L 2 R 242/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 61 R 1153/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 R 242/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.01.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe I

 

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 Sozialgesetzbuchs 6. Buch (SGB VI).

 

Die 1966 geborene Klägerin beantragte im Juli 2017 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte stellte fest, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rentenart erfüllt sind, zog verschiedene medizinische Unterlagen (unter anderem von anderen Sozialversicherungsträgern) bei und veranlasste eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L.. Der Gutachter gelangte zu der Einschätzung, die Klägerin könne zwar die von ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bäckereifachverkäuferin wegen ihrer Erkrankungen nicht mehr ausüben, ihr positives Leistungsvermögen reiche bei eingeschränkter Belastbarkeit jedoch noch für körperlich leichte Arbeiten in wechselnden Haltungsarten ohne häufigen Publikumsverkehr sowie Überkopfarbeiten aus.

 

Der Rentenantrag wurde daraufhin abgelehnt (Bescheid vom 10.10.2017, Widerspruchsbescheid vom 30.04.2018).

 

Mit der dagegen gerichteten Klage vom 30.05.2018 hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiterverfolgt und geltend gemacht, insbesondere ihre dem orthopädischen Bereich zuzuordnenden Beschwerden seien bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zu den Gerichtsakten gelangten sodann insbesondere ein Entlassungsbericht über eine zu Lasten der Beklagten als Kostenträger im Zeitraum vom 05.09.2018 bis 10.10.2018 durchgeführte medizinische Rehabilitation (stationär im Reha-Zentrum C.) sowie ein Arztbrief über eine stationäre Krankenhausbehandlung vom 31.01.2018 bis 08.02.2018. Im Auftrag des Sozialgerichts erfolgte sodann eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin durch Dr. P. sowie eine orthopädische Zusatzbegutachtung durch Dr. U.. In ihren Gutachten vom 05.06.2019 und 02.08.2019 gelangten die Sachverständigen zu der Beurteilung, die Belastbarkeit/Dauerbelastbarkeit der Klägerin sei zwar herabgesetzt, jedoch nicht aufgehoben. Sie könne noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten unter Berücksichtigung zusätzlicher qualitativer Leistungseinschränkungen regelmäßig und auch vollschichtig verrichten. Die therapeutischen Möglichkeiten zur Besserung ihres Leistungsvermögens seien zudem bisher nicht ausgeschöpft.

 

Mit Urteil vom 20.01.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer liege weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor, da keine Gesundheitsstörungen festgestellt worden seien, die eine regelmäßige, zumindest sechsstündige Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschlössen. Es sei auch kein Fall einer „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ gegeben. Mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen sei die Klägerin noch in der Lage, arbeitsmarkttypische Tätigkeiten zu verrichten. Das relevante Leistungsvermögen ergebe sich aus den plausibel begründeten und in sich widerspruchsfreien Gerichtsgutachten, an deren Richtigkeit kein Anlass zu Zweifeln bestehe.

 

Gegen das ihr am 17.02.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.03.2020 Berufung eingelegt und geltend gemacht, es ergebe sich bereits aus einem Arztbrief von Dr. N. vom 15.04.2019, dass sie an tauben Händen leide und aufgrund dieser Tatsache leichte Tätigkeiten wie beispielsweise das Sortieren von Kleinteilen o. ä. nicht mehr verrichten könne.

 

Nach ihrem Vorbringen beantragt die Klägerin,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.01.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.10.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2018 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr seit 01.07.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

           

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung waren.

 

 

Gründe II

 

Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter entscheiden. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen vor, denn über die Klage ist erstinstanzlich durch Urteil entschieden worden, die dagegen gerichtete Berufung wird vom Senat einstimmig als unbegründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im zweitinstanzlichen Verfahren für nicht erforderlich angesehen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im zweitinstanzlichen Verfahren sieht der Senat schon deshalb als entbehrlich an, weil sich seit dem Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung keine Veränderungen der Sachverhalts oder der Rechtslage ergeben haben.

 

Die Berufung ist zulässig aber nicht begründet.  

 

Nach dem Ergebnis der Sachverhaltsaufklärung durch die im erstinstanzlichen Verfahren von Amts wegen durch das Sozialgericht eingeholten Sachverständigengutachten steht der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI nicht zu, weil sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist. Volle Erwerbsminderung liegt (soweit hier von Bedeutung) vor, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).

 

Die Klägerin ist nicht erwerbsgemindert, weil sie noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann.

 

Dieses Leistungsvermögen entnimmt der Senat den erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten, die er, ebenso wie bereits das Sozialgericht im angefochtenen Urteil hervorgehoben hat, für in sich schlüssig und überzeugend erachtet. Die Sachverständigen sind unter umfassender Würdigung der anamnestischen Angaben der Klägerin und der bereits aktenkundigen medizinischen Vorgänge sowie eigener ambulanter Untersuchung der Klägerin zu einer nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung unter Berücksichtigung der bei ihr vorhandenen Erkrankungen sowie sonstigen Einschränkungen mit Auswirkungen auf das Leistungsvermögen gelangt. Zur Vermeidung von Wiederholungen sieht der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe unter Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil ab.

 

Die zur Begründung der Berufung von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen. Eine relevante Funktionseinschränkung der oberen Extremitäten und insbesondere der Hände liegt nicht vor. Soweit die Klägerin sich dazu auf einen Arztbrief vom 15.04.2019 bezieht, wurde bereits im Richterbrief vom 10.09.2020 darauf aufmerksam gemacht, dass es sich dabei lediglich um anamnestische Angaben der Klägerin, nicht aber um ärztliche Feststellungen handelt. Nachweise über relevante Funktionseinschränkungen der Hände haben sich im Verfahren nicht ergeben. Im Entlassungsbericht über die 2018 stattgefundene Rehabilitation heißt es beispielsweise, es finde sich eine altersentsprechende Beweglichkeit der beiden Ellenbogen, Handgelenke, sämtlicher Fingergelenke bei leichter Minderung der groben Kraft der beiden Hände. Dies entspricht auch den Feststellungen im nervenärztlichen Gutachten vom 02.08.2019, in dem es (auf Bl. 19) heißt: „Aufgrund der Ergebnisse der heutigen Begutachtung konnte eine relevante Einschränkung der Feinmotorik der linken Hand bzw. eine relevante Beeinträchtigung der Kraftentwicklung der linken Hand nicht festgestellt werden“. Gegen eine relevante Funktionseinschränkung der linken Hand sprechen auch die Feststellungen des Gutachters Dr. Bernhard U., wonach beide Hände eine etwa seitengleiche, nicht auffällige Handbeschwielung aufweisen. Bei Funktionseinschränkungen an einer Hand wäre eine Schonung derselben und eine damit einhergehende Minderbeschwielung zu erwarten.

 

Die Klägerin ist wegefähig. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Der Arbeitsmarkt gilt deshalb als verschlossen, wenn der Versicherte den Weg zur Arbeitsstelle nicht zurücklegen kann. Abzustellen ist dabei jedoch nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, sondern es kommt darauf an, welche Wege üblich sind. Nach der Rechtsprechung besteht Wegefähigkeit, wenn noch eine Gehfähigkeit für eine Wegstrecke von mehr als 500 m vorhanden und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist oder der Versicherte den Arbeitsweg mittels eines Kraftfahrzeugs zurücklegen kann (Bundessozialgericht, Urteil vom  21.03.2006, B 5 RJ 51/04 R, zur Rn. 15 der Wiedergabe bei Juris; sowie Urteil vom 12.12.2011 zum Az. 13 R 21/10 R, zur Rn. 22 der Wiedergabe bei Juris). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin aufgrund ihrer Agoraphobie (Platzangst) noch in der Lage ist, zumindest zweimal täglich, auch zu Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Vom nervenärztlichen Gutachter Dr. P. war zwar ausgeführt worden, dazu sei sie aus psychischen Gründen nicht in der Lage. Der Sachverständige führt aber weiterhin aus, die psychische Störung könne überwiegend durch zumutbare Willensanstrengung von der Klägerin aus eigener Kraft überwunden werden. Entscheidend ist jedoch darauf abzustellen, dass die Klägerin, die über ein Kraftfahrzeug und einen Führerschein verfügt, den Weg zur Arbeitsstelle mit diesem Fahrzeug zurücklegen könnte. Ihre Einlassung, sie nehme nicht am Straßenverkehr teil, da sie sich unsicher fühle, greift nicht durch, denn vom nervenärztlichen Gutachter wurde eine Einschränkung in Bezug auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs nur für längere Strecken, auf die für einen durchschnittlichen Arbeitsweg jedoch nicht abzustellen ist, anerkannt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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