L 3 R 1036/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 25 R 472/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 1036/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.10.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist die Berechtigung der Klägerin zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge.

Die Klägerin ist am 00.00.0000 in D. geboren. Im Zeitraum 06.11.1972 bis 05.11.1973 absolvierte sie eine Ausbildung an der staatlichen P. J., seit 1982 lebt sie in Deutschland.

Die Klägerin beantragte am 31.01.1986 die Durchführung eines Kontenklärungsverfahrens bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Nach Auswertung der von der Klägerin eingereichten Unterlagen erließ die BfA am 16.01.1987 einen Vormerkungsbescheid, in welchem die Zeit vom 06.11.1972 bis 15.05.1975 als Ausfallzeit-Tatsache nach § 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wegen Fachschulausbildung vorgemerkt war.

Im Jahr 1992 erfolgte ein Schriftwechsel zwischen der M. und der BfA hinsichtlich der Erfassung einer Schwangerschaftszeit.

Ab 1997 war die DRV F. kontoführende Stelle. Im Kontenspiegel befinden sich aus dieser Zeit die Einträge: „28.09.1998 Versicherungsverlauf nach Kontenklärung durch Deutsche Rentenversicherung Bund“ sowie „Konten Ergänzung, Kindererziehungszeit. Versicherungsverlauf nach § 149 Abs. 3 SGB VI durch Beteiligte VA....Erledigungsdatum 17.11.1999“.

Ab dem 16.02.2000 ging die Kontenführung auf die Beklagte über. Die Beklagte leitete Anfang 2006, am 11.08.2010 und am 15.02.2012 jeweils Verfahren zur Kontenklärung ein und übersandte Anschreiben zur Prüfung des Versicherungsverlaufs an die Klägerin. Antwortschreiben der Klägerin gingen nicht ein.

Am 24.05.2018 sprach die Klägerin im Rahmen einer Beratung bei der Beklagten vor und bat um Übersendung einer aktuellen Rentenauskunft. Mit Schreiben vom 24.05.2018 bat die Beklagte die Klägerin um weitere Auskünfte, da ihr Zeiten beruflicher Ausbildung durch einen Sozialleistungsträger für das Jahr 1998 gemeldet worden seien, am 26.10.2018 gingen bei der Beklagten Antwortschreiben der Klägerin ein.

Am 24.07.2019 erließ die Beklagte einen Vormerkungsbescheid und stellte die im Versicherungsverlauf enthaltenen Zeiten bis 31.12.2012 verbindlich fest. Die Zeit vom 06.11.1972 bis 05.11.1973 könne aufgrund einer Rechtsänderung nicht mehr als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung vorgemerkt werden, da sie vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Der Bescheid vom 16.01.1987 werde insoweit für die Zukunft aufgehoben.

Am 02.06.2020 beantragte die Klägerin Altersrente sowie die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit 06.11.1972 bis 05.11.1973. Die zuvor vorgemerkte Anrechnungszeit sei erst mit Vormerkungsbescheid vom 24.07.2019 aufgehoben worden. In dem Bescheid sei sie nicht auf die Möglichkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen hingewiesen worden. Die Möglichkeit zur Nachentrichtung sei ihr auch nach Ablauf der gesetzlichen Fristen zu gewähren, da sie an der Fristversäumung kein Verschulden treffe. Es liege ein Fall besonderer Härte im Sinne von § 197 Abs. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) vor. Bei Zulassung der Nachentrichtung habe sie einen um 12 Monate vorgezogenen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Ob sich aus der erst nach 30 Jahren erfolgten Aufhebung des Vormerkungsbescheides ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ergebe, könne vor diesem Hintergrund offenbleiben.

Mit Bescheid vom 25.06.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Frist zur Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für Ausbildungszeiten gemäß § 207 SGB VI sei verstrichen. Die Nachzahlung hätte bis zum 31.12.2004 beantragt werden müssen bzw. die Berechtigung zur Nachzahlung habe nur bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres bestanden. Die Klägerin habe das 45. Lebensjahr bereits am 05.11.2001 vollendet. Ein Fall der besonderen Härte gemäß § 197 Abs. 3 SGB VI liege ebenfalls nicht vor, da die Wartezeit für die gewünschte Altersrente in absehbarer Zeit erfüllt werden könne, z.B. durch weitere Beschäftigungsmonate. Der entstehende Nachteil beschränke sich lediglich darauf, dass eine Altersrente nur kurze Zeit später beginne. Der Feststellungsbescheid vom 24.07.2019 habe keinen Hinweis auf eine Nachzahlung von Ausbildungszeiten enthalten, da die Frist hierfür bereits abgelaufen gewesen sei. Anträge auf Kontenklärung in der Vergangenheit seien mehrfach wegen mangelnder Mitwirkung seitens der Klägerin abgeschlossen worden.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2020 zurück wies. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte sei erst zum 01.07.2014 eingeführt worden. Zum Zeitpunkt der Vollendung des 45. Lebensjahres im Jahr 2001 hätten die gesetzlichen Bestimmungen noch keine Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß     § 236b SGB VI vorgesehen, sodass sie die Klägerin auch nicht dahingehend hätte beraten können.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.11.2020 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben. Sie treffe keine Schuld an der befristeten Antragstellung, da die maßgebliche Zeit noch bis 2019 verbindlich im Konto erfasst gewesen sei. Die Antragstellung sei nach Maßgabe des § 197 Abs. 3 SGB VI noch außerhalb der Fristen des § 207 SGB VI möglich, wenn Versicherte an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert gewesen seien. Der Antrag sei fristgebunden und könne nach § 197 Abs. 3 Satz 2 SGB VI innerhalb von 3 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werden.  Ein Fall der besonderen Härte sei anzunehmen, wenn die fehlende Beitragszahlung für den Betroffenen zu einem außergewöhnlichen sozialversicherungsrechtlichen Schaden führen würde. Dies sei der Fall, da durch die Beitragszahlung die Rente um 12 Monate früher beginnen könne, zusätzlich entstehe aufgrund der erweiterten Hinzuverdienstmöglichkeiten im Jahre 2020 ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil. Dass sie an der Kontenklärung nicht mitgewirkt habe, sei anhand der ihrem Prozessbevollmächtigten vorliegenden Unterlagen nicht nachvollziehbar, jedoch auch für den zu entscheidenden Fall unerheblich. Davon unbenommen hätte die Beklagte wesentlich früher die Anerkennung der fraglichen Zeiten aufheben können. Mangelnde Mitwirkung hindere den Versicherungsträger nicht, neue Feststellungsbescheide zu erlassen. Darüber hinaus sei der Antrag vom 29.05.2020 auch als Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu werten. Selbst wenn man § 197 Abs. 3 SGB VI oder § 27 Abs. 1 SGB X nicht für anwendbar hielte, wäre jedenfalls die Nachzahlung über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zuzulassen. Sie habe erstmals durch die Beratung des jetzigen Prozessbevollmächtigten im Mai 2020 von der Möglichkeit der Beitragsnachzahlung und vom Wegfall der Anrechnungszeiten erfahren.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 25.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen für den Zeitraum 06.11.1972 bis 05.11.1973 zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an der Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung festgehalten. Auf Nachfrage des SG hat sie mitgeteilt, dass im Rahmen der am 24.07.2019 sowie 29.06.2020 erteilten Rentenauskünfte keine Hinweise auf die Möglichkeit der Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen gegeben worden seien, weil es keine rechtliche Grundlage für eine Nachzahlung freiwilliger Beiträge zum damaligen Zeitpunkt gegeben habe. In der Zeit vom 01.01.1997 bis 31.12.2004 sei von ihrer Seite keine Kontaktaufnahme mit der Klägerin zu Kontenklärung erfolgt, weil bis zum 15.02.2000 die DRV F. für die Kontoführung des Versichertenkontos der Klägerin zuständig gewesen sei. Diese habe ausweislich des Kontenspiegels am 17.11.1999 ein Kontenergänzungsverfahren zur Klärung der Kindererziehungszeiten abgeschlossen. Am 28.09.1998 sei, offensichtlich von einer Auskunfts- und Beratungsstelle der DRV Bund, ein Versicherungsverlauf an die Klägerin erteilt worden. Die von ihr – der DRV Bund – angeregten Kontenklärungen in den Jahren 2006, 2010, 2012 und 2018 seien mangels Mitwirkung erfolglos abgeschlossen worden.

Die DRV F. hat auf Nachfrage des SG mitgeteilt, dass ihr keine Akten oder Schriftwechsel mehr vorliegen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.10.2021 abgewiesen. Die in § 207 Abs. 2 SGB VI vorgesehenen Fristen seien abgelaufen. Für den Fristablauf sei es nicht von Relevanz, ob und wann die Klägerin von der zum 01.01.1997 eingetretenen Rechtsänderung, die zum Wegfall der Anrechnungszeiten im streitigen Zeitraum geführt habe, erfahren habe. Die gesetzlich normierten Ausschlussfristen liefen auch bei Unkenntnis ab und setzten auch nicht voraus, dass die Beklagte vor Fristablauf den Wegfall der Zeiten durch Vormerkungsbescheid festgestellt habe. Ob die Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI Anwendung finde, könne offenbleiben, da jedenfalls kein Härtefall vorliege. Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in die Frist des § 207 Abs. 2 SGB VI zu gewähren, da die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 1, 2 SGB X nicht vorlägen. Voraussetzung einer Wiedereinsetzung sei, dass Berechtigte den vorhandenen Willen ihr Recht geltend zu machen infolge einer auf höherer Gewalt beruhenden Verhinderung nicht verwirklichen könnten. Dabei genüge die Unkenntnis der veränderten Rechtslage nicht für die Annahme fehlenden Verschuldens. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus, da jedenfalls im maßgeblichen Zeitraum zwischen 1997 und 2004 die Klägerin nicht mit einem konkreten Rentenbegehren an die Beklagte herangetreten sei. Die nur im Kontenspiegel enthaltenen Hinweise ließen nicht erkennen, welchen Inhalt die Korrespondenz gehabt habe, auch die Klägerin habe keine konkreten Angaben mehr machen können. Die Beweislast wirke sich zulasten der Klägerin aus. § 149 SGB VI verpflichte die Beklagte zum Führen eines Versicherungskontos und zur Erteilung von Vormerkungsbescheiden, nicht jedoch zur Information über die Möglichkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen. Es fehle somit selbst bei einer unterstellten Verletzung der Informationspflicht an einem Ursachenzusammenhang zwischen dieser Pflicht und der verspäteten Antragstellung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge.

Gegen das am 02.11.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.11.2021 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Die Befristung im Rahmen des § 207 SGB VI auf Ende 2004 oder die Vollendung des 45. Lebensjahres basiere letztlich auf der Annahme des Gesetzgebers, dass der betroffene Versicherte spätestens mit Vollendung des 45. Lebensjahres sein Konto geklärt habe und ihm die Nachzahlung bekannt sei. § 149 Abs. 5 SGB VI bestimme, dass der Versicherungsträger auch bei fehlender Mitwirkung des Versicherten einen entsprechenden Feststellungsbescheid erlassen müsse. Bei Änderungen der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften sei der Feststellungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Feststellungsbescheide im Sinne des § 149 Abs. 5 SGB VI hätten Beweissicherungsfunktion. Durch sie solle im Interesse des Versicherten verbindlich geklärt werden, ob der Versicherte in den im Vormerkungsbescheid genannten Zeiten den Tatbestand der jeweiligen rentenrechtlichen Zeit erfüllt habe. Nach § 207 SGB VI könnten nur solche Beiträge nachgezahlt werden, die nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden. Bis zum Aufhebungsbescheid aus 2019 seien die Zeiten gerade nicht als Anrechnungszeiten anerkannt gewesen, sodass die Klägerin zuvor überhaupt kein Nachbesserungsrecht gehabt habe. § 207 SGB VI diene nach der Gesetzesbegründung der Vermeidung möglicher erheblicher Versorgungslücken. Aufgrund des bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt drohenden Anspruchsverlusts – angesichts der Antragstellung nur bis zum 45. Lebensjahr – liege es nahe, dass die Versicherten bei objektiver Betrachtung von der Gestaltungsmöglichkeit erfahren wollten und sollten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.10.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2020 zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen für den Zeitraum 06.11.1972 bis 05.11.1973 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

                            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich der erstinstanzlichen Entscheidung angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 25.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2020 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen für den Zeitraum 06.11.1972 bis 05.11.1973.

Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 207 Abs. 1 SGB VI. Danach können Versicherte für Zeiten einer schulischen Ausbildung nach dem vollendeten 16. Lebensjahr, die nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden, auf Antrag freiwillige Beiträge nachzahlen, sofern diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind. Die Zeit der Ausbildung, die die Klägerin im Zeitraum 06.11.1972 bis 05.11.1973 – also nach Vollendung des 16. Lebensjahres – an der P. absolviert hat, wird nach der seit dem 01.01.1997 geltenden Rechtslage nicht mehr als Anrechnungszeit berücksichtigt. Die Zeiten sind auch nicht mit anderen Beiträgen belegt. Die Klägerin hat den Antrag jedoch nicht fristgemäß gestellt. Denn der Antrag ist gemäß § 207 Abs. 2 SGB VI nur bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres (im Fall der Klägerin im Jahr 2001) oder bis zum 31.12.2004 möglich gewesen. Die Sonderregelung gemäß § 207 Abs. 2 Satz 3 für den Fall der Nachversicherung einer versicherungsfreien oder befreiten Tätigkeit ist ebenfalls nicht einschlägig. Der durch § 207 SGB VI vorgegebene Zeitrahmen wird nicht dadurch erweitert, dass erst mit Erlass des Vormerkungsbescheides vom 24.07.2019 die Ausbildungszeiten der Klägerin im Sinne von § 207 SGB VI formal nicht (mehr) als Anrechnungszeiten berücksichtigt waren, da sie zuvor gemäß Vormerkungsbescheid vom 16.01.1987 formal als Ausfallzeit-Tatsachen nach dem AVG festgestellt waren. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang genannte Entscheidung des Senats vom 14.09.2011 (L 3 R 936/10) betrifft die Bindungswirkung von in einem Vormerkungsbescheid festgestellten Zeiten für die Entgeltpunkte im Rahmen der konkreten Rentenberechnung und nicht die gesetzlichen Fristen für die Nachzahlung freiwilliger Beiträge.

Der Klägerin ist nicht nach Maßgabe von § 27 SGB X Wiedereinsetzung in die Frist des         § 207 Abs. 2 SGB VI zu gewähren. Die Gewährung von Wiedereinsetzung ist im Rahmen des § 207 SGB VI zwar grundsätzlich möglich, da § 207 SGB VI keine gegenteilige Regelung enthält (Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 207 SGB VI (Stand: 08.09.2022), Rn. 49; Liebich in: Hauck/Noftz SGB VI, § 207, Rn. 25), kommt jedoch vorliegend bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin den Antrag nicht innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt hat (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Die Unkenntnis der Klägerin von der gesetzlichen Bewertung ihrer Ausbildungszeiten sowie der Nachentrichtungsmöglichkeit ist insoweit unbeachtlich. Denn Gesetze gelten mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt als bekannt, sodass es nicht auf die tatsächliche Kenntnis ankommt. Wird in einem solchen Gesetz eine Befristung ausdrücklich geregelt, ist bei Fristversäumnis grundsätzlich ein Verschulden anzunehmen und die Wiedereinsetzung ausgeschlossen (BSG v. 21.12.2011 – B 12 KR 21/10 R –, Rn. 28; BSG v. 14.11.2002 – B 13 RJ 39/01 R –, Rn. 28; BSG v. 22.10.1996 – 13 RJ 23/95 –, Rn. 32; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 27 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 24). Sofern man den Hinderungsgrund in der Umsetzung der ab dem 01.01.1997 geltenden Rechtslage mit Vormerkungsbescheid sieht, ist dieses Hindernis mit Erlass des Vormerkungsbescheides vom 24.07.2019 – dieser gilt als am 27.07.2019 bekannt gegeben, vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X – weggefallen, den Antrag hat die Klägerin erst im Mai 2020 gestellt. Gründe für die Annahme höherer Gewalt mit der Folge, dass die Jahresfrist gemäß § 27 Abs. 3 SGB X Anwendung fände, liegen nicht vor.

Die Klägerin ist auch nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wenn sie den Antrag rechtzeitig gestellt hätte.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass

1. der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung verletzt hat,

2. dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil ein ursächlicher Zusammenhang besteht

3. die verletzte Pflicht darauf gerichtet war, den Betroffenen gerade vor dem eingetretenen Nachteil zu bewahren (Schutzzusammenhang) und

4. der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann.

Ein für die unterbliebene Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen kausales pflichtwidriges Verhalten hätte zeitlich vor dem 31.12.2004 stattfinden müssen, da nur bis zu diesem Zeitpunkt eine Nachzahlmöglichkeit nach den gesetzlichen Vorschriften bestand.

Ein kausales pflichtwidriges Fehlverhalten eines Rentenversicherungsträgers lässt sich jedoch nicht feststellen.

Ein an die Beklagte oder die DRV F. gerichtetes Beratungsersuchen der Klägerin ist nicht nachweisbar. Die Klägerin selbst hat vorgetragen, keine Erinnerungen mehr an die Kontakte in der Zeit bis 2004 zu haben. Die vorhandenen Einträge im Kontenspiegel lassen ebenfalls keine Rückschlüsse auf ein konkretes Beratungsersuchen zu.

Eine Pflicht der Beklagten, die Klägerin ohne konkretes Beratungsersuchen oder Verwaltungsverfahren als von der Gesetzesänderung zum 01.01.1997 betroffene Versicherte über die Möglichkeit zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge zu informieren, bestand nicht. Eine solche Pflicht des Rentenversicherungsträgers besteht selbst bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen, wie drohenden Totalverlust eines Anspruchs allenfalls in Ausnahmefällen (BSG, Urteil vom 22.10.1996 – 13 RJ 23/95 –, Rn. 37 m.w.N.).

Ob die Beklagte bzw. zuvor die DRV F. im Rahmen ihrer Versuche ein Kontenklärungsverfahren durchzuführen, gemäß § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI verpflichtet war, die Klägerin auf den Wegfall der Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten und Möglichkeit der Nachzahlung freiwilliger Beiträge hinzuweisen, kann der Senat offen lassen. Denn es fehlt bereits an der erforderlichen Kausalität der Pflichtverletzung zum eingetretenen sozialrechtlichen Schaden; hierfür trägt der Versicherte die objektive Beweislast (BSG, Urteil vom 26.07.2007 – B 13 R 4/06 R –, Rn. 25). Nach der Interessenlage in den Jahren 1997 bis 2004 war es aus Perspektive der Klägerin nicht ohne weiteres wirtschaftlich vorteilhaft und naheliegend, die Gestaltungsmöglichkeit nach § 207 SGB VI in Anspruch zu nehmen. Der von der Klägerin nun mithilfe der zusätzlichen Beitragsmonate erreichbare Bezug einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 239b SGB VI war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar, da diese Rente erst im Jahr 2012 eingeführt wurde. Zweifel an der Kausalität der unterbliebenen Information für die fehlende Inanspruchnahme der Nachzahlungsmöglichkeit hat der Senat aber bereits auch deshalb, weil die Klägerin im Juli 2019 durch Vormerkungsbescheid vom 24.07.2019 Kenntnis von dem Wegfall der Ausbildungszeit als Anrechnungszeit erlangt hat, sich aber gleichwohl erst im Mai 2020 über ihren Prozessbevollmächtigten an die Beklagte mit dem Begehren der Nachzahlung von Beiträgen gewandt hat.

Aus denselben Erwägungen scheidet ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch in Bezug auf den Verstoß gegen § 149 Abs. 5 SGB VI aus. § 149 Abs. 5 SGB VI sieht vor, dass auch bei fehlender Reaktion des Versicherten im Kontenklärungsverfahren ein festsetzender Bescheid ergeht. Dies ist versäumt worden. Ob die Nichtbeachtung dieser Vorgehensweise von ihrem Schutzzweck her einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auslösen kann, kann der Senat jedoch offen lassen. Denn auch hier fehlt es entsprechend der o.g. Ausführungen an dem Nachweis einer Kausalität dahingehend, dass der Erlass eines die Rechtslage ab 01.01.1997 umsetzenden verbindlichen Vormerkungsbescheides vor dem 31.12.2004 die Klägerin dazu veranlasst hätte, Beiträge freiwillig nachzuzahlen.

Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch darauf, die Beiträge im Rahmen der Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI nachzuzahlen. Danach ist in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Abs. 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Der Antrag kann nur innerhalb von 3 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werden. Diese Härtefallregelung ist im Rahmen der Nachzahlungstatbestände der §§ 204 ff. SGB VI bereits nicht anwendbar (vgl. Peters, Regelungsprobleme bei der Nachzahlung von Rentenversicherungsbeiträgen, Festschrift für Otto Ernst Krasney, München 1997, S. 344). Unabhängig davon liegt ein Fall der besonderen Härte nicht vor. Beispielhaft nennt das Gesetz den drohenden Verlust einer Anwartschaft. Der für die Klägerin um ein Jahr verschobene Rentenbeginn im Vergleich zu der bei Zulassung der Nachzahlung möglichen Rente für besonders langjährige Versicherte (§ 236b SGB VI) mit Beginn 01.08.2020 ist dem drohenden Verlust einer Anwartschaft in seiner wirtschaftlichen Auswirkung nicht gleichzusetzen. Darüber hinaus hat die Klägerin den Antrag auch nicht innerhalb von 3 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes – hier Erlass des Vormerkungsbescheides vom 24.07.2019 – gestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 KasseloderBundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel

einzulegen.

Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung -ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Weitergehende Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen

-          jeder Rechtsanwalt,

-          Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,

-          selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,

-          berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,

-          Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

-          Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,

-          juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Ein Beteiligter, der zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Handelt es sich dabei um eine der vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen, muss diese durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.

In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.

Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.

Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.

Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zu Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches _  Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).

Rechtskraft
Aus
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