L 3 U 99/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 199/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 99/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1) § 111 Satz 2 SGB X findet auf Erstattungsansprüche gem. § 105 SGB X Anwendung. Die Möglichkeit einer Eingrenzung des Anwendungsbereichs auf einzelne Erstattungsnormen scheidet aufgrund der Gesetzesbegründung und des Wortlauts der Vorschrift aus.

2) Voraussetzung der Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X ist, dass eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten bereits vorliegt oder zumindest in Betracht kommt. Eine Entscheidung gegenüber dem erstattungsberechtigten Leistungsträger reicht nicht aus.

3) Im Hinblick auf die Anwendung des § 111 SGB X spielt es keine Rolle, ob dem Erstattungsanspruch eine Geld- oder eine Sachleistung zugrunde liegt. 


I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. Februar 2021 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 7.718,26 EUR zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rückerstattung eines Betrags von 7.718,26 EUR aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 26. November 2008 des bei der Klägerin und der Beklagten versicherten A. A. (Versicherter).

Ab dem 9. Januar 2009 zahlte die Beklagte nach einem Arbeitsunfall aufgrund der „Verwaltungsvereinbarung Generalauftrag Verletztengeld“ Verletztengeld an den Versicherten und reichte bei der Klägerin Erstattungsaufforderungen ein, die die Klägerin beglich. Mit Schreiben vom 12. Februar 2009 meldete die Klägerin vorsorglich einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an. Die Beteiligten verzichteten gegenseitig auf die Einrede der Verjährung.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2010 teilte die Klägerin dem Versicherten mit, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur bis einschließlich 6. Januar 2009 bestanden habe. Am gleichen Tag sandte die Klägerin außerdem ein Schreiben an die Beklagte, in dem sie mitteilte, dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 6. Januar 2009 geendet habe und - soweit noch nicht geschehen - die Verletztengeldzahlung einzustellen sei. Erneut wurde vorsorglich ein Erstattungsanspruch geltend gemacht. Auf telefonische Nachfrage der Klägerin teilte die Beklagte am 9. April 2010 mit, dass Verletztengeld zuletzt bis einschließlich 5. Januar 2010 gezahlt worden sei und ab dem 6. Januar 2010 dann Krankengeld.

Der Versicherte ging nach erfolglosem Widerspruch gegen die Ablehnung weiterer Leistungen durch die Klägerin ins Klageverfahren. Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2013 stellte das Sozialgericht Lüneburg fest, dass der Versicherte unter einer chronifizierten mittelgradig bis schweren depressiven Episode mit posttraumatischen Anteilen als Folge des Arbeitsunfalls leide. Auf Aufforderung der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 26. August 2013 mit, dass dem Versicherten Arbeitsunfähigkeit vom 28. November 2008 bis zum 27. Mai 2010 bescheinigt worden sei.

Mit Bescheid vom 9. Juni 2015 bewilligte die Klägerin dem Versicherten eine Rente ab dem 28. Mai 2010. Am 15. Juni 2015 wandte sie sich an die Beklagte und gab an, dass die Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 27. Mai 2010 Folge des Arbeitsunfalls gewesen sei, die Beklagte möge für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 das Verletztengeld berechnen und einen hierbei bestehenden Differenzbetrag zum Krankengeld auszahlen. Soweit sich kein Differenzbetrag ergebe, werde um „Fehlanzeige“ gebeten. Am 17. November 2015 wurde der Krankengeldfall ab dem 6. Januar 2010 storniert und das Verletztengeld berechnet bzw. der AU-Fall auf Verletztengeld umgestellt. Die Beklagte teilte dann am 19. November 2015 mit, dass sich kein Differenzbetrag ergeben habe. 

Am 26. November 2015 forderte die Beklagte die Klägerin erstmals auf, einen Betrag von 11.403,16 EUR gem. § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren – SGB X für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 zu erstatten. Die Klägerin wies daraufhin einen Betrag von 7.718,26 EUR (Krankengeld i.H.v. 9.542,40 EUR abzüglich Rentenerstattung von 1.824,14 EUR) aufgrund des von der Beklagten zu viel gezahlten Krankengelds an. In einem hierzu an die Beklagte verfassten Schreiben vom 2. Dezember 2015 ging sie näher auf den gezahlten Betrag ein. In der Folgezeit setzten sich die Beteiligten weiter darüber auseinander, inwieweit die Klägerin erstattungspflichtig war.

Zwei Jahre später forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 21. November 2017 auf, den Betrag von 7.718,26 EUR gem. § 112 SGB X zurückzuerstatten. Es fehle an einer Anmeldung der Erstattung. Die Beklagte teilte daraufhin sowohl mit Schreiben vom 27. November 2017 als auch telefonisch am 7. Februar 2018 mit, dass eine Erstattung nicht erfolgen werde.

Am 5. Dezember 2018 hat die Klägerin Klage auf Zahlung des Betrags von 7.718,26 EUR beim Sozialgericht Frankfurt (Sozialgericht) erhoben. § 111 Satz 2 SGB X komme nicht zur Anwendung, da keine Entscheidung über die Gewährung von Verletztengeld getroffen worden sei. Die Beklagte habe den Erstattungsanspruch verspätet geltend gemacht, so dass dieser erloschen sei. Die Beklagte hat ausgeführt, dass sie erst im Juni 2015 Kenntnis vom Erstattungsanspruch gehabt habe. 

Mit Urteil vom 24. Februar 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 112 SGB X lägen nicht vor. Der Erstattungsanspruch der Beklagten sei nicht gem. § 111 SGB X ausgeschlossen. Einschlägig sei § 111 Satz 2 SGB X. Der Lauf der Frist beginne frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlange. Nach dem Wortlaut werde also an eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers angeknüpft. Dabei sei als Entscheidung nicht nur der Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Versicherten anzusehen, sondern auch die schlicht-hoheitliche Erbringung der Leistungen bzw. deren Anweisung. Die Rechtsprechung zu § 107 SGB X beziehe sich vornehmlich auf die Erbringung von Sachleistungen. Es könne aber vorliegend dahinstehen, ob die Klägerin an einer Entscheidung über die Verpflichtung zur Erbringung von Verletztengeld im Sinne des § 107 Abs. 1 SGB X gehindert gewesen sei. Mit ihrem Schreiben vom 15. Juni 2015 habe die Klägerin über die Zahlung von Verletztengeld entschieden. Mit diesem Schreiben habe sie die Beklagte sowohl aufgefordert, den Differenzbetrag zwischen dem Krankengeld und dem Verletztengeld zu bestimmen, als auch – soweit sich eine Differenz ergebe –, diese an den Versicherten auszuzahlen. Damit habe die Klägerin umfassend über die Gewährung von Verletztengeld entschieden. Sie habe eine Entscheidung über die Gesamtleistung des Verletztengelds für den Zeitraum ab dem 6. Januar 2010 getroffen. Unbeachtlich sei, dass die Entscheidung nicht gegenüber dem Leistungsberechtigten ergangen sei. Es mache keinen Unterschied, ob die Beklagte bei der Prüfung feststelle, dass das Verletztengeld in diesem Fall das Krankengeld nicht übersteige. Denn tatsächlich habe dem Versicherten ab dem 6. Januar 2010 nur Krankengeld gezahlt werden sollen. Die Zahlung von Verletztengeld über den 6. Januar 2009 hinaus sei dem Versicherten gegenüber mit Bescheid vom 11. Februar 2010 abgelehnt worden. Erstmals mit Schreiben vom 15. Juni 2015 teilte die Klägerin ihre Pflicht zur Zahlung von Verletztengeld auch ab dem 6. Januar 2010 mit. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Beklagte die Erstattung des Krankengelds in derartigen Fällen nur geltend machen könne, wenn festgestellt würde, dass dem Versicherten noch ein Differenzbetrag zwischen Kranken- und Verletztengeld zu zahlen sei. Es komme nur darauf an, dass die Klägerin über das Verletztengeld als Gesamtleistung entscheide. Hinzu komme, dass die Klägerin erst aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung weitere Unfallfolgen anerkannt habe. Von einer Bewilligung von Leistungen über den 6. Januar 2010 hinaus sei danach erst im Jahr 2015 auszugehen. Die Berufung werde gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG zugelassen, da die Sache von grundsätzlicher Bedeutung sei und es an einer Entscheidung bei der hier vorliegenden Konstellation fehle.

Am 25. Mai 2021 hat die Klägerin gegen das ihr am 27. April 2021 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Sie trägt u.a. vor, dass eine Erstattung – soweit sie zu Unrecht erfolgt sei – zurückzuerstatten sei. Vorliegend habe sie an die Beklagte 7.718,26 EUR zu Unrecht erstattet, da die Frist des § 111 Satz 1 SGB X nicht eingehalten worden sei. Die Geldleistungen seien im Jahr 2010 erbracht worden. Die Beklagte habe erstmals mit Schreiben vom 26. November 2015 einen Erstattungsanspruch geltend gemacht. § 111 Satz 2 SGB X sei nicht einschlägig. Vorausgesetzt werde hier eine „Entscheidung über die Leistungspflicht“ des erstattungspflichtigen Trägers. Die Leistungspflicht betreffe hier die Pflicht des Trägers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten und nicht die Pflicht im Verhältnis zu einem anderen Leistungsträger. Gem. DGUV-RS 0378/2011 vom 5. September 2011 sei bei nachträglicher Bewilligung von Verletztengeld noch eine echte Entscheidung ihrerseits gegenüber dem Versicherten erforderlich. Eine derartige Entscheidung sei jedoch für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 nicht getroffen worden und habe auch nicht mehr getroffen werden dürfen. Selbst ein Spitzbetrag sei nicht mehr zu zahlen gewesen. Im Übrigen habe die Beklagte durchgängig Verletztengeld gezahlt. 

Die Klägerin beantragt, 
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. Februar 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 7.718,26 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, 
die Berufung zurückzuweisen.

Es sei erst mit Bescheid vom 9. Juni 2015 entschieden worden, dass an den Versicherten auch für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 Verletztengeld zu zahlen sei. Eine Entscheidung im Sinne des § 111 Satz 2 SGB X sei auch die schlicht-hoheitliche Erbringung der Leistungen bzw. deren Anweisung. Die Klägerin habe mit dem Schreiben vom 15. Juni 2015 über die Zahlung von Verletztengeld entschieden. In der Besprechung der Spitzenverbände vom 6. November 2012 sei festgelegt worden, dass die Entscheidung zur Verletztengeldzahlung noch eine echte Entscheidung im Sinne des § 111 Satz 2 SGB X darstelle. Die Leistungen seien, in Unkenntnis der späteren Entscheidung der Klägerin zunächst als Krankengeld und ohne Auftrag der Klägerin ausbezahlt worden. Sie habe nach der Mitteilung der Klägerin den Fall umgestellt und Krankengeld anstatt Verletztengeld gezahlt. Die Klägerin habe es gerade mit Bescheid vom 11. Februar 2010 abgelehnt, Verletztengeld an den Versicherten auszuzahlen. 

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 9. November 2021 und mit Schriftsatz vom 12. November 2021 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. 

Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten und die Gerichtsakten, die Gegenstand der Beratungen waren, verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG treffen. 

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. Februar 2021 ist aufzuheben Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung der 7.718, 26 EUR gegen die Beklagte gem. § 112 SGB X.

Nach § 112 SGB X sind gezahlte Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Erfasst von der Norm werden u.a. Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X (vgl. z.B. Roller in: Schütze, SGB X, § 112, Rn. 4).

Hier hat die Beklagte – bei der es sich vorliegend um den unzuständigen, nicht vorläufig leistungspflichtigen Leistungsträger handelt - mit Schreiben vom 26. November 2015 einen Erstattungsanspruch gem. § 105 SGB X aufgrund des an den Versicherten gezahlten Krankengelds für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Die Klägerin wies daraufhin einen Betrag von 7.718, 26 EUR (Krankengeld i.H.v. 9.542, 40 EUR abzüglich Rentenerstattung von 1.824, 14 EUR) an. Für den Senat besteht an dieser Stelle kein Zweifel daran, dass die Beklagte tatsächlich Krankengeld und nicht bereits schon damals Verletztengeld ausgezahlt hat, wie von der Beklagten behauptet. Soweit sich die Beklagte auf das Erstattungsschreiben vom 11. Januar 2010 bezieht, handelt es sich um Zeiträume vor dem 6. Januar 2010, d.h. um eine Zeit, in der die Beklagte in Übereinstimmung mit der Klägerin Verletztengeld ausgezahlt hat. In Bezug auf das Schreiben vom 5. Oktober 2017 weist die Beklagte für den Senat nachvollziehbar daraufhin, dass zu diesem Zeitpunkt klar war, dass der Versicherte einen Anspruch auf Verletztengeld hatte, so dass die Leistung „umgestellt“ worden sei. 

Die von der Klägerin geleistete Erstattung in Höhe von 7.718,26 EUR erfolgte zu Unrecht. Ob eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten und unabhängig von einem möglichen Verschulden des Leistungsträgers. U.a. kann ein Erstattungsanspruch nach § 111 SGB X untergegangen sein (Roller in: Schütze, SGB X, § 112, Rn. 5 m.w.N.). Vorliegend war der Erstattungsanspruch der Beklagten bei Zahlung durch die Klägerin bereits untergegangen. 

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Die Grundsätze für die Fristberechnung ergeben sich aus § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. den §§ 187-193 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB. Fällt das Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags (§ 26 Abs. 3 SGB X). Das Krankengeld wurde für die Zeit bis einschließlich 27. Mai 2010 gezahlt. Demgemäß begann die Frist von zwölf Monaten spätestens am 28. Mai 2010 zu laufen und endete mit Ablauf des 27. Mai 2011. Die Beklagte wandte sich jedoch erst mit Schreiben vom 26. November 2015 an die Klägerin. Dahinstehen konnte für die Ermittlung der Frist, ob die Beklagte das Krankengeld für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 in einem Betrag an den Versicherten ausgezahlt hat oder aber – wie üblich – abschnittsweise, da in jedem Fall die Frist spätestens am 27. Mai 2011 endete.

Auch aus § 111 Satz 2 SGB X ergibt sich kein anderes Ergebnis. Gem. § 111 Satz 2 SGB X beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Dabei findet § 111 Satz 2 SGB X grundsätzlich auch Anwendung auf einen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X. Die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 111 Satz 2 SGB X redet lediglich allgemein von Erstattungsansprüchen und davon, dass Erstattungsansprüche auch Leistungen für Zeiträume erfassen können, deren Ende länger als zwölf Monate zurückliegt. Zwar wird dort im zweiten Absatz auf eine Fallkonstellation hingewiesen, bei der Unfallversicherungsträger erst nach Abschluss der Leistung von Arbeitslosenhilfe aufgrund der übersandten Durchschrift des Bewilligungsbescheids des Unfallversicherungsträgers Kenntnis von der Leistungspflicht erhielt (vgl. BT-Drs. 14/4375 S. 60). In der Gesetzesbegründung wird aber auf weitere Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) hingewiesen, die auch Ansprüche nach § 105 SGB X zum Inhalt haben (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 23. September 1997, 2 RU 37/96 – juris), so dass sich in den Augen des Senats keine Eingrenzung des Anwendungsbereichs auf einzelne Erstattungsnormen ergibt bzw. für eine teleologische Reduktion in diesem Zusammenhang kein Platz ist (hierzu Kater in: SGb 2007, S. 400, Der Beginn der Ausschlussfrist für Erstattungsansprüche (§ 111 SGB X); BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, B 1 KR 20/04 R – juris; anders VGH München, Urteil vom 22. August 2001 – 12 B 99.889 – juris). Voraussetzung der Anwendung des § 111 S. 2 SGB X ist, dass eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten – und nicht dem vorleistenden Träger - in der Sache bereits vorliegt oder zumindest in Betracht kommt. Eine derartige materiell-rechtliche Entscheidung ist jedoch regelmäßig dann ausgeschlossen oder jedenfalls nicht mehr notwendig, wenn die vom erstattungsberechtigten Träger erbrachte Leistung „deckungsgleich“ mit der vom eigentlich leistungsverpflichteten Träger zu erbringenden Leistung ist, so dass der Anspruch des Versicherten gem. § 107 SGB X bereits erfüllt ist (BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, B 1 KR 20/04 R – juris; Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 13/07 R, - juris; Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 12/14 R – juris; Urteil vom 16. März 2010, B 2 U 4/09 R – juris; BSG, Urteil vom 4. April 2019, B 8 SO 11/17 R – juris, so auch Becker in: Hauck/Noftz SGB X, 3. Ergänzungslieferung 2023, § 111 SGB X, Rn. 51 ff.; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2014, L 3 U 3510/13 - juris). Verstünde man die Entscheidung über die Leistungspflicht als Entscheidung des erstattungsverpflichteten Trägers gegenüber dem erstattungsberechtigten Träger, verlöre die gesetzliche Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X ihren Sinn, weil der erstattungspflichtige Träger erst dann eine Entscheidung träfe, wenn der Erstattungsanspruch an ihn herangetragen würde. Dies führte zwar zu einer materiellen Einzelfallgerechtigkeit. Der Gesetzgeber hat jedoch den § 111 Satz 1 SGB X nicht verändert. Seine Intention lag bei der Schaffung des § 111 S. 1 SGB X damals in der „schnellen Klarstellung der Verhältnisse“ (BT-Drs. 9/95, S. 26). Dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 111 Satz 1 SGB X aushöhlen wollte, um jetzt nur noch eine materielle Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen, kann der Begründung zur Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X nicht entnommen werden (so auch BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B1 KR 13/07 R – juris). Ein Anwendungsbereich verbleibt für den § 111 Satz 2 SGB X trotzdem. Wäre im vorliegenden Fall z.B. das Verletztengeld höher gewesen als das Krankengeld, was regelmäßig der Fall ist, hätte eine Entscheidung gegenüber dem Versicherten ergehen müssen (zur weiteren Anwendung vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2010, B 2 U 4/09 R - juris). Da hier aber das kalendertäglich zu zahlende Verletztengeld in der Höhe dem bereits durch die Beklagte gezahlten Krankengeld entsprach, war eine Entscheidung der Klägerin gegenüber dem Versicherten nicht mehr notwendig. 

Einen Grund, im Hinblick auf die Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X eine Unterscheidung von Sach- und Geldleistungen vorzunehmen, sieht der Senat nicht. Es ist richtig, dass das Bundessozialgericht - soweit nachvollziehbar – Entscheidungen zur Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X bisher lediglich zu erbrachten Sachleistungen des erstattungsberechtigten Trägers getroffen hat. Aus den Entscheidungen ergeben sich jedoch keine Hinweise darauf, dass bei Geldleistungen anders zu verfahren sein sollte. Insbesondere werden Sachleistungen sowohl sofort (z.B. ärztliche Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt oder einen „Durchgangsarzt“) als auch nach vorhergehender Entscheidung durch den jeweiligen Träger gegenüber dem Versicherten (z.B. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) erbracht. Ebenso werden Geldleistungen ohne bzw. mit vorhergehender Entscheidung gegenüber dem Versicherten gezahlt (z.B. Verletztengeld oder Rente). Auch die Gesetzesbegründung gibt keinen Anhalt für eine andere Handhabung.

Vorliegend kann der Klägerin auch nicht der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung – der dem Grundsatz von Treu und Glauben entspringt - entgegengehalten werden. Der Einwand findet dann Anwendung, wenn die Versäumung der Ausschlussfrist auf ein grob rechtswidriges, z.B. vorsätzliches Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird. Dies wird für die Fälle in Betracht gezogen, in denen der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, seinen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen oder wenn die eingetretene Verzögerung kein Einzelfall wäre und auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruht (BSG, Urteil vom 10. Mai 2007, B 10 KR 1/05 R – juris). Eine Verletzung der Pflicht zur engen Zusammenarbeit ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere führt die Tatsache, dass die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 11. Februar 2010 mitteilte, dass nicht länger Verletztengeld zu zahlen sei, nicht zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung. Erst das Urteil vom 11. Juli 2013 führte dazu, dass die Klägerin von einer längeren Verpflichtung zur Zahlung des Verletztengelds ausgehen musste. 

Dahinstehen kann, ob § 814 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog angewendet werden kann (vgl. hierzu Becker in: Hauck/Noftz SGB X, 3. Ergänzungslieferung 2023, § 112 SGB X, Rn. 42 f.). Nach dieser Vorschrift kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich hierfür ist, dass der Leistende im Zeitpunkt seiner Leistung positive Kenntnis davon hatte, zur Leistung nicht verpflichtet zu sein (Martinek in: jurisPK-BGB, 7. Auflage 2014, § 814 BGB, Rn. 10). Dafür, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Erstattung des Verletztengelds an die Beklagte wusste, hierzu nicht verpflichtet zu sein, gibt es keine Anhaltspunkte. Grob fahrlässige Unkenntnis reicht insoweit nicht aus (Martinek, a.a.O., Rn. 12).

Eine Verjährung scheidet aus, weil die Beteiligten auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung nach § 113 SGB X verzichtet bzw. diese im Rahmen des Verfahrens nicht erhoben haben. § 111 SGB X ist auf die Rückerstattung nach § 112 SGB X nicht anwendbar (Roller in: Schütze, SGB X, § 111, Rn. 4 m.w.N.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO. Hiernach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 160 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. In Betracht käme als Rechtsfrage allein, ob Geldleistungen bei der Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X ebenso zu behandeln sind wie Sachleistungen. Hierbei handelt es sich in den Augen des Senats um eine Frage, die bereits durch die vorhandenen Entscheidungen des BSG geklärt sind. Kein Klärungsbedarf besteht u.a. dann, wenn schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür geben, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 160, Rn. 8). Dies ist hier der Fall, wie sich aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt.  
 

Rechtskraft
Aus
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