L 8 BA 13/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3 R 257/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 BA 13/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Bescheides nach § 45 Abs. 1 SGB X stellt sich im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Doppelwirkung nach § 49 SGB X als gebundene Entscheidung dar, bei der die Behörde kein Ermessen auszuüben hat. Ein im Falle der ungleichzeitigen Bekanntgabe dem Begünstigten aufgrund seines Vertrauens in die fehlerhafte Verwaltungsentscheidung bzw. in deren vermeintliche Bestandskraft entstandener Schaden ist bei der Entscheidung über die Rücknahme nicht zu berücksichtigen, sondern ggf. im Wege des Schadensersatzanspruches gegenüber der Behörde geltend zu machen.


Auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 28. Januar 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen. 

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tätigkeit der Klägerin im Bereich der ambulanten Hilfen gemäß dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII; hier: als Einzelfallhelferin) für den Beigeladenen zu 1. als öffentlichem Träger der Jugendhilfe im Zeitraum vom 18. März 2011 bis zum 31. März 2015 versicherungspflichtig in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung war, sowie in diesem Zusammenhang darum, ob bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes gemäß § 45 in Verbindung mit § 49 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - Ermessen auszuüben ist.

Die Klägerin ist ausgebildete Erzieherin und hat unter anderem Fortbildungen zur Kinderschutzfachkraft und zur Systemischen Beraterin absolviert. Der Beigeladene zu 1. ist Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Zur Erfüllung seiner Aufgaben bediente er sich unter anderem der Dienste der Klägerin. Zu diesem Zweck schloss er zunächst mit der Klägerin, später mit der unter anderem von der Klägerin gegründeten „Therapeutische[n] Partnerschaftsgesellschaft C., H., A.“ eine „Entgeltvereinbarung - Ambulante Fachleistungsstunde gemäß SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe“ über die Leistungsart „Ambulante Hilfen gem. § 27 i. V. m. §§ 30, 31 sowie gem. 41 SGB VIII“. Die Partnergesellschaft wurde ausweislich der Angaben der Klägerin ausschließlich mit dem Ziel gegründet, Scheinselbständigkeit auszuschließen. Der Stundensatz „je 60 Minuten Direktkontakt ‚face to face‘ mit dem Hilfeempfänger inkl. Hilfeplangespräche“ für „eine selbständig (unternehmerisch) tätige sozialpädagogische Fachkraft“ betrug zunächst 40 €, später 42 €. Die Zuweisung des jeweiligen Einzelfalles erfolgte jeweils durch Kostenzusicherung für einen bestimmten Zeitraum. Die Abrechnung der erbrachten Leistungen erfolgte durch monatliche Rechnungstellung unter Vorlage von Abrechnungsbögen, in welchen die einzelnen abgerechneten Stunden mit dem jeweiligen Betreuungsinhalt nachgewiesen wurden. 

Die Klägerin leitete mit Antrag vom 2. April 2015 ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zur Klärung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status im Rahmen der Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 1. ein. 

Nach Befragung und Anhörung sowohl der Klägerin als auch des Beigeladenen zu 1. (Anhörungsschreiben vom 23. Juni 2015), in denen insbesondere der Beigeladene zu 1. die dargestellten Angaben der Klägerin bestätigte und noch dahin ergänzte, dass mit der Klägerin weder Urlaubsansprüche vereinbart seien noch eine Entgeltfortzahlung bei Krankheit erfolge, stellte die Beklagte durch zwei inhaltsgleiche Bescheide vom 29. Juli 2015, gerichtet an die Klägerin sowie an den Beigeladenen zu 1., die Versicherungspflicht der Klägerin in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zunächst für den Zeitraum ab 1. April 2015 fest. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwögen die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen. Der an den Beigeladenen zu 1. adressierte Bescheid wurde diesem aufgrund eines Versehens seitens der Beklagten zunächst nicht bekanntgegeben. 

Mit Schreiben vom 18. August 2015 machte die Klägerin geltend, dass eine abhängige Beschäftigung über die bisherige Feststellung hinaus bereits seit 18. März 2011 bestanden habe. Zum Beleg reichte sie zahlreiche Anlagen, insbesondere von ihr in dem betroffenen Zeitraum erstellte Rechnungen ein. 

Die Beklagte beteiligte den Beigeladenen zu 1. auch an diesem Verfahren unter Hinweis darauf, dass der sozialversicherungsrechtliche Status nur einheitlich gegenüber Auftraggeber und Auftragnehmer festgestellt werden könne (§§ 62 und 12 Abs. 1 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). In diesem Zusammenhang übersandte die Beklagte dem Beigeladenen zu 1. erstmals den an ihn gerichteten Bescheid vom 29. Juli 2015. Der Beigeladene zu 1. legte hierauf mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 Widerspruch ein. Versicherungspflicht der Klägerin sei nicht gegeben. Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 über den Widerspruch und teilte ihr mit, dass dieser gemäß § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV aufschiebende Wirkung habe.

Nach erneuter Anhörung stellte die Beklagte mit gleichlautenden Bescheiden vom 12. Januar 2016 gegenüber der Klägerin sowie gegenüber dem Beigeladenen zu 1. die Versicherungspflicht der Klägerin in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung auch für den Zeitraum 18. März 2011 bis 31. März 2015 fest. 

Gegen den weiteren Bescheid legte der Beigeladene zu 1. ebenfalls Widerspruch ein. Die Beklagte beteiligte die Klägerin unter Hinweis auf die notwendig einheitliche Entscheidung und informierte sie zugleich über die aufschiebende Wirkung auch dieses Widerspruchs (Schreiben vom 22. Februar 2016). Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Feststellung ihrer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung rückwirkend bis zum 18. März 2011 rechtlich zutreffend sei.

Die eingelegten Widersprüche des Beigeladenen zu 1. wies die Beklagte durch an den Beigeladenen zu 1. gerichtete Widerspruchsbescheide vom 2. Juli 2016 zurück. Die Widerspruchsbescheide wurden der Klägerin zur Kenntnis übersandt. 

Gegen die Bescheide vom 26. Juli 2015 und 12. Januar 2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Juli 2016 erhob der Beigeladene zu 1. am 11. August 2016 Klage zum Sozialgericht Fulda (S 13 R 154/16). Das Sozialgericht lud die Klägerin zum dortigen Verfahren bei. 

Im Verlauf dieses Klageverfahrens erließ die Beklagte in Folge einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017 in dem Verfahren mit dem Az.: B 12 R 7/15 R am 23. August 2017 zwei gleichlautende Bescheide gegenüber der Klägerin und gegenüber dem Beigeladenen zu 1. In diesen Bescheiden nahm die Beklagte ihre Bescheide vom 29. Juli 2015 und vom 12. Januar 2016 (in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Juli 2016) zurück. Sie stellte fest, dass die Tätigkeit der Klägerin als Einzelfallhelferin bei dem Beigeladenen zu 1. in der Zeit ab dem 18. März 2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Sozialversicherung ausgeübt worden sei. Daher trete in dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigte in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung ein. Die Bescheide ergingen aufgrund der geänderten Rechtsauffassung der Beklagten unter Berücksichtigung der bezeichneten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017. Sie seien nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. 

Im Rahmen des Verfahrens vor dem Sozialgericht gab die Beklagte sodann ein Anerkenntnis ab, das der Beigeladene zu 1. (der dortige Kläger) trotz Aufforderung der Klägerin (der dortigen Beigeladenen), keine unstreitige Erledigung herbeizuführen, am 30. August 2017 annahm. 

Die Klägerin legte daraufhin mit Schreiben vom 28. August 2017 gegen den ihr erteilten (streitgegenständlichen) Bescheid vom 23. August 2017 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2017 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Bescheid sei aufgrund der bezeichneten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017 und der damit verbundenen geänderten Rechtsauffassung der Beklagten in dem Verfahren mit dem Az.: S 13 R 154/16 ergangen. Aus der individuellen Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. ließen sich keine Weisungsrechte, die Zeit, Dauer, Ort der zu beurteilenden Tätigkeit sowie Art und Weise von deren Durchführung beträfen, ableiten. In der beurteilten Tätigkeit bestehe keine persönliche Abhängigkeit vom Auftraggeber. Nach der bezeichneten Entscheidung des Bundessozialgerichts spreche auch die Honorarhöhe als Indiz für eine selbständige Tätigkeit, denn die Klägerin habe laut Vertrag 42 € pro Stunde erhalten, so dass ihr damit eine ausreichende Eigenvorsorge möglich gewesen sei. Nach der Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen liege keine abhängige Beschäftigung vor. Zur Anwendung des § 45 SGB X führte die Beklagte wörtlich aus: 
„Der Hinweis auf die fehlende Prüfung der §§ 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) insbesondere des Ermessens und des Vertrauensschutzes geht ins Leere, da der Bescheid vom 29.05.2015 aufgrund der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gar nicht rechtswirksam war und insofern auch kein Vertrauensschutz vorliegen kann.“ 

Hiergegen erhob die Klägerin am 12. Dezember 2017 Klage zum Sozialgericht Fulda, mit der sie beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 aufzuheben. Sie sei bei dem Beigeladenen zu 1. abhängig beschäftigt gewesen, die ursprünglichen Feststellungen der Beklagten vom 29. Juli 2015 entsprächen der Sach- und Rechtslage. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der neueren BSG-Rechtsprechung. Der Beigeladene zu 1. bediene sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bzw. Aufgaben gegenüber Dritten der Dienste der Klägerin. Dies sei eine klassische Arbeitnehmertätigkeit. Die Vergütung sei in Anbetracht der damit abzudeckenden Kosten und Ausgaben zur sozialen Sicherung weit entfernt von einer großzügigen, weit überdurchschnittlichen Bezahlung. Auch das in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (unter Verweis auf Urteil vom 14. März 2018 - B 12 R 3/17 R -) verwendete Abgrenzungskriterium einer eigenen Macht- bzw. starken Verhandlungsposition treffe auf die Klägerin ersichtlich nicht zu. Damit sei die Klägerin abhängig beschäftigt und unterliege der Sozialversicherungspflicht. Darüber hinaus enthalte die angefochtene Aufhebungsentscheidung der Beklagten keinerlei Hinweise auf eine Ermessensausübung, obwohl auch in der vorliegend zu beurteilenden Klagesituation bei Anwendung des § 49 SGB X nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Ausübung eines Aufhebungsermessens erforderlich sei. Auch sei hier das auszuübende Rücknahmeermessen nicht auf nur eine mögliche Entscheidung reduziert gewesen. Da ein vollständiger Ermessensausfall vorliege, scheide ein Nachschieben von Ermessenserwägungen aus. Die angefochtene Aufhebungsentscheidung sei daher ihrerseits aufzuheben.

Die Beklagte verteidigte den angegriffenen Bescheid. Im Anschluss an das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017 (Az.: B 12 R 7/15 R) habe sie ihre Rechtsauffassung in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin geändert. Ein Ermessen habe ihr damit in Bezug auf die Rücknahme der von dem Beigeladenen zu 1. angegriffenen Bescheide nicht mehr zugestanden. Könne – wie hier – das einem Dritten gegenüber auszusprechende Anerkenntnis nur durch die Rücknahme des ursprünglichen Verwaltungsaktes erreicht werden, komme ein Rücknahmeermessen zugunsten der durch diesen Verwaltungsakt (ehemals) Begünstigten nicht in Betracht. Denn in jedem Fall dürfe die Entscheidung der Verwaltung den Rechtsschutz des Dritten nicht vermindern. Einem zulässigen und begründeten Drittwiderspruch und einer entsprechenden Drittwiderspruchsklage müsse stattgegeben werden. 

Auch der Beigeladene zu 1. beantragte, die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezog er sich zunächst auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid. Unter Berücksichtigung der bereits zitierten BSG-Entscheidung vom 31. März 2017 sei die Honorarhöhe ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Der von der Klägerin erzielte Stundensatz liege deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und lasse eine ausreichende Eigenvorsorge zu. Zwar habe der Beigeladene zu 1. im streitigen Zeitraum keinen vergleichbaren sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eingesetzt. Ausgehend davon, dass die Tätigkeit durch einen ausgebildeten Erzieher mit einer einschlägigen Berufserfahrung von 3 Jahren ausgeführt werden solle, würde das laufende Brutto-Arbeitgeberstundenentgelt jedoch ca. 23,46 € betragen haben. Diese Berechnung hänge von der Eingruppierung in der Entgeltordnung für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst des aktuellen Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst ab. Insofern sei zwar die Berechnung lediglich eine ungefähre. Sie zeige jedoch, dass das mit der Klägerin vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt einer vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liege und somit Eigenvorsorge zulasse. Unter Berücksichtigung des Klageverfahrens zum Az.: S 13 R 154/16 könne sich die Klägerin auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie habe damit rechnen müssen, dass die ursprünglichen Bescheide der Beklagten vom 29. Juli 2015 und vom 12. Januar 2016 abgeändert werden würden. Ein Rücknahmeermessen habe es damit nicht gegeben. Zudem sei in dem angegriffenen Widerspruchsbescheid Ermessen ausgeübt worden. 

Die weiteren Beigeladenen stellten keinen Antrag. 

Mit Urteil vom 28. Januar 2020 gab das Sozialgericht der Klage statt und hob den Bescheid vom 23. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 auf. Der Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des die Klägerin begünstigenden Verwaltungsaktes komme allein § 45 SGB X in Betracht. Dessen Voraussetzungen seien seitens der Beklagten bei Erteilung des Bescheides und im nachfolgenden Widerspruchsverfahren nicht vollständig beachtet worden. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt habe (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig sei, dürfe er gemäß § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme liege ausweislich des Wortlauts im Ermessen der Behörde. Insofern habe die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Ermessenserwägungen seien im Bescheid im Einzelnen darzulegen. 

Die Beklagte habe im Rahmen der angegriffenen Rücknahmeentscheidung kein Ermessen ausgeübt. Stattdessen sei sie von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen. Dies komme nicht zuletzt in der im Widerspruchsbescheid verwendeten Formulierung zum Ausdruck, nach welcher der Hinweis der Klägerin auf die fehlende Prüfung „insbesondere des Ermessens und des Vertrauensschutzes“ ins Leere gehe, da der aufgehobene Bescheid wegen „der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gar nicht rechtswirksam [gewesen sei] und insofern auch kein Vertrauensschutz vorliegen [könne]“. Entgegen der Auffassung der Beklagte sei eine Ermessensentscheidung hier zur Überzeugung des Gerichts indes nicht entbehrlich gewesen, insbesondere auch nicht unter Berücksichtigung der anzuwendenden Regelung des § 49 SGB X. Nach dieser Vorschrift gälten § 45 Abs. 1 bis 4, §§ 47 und 48 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden sei, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben werde, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben werde. § 49 SGB X sei anwendbar. Allerdings entbinde dieser die Beklagte nicht von der in § 45 SGB X normierten Verpflichtung zur Ausübung von Ermessen, sondern die Rücknahmeentscheidung stehe auch im Anwendungsbereich des § 49 SGB X im Ermessen der Ausgangsbehörde (Hauck/Noftz, § 49 SGB X, Rn. 14; von Wulffen, § 49 SGB X, Rn. 2; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 5. April 2011, Az.: L 11 KR 965/09, juris, Rn. 40; Schaer, Juris Praxisreport zum Sozialrecht, 15/2011, Anm. 6; im Ergebnis a. A. wohl: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 49 SGB X, Rn. 8/8a). Das Sozialgericht schließe sich insofern der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Hamburg an (Urteil vom 28. Juni 2012 - L 1 KR 92/10 -, juris, Rn. 21), wonach der Wortlaut des § 49 SGB X insoweit zwar nicht eindeutig sei. Da § 49 SGB X jedoch selbst keine Voraussetzungen für die Rücknahme bzw. Aufhebung von Verwaltungsakten enthalte, könne ein vollständiger Ausschluss der Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X nicht gemeint sein, da es sonst überhaupt keine Ermächtigungsgrundlage gebe. Sinn und Zweck des § 49 SGB X sei vielmehr allein, den Bestandsschutz des Begünstigten im Interesse von Drittbetroffenen einzuschränken, um diesen nicht von vornherein jede Rechtsschutzmöglichkeit zu nehmen. Diesem Zweck werde hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Vertrauens- und Fristvorschriften der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X nicht gälten. Für einen darüber hinaus gehenden Ausschluss auch der Regelungen über die Ermessensausübung gebe es jedoch keinen sachlichen Grund. Vielmehr würde dadurch der Drittbetroffene gegenüber dem zunächst Begünstigten unangemessen begünstigt, wofür eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich sei. Wenn bei einer Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X grundsätzlich eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erfolgen solle, sei nicht erkennbar, warum dies im Falle einer Drittbetroffenheit von vornherein ausgeschlossen sein solle. Aus diesem Grund sei der angegriffene Bescheid wegen dessen Rechtswidrigkeit aufgrund fehlender Ermessensentscheidung antragsgemäß aufzuheben. Darüber hinaus gelte, dass selbst wenn – entgegen der Auffassung der Kammer – mit einer teilweise vertretenen Auffassung davon auszugehen wäre, dass aus der Konstellation der Drittanfechtung aufgrund des gebotenen Rechtsschutzes des Drittanfechtenden trotz grundsätzlich zu prüfenden Ermessens regelmäßig von einer sog. Ermessensreduzierung auf Null auszugehen wäre (Verweis auf Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2011, Az.: L 5 KR 9/10, Rn. 32, zitiert nach Juris), dies gleichwohl zur Rechtswidrigkeit und damit Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides führte. Denn eine Behörde, die von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehe, habe die hierfür zu berücksichtigenden Gründe anzugeben (Verweis auf BSG, Urteil vom 18. April 2000, Az.: B 2 U 19/99 R, juris, Rn. 19; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 35 SGB X, Rn. 17; von Wulffen/Schütze, § 35 SGB X, Rn. 7; a. A. wohl: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2011, Az.: L 5 KR 9/10, Rn. 32, zitiert nach Juris). Auch dies sei vorliegend nicht geschehen. Aus der Nichtangabe der Gründe folge dann ebenfalls die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides. Aufgrund der vorbeschriebenen Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 23. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 könne von der weiteren materiell-rechtlichen Prüfung des Bescheides im Hinblick auf die erfolgte Statusbeurteilung der Beklagten abgesehen werden, weil es auf diese nicht mehr streitentscheidend ankomme. Die Klägerin habe ihr Klageziel mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vollständig erreicht. 

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beigeladene zu 1. am 3. März 2020 als auch die Beklagte am 6. März 2020 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. 

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2017 zwar (bewusst) keine Ermessensentscheidung enthalte, dies in der vorliegenden Konstellation aber auch nicht erforderlich sei. Mit § 49 SGB X habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden sei, ohne Vertrauensschutzprüfung zurückgenommen werden solle. Bei einer Ermessensentscheidung spielten Vertrauensschutzgesichtspunkte demgegenüber naturgemäß stets eine Rolle. Sollten diese unbeachtlich bleiben, lasse dies nur den Schluss zu, dass der den Adressaten begünstigende Verwaltungsakt bei begründeter Drittanfechtung zwingend zurückzunehmen sei. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folge nichts anderes. 

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 28. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Auch der Beigeladene zu 1. beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 28. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen. 

Er schließt sich der Rechtsauffassung der Beklagten an. Der Bescheid vom 23. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe ihre Rechtsauffassung zu Recht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017 (Az. B 12 R 7/15 R) geändert und das Klagebegehren des Beigeladenen zu 1. anerkannt. Ein Rücknahmeermessen habe insoweit nicht bestanden. Dem Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit könne in Drittanfechtungsfällen nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 i. V. m. § 49 SGB X gerade nicht in das Ermessen der Ausgangsbehörde gestellt werde.

Die Klägerin beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.

Die von ihr angegriffene Aufhebungsentscheidung der Beklagten sei bereits deswegen rechtswidrig, weil der Ausgangsbescheid (Feststellung der Sozialversicherungspflicht) vom 29. Juli 2015 rechtmäßig und die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Insbesondere das Indiz der deutlich über dem Arbeitsentgelt einer vergleichbar sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegenden Entlohnung, das das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 31. März 2017 zu dem Aktenzeichen B 12 R 7/15 R hervorgehoben habe, sei durch die neuere Rechtsprechung relativiert (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R -, juris). Die dort bemühten engen regulatorischen Vorgaben für die Tätigkeit seien im vorliegenden Fall ebenfalls gegeben. Damit lägen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 SGB X nicht vor. 

Darüber hinaus wiesen die angegriffenen Bescheide einen Ermessensfehler im Sinne des Ermessensausfalls auf. Gerade die Vielzahl der gegeneinander abzuwägenden Kriterien hinsichtlich der Beurteilung ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen zu 1. belege, dass keine Verpflichtung der Beklagten bestanden habe, ihren Bescheid auf der Grundlage des BSG-Urteils vom 31. März 2017 (B 12 R 7/15 R) aufzuheben, sondern ein Abwägungsprozess nach wie vor verpflichtend gewesen sei. Insofern könne auch im Rahmen einer Drittanfechtung nicht von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen werden, wonach das Interesse des Adressaten am Bestand der begünstigenden Entscheidung stets und automatisch nachrangig gegenüber dem Aufhebungsinteresse des Anfechtenden sei. Bereits der Vertrauensschutzgesichtspunkt sei in diesen Fällen gemäß § 49 SGB X ausgehebelt. Einer noch weitergehenden Begünstigung des Drittanfechtenden bedürfe es nicht. Die Frage der Ermessensausübung erschöpfe sich aber nicht im Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Es bestehe keine Veranlassung, den Interessen des Drittanfechtenden prinzipiell und unabwendbar Vorrang einzuräumen gegenüber dem ursprünglich begünstigten Adressaten. Letztlich komme der mit der Berufung aufgeworfenen Frage der Notwendigkeit der Ermessensausübung im Rahmen von § 49 SGB X aber gar keine Entscheidungserheblichkeit zu, da – wie dargelegt – bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 SGB X nicht gegeben seien.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch schriftliche Erklärungen mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung durch den Senat einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird verwiesen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände), die bei der Beratung vorgelegen haben.


Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1. haben Erfolg.

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht erhobenen Berufungen sind auch im Übrigen zulässig. 

Die Berufungen sind auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts vom 28. Januar 2020 ist aufzuheben und die Klage ist als unbegründet abzuweisen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat ihre Bescheide vom 29. Juli 2015 (Feststellung der Versicherungspflicht ab 1. April 2015) und vom 12. Januar 2016 (Feststellung der Versicherungspflicht im Zeitraum vom 18. März 2011 bis 30. März 2015) in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Juli 2016 zu Recht aufgehoben und festgestellt, dass Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung für die Tätigkeit der Klägerin für den Beigeladenen zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bestand, weil es sich bei dieser um eine selbständige Tätigkeit handelte. Bei der Rücknahme der durch den Beigeladenen zu 1. angefochtenen Bescheide handelte es sich nicht um eine Ermessens-, sondern um eine gebundene Entscheidung. Ermessensfehler sind damit ausgeschlossen. 

Die gegen den Aufhebungsbescheid vom 23. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017 gerichtete Anfechtungsklage der Klägerin ist zulässig. Ihrer Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass die von der Klägerin angegriffenen Bescheide gemäß § 96 SGG bereits Gegenstand des von dem hiesigen Beigeladenen zu 1. geführten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Fulda mit dem Aktenzeichen S 13 R 154/16 waren. Zwar gilt der Grundsatz des Klageverbrauchs auch im Anwendungsbereich des § 96 SGG. Wird ein Bescheid danach gemäß § 96 SGG Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens, können die Beteiligten diesen Bescheid nicht mehr zum Gegenstand eines weiteren Gerichtsverfahrens machen. Dieser Grundsatz gilt indes nicht im Falle der unstreitigen Erledigung des ersten Verfahrens für jene Beteiligten, die – wie hier die Klägerin – aus prozessrechtlichen Gründen keinen Anteil an der unstreitigen Erledigung hatten. Die diesen Beteiligten durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gewährte Rechtsweggarantie wäre verletzt, wenn ihnen in einem solchen Fall der Grundsatz des Klageverbrauchs entgegengehalten werden könnte und sie so an der Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung gehindert wären.

Die Klage ist unbegründet. Die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 29. Juli 2015 und vom 12. Januar 2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Juli 2016 durch den vorliegend streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2017) war rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für den angefochten Bescheid vom 23. August 2017 ist § 45 Abs. 1 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist, allerdings nur unter den Einschränkungen von § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X. Gemäß § 49 SGB X gilt § 45 Abs. 1 bis 4 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Entgegen dem Wortlaut des § 49 SGB X geht das Bundessozialgericht indes in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass § 45 Abs. 1 SGB X gleichwohl Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide in Drittwiderspruchs- und -klagefällen bleibt und durch § 49 SGB X lediglich die Prüfung der Vertrauensschutz- und Fristvorschriften (§ 45 Abs. 2 bis 4 SGB X) ausgeschlossen wird (so BSG, Urteil vom 3. Juli 2013 - B 12 KR 8/11 R -, BSGE 114, 69 ff. = juris, Rn. 15, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R -, BSGE 84, 136, 145 = juris, Rn. 34 und BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 – B 13 R 147/08 R -, juris, Rn. 60). Hinsichtlich der hier betroffenen Frage der anzuwendenden Ermächtigungsnorm folgt der Senat dem aus eigener Überzeugung (dazu, ob auf Rechtsfolgenseite eine Ermessens- oder gebundene Entscheidung gegeben ist, erst unten). 

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X sind gegeben. 

Bei den Bescheiden vom 29. Juli 2015 und vom 12. Januar 2016 (in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Juli 2016) handelt es sich um die Klägerin begünstigende Bescheide im Sinne der Legaldefinition des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Feststellung von Sozialversicherungspflichtigkeit kann sich zwar – abhängig von den daran anknüpfenden subjektiven Interessen – für den Betroffenen gleichermaßen als günstig oder als belastend darstellen. Die Klägerin hat hier jedoch vorgetragen, dass die Feststellung der Sozialversicherungspflichtigkeit ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen zu 1. ihren gegenwärtigen Interessen entspricht. Der Senat erachtet es insofern in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 2022 - B 12 R 2/20 R -, juris, Rn. 17) für sachgerecht, auf das gegenwärtige subjektive Interesse der Adressatin abzustellen. Dieses ergibt sich hier – klar erkennbar – aus dem Vortrag der Klägerin sowie aus der Anfechtung der Rücknahmeentscheidung der Beklagten. 

Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid aufgehobenen Bescheide vom 29. Juli 2015 und 12. Januar 2016 waren materiell rechtswidrig. Die Klägerin war in der streitgegenständlichen Zeit nicht versicherungspflichtig in den Zweigen der Sozialversicherung, denn sie war in ihrer Tätigkeit als Einzelfallhelferin nicht bei dem beigeladenen Landkreis abhängig beschäftigt.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III) der Versicherungspflicht (und Beitragspflicht). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat sich in seiner ständigen Rechtsprechung angeschlossen hat, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild prägen. Das kann bei manchen Tätigkeiten dazu führen, dass sie in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden können (stRspr; vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R -, juris, Rn. 21 m. zahlr. Nw.).

Im Fall der Klägerin war nach diesen Grundsätzen eine selbständige Tätigkeit gegeben. 

Schriftliche Verträge, an denen sich die Beurteilung der Tätigkeit im Ausgang orientieren könnten, liegen allerdings nur in Form der zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Klägerin „als Vertreterin für die Partnergesellschaft“ geschlossenen Entgeltvereinbarungen vor. Nach diesen ist ein „Stundensatz (für je 60 Minuten Direktkontakt „face to face“ mit dem Hilfeempfänger inklusive Hilfeplangespräch) für eine selbständig (unternehmerisch) tätige sozialpädagogische Fachkraft“ in Höhe von 40,00 € bzw. 42,00 € vereinbart. Die Beteiligten legten weiterhin Kostenzusicherungen des Beigeladenen zu 1. für jeweils einzelne Betreuungsfälle (mit monatlichem Stundenkontingent und einem Stundensatz gemäß der gültigen Entgeltvereinbarung) sowie die entsprechenden Rechnungslegungen der Klägerin für tatsächlich erbrachte Stunden vor. 

Die nähere Ausgestaltung der Tätigkeit hat die Klägerin im Rahmen ihres Antrags auf Statusfeststellung geschildert (insb. Bl. 61 ff. d.VA). Hiernach erfolgte die Vermittlung der zu betreuenden Personen so, dass ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Jugendamt bei ihr anrief und anfragte, ob sie grundsätzlich Kapazitäten frei habe zur Annahme eines Falles. Sei dies der Fall gewesen, habe sie einige wenige Informationen bekommen, damit sie sich habe überlegen können, ob sie den Fall annehmen wolle oder nicht. Ggf. habe dann im Jugendamt ein Gespräch mit dem fallführenden Sozialarbeiter stattgefunden, an dem auch die Hilfesuchenden teilgenommen hätten. Die Klägerin habe dort erklärt, wie sie arbeite, und man habe gemeinsam eine Frist vereinbart, bis zu welcher die Zusammenarbeit ausprobiert werden sollte. In dem Fall, dass die Zusammenarbeit anschließend habe fortgesetzt werden sollen, habe dann in Absprache mit dem fallführenden Sozialarbeiter ein Hilfeplangespräch stattgefunden. In diesem seien gemeinsame Ziele formuliert worden, die bis zum nächsten Hilfeplangespräch (zumeist sechs Monate später) erreicht werden sollten. Wenn alle Beteiligten die Zusammenarbeit wünschten – und nur dann –, sei eine Kostenzusage durch den Beigeladenen zu 1. erfolgt und die Klägerin habe ihre Arbeit aufgenommen. Über diese habe sie regelmäßige Berichte geschrieben, auch, um sich selbst abzusichern. Ansonsten sei die Auftragsausführung nicht kontrolliert oder beeinflusst worden. Über die jeweilige Kostenzusage sei allein die Anzahl der Stunden vorgegeben gewesen, die sie auf einen Fall habe verwenden dürfen, wobei durch die Hilfeempfänger nicht in Anspruch genommene Stunden verfallen seien. Termine, Arbeitszeiten, Art und Umfang der Auftragsausführung habe sie im Hinblick auf die Bedarfe der jeweiligen Hilfeempfänger und in Absprache mit diesen frei bestimmt. Die Tätigkeit habe entweder in den Lebensräumen der Hilfeempfänger oder in ihren Praxisräumen stattgefunden; die Räume im Jugendamt habe sie weder nutzen müssen noch dürfen. Die Tätigkeit mit den Hilfeempfängern habe sich also in allen Fällen grundsätzlich frei gestaltet und es habe – abgesehen von der gemeinsamen Zielerarbeitung – keinerlei Vorgaben durch den Beigeladenen zu 1. gegeben. Es habe auch sonst keinerlei Einbindung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers gegeben. Ihre Fälle habe sie – mit Ausnahme der oben dargestellten Erstkontakt- und Hilfeplangespräche – allein und nicht in Abstimmung mit anderen Mitarbeitern des Beigeladenen zu 1. bearbeitet. Sie sei nicht befugt gewesen, an internen Besprechungen teilzunehmen. Schutzmaßnahmen für ihre Tätigkeit habe sie selbst organisiert, sie habe ausschließlich eigene Kleidung getragen und an ihrem Kfz habe sich nur Werbung für ihre eigene Praxis befunden. Auch sonst habe sie ihre Werbung selbst organisiert, eine eigene Internetseite sei im Aufbau. Ein eigenes unternehmerisches Risiko habe sie insofern getragen, als etwa über die Bewilligung hinaus geleistete Stunden in akuten Krisen nicht vergütet worden seien; auch habe es Klienten gegeben, die ihre vom Jugendamt zugesicherten Stunden regelmäßig nicht genutzt hätten, so dass dann auch eine Vergütung nicht stattgefunden habe. Fortbildungen habe sie selbst gebucht und bezahlt. Hierfür habe sie auch keine Zuschüsse vom Jugendamt bekommen.

Diese Angaben der Klägerin decken sich uneingeschränkt mit den Angaben des Beigeladenen zu 1., der zudem noch angibt, dass für die zu erbringenden face-to-face-Stunden in der Regel zwei Besuchskontakte pro Woche à zwei bis drei Stunden erwartet worden seien, die Einteilung der Tage aber frei gewesen sei. Es habe weder eine Verpflichtung der Klägerin gegeben, Urlaub genehmigen zu lassen und Krankheit zu melden, noch sei während des Urlaubs oder Krankheit von dem Beigeladenen eine Vertretung gestellt worden. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in diesen Fällen habe ebenfalls nicht bestanden.

Die geschilderten Umstände sprechen in ihrer Gesamtheit ganz überwiegend für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin. Insbesondere haben die Beteiligten ein Weisungsrecht des Beigeladenen zu 1. hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit weder vereinbart noch sind solche Weisungen im Rahmen der zwischen den Vertragsparteien geübten Praxis während der einzelnen Familienbetreuungen faktisch erteilt worden. Vereinbart wurden nur jeweils mittelfristige Unterstützungsziele. Den Weg, auf dem die jeweiligen Hilfeempfänger bestmöglich bei deren Erreichen zu unterstützen seien, hat die Klägerin selbst bestimmt. Die bestehenden Berichtpflichten dürften zugleich der Umsetzung der allein den Beigeladenen zu 1. treffenden gesetzlichen Verpflichtung zur Durchführung des Hilfeplanverfahrens gedient haben, welches der Jugendhilfeträger nicht (vollständig) auf eine Honorarkraft delegieren kann (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 39); hinsichtlich der streitentscheidenden Frage der weisungsgebundenen Beschäftigung besitzen sie von daher keine Aussagekraft. Konsequenzen dergestalt, dass der Beigeladene zu 1. auf Grundlage der von der Klägerin erstellten Berichte in ihre Arbeit eingegriffen hätte, wurden nicht berichtet.  Im Übrigen ist die Vereinbarung der Anfertigung von Ergebnisberichten kein Spezifikum abhängiger Beschäftigung, sondern verbreitet auch eine Selbstverständlichkeit im Rahmen selbständiger Dienstleistungen (vgl. BSG, a.a.O.). 

Der zwischen den Beteiligten vereinbarte Stundensatz von 40 € bzw. 42 € ist in seiner indiziellen Bedeutung für die Frage der Annahme selbständiger Tätigkeit daneben begrenzt (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R -, juris, Rn. 37). Der Stundensatz war aber immerhin so ausgestaltet, dass er deutlich über dem Arbeitsentgelt eines – hier fiktiven – vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten lag und dadurch Eigenvorsorge, wie sie im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit zu treffen ist, zuließ. Zugleich ist aus der Vereinbarung eines festen Stundenhonorars nicht notwendig auf das Vorliegen abhängiger Beschäftigung zu schließen. Geht es – wie hier – um die Erbringung einer Dienstleistung, ist anders als bei der Erstellung z. B. eines materiellen Produkts ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheit der zu erbringenden Leistung nicht zu erwarten (BSG, a. a. O., Rn. 48).

Sonstige Umstände, die eine Eingliederung der Klägerin in die Arbeitsorganisation des Beigeladenen zu 1. oder ihre Weisungsgebundenheit nahelegen könnten, sind nicht zu erkennen. Anderes gilt insbesondere nicht aufgrund des Umstandes, dass die rechtliche Struktur des Leistungserbringerrechts der Kinder- und Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Erbringung unter anderem von Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII dem Träger der Jugendhilfe zuweist. Hieraus folgt nicht, dass die zur Erfüllung dieser Aufgaben und Pflichten nötigen Tätigkeiten – und damit auch die für den Beigeladenen zu 1. erbrachten Leistungen der Klägerin als Einzelfallhelferin – rechtmäßig nur in Beschäftigung ausgeübt werden könnten (BSG, a.a.O., Rn. 30 m. w. N.). 

Nach alledem war die ursprüngliche Feststellung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch die Beklagte rechtswidrig. 

Der Aufhebung der Bescheide vom 29. Juli 2015 und vom 12. Januar 2016 stehen im Weiteren nicht die in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X bestimmten Einschränkungen, insbesondere die dort enthaltenen Vertrauensschutz- und Fristvorschriften entgegen. Diese sind gemäß § 49 SGB X nicht anwendbar. 

Gemäß § 49 SGB X gelten § 45 Abs. 1 bis 4, §§ 47 und 48 nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird.

Die Voraussetzungen des § 49 SGB X sind gegeben. 

Der Beigeladene zu 1. hat die ursprünglichen Bescheide der Beklagten vom 29. Juli 2015 und 12. Januar 2016, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. Juli 2016, durch die zum Sozialgericht Fulda erhobene Klage wirksam angefochten. 

In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass die Beklagte am 29. Juli 2015 und am 12. Januar 2016 jeweils zwei Bescheide – einen an die Klägerin und einen an den Beigeladenen zu 1. – erlassen hatte und der Beigeladene Widerspruch gegen die an ihn adressierten Bescheide erhoben hat, die Klägerin sich vorliegend aber gegen die Rücknahme der an sie adressierten (inhaltsgleichen) Bescheide wendet. Denn § 49 SGB X gilt entsprechend, wenn bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Doppelwirkung der durch den Verwaltungsakt belastete Dritte zwar nicht den zurückzunehmenden Verwaltungsakt, wohl aber einen inhaltlich gleichen Verwaltungsakt derselben Behörde angefochten und diese den Begünstigten davon unterrichtet hat (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1989 - 12 RK 56/88 -, juris, Rn. 18; Urteil vom 1. Juli 1999 – B 12 KR 2/99 R, juris, Rn. 34).

Unerheblich ist auch, dass der an die Klägerin adressierte Bescheid vom 29. Juli 2015 vor seiner Anfechtung durch den Beigeladenen zu 1. bestandskräftig geworden war. Allerdings gehört zu den Voraussetzungen für das Eingreifen des § 49 SGB X und die einschränkungslose Möglichkeit zur Rücknahme eines vorangegangenen Bescheides, dass die Anfechtung des zurückgenommenen Bescheides mittels Widerspruchs oder Klage die gesetzlichen Zulässigkeitsanforderungen erfüllt (nur BSG, Urteil vom 3. Juli 2013 - B 12 KR 8/11 R -, juris, Rn. 17). Hiervon ist vorliegend indes auszugehen. Ob die Klage eines von einem Verwaltungsakt betroffenen Dritten innerhalb einer bestimmten Frist erhoben werden muss, richtet sich zunächst danach, ob ihm der Verwaltungsakt überhaupt bekannt gegeben wurde. Ist der Verwaltungsakt dem Dritten nicht bekannt gegeben worden, so kommt auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist nicht in Betracht. Der von einem Dritten eingelegte Rechtsbehelf kann in einem solchen Fall gleichwohl unzulässig sein, soweit er seine Befugnis zur Einlegung des Rechtsbehelfs verwirkt hat. Auch die Verwirkung setzt aber jedenfalls Kenntnis vom Erlass des Verwaltungsaktes voraus. Vorliegend hat der Beigeladene zu 1. aufgrund eines von der Beklagten eingeräumten Versehens Kenntnis von der Existenz der am 29. Juli 2015 erlassenen Verwaltungsakte erst am 25. September 2015 (telefonisch) bzw. am 2. Oktober 2015 (Zugang des Bescheides) erhalten. Die Einlegung des Widerspruchs am 6. Oktober 2015 erfolgte damit rechtzeitig innerhalb der anwendbaren Monatsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Der in § 49 SGB X vorausgesetzten Stattgabe der Klage steht es schließlich nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleich, wenn dem Klagebegehren im Wege des Anerkenntnisses genüge getan und der angefochtene Verwaltungsakt in diesem Zusammenhang durch Bescheid des bzw. der Beklagten zurückgenommen wird (nur Leopold/Sonnhoff, in jurisPK-SGB X, 2. Auflage 2017, § 49 [Stand 30. Mai 2022], Rn. 40).

Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X waren damit gemäß § 49 SGB X nicht anzuwenden.

Aus § 49 SGB X folgt zugleich, dass der Beklagten eine Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Rücknahme der Verwaltungsakte vom 29. Juli 2015 und 12. Januar 2016 verwehrt war. 

Ob die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach §§ 45, 49 SGB X eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung darstellt (gegebenenfalls bei Ermessensreduzierung auf Null), ist rechtlich umstritten. Die bundessozialgerichtliche Rechtsprechung verhält sich hierzu bislang nicht eindeutig. So stellte der Zwölfte Senat in der bereits zitierten Entscheidung vom 3. Juli 2013 (- B 12 KR 8/11 R -, juris, Rn. 15) zwar fest, dass § 45 Abs. 1 SGB X trotz der Regelung in § 49 SGB X Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide in Drittwiderspruchs- und klagefällen bleibe „und durch § 49 SGB X lediglich die Prüfung der Vertrauensschutz- und Fristvorschriften ausgeschlossen [werde]“, weil andernfalls gar keine Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung mehr existiere. Die Entscheidung enthält damit aber keine ausdrücklichen Ausführungen zur Frage der Ermessensausübung bzw. dazu, ob mit der verwendeten Formulierung „lediglich“ tatsächlich gemeint war, dass nicht nur § 45 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage erhalten, sondern auch die Rechtsfolge der Ermessensentscheidung bestehen bleiben solle, § 49 SGB X mithin auch mit Blick auf die Rechtsfolgenseite des § 45 SGB X einschränkend zu lesen sei. 

Dass bei der Rücknahme nach § 45 SGB X i. V. m. § 49 SGB X Ermessen auszuüben wäre, lässt sich auch den durch die Entscheidung vom 3. Juli 2013 in Bezug genommenen weiteren Urteile des BSG vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R - und vom 25. Februar 2010 - B 13 R 147/08 R - nicht entnehmen. Im Gegenteil hat der 12. Senat in dem zitierten Urteil vom 1. Juli 1999 eine dort angefochtene Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin, mit der dieses einen drittbelastenden (Aufhebungs-)Bescheid sowie das diesen bestätigende erstinstanzliche Urteil aufgehoben und selbst die Feststellung getroffen hatte, dass Versicherungspflicht des dortigen Auftragnehmers bestand, für rechtmäßig erachtet und in diesem Zusammenhang allein festgestellt, dass ein entgegenstehender Vertrauensschutz des durch den Bescheid Begünstigten wegen § 49 SGB X nicht bestehe; der Senat schien also nicht von der Notwendigkeit einer Ermessensausübung durch die dortige Beklagte (und damit der Rechtmäßigkeit allein eines Bescheidungsurteils bzw. wenigstens der Begründung einer Ermessensreduzierung auf Null) auszugehen. In der weiterhin zitierten Entscheidung vom 25. Februar 2010 (- B 13 R 147/08 R -, juris, Rn. 60) ließ der 13. Senat die Notwendigkeit der Ermessensausübung sogar ausdrücklich offen. Dasselbe gilt für ein Urteil des 6. Senats vom 13. August 2014 (- B 6 KA 38/13 R -, juris, Rn. 25).

Zur Überzeugung des Senats kommt eine Ermessensausübung im Rahmen des § 45 SGB X in Verbindung mit § 49 SGB X nicht in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 49 SGB X vor, stellt die Entscheidung über die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 45 Abs. 1 SGB X sich als gebundene Entscheidung dar. 

Nach § 49 SGB X sind die dem Vertrauensschutz dienenden Vorschriften des § 45 SGB X nicht anzuwenden, wenn – wie hier – ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Widerspruchs- oder Klageverfahrens aufgehoben wird. Sollen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zugunsten des durch den Verwaltungsakt Begünstigten aber keine Berücksichtigung finden, dann muss dies – so die Überzeugung des Senats – auch auf der Rechtsfolgenseite gelten. Damit ist kein Raum für eine Berücksichtigung entsprechender Gesichtspunkte innerhalb einer Ermessensbetätigung, widerspräche dies doch der in § 49 SGB X zum Ausdruck gekommenen Entscheidung des Gesetzgebers. 

Eine Ermessensausübung zugunsten des Begünstigten kommt aber auch unter Berücksichtigung (praktisch ohnedies schwer denkbarer) sonstiger zugunsten des Begünstigten sprechender Gesichtspunkte nicht in Betracht, wenn ein Verwaltungsakt während eines Klageverfahrens auf eine zulässige und – im Übrigen – begründete Klage hin zurückgenommen wird. Denn der Dritte hat in diesem Fall einen Anspruch auf Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, durch den er in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Dieser Anspruch kann im Ergebnis nicht dadurch unerfüllt bleiben, dass statt der positiven Entscheidung über den Widerspruch oder die Klage ein Rücknahmeverfahren durchgeführt wird, das nicht mit der Aufhebung des Verwaltungsakts endet (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2001 - 4 C 18/00 -, juris, Rn. 28, zu Art. 48, 50 BayVwVfG). Sollte der durch den Verwaltungsakt ursprünglich Begünstigte aufgrund seines Vertrauens in die fehlerhafte Verwaltungsentscheidung bzw. deren Bestandskraft einen Schaden erleiden, können möglicherweise Schadensersatzansprüche gegen die Behörde in Betracht kommen (so etwa auch BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R -, juris, Rn. 34), nicht jedoch eine Aufrechterhaltung des rechtswidrigen (und den klagenden Dritten belastenden) Verwaltungsakts. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zu, § 124 Abs. 2 Nr. 1 SGG
 

Rechtskraft
Aus
Saved