L 10 U 1328/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3188/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1328/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Ein von einer Behörde übersandtes Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 65d SGG und wahrt die Formvorschriften für die Berufung nicht.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil Sozialgerichts Ulm vom 15.03.2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls im Streit.

Mit Urteil vom 15.03.2023 - der Beklagten ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 05.04.2023 zugestellt - hat das Sozialgericht Ulm (SG) den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2020 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente nach einer MdE um 30 v.H. ab dem 01.02.2020 zu bewilligen.

Mit Schriftsatz vom 03.05.2023, welcher am 04.05.2023 per Telefax und am 08.05.2023 per Post beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangen ist, hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Mit gerichtlichen Verfügungen vom 22.05.2023 und vom 30.05.2023 hat der Senat die Beklagte unter Verweis auf die Kommentarliteratur, die höchstrichterliche Rechtsprechung (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 30.03.2006, 8 B 8/06) und § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) darauf hingewiesen, dass die erhobene Berufung unzulässig sein dürfte, da sie nicht - entsprechend § 65d Sozialgerichtsgesetz (SGG) - mittels elektronischen Dokumentes, sondern lediglich per Telefax und Briefpost erhoben worden ist, und eine Verwerfung der Berufung als unzulässig gem. § 158 SGG angekündigt.

Daraufhin hat die Beklagte mitgeteilt, dass es sich bei einem Telefax um ein elektronisch übermitteltes Dokument gem. § 65d SGG handele, da das Dokument, das als Papierdokument in ein Telefaxgerät eingeführt und dort zunächst elektronisch eingelesen werde, schlussendlich auf elektronischem Wege übermittelt werde. Überdies sei dem Wortlaut des § 65d SGG nicht zu entnehmen, dass nur ein Dokument im PDF-Format ein elektronisches Dokument darstelle. Auch ein Telefax könne allein computergesteuert veranlasst werden und könne daher nichts Anderes als ein elektronisches Dokument darstellen, da die Datenübermittlung auf elektronischem Wege stattfinde. Sofern dies in Kommentierungen anders ausgelegt werde, stehe dies im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut. Soweit auf die Ausführungen im ERVV verwiesen worden sei, sei es der Beklagten nicht zumutbar, bei jeder Gesetzesänderung sämtliche erläuternde Auslegungsnormen oder Verordnungen auszuwerten und zu berücksichtigen. Vielmehr sei es Sache des Gesetzgebers, einen entsprechenden Verweis in § 65d SGG einzufügen, um dessen verbindliche Anwendbarkeit klarzustellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.03.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.              

Er hat sich den Hinweisen des Senats angeschlossen.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


II.

Die Berufung der Beklagten ist unzulässig und daher zu verwerfen.

Gemäß § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie (u.a.) nicht in elektronischer Form eingelegt worden ist. Die Entscheidung kann nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen, wobei bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken (§ 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG). Davon macht der Senat vorliegend nach Anhörung der Beteiligten Gebrauch.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt wird. Nach § 65a SGG können dem Gericht elektronische Dokumente nach bestimmten Kriterien übermittelt werden. Für Behörden wie die Beklagte besteht nach § 65d Satz 1 SGG die Pflicht zur Übermittlung u.a. schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument. Innerhalb der bis zum 05.05.2023 währenden einmonatigen Berufungsfrist hat die Beklagte keine formgerechte Rechtsmittelschrift eingereicht. Die Berufung ist daher als unzulässig zu verwerfen.


Die seit 01.01.2022 geltende Vorschrift des § 65d Satz 1 SGG (Gesetz vom 10.10.2013, BGBl. I S. 3786) bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Ab dem 01.01.2022 sind damit insbesondere Rechtsanwälte und Behörden zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments verpflichtet, die Einreichung als Schriftstück oder Telefax ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirksam (vgl. Bundessozialgericht - BSG - 16.02.2022, B 5 R 198/21 B, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris). Dies wird aus der Gesetzesbegründung zum inhaltlich gleichlautenden § 130d Zivilprozessordnung (ZPO) deutlich. Danach führt die Regelung eine Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte und Behörden ein. Nachdem durch Art. 1 § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz - EGovG) sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (vom 25.07.2013, BGBl. I S. 2749) Bundesbehörden verpflichtet worden sind, bis Ende 2014 einen elektronischen Zugang zu eröffnen und bis 01.01.2020 die Akten elektronisch zu führen (Art. 1 § 6 i.V.m. Art. 31 Abs. 5 a.a.O.), hat es der Gesetzgeber als gerechtfertigt angesehen, Behörden ab dem 01.01.2022 zur Nutzung sicherer Übermittlungswege für die Kommunikation mit der Justiz zu verpflichten. Um den elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren, wird eine Pflicht vorgesehen, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Ausdrücklich hingewiesen wird darauf, dass die Einreichung eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten ist. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27).

Das SGG trifft - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch ausdrückliche Regelungen zu den elektronischen Dokumenten und deren Übermittlung. § 65a Abs. 1 SGG bestimmt allgemein, dass elektronische Dokumente nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 bei Gericht eingereicht werden können. Nach § 65a Abs. 2 SGG muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein und bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. Hierzu hat die Bundesregierung die ERVV erlassen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV (i.d.F. vom 05.10.2021, BGBl. I S. 4607 m.W.v. 01.01.2022) ist das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Nur wenn bildliche Darstellungen nicht verlustfrei im Dateiformat PDF wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden, § 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV. Nach § 65a Abs. 3 Satz 1 SGG muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Als sichere Übermittlungswege bestimmt § 65a Abs. 4 SGG den Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt (Nr. 1), den Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichtetem elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts (Nr. 2), den Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts (Nr. 3) und sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet ist (Nr. 4). Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist, § 65a Abs. 5 Satz 1 SGG. Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich und unmissverständlich geregelt, dass - von Einzelfällen ausgenommen, die auch eine Übermittlung im Dateiformat TIFF ermöglichen - lediglich eine PDF-Datei als elektronisches Dokument übermittelt werden kann. Daran ändert auch der Vortrag der Beklagten nichts, es sei ihr nicht zumutbar, bei jeder Gesetzesänderung sämtliche erläuternde Auslegungsnormen oder Verordnungen auszuwerten und zu berücksichtigen. Die Beklagte ist als Behörde an Recht und Gesetz gebunden und daher verpflichtet, sich - insbesondere nach Gesetzesänderungen - auch mit erläuternden Auslegungsnormen oder Verordnungen vertraut zu machen. Überdies sind § 65d Satz 1 SGG und § 2 Abs. 1 ERVV bereits seit dem 01.01.2022 in Kraft, so dass es nicht entschuldbar ist, wenn sich die Beklagte fast eineinhalb Jahre später (immer) noch nicht mit der geltenden Gesetzeslage zur Übermittlung elektronischer Dokumente vertraut gemacht hat.

Das innerhalb der Berufungsfrist seitens der Beklagten übersandte Telefaxschreiben genügt den geltenden Vorschriften zur Übermittlung eines elektronischen Dokumentes nicht. Allein der Umstand, dass der in Papierform in das Faxgerät eingeführte Schriftsatz vom 03.05.2023 darin „elektronisch“ erfasst, an das Faxgerät des LSG weitergeleitet und dort - freilich wiederum in Papierform - gedruckt wird, macht aus diesem weder eine PDF- noch eine TIFF-Datei und folglich auch kein elektronisches Dokument (s. hierzu auch BVerwG 30.03.2006, 8 B 8/06; Jung in BeckOGK, Stand 01.05.2023, § 65a SGG, Rn. 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 65a, Rn. 4). Im Übrigen handelt es sich bei der Übersendung per Telefax auch nicht um einen sicheren Übermittlungsweg und der Schriftsatz ist auch nicht - weder qualifiziert noch einfach - durch einen Behördenmitarbeiter signiert worden. Die Berufung ist daher nicht formgerecht innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden und führt folglich zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (BSG, a.a.O.; Bundesgerichtshof - BGH - 25.01.2023, IV ZB 7/22).

Lediglich ergänzend weist der erkennende Senat - wie auch bereits der 6. Senat des LSG in seinem Urteil vom 13.07.2023 (L 6 U 3560/22) - darauf hin, dass die Nutzungspflicht des § 65d Satz 1 SGG u.a. zur Vermeidung eines erheblichen Druck- und Scanaufwandes bei den Gerichten führen sollte (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27), der durch die Übermittlung des Schriftsatzes vom 03.05.2023 zunächst per Telefax und später noch postalisch im Original vorliegend gerade entstanden ist. Sowohl das vom Faxgerät empfangene und ausgedruckte Telefax wie auch das postalisch nachgesandte Original mussten nämlich zunächst eingescannt und der elektronischen Akte zugeführt werden, sodass genau die Belastung entstanden ist, die das Gesetz vermeiden will.

Auch liegen die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 65d Satz 3 SGG nicht vor. Danach bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen, § 65d Satz 3 SGG. Anhaltspunkte dafür, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend nicht möglich gewesen ist, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten glaubhaft gemacht worden. Vielmehr geht diese erkennbar davon aus, durch die Übersendung eines Telefaxes ein elektronisches Dokument im Sinne der Vorschriften übermittelt zu haben.

Auch sind vorliegend keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 SGG dargetan oder ersichtlich. Insbesondere konnte der Senat die Beklagte im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht auf die fehlende Einhaltung der Form angesichts des Eingangs der Berufungsschrift per Fax am vorletzten Tag der Berufungsfrist unter Berücksichtigung des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs nicht mehr rechtzeitig hinweisen; zu außerordentlichen Maßnahmen zugunsten des Betroffenen ist das Gericht nicht verpflichtet (vgl. Keller a.a.O., § 67 Rn. 4d m.w.N.).

Die Berufung ist daher unzulässig und zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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