L 4 AS 533/23 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 21 AS 829/23 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AS 533/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Die von einem Leistungsträger nach dem SGB II in einer Mahnung festgesetzte Mahngebühr ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X. Widerspruch und Anfechtungsklage dagegen haben gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, wenn der Leistungsträger die Erfüllung einer Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 50 SGB X anmahnt und die Vollstreckung ankündigt. Die aufschiebende Wirkung entfällt nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG.

  1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 31. August 2023 abgeändert und festgestellt, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers vom 2. August 2023 gegen die Festsetzung einer Mahngebühr i.H.v. 15,00 EUR aufschiebende Wirkung hat.

 

  1. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 31. August 2023 zurückgewiesen.

 

  1. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

 

Gründe

 

 

I.

 

 

Der Antragsteller wendet sich im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes gegen die mit Schreiben vom 25.07.2023 vom Antragsgegner ausgesprochene Mahnung betreffend eine offene Forderung i.H.v. insgesamt 4.276,18 EUR.

 

Mit Bescheid vom 10.10.2019 wurde seitens des Antragsgegners festgestellt, dass der Antragsteller gemäß § 41a Abs. 3 und 4 SGB II für den Zeitraum vom 01.05.2018 bis 31.10.2018 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) habe, da er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei und aufgrund fehlender Unterlagen und Nachweise nicht habe festgestellt werden können, ob ein Leistungsanspruch bestanden habe. Gleichzeitig wurde vom Antragsteller die Erstattung einer Gesamtforderung i.H.v. 4.261,18 EUR nach § 41a Abs. 6 SGB II verlangt. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2020 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht Chemnitz (Az. S 21 AS 1540/20) wurde nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 01.02.2023 abgewiesen, nachdem das Gericht den Antragsteller mit Schreiben vom 02.03.2022, das ihm mit Postzustellungsurkunde übersandt worden ist, erfolglos um Vorlage der fehlenden Unterlagen ersucht hatte. Die vom Antragsteller gegen den Gerichtsbescheid erhobene Berufung (Az. L 6 AS 126/23) wurde mit Urteil vom 21.06.2023 als unzulässig verworfen.

 

Mit Schreiben vom 25.07.2023 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller eine so bezeichnete Mahnung mit Ankündigung der Vollstreckung. Neben der vorgenannten Erstattungsforderung i.H.v. 4.261,18 EUR setzte der Antragsgegner eine Mahngebühr i.H.v. 15,00 EUR fest.

 

Mit Schreiben vom 02.08.2023 hat der Antragsteller hiergegen beim Sozialgericht Chemnitz einstweiligen Rechtsschutz beantragt und Anfechtungsklage, Az. S 21 AS 831/23 erhoben. Der Antragsgegner verlange die 4.276,18 EUR aus angeblich zu Unrecht erhaltenen Leistungen aus dem Jahr 2018. Diese Forderung bestehe zum einen nicht, weil sämtliche Nachweise, die seine Hilfebedürftigkeit belegten, vom Antragsteller erbracht worden seien. Es werde von Seiten des Antragsgegners vorsätzlich falsch behauptet, es würden Unterlagen fehlen. Bei einem persönlichen Gespräch mit dem Leiter des Jobcenters habe dieser bestätigt, dass Unterlagen verschwinden würden. Auch eine Mitarbeiterin, deren Namen der Antragsteller nicht nennen dürfe, habe ihm das ständige und regelmäßige Verschwinden von Unterlagen bestätigt. Es würden von Seiten des Antragsgegners vorsätzlich falsche Behauptungen erhoben, um Gelder zurück fordern zu können.

 

Der Antragsteller ist dem Begehren inhaltlich und zudem unter Hinweis auf die rechtskräftig festgestellte Erstattungsforderung entgegengetreten. Soweit sich der Antragsteller gegen das Mahnschreiben wende, sei eine hiergegen gerichtete Klage unzulässig. Beim in Bezug genommenen Schreiben handele es sich nicht um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sondern lediglich um eine Forderungsaufstellung verbunden mit einer Zahlungsaufforderung. Eine Verjährung sei zudem bisher nicht eingetreten.

 

Das Sozialgericht hat den Antrag des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 31.08.2023 abgelehnt, wobei es davon ausgegangen ist, dass dem Antragsteller hinsichtlich des Begehrens auf Eilrechtsschutz in Bezug auf die Mahngebühr der Anordnungsgrund und hinsichtlich der Erstattungsforderung der Anordnungsanspruch fehle.

 

Gegen den dem Antragsteller am 01.09.2023 zugestellten Beschluss richtet sich seine Beschwerde vom 25.09.2023, im Rahmen derer der Antragsteller ausführt, er sei am Sozialgericht betrogen worden, seine Unterlagen seien nie gesichtet oder angefordert worden. Man habe rechtswidrig ein Urteil gefällt, ohne ihn anzuhören.

 

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 31.08.2023 aufzuheben, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 10.10.2019 für unzulässig zu erklären und die aufschiebende Wirkung seines Rechtsmittels hinsichtlich der im Schreiben vom 25.07.2023 festgesetzten Mahngebühren anzuordnen, hilfsweise festzustellen, dass das Rechtsmittel aufschiebende Wirkung entfaltet.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Das Sozialgericht habe zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller hinsichtlich der festgesetzten Mahngebühr in Höhe von 15,00 EUR einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe. Des Weiteren habe es rechtlich zutreffend festgestellt, dass es bezüglich der begehrten Einstellung der Vollstreckung an einem Anordnungsanspruch fehle. Gegen den Antragsteller bestehe eine fällige, bestandskräftige Forderung aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 10.10.2019 i.H.v. 4.261,18 EUR. Die Forderung sei nicht verjährt. Verjährung trete vorliegend erst zum Ende des Jahres 2027 ein.

 

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die dem Gericht bei seiner Entscheidung vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten einschließlich der Gerichtsakte im Verfahren des Sozialgerichts Chemnitz, Az. S 21 AS 1540/20 verwiesen.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nur insoweit begründet, als festzustellen ist, dass die durch die Antragsschrift vom 02.08.2023 zugleich erhobene Anfechtungsklage gegen die Festsetzung der Mahngebühr aufschiebende Wirkung hat. Im Übrigen ist die Beschwerde des Antragstellers unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

 

  1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes hinsichtlich der im Wege der Zahlungsaufforderung geltend gemachten Erstattungsforderung i.H.v. 4.261,18 EUR abgelehnt.

 

Rechtlich zutreffend ist es davon ausgegangen, dass gerichtlicher Eilrechtsschutz gegen das Mahnschreiben nicht in Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG erlangt werden kann. Denn gegen die bloße Ankündigung der zwangsweisen Einziehung der Forderungen mit Schreiben des Antragsgegners vom 25.07.2023 ist kein Widerspruch gegeben. Dieser kommt mangels Regelungswirkung nicht die Qualität eines Verwaltungsakts i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X zu. Vielmehr hat die Vollstreckungsankündigung lediglich den Sinn, den Schuldner noch einmal auf die Situation hinzuweisen und ihm letztmalig die Gelegenheit zu geben, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 38/14 R – juris Rn. 15 m.w.N.).

 

Dem Sozialgericht ist ferner zu folgen, dass ein auf die Unterlassung bzw. Einstellung der Vollstreckung gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 SGG als statthaft anzusehen ist, da es möglich sein muss, gegen für unberechtigt gehaltene Vollstreckungsankündigungen unmittelbar vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. Hessisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 15.12.2020 – L 9 AS 546/20 B ER – juris Rn. 10; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.05.2020 – L 3 AS 1168/20 ER – B – juris Rn. 14 m.w.N., Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 – L 7 AS 260/14 B ER – juris Rn. 38; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.11.2013 – L 9 KR 254/13 B ER – juris Rn. 3). Vorliegend hat der Antragsgegner vom Antragsteller mit der Mahnung die Zahlung der zur Erstattung bestimmten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gefordert und zugleich die Vollstreckung angekündigt.

 

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt es jedoch an einem glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch. Der Antragsteller übersieht, dass der zugrundeliegende Bescheid vom 10.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2020 bestandskräftig geworden ist, nachdem das Sozialgericht Chemnitz die dagegen erhobene Klage abgewiesen und das Sächsische Landessozialgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

 

Es mag in Betracht kommen, dass in Ausnahmefällen auch gegen bestandskräftige Verwaltungsakte einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG mit dem Ziel in Anspruch genommen werden kann, die Vollstreckung vorläufig einzustellen, wenn aus Gründen des materiellen Rechts offensichtlich rechtswidrige Bescheide beseitigt werden sollen. Hierzu trägt der Antragsteller aber zum einen weder etwas Substantielles vor, noch macht er dafür Tatsachen glaubhaft. Er behauptet lediglich pauschal, die vom Antragsgegner geforderten Unterlagen eingereicht zu haben, ohne konkret den Zeitpunkt und die Umstände der Einreichung zu benennen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Antragsteller auch im gerichtlichen Verfahren mit zugestelltem Schreiben vom 02.03.2022 aufgefordert worden war, die für die endgültige Festsetzung des Leistungsanspruches im Zeitraum vom 01.05.2018 bis 31.10.2018 notwendigen Unterlagen – ggf. nochmals – vorzulegen. Eine Reaktion erfolgte darauf nicht.

 

Zum anderen setzt die Durchbrechung der Bindungswirkung (Rechtskraft) der gerichtlichen Entscheidungen des Sozialgerichts, S 21 AS 1540/20 und des Sächsischen Landessozialgerichts, L 6 AS 126/23 (vgl. § 141 SGG) voraus, dass der Antragsteller einen hinreichend begründeten Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X beim Antragsgegner gestellt hat und insoweit ein Überprüfungsverfahren eingeleitet wurde. Auch dafür ist nichts ersichtlich.

 

Der Erstattungsanspruch des Antragsgegners ist auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist der Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X hat, worauf das Sozialgericht zutreffend hinweist, erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 10.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2020 begonnen. Da die Berufungsentscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts am 21.06.2023 erging und damit das gerichtliche Verfahren beendet hat, tritt Verjährung gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht vor dem 31.12.2027 ein.

 

  1. Das Sozialgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Begehren des Antragstellers auf gerichtlichen Eilrechtsschutz hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühr der Anordnungsgrund fehlt und deshalb der Antrag abzulehnen ist. Vielmehr ist das Begehren des Antragstellers dahingehend sachlich auszulegen, dass festgestellt wird, dass seine diesbezüglich erhobene Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat. Das so verstandene Feststellungsbegehren ist begründet.

 

Die vom Antragsgegner festgesetzte Mahngebühr, gleich ob sie nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 19 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) i.V.m. § 3 Abs. 3 VwVG oder nach § 66 Abs. 3 SGB X i.V.m. den landesrechtlichen Kostenvorschriften zur Verwaltungsvollstreckung nach Landesrecht ergeht, stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X dar (vgl. grundlegend dazu BSG, Urteile vom 26.05.2011 – B 14 AS 54/10 R – juris und zudem BSG, Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 5/15 R – und vom 14.02.2018 – B 14 AS 12/17 R – jeweils juris, Becker, SGb 2018, 460 und 464). Vorläufiger Rechtsschutz kann demnach im Grundsatz nach § 86b Abs. 1 SGG erlangt werden. Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i.S.d. § 86b Abs. 2 SGG kommt es nicht an. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG auf Antrag

 

  1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
  2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, und
  3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.

 

Ein Fall des hier allein in Betracht kommenden § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG liegt aber nicht vor. Vielmehr hat die Anfechtungsklage des Antragstellers gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Dieser hat am 02.08.2023 beim Sozialgericht Chemnitz neben dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch ausdrücklich Anfechtungsklage erhoben. Ob diese zulässig ist, weil in der Klageschrift zugleich die Widerspruchserhebung zu sehen ist, die das Gericht zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Nachholung der Widerspruchsentscheidung veranlassen muss (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.1964 – 11/1 RA 90/61 – juris Rn. 21; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 13. Aufl., § 78 Rn. 3a und 3b) oder ob die Klage mangels Durchführung eines Vorverfahrens als (derzeit) unzulässig abzuweisen ist (so z.B. Bayerisches LSG, Urteil vom 18.03.2013 – L 7 AS 142/12 – juris), muss vorliegend nicht entschieden werden. Denn auch die unzulässige Klage bewirkt die aufschiebende Wirkung (Sächsisches Landessozialgericht [SächsLSG], Beschluss vom 13.07.2005 – L 1 B 68/05 KR-ER – juris Rn. 36, Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 13. Aufl., § 86a Rn. 10). Dies gilt umso mehr als der Antragsteller jederzeit noch Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühr erheben kann. Denn die Mahnung mit Ankündigung der Vollstreckung vom 25.07.2023 enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung, sodass für die Erhebung des Widerspruchs die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG).

 

Ein Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs. 2 SGG ist nicht eingetreten. Weder liegt ein Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG vor, noch hat der Antragsgegner die sofortige Vollziehung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet.

 

Der Wegfall folgt insbesondere nicht aus § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGB i.V.m. § 39 SGB II. Keine aufschiebende Wirkung haben demnach Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

 

  1. der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
  2. mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder
  3. mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.

 

Ungeachtet des Umstandes, dass schon Erstattungsbescheide nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift des § 39 SGB II nicht unterfallen (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 38/14 R – juris Rn. 22, SächsLSG, Beschluss vom 12.01.2010 – L 7 AS 653/09 ER –, Rn. 20, juris), ist der Bescheid vom 10.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2020 auch nicht Gegenstand des Verfahrens. Dieser ist (derzeit) bestandskräftig und damit vollstreckbar. Streitgegenstand ist vielmehr die Gebührenerhebung des Antragsgegners im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, die in § 39 SGB II nicht erwähnt wird.

 

Das Verwaltungsvollstreckungsrecht selbst sieht keinen Wegfall der aufschiebenden Wirkung vor. Dies gilt umso mehr als sich die Verwaltungsvollstreckung des Antragsgegners als Optionskommune i.S.d. § 6a SGB II i.V.m. der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung – KomtrZV) gemäß § 66 Abs. 3 SGB X nach den landesrechtlichen Vorschriften (hier: Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz), bestimmt, die einen Wegfall der aufschiebenden Wirkung im Anwendungsbereich des SGG nicht begründen können.

 

§ 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG scheiden bereits deshalb aus, weil der angegriffene Verwaltungsakt keine laufenden Leistungen herabsetzt oder entzieht, nicht die Bundesagentur für Arbeit tätig wird und auch keine Angelegenheit des sozialen Entschädigungsrechts oder der Sozialversicherung vorliegt. Angelegenheiten der Sozialversicherung sind nur die in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 SGG genannten Angelegenheiten (vgl. BeckOGK/Wahrendorf, SGG, Stand: 01.08.2023, § 86a Rn. 52), nicht aber die Angelegenheiten der Grundsicherung i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG bzw. Verwaltungsvollstreckungssachen.

 

Die aufschiebende Wirkung ist darüber hinaus auch nicht gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfallen. Hiernach entfällt diese bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Eine Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten ist nicht streitig. Unter den demnach maßgeblichen Oberbegriff der Anforderung öffentlicher Abgaben fallen Leistungen, die ein Hoheitsträger kraft seines Hoheitsrechts zur Finanzierung sozialrechtlicher Tätigkeit verlangt (vgl. BeckOGK/Wahrendorf, SGG, Stand: 01.08.2023, § 86a Rn. 43). Der Mahngebühr fehlt jedoch die Finanzierungsfunktion einer sozialrechtlichen Tätigkeit. Sie kann ebenso wie die Säumniszuschläge nur eine Nebenforderung der einschlägigen Hauptforderung sein. Die hier demnach relevante Erstattungsforderung von Leistungen nach dem SGB II stellt jedoch gerade keine Anforderung öffentlichen Abgaben i.S.d. Vorschrift dar (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.06.2006 – L 13 AS 2298/06 ER-B – juris Rn. 9).

 

 

Dies zugrunde gelegt, bedarf es keiner gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Jedoch ist für die Beteiligten verbindlich die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels des Antragstellers festzustellen.

 

Nach alledem ist entsprechend des Tenors zu entscheiden.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG, wobei das Gericht in Anbetracht des lediglich geringfügigen Erfolges des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens davon absieht, dem Antragsgegner eine Erstattungspflicht der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aufzuerlegen.

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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