung auch nicht schlüssig begründet.
Nach zustimmender Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes verlautbarte die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.2012 (S. 212 ff. VerwA), dass eine BK 2112 beim Kläger nicht vorliege und dass Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass der unterschiedliche Schweregrad nichts an der Gonarthrose und der beruflichen Bedingtheit ändere. Es könne auch nicht „exakt erfasst“ werden, wie häufig der Kläger „nun nur einseitig in der Hocke gearbeitet“ habe. Entscheidend sei die kumulative Gesamtbelastung. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22.06.2012, S. 221 ff. VerwA).
Hiergegen hat der Kläger am 20.07.2012 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren Klage erhoben, eine BK 2112 sowie „Ansprüche auf Leistungen“ festzustellen. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Das SG hat den Radiologiebericht des E1 vom 19.10.2004 (MRT linkes Knie) sowie Röntgenaufnahmen beigezogen und F1 hat seinen o.g. Befundbericht (nunmehr mit Datum 18.02.2013) übersandt. Sodann hat das SG von Amts wegen das Sachverständigengutachten des H1 (Orthopädischen Universitätsklinik des Universitätsklinikums U1) vom 03.07.2013 (Bl. 54 ff. SG-Akte) eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung des Klägers am 24.05.2013 ausgeführt, dass sich im Bereich des linken Knies auf der Grundlage des Arthoskopiebefunds von November 2004 eine drittgradige Arthrose entsprechende der Kellgren-Klassifikation mit definitiven Osteophyten und moderater Verschmälerung des medialen Gelenkspalts zeige. Auch im Bereich des rechten Knies sei arthroskopisch schon vor fast zehn Jahren eine drittgradige Chondromalazie diagnostiziert worden, sodass zu dieser Zeit ein etwa symmetrischer Befund vorgelegen habe, wobei rechts kaum Beschwerden bestanden hätten und auch radiologisch erscheine die Situation rechts wesentlich besser als links, nämlich klinisch und radiologisch relativ blande. Auch sei zwar die Kniebeweglichkeit „weitgehend“ seitengleich, aber linksseitig endgradig - deutlich schmerzhaft - eingeschränkt (Bewegungsmaße gemäß Bl. 60 SG-Akte: beidseits Streckung/Beugung 0-0-120°). Beim Kläger bestünden zwar konkurrierende Faktoren (Adipositas 1. bis 2. Grades, BMI 35; beidseitige Innenrotationseinschränkung der Hüftgelenke mit Impingement), indes habe er über 30 Jahre als Fliesenleger gearbeitet und bereits im Juli 1993 hätten drittgradige chondromalazische Veränderungen im linken Knie vorgelegen, sodass das Lebensalter kein konkurrierender Faktor sein könne. Auch habe zum Zeitpunkt der Arthroskopien 2003 bzw. 2004 prinzipiell symmetrische Befunde bezüglich der Knorpelschädigung vorgelegen. Insgesamt sei von einer BK 2112 auszugehen.
Dem ist die Beklagte unter Hinweis darauf, dass beim Kläger lediglich links eine Gonarthrose mit Schweregrad 3 nach Kellgren, rechts jedoch nur mit Schweregrad 1, vorliege, was mit dem Schadensbild einer beruflichen gleich starken Belastung der Kniegelenke nicht in Einklang zu bringen sei. Ohnehin habe der Sachverständige eine seitengleich uneingeschränkte Kniegelenksbeweglichkeit dokumentiert, was die Annahme einer BK 2112 ebenfalls ausschließe.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2014 (Bl. 118 SG-Akte) hat der Sachverständige ausgeführt, dass im Bereich des linken Knies bereits zum Zeitpunkt der Arthroskopie am 20.07.1993 eine Gonarthrose bestanden habe, ähnlich rechts im Rahmen der dortigen Arthroskopie am 08.09.2003. Indes sei zum Stichtag (Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 1 BKV in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung - a.F. -, entspricht wörtlich § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV in der seit dem 01.08.2017 geltenden Fassung) am 30.09.2002 lediglich von einer „Gesamtstundenzahl“ von 10.698 auszugehen (s. im Einzelnen Bl. 119 f. und 123 SG-Akte). Hinsichtlich der jeweils von F1, M1 und von ihm dokumentierten Kniegelenksbeweglichkeiten (F1 am 04.06.1999: Streckung/Beugung links 0-0-130°, S. 38 VerwA; M1 am 21.07.2010: Streckung/Beugung links 0-0-130° und rechts 0-0-135°, S. 90 VerwA) lägen im Rahmen der Messtoleranz; bei der von ihm (H1) befundeten normalen Beweglichkeit müssten die Schmerzen berücksichtigt werden.
Mit Urteil vom 19.03.2014 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 27.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.06.2012 aufgehoben und - entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung allein noch gestellten BK-Feststellungsantrag (s. Bl. 124 Rs. SG-Akte) - festgestellt, dass beim Kläger die BK 2112 vorliegt; es hat zudem angeordnet, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sowohl die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen (Hinweis auf die Stellungnahmen des Präventionsdienstes) als auch die medizinischen Voraussetzungen erfüllt seien. Hinsichtlich Letzterem hat es sich auf das Gutachten des M1 und auf das Sachverständigengutachten des H1 gestützt. Im linken Kniegelenk des Klägers bestehe ein röntgenologischer Befund von Kellgren Grad 3, im rechten von Grad 1, was indes nicht der Annahme der BK 2112 entgegenstehe. Ebenfalls nicht entgegenstehe, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Fliesenleger im Wesentlichen beidseitig kniend gearbeitet habe. Zwar trete eine Gonarthrose i.S.d. BK 2112 „in der Regel“ beidseitig auf (Hinweis auf das Merkblatt zur BK), schließe aber Abweichendes nicht aus. Beim Kläger sei insgesamt trotz konkurrierender Faktoren sowie der Asymmetrie der Beschwerden und der bildgebenden Befunde von einem wahrscheinlichen beruflichen Zusammenhang auszugehen; dagegen spreche auch nicht das schnellere Voranschreiten der Erkrankung links gegenüber rechts. Schließlich sei der erhobene Anspruch auch nicht wegen § 6 Abs. 1 Satz 1 BKV a.F. ausgeschlossen. Zwar habe der Kläger bereits vor dem 30.09.2002 an einer Gonarthrose gelitten, indes habe diese noch nicht ein Ausmaß von Grad 2 bis 4 nach Kellgren erreicht (Hinweis auf K1) und auch seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt gewesen (Hinweis auf die Berechnungen des H1).
Gegen das ihr am 08.05.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.06.2014 Berufung eingelegt (seinerzeit L 10 U 2449/14) und geltend gemacht, dass die einseitige Gonarthrose i.S.d. BK 2112 des Klägers (links) nach dem BK-Merkblatt entgegen dem SG gerade nicht durch die beidseitige berufliche Belastung erklärt werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.03.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat bildgebendes Material beigezogen und von Amts wegen bei dem Arzt S1 das Sachverständigengutachten vom 13.10.2015 (Bl. 35 ff. Senats-Akte L 10 U 2449/14) eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung des Klägers am 26.03.2015 eine Bewegungseinschränkung des linken Knies (Streckung/Beugung 0-20-110°) bei zwischenzeitlich stattgehabter Implantation einer medialen unikondylären Oberflächenprothese sowie ein Streckdefizit des rechten Knies (Streckung/Beugung 0-10-140°) bei Gonarthrose diagnostiziert. Zusammenfassend hat er ausgeführt, dass die radiologischen Voraussetzungen der BK 2112 im Bereich des linken Knies auf der Grundlage der Röntgenbilder vom 24.09.2008 (Kellgren Grad 2 bis 3) und 21.07.2010 (Kellgren Grad 3) vorlägen, bezüglich des rechten Knies auf der Grundlage der entsprechenden Röntgenbilder vom 21.07.2010 hingegen nicht (Kellgren Grad 1); es bestehe somit links gegenüber rechts ein Unterschied, der mehr als 1 Grad nach der Kellgren-Einteilung betrage. Dies spreche gegen die Anerkennung einer BK 2112, zumal eine einseitige berufliche Kniebelastung mit entsprechenden Befunden nirgends dokumentiert sei und der Kläger eine solche einseitige Beanspruchung auch nicht geltend gemacht habe. Allerdings liege arthroskopisch - ausgehend von den Arthroskopiebefunden vom 25.06.1997 (links) und 08.09.2003 (rechts) - eine „Gleichseitigkeit“ vor. Die „Zeitvorgaben“ erschienen erfüllt und eine rein röntgenologische (und nicht auch arthroskopische) Betrachtung entspreche nicht der aktuellen Begutachtungsempfehlung. Problematisch sei freilich das Übergewicht des Klägers als stark konkurrierender Faktor: Gleichwohl erscheine im Ergebnis ein beruflicher Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich. Auch H1 habe dies angenommen.
Die Beklagte ist dem mit der beratungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für B1 vom 02.03.2016 (Bl. 77 ff. Senats-Akte L 10 U 2449/14) entgegengetreten. Zwar sei es, so B1, zutreffend, dass arthroskopisch von einer Gleichseitigkeit (tiefreichende Knorpelschäden beidseits) auszugehen sei, wobei röntgenologisch rechts - auch noch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch S1 - eine Gonarthrose i.S.d. angeschuldigten BK nicht vorliege. Indes habe beim Kläger in Ansehung der schweren Knorpelschäden links bereits im Juli 1993 und Juni 1997 eine anerkennungsfähige Arthrose i.S.d. späteren BK 2112 vorgelegen, sodass der Versicherungsfall vor dem 30.09.2002 eingetreten sei. Gleiches dürfte hinsichtlich der arthrotischen Veränderungen im rechten Knie gelten. Hinzukomme, dass das Übergewicht des Klägers ebenso wie der röntgenologische Seitenunterschied (mehr als ein Kellgren-Grad) gegen eine berufliche Verursachung spreche. Es spreche zwar im Ergebnis mehr für als gegen eine berufliche Verursachung, und die arthroskopisch nachgewiesenen Knorpelschäden entsprächen einer Gonarthrose i.S.d. BK 2112, einer Anerkennung stehe freilich die gesetzliche Rückwirkungsbegrenzung entgegen.
Ergänzend dazu hat die Beklagte darauf hingewiesen (vgl. Bl. 82 Senats-Akte L 10 U 2449/14), dass auch H1 in seiner ergänzenden Stellungnahme - auch wenn er hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen die korrigierte (Ausgangs-)Berechnung des Präventionsdienstes übersehen habe (kumulative Einwirkungsdauer bis zum 30.09.2002 nicht 10.698, sondern 20.222 Stunden) - der Sache nach den (medizinischen) Versicherungsfall der BK 2112 bereits vor dem 30.09.2002 bestätigt habe.
Mit Beschluss vom 22.07.2016 hat der Senat auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf ein seinerzeit beim Bundessozialgericht (BSG) anhängiges Revisionsverfahren (B 2 U 5/16 R) angeordnet.
Nach Wiederanrufung im Anschluss an das Urteil des BSG vom 20.03.2018 im o.a. Verfahren hat die Beklagte zusammenfassend geltend gemacht (Bl. 7 ff. Senats-Akte), dass nach der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Begutachtungsempfehlung nicht - „wie das BSG“ - allein auf die Röntgenbefunde abzustellen sei, sondern (auch) auf vorhandene Arthroskopiebefunde. Danach habe beim Kläger bereits vor dem Stichtag eine Gonarthrose i.S.d. BK 2112 vorgelegen und zwar nicht nur links, sondern auch rechts. Selbst wenn man Letzteres nicht als nachgewiesen ansehen wollte, käme die begehrte Anerkennung aus den entsprechenden Gründen der Entscheidung des BSG nicht in Betracht. Unabhängig davon sei auch eine berufliche Verursachung der Kniegelenksbeschwerden nicht hinreichend wahrscheinlich.
Die Klägerseite hat dem - ebenfalls zusammenfassend - entgegengehalten (Bl. 17 ff. Senats-Akte), dass nach K1 das Vollbild der BK-Gonarthrose (links) gerade nicht vor dem Stichtag vorgelegen habe. Zudem habe das BSG in seiner Entscheidung vom 20.03.2018 ausdrücklich auf das Vorliegen röntgenologischer Befunde und das kumulative Vorliegen der in der Begutachtungsempfehlung genannten Kriterien abgestellt; nichts davon habe beim Kläger vor dem Stichtag vorgelegen. Auch nach der Begutachtungsempfehlung komme der Röntgendiagnostik ein größeres Gewicht bei und Arthroskopiebefunde hätten danach gerade keine Vorrangfunktion. Ein beruflicher Ursachenzusammenhang liege ebenfalls vor, die Ausführungen des SG seien in jeder Hinsicht zutreffend.
Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes vorgelegt (vom 28.07.2021, Bl. 26 ff. Senats-Akte: Erreichen einer kumulativen Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden im Juni 1995).
Der Senat hat sodann von Amts wegen bei S1 die ergänzende Stellungnahme vom 08.10.2021 eingeholt (Bl. 38 ff. Senats-Akte). Der Sachverständige hat klargestellt, dass beim Kläger bezogen auf das linke Knie die röntgenologischen Voraussetzungen der angeschuldigten BK bezogen auf den 24.09.2008 (Röntgenbilder von diesem Tag) vorlägen; arthroskopisch hingegen seien bereits am 25.06.1997 Knorpelschäden mit Grad 3 bis 4 und entsprechenden Funktionsstörungen dokumentiert, was unter Zugrundelegung der unfallmedizinischen Literatur eine Gonarthrose i.S.d. BK 2112 darstelle. Bezüglich des rechten Knies bestehe röntgenologisch eine derartige Gonarthrose hingegen nicht; auch insoweit ergebe sich aber Anderes aus dem Arthroskopiebefund vom 08.09.2003 (Knorpelschaden Grad 3) mit Beschwerdesymptomatik (erstmals) am 13.08.2003, der eine Gonarthrose i.S.d. BK 2112 nachweise und zwar nach dem Stichtag. Freilich sei andererseits die „Annahme begründet“, dass die am 08.09.2003 arthroskopisch festgestellten Knorpelschäden rechts auch schon am 30.09.2002 bestanden hätten, eine exakte zeitliche Zuordnung bleibe jedoch lediglich spekulativ.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Bl. 45, 48 Senats-Akte).
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und auch begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 27.03.2012 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 22.06.2012, soweit die Beklagte damit die Anerkennung der beidseitigen Kniegelenkserkrankung des Klägers als BK 2112 abgelehnt hat.
Dagegen wendet sich der Kläger statthaft und auch im Übrigen zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 56 SGG; dazu statt vieler nur BSG 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, in juris, Rn. 10 m.w.N., st. Rspr.).
Diese Klage ist indes unbegründet, sodass das SG die angefochtenen Bescheide zu Unrecht aufgehoben und eine BK 2112 festgestellt hat. Der Bescheid vom 27.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.06.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf gerichtliche Feststellung einer BK 2112.
Materiell-rechtliche Grundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. der Anlage 1 zur BKV. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet hat (sog. Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (s. nur BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, in juris, Rn. 12 m.w.N., auch zum Folgenden) ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (s. nur BSG 05.08.1993, 2 RU 34/92, in juris, Rn. 16 m.w.N.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).
Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt somit voraus, dass die Bundesregierung als Verordnungsgeberin die Krankheit als Berufskrankheit in der Anlage 1 der BKV bezeichnet hat und dass sämtliche Merkmale dieses Tatbestands erfüllt sind (BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, a.a.O. Rn. 13 m.w.N.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG 20.12.2016, B 2 U 16/15 R, in juris, Rn. 23 m.w.N.).
Zu den von der Bundesregierung in der Anlage 1 der BKV bezeichneten Berufskrankheiten zählt die vorliegend angeschuldigte Berufskrankheit. Sie umfasst nach der durch Art. 1 Nr. 3 lit. c) der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 11.06.2009 (BGBl. I S. 1273) mit Wirkung vom 01.07.2009 eingefügten Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV die „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“.
Mit der Einfügung der BK 2112 in die Anlage 1 zur BKV ist in § 6 Abs. 1 Satz 1 BKV a.F. bestimmt worden, dass eine Krankheit nach Nr. 2112, an der Versicherte am 01.07.2009 litten, auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist. Diese Regelung ist nachfolgend ohne inhaltliche Änderung mit der Dritten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22.12.2014 (BGBl. I S. 2397) in § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV a.F. und mit der aktuellen, seit dem 01.08.2017 geltenden Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 10.07.2017 (BGBl. I S. 2229) in § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV verschoben worden, der somit hier anzuwenden ist (vgl. nur BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, in juris, Rn. 9, 14); diese Stichtagsregelung ist mit höherrangigem Recht vereinbar (BSG a.a.O. Rn. 22 m.w.N., auch zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts).
Mit dem Begriff „Versicherungsfall“ in § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV ist der „Erkrankungsfall“ gemeint (BSG a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Der Erkrankungsfall der Gonarthrose i.S.d. BK 2112 tritt ein, sobald ein (sic!) Kniegelenk die diagnostischen Kriterien dieser Krankheit erfüllt, weil es sich bei den Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken um einen einheitlichen Erkrankungsfall handelt. Der Versicherungsfall der Gonarthrose setzt mithin nicht voraus, dass an beiden Knien eine Erkrankung vorliegt (BSG a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).
Für den Eintritt des Erkrankungsfalls müssen die Kriterien vorliegen, die nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Diagnose sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an. Dabei sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe die Merkblätter heranzuziehen, auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der Berufskrankheit noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Stands der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG a.a.O. Rn. 17 m.w.N., auch zum Vorstehenden).
Nach dem Merkblatt zur BK 2112 (Bek. des BMAS 30.12.2009, IVa 4-45222-2112, GMBl. 2010, S. 98 ff.) hat die Diagnose einer Gonarthrose folgende Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen: chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad 2 bis 4 der Klassifikation von Kellgren et al. (s. dazu BSG, a.a.O., Rn. 18).
Freilich sind diese Kriterien auf der Grundlage des seitherigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands ergänzt worden (s. Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung, Bek. des BMAS vom 24.10.2011, IVa 4-45222-2112, GMBl. 2011, S. 983 m.w.N.; Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nummer 2112 - Gonarthrose, hrsgg. von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, e.V., Berlin Juni 2014, S. 8; Schiltenwolf/Rompe in Weise/Schiltenwolf, Grundkurs orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2. Aufl. 2014, S. 191; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 672 ff.). Danach liegt eine Gonarthrose mit dem erforderlichen Schweregrad i.S.d. BK 2112 nicht nur dann vor, wenn eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk besteht, sondern auch, wenn ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur gegeben ist.
Auch ist in der unfallmedizinisch-wissenschaftlichen Literatur seit langem anerkannt, dass die Original-Klassifikation der Gonarthrose nach Kellgren et. al von Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre für die Begutachtung der BK 2112 in der Regel zu spezifizieren ist, zumal die Klassifikation im Original nur eine ausschließlich deskriptive Beschreibung der Röntgenmorphologie enthält (s. im Einzelnen die Begutachtungsempfehlung a.a.O. S. 24 ff.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 672, 674 f.; Schiltenwolf/Rompe a.a.O., S. 185). Neben der Röntgendiagnostik kommen insbesondere zum Beweis eines Knorpelschadens bzw. dessen Schweregrads auch MRT-Befunde und ggf. Athroskopiebefunde in Betracht, die in die Bewertung einzubeziehen sind. Gerade die Kernspintomographie erlaubt neben der Bildrekonstruktion in allen Raumebenen die Beurteilung des Gelenkknorpels, der Menisci, des Bandapparats, eines möglichen Knochenmarködems sowie von Knochen- und Weichteilveränderungen und steht an zweiter Stelle im Untersuchungsablauf degenerativer Gelenkerkrankungen (Begutachtungsempfehlung a.a.O., S. 26, 28). Dabei kommt für die Anerkennung einer Gonarthrose i.S. der BK unter bestimmten Voraussetzungen auch der alleinige Nachweis schwerer Knorpelschäden mittels MRT-Untersuchung in Betracht (Begutachtungsempfehlung a.a.O., S. 29). Nämliches gilt in Bezug auf Arthroskopiebefunde, freilich mit der Maßgabe, dass allein zum Zweck einer gutachtenbezogenen Beurteilung keine arthroskopischen Untersuchungen zu erfolgen haben (Begutachtungsempfehlung a.a.O., S. 32; so auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 674 f.). Zusammenfassend führt die Begutachtungsempfehlung dazu aus (a.a.O., S. 35): „Im Hinblick auf die präziseren Nachweismöglichkeiten, die sich durch die Anwendung von CT- oder MRT-Aufnahmen sowie anhand von Arthroskopie-Befunden ergeben, kommt diesen Nachweisen gegenüber dem nativ-röntgenologischen Bildmaterial eine hervorgehobene Bedeutung zu. Dennoch sind CT- und MRT-Untersuchungen keinesfalls regelhaft zu fordern, sondern auch unter ethischen sowie Strahlenschutz-Gesichtspunkten nur dann durchzuführen, wenn sie für die Diagnosesicherung und/oder die Beurteilung von Kausalzusammenhängen bzw. die Bewertung von BK-Folgen notwendig sind. Arthroskopien dürfen auch weiterhin nicht zu diagnostischen Zwecken gefordert sowie durchgeführt werden und bleiben therapeutischen Ansätzen vorbehalten. Dennoch eignen sich vorliegende Ergebnisse zu Beweiszwecken.“
Dass mithin bei der diagnostischen Ermittlung und Bewertung des Schweregrads einer Gonarthrose nach und entsprechend Kellgren et al. nicht nur Röntgenbilder einzubeziehen sind, sondern auch vorhandenes MRT-Bildmaterial und Arthroskopiebefunde, haben auch die Sachverständigen H1 und S1 ohne Weiteres - gerade unter Hinweis auf die Begutachtungsliteratur - zugrunde gelegt. Dem Senat erschließt sich auch nicht, warum weitaus präzisere Diagnosemethoden (MRT, Arthroskopie) als Röntgenbilder von vornherein außen vor bleiben sollten. Es wäre nicht plausibel zu erklären, warum bei einem röntgenologisch unklaren oder gar negativen Befund, aber bei bildgebend (MRT) oder arthroskopisch nachgewiesener Arthrose mit einem Schwergrad von 2 oder mehr nach Kellgren et al. eine BK 2112 - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nicht anerkannt werden sollte. Dazu verhält sich auch das Merkblatt zur BK 2112 überhaupt nicht, sondern verweist allein auf die „röntgenologische Diagnose entsprechend“ Kellgren et al., ohne andere diagnostische Methoden zur Einordnung von morphologischen Veränderungen in die Einteilung nach Kellgren et al. auch nur zu erwähnen, geschweige denn sie auszuschließen. Unabhängig davon gibt das Merkblatt zur BK 2112 aus dem Jahr 2009 eben - wie dargelegt - insoweit nicht den seitherigen, aktuellen wissenschaftlich-medizinischen Kenntnisstand wieder; das Merkblatt gibt keine verbindliche Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen der BK vor und beinhaltet gerade auch keine Dokumentation des Stands der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (BSG a.a.O. Rn. 17). Ohnehin kann das Merkblatt vom 30.12.2009 denklogisch neue oder auch nur „geläuterte“ Erkenntnisse in der Zukunft nicht umfassen, weswegen sich die einschlägigen medizinischen Fachkreise mit Vertretern verschiedener Fachgesellschaften und Organisationen gerade damit befasst und entsprechende Ergänzungen und Präzisierungen konsentiert haben, was die Wissenschaftliche Stellungnahme vom 24.10.2011 (a.a.O.) und die Begutachtungsempfehlung (a.a.O.) - denen die unfallmedizinische Literatur folgt - anschaulich zeigen (zur Maßgeblichkeit von aktuellen Begründungen namentlich des Sachverständigenbeirats und von Konsensempfehlungen - neben Merkblättern des zuständigen Ministeriums - s. nur BSG 23.04.2015, B 2 U 10/14 R, in juris, Rn. 20); unabhängig davon ist stets - auch bei rückschauender Betrachtung - der aktuelle, ggf. auch „geläuterte“, wissenschaftliche Erkenntnisstand zugrunde zu legen (BSG a.a.O.).
Demgemäß ist die Auffassung der Klägerseite, für die Bewertung des Schweregrads nach Kellgren et al. seien ausschließlich Röntgenbefunde maßgeblich, unzutreffend, denn dies entspricht - wie aufgezeigt - gerade nicht dem wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisstand. Fehl geht dabei auch die Annahme, das BSG habe in seinem Urteil vom 20.03.2018 (B 2 U 5/16 R, a.a.O., Rn. 18) durch Bezugnahme allein auf das Merkblatt vom 30.12.2009 einen entsprechenden („röntgenologische Diagnose“) Rechtssatz gebildet. Zum einen hat das BSG in der Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein ministerielles Merkblatt die Tatbestandsvoraussetzungen einer BK gerade nicht verbindlich konkretisiert, zum anderen hatte das BSG überhaupt keine Veranlassung im konkreten Fall, die allgemeine (generelle) Tatsache des Diagnosekriteriums anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands revisionsrechtlich zu überprüfen (s. dazu BSG 23.04.2015, B 2 U 10/14 R, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.), denn im dortigen Fall hatte das Tatsachengericht für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass „diese Diagnosekriterien am Stichtag (30.9.2002) erfüllt“ gewesen sind (s. BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, a.a.O., Rn. 14, 19).
Unter Zugrundelegung dessen ist der Senat aus den nachfolgenden Erwägungen davon überzeugt, dass beim Kläger der Versicherungsfall der BK bereits vor dem Stichtag des § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV (01.10.2002), nämlich spätestens am 25.06.1997, vorlag, weil zu diesem Zeitpunkt eine Gonarthrose am linken Knie bereits voll ausgeprägt war. Damit kommt im vorliegenden Fall eine Anerkennung eines (weiteren) Versicherungsfalls der Gonarthrose zum 08.09.2003 bezogen nur auf das rechte Knie nicht mehr in Betracht, denn mit dem Versicherungsfall bezüglich des linken Knies lag die „Erkrankung Gonarthrose“ i.S.d. BK 2112 insgesamt bereits vor dem Stichtag und damit außerhalb des zeitlichen Rückwirkungsumfangs der Listen-BK vor (vgl. BSG a.a.O. Rn. 21).
Der Sachverständige S1 hat in seinem Gutachten für den Senat nebst ergänzender Stellungnahme im Einzelnen befundgestützt und unter Auswertung der aktenkundigen Befundunterlagen - insbesondere des Arthroskopiebefunds des linken Knies vom 25.06.1997 - sowie unter Zugrundelegung namentlich der o.a. Begutachtungsempfehlung und der unfallmedizinischen Literatur in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass und warum beim Kläger jedenfalls am 25.06.1997 im Bereich des linken Knies eine Arthrose mit Knorpelschaden entsprechend Kellgren et. al. Grad 3 bis 4 sowie mit chronischen Kniebeschwerden und funktionellen Einschränkungen (u.a. schmerzhafte Gehstörung) vorlag. Dem hat der Kläger nichts entgegengesetzt und auch der Sachverständige H1 ist - ebenso wie B1, dessen überzeugende beratungsärztliche Stellungnahme vom 02.03.2016 als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar ist - davon ausgegangen, dass beim Kläger eine Gonarthrose i.S.d. BK 2112 im linken Knie bereits im Juni 1997 nachgewiesen ist. Dass die genannten Ärzte maßgeblich auf den entsprechenden Arthroskopiebefund abgestellt haben, ist nicht nur nicht zu beanstanden, sondern entspricht dem medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand (s.o.).
Damit geht der Hinweis der Klägerseite auf die Röntgenbefunde, namentlich die Röntgenbilder vom linken Knie (erst) vom 24.09.2008 (nach dem Stichtag) ins Leere, ebenso wie die (im Wege des Urkundsbeweises verwertbare) beratungsärztliche Stellungnahme des K1 vom 28.07.2011, die ohnehin schon keinerlei Begründung enthält.
Aus den (urkundsbeweislich verwertbaren) Gutachten des M1 nebst ergänzender Stellungnahmen folgt schon deshalb nichts Abweichendes, weil er sich mit der hier entscheidungserheblichen Frage, ob beim Kläger bereits vor dem 01.10.2002 eine BK-Gonarthrose im Bereich des linken Knies vorlag, überhaupt nicht befasst hat.
Damit steht für den Senat fest, dass das Vollbild einer Gonarthrose i.S.d. BK 2112 beim Kläger bereits am 25.06.1997 erfüllt war. Zu diesem Zeitpunkt (genauer: schon im Juni 1995) waren auch die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht gegeben, was der Senat auf die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes vom 28.07.2021 stützt und der die Klägerseite ebenfalls nichts entgegengesetzt hat. Nur am Rande merkt der Senat an, dass die Berechnungen des H1 in seiner ergänzenden Stellungnahme fehlerhaft sind, weil er als Ausgangspunkt nicht die korrigierte Berechnung des Präventionsdienstes vom 28.02.2012, sondern die Berechnung vom 08.08.2011, bei der versehentlich der Zeitraum vom 01.08.1983 bis 31.07.1993 fehlte, zugrunde gelegt hat.
Wie bereits oben dargelegt, führt der Umstand, dass beim Kläger nach dem Stichtag, nämlich am 08.09.2004, arthroskopisch - freilich nicht röntgenologisch - (auch) im Bereich des rechten Knies eine Gonarthrose entsprechend Grad 3 nach Kellgren et al. nachgewiesen ist, auch dies haben die Sachverständigen und B1 überzeugend und übereinstimmend dargelegt, nicht zur Feststellung der BK 2112, denn dies ändert nichts daran, dass die (einheitliche) „Erkrankung Gonarthrose“ i.S.d. BK 2112 insgesamt bereits vor dem Stichtag vorlag (s.o. und erneut BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, a.a.O., Rn. 21).
Zwar hat das BSG in seinem Urteil vom 20.03.2018 (a.a.O. m.w.N.) ausgeführt, dass „jedenfalls theoretisch nicht völlig auszuschließen“ sei, dass sich in „besonders gelagerten Einzelfällen“ feststellen lasse, dass die Schäden an den einzelnen Knien auf voneinander unabhängige Einwirkungen, namentlich überwiegend einseitige berufliche Kniebelastungen, zurückzuführen seien, sodass sie „ausnahmsweise“ als selbständige Erkrankungsfälle anzusehen wären. Einen derartigen Ausnahmefall schließt der Senat vorliegend aus, denn dafür gibt es schlicht keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger hat nicht einmal selbst auch nur behauptet - auch nicht in seiner Befragung durch den Präventionsdienst -, geschweige denn substantiiert dargelegt, dass er in einem nennenswerten Umfang jemals und überwiegend (sic!) einseitig kniebelastend als Fliesenleger gearbeitet hat; darauf haben K1 (beratungsärztliche Stellungnahme vom 07.03.2012, urkundsbeweislich verwertbar) und S1 zutreffend hingewiesen und Derartiges nicht einmal in Erwägung zu ziehen vermocht. Soweit der Kläger nur pauschal gemeint hat, „es könne nicht exakt erfasst“ werden, wie häufig er „nur einseitig in der Hocke gearbeitet“ habe, geht dies gänzlich am eigentlichen Thema vorbei, denn für einen nur ausnahmsweise („theoretisch nicht völlig auszuschließenden“) anzunehmenden eigenständigen, isolierten Erkrankungsfall kommt es nicht darauf an, ob der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit „auch“ einseitig kniebelastend gearbeitet hat, sondern für eine erneute nur das rechte Knie schädigende Exposition nach der Gonarthrose am linken Knie hätte er nach dem Stichtag (s. dazu wiederum BSG a.a.O.) überwiegend einseitig kniebelastend arbeiten müssen. Dafür ist rein nichts ersichtlich.
Unabhängig davon sind beim Kläger auch chronische Kniebeschwerden rechts mit entsprechenden Funktionsstörungen im oben dargelegten Sinne als (weitere) Voraussetzung für die Feststellung einer BK 2112 bezogen auf das rechte Knie gar nicht dokumentiert, worauf S1 zutreffend hingewiesen hat. Der Kläger begab sich vielmehr im Anschluss an seinen Badeunfall in der Türkei mit Verletzung des rechten Knies (Verdrehtrauma, s. Befund F1 vom 13.08.2003, S. 38 VerwA) in Behandlung und nicht etwa wegen arthrotischer Beschwerden. Sowohl bei der späteren Untersuchung durch M1 im Juli 2010 als auch bei der Untersuchung durch H1 im Mai 2013 haben keine Funktionsstörungen seitens des rechten Knies vorgelegen. Erstmals hat dann S1 im Rahmen seiner Untersuchung im März 2015 rechts ein (nur endgradiges) Streckdefizit von 10° - bei „übernormaler“ Beugefähigkeit von 140° (Normwert: 120°, s. Streicher/Pretterklieber in Anderhuber/Pera/Streicher, Waldeyer - Anatomie des Menschen, 19. Aufl. 2012, S. 107; Arlt in Pschyrembel online, Stichwort „Kniegelenk“, Stand 01/2019) - befundet, was freilich nichts an der fehlenden Dokumentation von entsprechenden chronischen Kniegelenksbeschwerden (rechts) ändert. Wie oben schon dargelegt, müssen die dort genannten diagnostischen Kriterien kumulativ (s. erneut BSG 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, a.a.O., Rn. 18) erfüllt sein, was sich indes gerade keinem der vorliegenden Gutachten und auch den übrigen aktenkundigen Befundunterlagen nicht entnehmen lässt.
Abschließend merkt der Senat noch an, dass sowohl der Beteiligtenvortrag als auch die ärztlichen Äußerungen im Verfahren ganz überwiegend am eigentlichen Kern des vorliegenden Rechtsstreits (§ 6 Abs. 3 Satz 1 BKV) vorbeigegangen sind. Insbesondere kommt es aus Rechtsgründen hier nicht entscheidungserheblich auf konkurrierende Ursachen an und auch nicht darauf, aus welchen Gründen sich die Kniegelenksbeschwerden des Klägers links anders entwickelt haben als rechts. Ebenso ist unerheblich, dass der Kläger die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2112 (bereits im Juni 1995) erfüllt hat. Denn all dies ändert nichts daran, dass der Erkrankungsfall der angeschuldigten Berufskrankheit noch vor deren Aufnahme in die BK-Liste eintrat und dass vorliegend die Rückwirkungssperre des § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV eingreift. Den Ausführungen des SG ist weitgehend schon durch die Entscheidung des BSG vom 20.03.2018 die Grundlage entzogen und soweit es allein auf die röntgenlogische „Beurteilung“ des K1 abgestellt hat (s. S. 9 UA a.E.), ist dem aus den oben dargelegten Gründen nicht zu folgen.
Mithin kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.