S 8 U 199/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 199/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 99/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3.    Die Berufung wird zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von 7.718,26 €.

Die geltend gemachte Erstattungsforderung betrifft den bei der Beklagten krankenversicherten A. A. (geb. 1965 – im Folgenden Versicherter). Dieser war am 26. November 2008 mit einem Schienensuizid als Zugchef konfrontiert. 

Ab dem 9. Januar 2009 zahlte die Beklagte dem Versicherten aufgrund einer Generalbeauftragung Verletztengeld aus. 

Mit Schreiben vom 12. Februar 2009 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 SGB X vorsorglich einen eventuellen Erstattungsanspruch geltend. Die Beklagte meldete keinen Erstattungsanspruch an. Eine gegenseitige Verzichtserklärung auf die Einrede der Verjährung wurde erklärt. Gegenüber dem Versicherten erkannte die Klägerin mit Bescheid vom 11. Februar 2010 eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 6. Januar 2009 an. Darüber hinaus wurde die Gewährung von Leistungen abgelehnt.

Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 11. Februar 2010 aufgefordert, die Zahlung des Verletztengeldes ab sofort einzustellen. Daraufhin zahlte die Beklagte an den Versicherten ab 6. Januar 2010 Krankengeld. 

Aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung (gegen den Bescheid vom 11. Februar 2010) wurde die Klägerin verurteilt, weitere Gesundheitsfolgen festzustellen. Mit Bescheid vom 9. Juni 2015 gewährte die Klägerin dem Versicherten eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. Die Beklagte wurde gebeten (Schreiben vom 15. Juni 2015), zu prüfen, ob ein Anspruch auf Zahlung eines Differenzbetrages bestehe. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 19. November 2015 mit, dass für den Zeitraum vom 6. Januar 2010 bis 27. Mai 2010 kein Differenzbetrag zu zahlen sei, da das Krankengeld in Höhe des Verletztengeldes gezahlt wurde. 

Erstmals mit Schreiben vom 26. November 2015 machte die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Erstattungsanspruch für das vom 6. Januar 2010 bis 27. Mai 2010 erbrachte Krankengeld i.H.v. 7.718,26 € sowie die daraus entrichteten Trägeranteile zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversichehrung (1.448,40 € + 204,48 €) sowie zur Kranken- und Pflegeversicherung (1.796,30 € und 235,72 €) geltend.

Die Klägerin erstattete der Beklagten am 2. Dezember 2015 das Krankengeld in Höhe von 7.718,26 €. Die Erstattung der weiteren Beiträge wurde zunächst zurückgestellt, da seinerseits ein entsprechendes Berufungsverfahren anhängig war, dessen Ausgang abgewartet werden sollte.

Mit Schreiben vom 21. November 2017 teilte die Klägerin mit, dass eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht in Betracht komme und dass die Erstattung des Krankengeldes für diesen Zeitraum (6. Januar 2010 bis 27. Mai 2010) in Höhe von 7.718,26 € zu Unrecht erfolgt sei. Daher verlangte die Klägerin die Leistungen nach § 112 SGB X zurück. Eine Anmeldung zur Erstattung sei seitens der Beklagten nicht erfolgt.

Die Beklagte äußert mit Schreiben vom 27. November 2017 ihr Unverständnis: Der Erstattungsanspruch sei im Schreiben vom 15. Juni 2015 hinreichend beziffert worden. Die Geltendmachung sei innerhalb der Jahresfrist erfolgt. Somit sei der § 111 SGB X nicht ausschlaggebend. Ob hier eine Bescheiderteilung an den Versicherten erfolgt sei oder nicht, sei für den Erstattungsanspruch nicht relevant. Es werde auch weiterhin auf die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bestanden.
 
Zum 7. Februar 2018 lehnte die Beklagte die Rückerstattung endgültig ab.

Zum 5. Dezember 2018 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 7.718,26 € erhoben. Es werde ein Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X geltend gemacht. § 111 Satz 2 SGB X komme nicht zur Anwendung, da eine Entscheidung über die Gewährung von Verletztengeld nicht getroffen worden sei. Der Erstattungsanspruch sei daher erloschen, da die Beklagte diesen verspätet geltend gemacht habe.

Die Klägerin beantragt, 

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.718,26 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie habe erst im Juni 2015 Kenntnis von dem Erstattungsanspruch gehabt.

Die Klägerin begehrt zudem die Berufungszulassung. 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Versicherte war nicht notwendig beizuladen, weil die Versicherte die Natural- und Geldleistungen von der Klägerin bereits erhalten hatte und sie diese Leistungen - unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits - weder nochmals von der Beklagten beanspruchen könnte noch in Betracht kommt, dass sie deren Wert der Klägerin wegen § 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erstatten muss (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 29/15 R –, juris Rn. 9). Einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG bedarf es im Erstattungsstreit nur dann, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X - anders als hier - auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (BSG, a.a.O.; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 75 Rn. 10a).

Die echte Leistungsklage (§ 54 Absatz 5 Sozialgerichtsgesetz) ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückerstattung der Leistungen nach § 112 SGB X.

Eine Rückerstattung von erbrachten Leistungen zwischen den Leistungsträgern nach § 112 SGB X kann geltend gemacht werden, soweit zuvor eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Die Erstattung des Verletztengeldes von der Klägerin an die Beklagte in Höhe von 7.718,26 € ist nicht zu Unrecht erfolgt, insbesondere war der Erstattungsanspruch der Beklagten nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 105 Abs. 1 und 2 SGB X. Hat danach ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. § 104 Abs. 2 SGB X gilt entsprechend. Nach § 105 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind dem Grunde nach erfüllt und zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht kein Anspruch auf Leistungen, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -). Dies war vorliegend der Fall. Aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung war die Klägerin verurteilt worden, weitere Gesundheitsfolgen zugunsten des Versicherten festzustellen. Mit Bescheid vom 9. Juni 2015 gewährte die Klägerin dem Versicherten eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. Zudem forderte die Klägerin die Beklagte auf zu prüfen, ob für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis 27. Mai 2010 ein Differenzbetrag zwischen gezahltem Krankengeld und Verletztengeld an den Versicherten zu zahlen sei. Mithin bestand Einigkeit, dass ab 6. Januar 2010 das von der Beklagten gezahlte Krankengeld als Verletztengeld zu erbringen war. 

Dem Anspruch auf Erstattung des dem Versicherten gezahlten Krankengeldes steht auch nicht § 111 SGB X entgegen. Danach ist ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte diesen nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht hat. Die Beklagte, die Krankengeld bis Mai 2010 gewährt hatte, hat den Erstattungsanspruch erst 2015 gegenüber der Klägerin geltend gemacht. 

Vorliegend richtet sich der Beginn der Ausschlussfrist jedoch nach § 111 Satz 2 SGB X. Der Lauf der Frist beginnt danach frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.

Nach dem Wortlaut der zuvor genannten Regelung wird eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers angeknüpft. Dabei ist als „Entscheidung“ nicht nur der Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Versicherten anzusehen, sondern auch die schlicht-hoheitliche Erbringung der Leistungen bzw. deren Anweisung (Mutschler, in jurisPK-SGB X, § 111 SGB X Rn. 45). Dabei ist zunächst festzustellen, dass sich die Rechtsprechung zu § 107 SGB X vornehmlich auf die Erbringung von Sachleistungen bezieht (BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 – B 1 KR 20/04 R – juris Rn. 16; Urteil vom 10. Mai 2007 – B 10 KR 1/05 R; Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 21/08 R, vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2014 – L 3 U 3510/13 – juris Rn. 32).

Vorliegend kann dahinstehen, ob die Klägerin an einer Entscheidung über ihre Verpflichtung zur Erbringung von Verletztengeld im Sinne des § 107 Satz 1 SGB X gehindert war (vgl. zu Sachleistungen: BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 – B 1 KR 20/04 R – juris Rn. 16). Mit ihrem Schreiben vom 15. Juni 2015 hat die Klägerin über die Zahlung von Verletztengeld tatsächlich entschieden. Mit diesem Schreiben hat die Klägerin die Beklagte sowohl aufgefordert, den Differenzbetrag zwischen dem zu zahlenden Krankengeld und dem Verletztengeld zu bestimmen als auch konkret angeordnet, den sich dabei ergebenden Differenzbetrag an den Kläger auszuzahlen. Damit hat die Klägerin umfassend über die Gewährung des Verletztengeldes entschieden. D.h. dem Versicherten sollten nicht nur die bereits gewährten Krankengeldleistungen, sondern – sofern ein höheres Verletztengeld zu zahlen war – ein entsprechender Differenzbetrag nachgezahlt werden. Damit hat die Klägerin eine Entscheidung über die Gesamtleitung des Verletztengeldes für den Zeitraum ab 6. Januar 2010 getroffen (vgl. SG Frankfurt, Urteil vom 28. April 2015 – S 8 U 103/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2014 – L 3 U 3510/13 – juris Rn. 38, 40 f.). Unbeachtlich ist, dass die Entscheidung nicht gegenüber dem Leistungsberechtigten ergangen ist.

Dabei kann es im Vergleich zur vorgenannten Rechtsprechung keinen Unterschied machen, wenn die Beklagte bei der Prüfung feststellt, bereits 2010 das Krankengeld in Höhe des Verletztengeldes an den Versicherten ausgezahlt zu haben. Denn tatsächlich sollte dem Versicherten ab 6. Januar 2010 nur Krankengeld und gerade kein Verletztengeld ausgezahlt werden. Die Zahlung von Verletztengeld über den 6. Januar 2010 hinaus war gegenüber dem Versicherten mit Bescheid vom 11. Februar 2010 abgelehnt worden. Ein Verletztengeld über den 6. Januar 2010 hinaus, war dem Versicherten bis zum Schreiben vom 15. Juni 2015 nicht zugesprochen worden. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn die Beklagte die Erstattung des gesamten Krankengeldes in derartigen Fällen nur geltend machen kann, wenn im Nachhinein festgestellt wird, dass noch ein Differenzbetrag zwischen Kranken- und Verletztengeld an den Versicherten zu leisten ist (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2014 – L 3 U 3510/13 – juris Rn. 40 ff.). Da es letztlich nur darauf angekommen kann, dass die Klägerin über das Verletztengeld als Gesamtleistung entscheidet, hält es das Gericht m Ergebnis für sachgerecht, dass es für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in diesen Konstellationen keinen Unterschied machen kann, ob im Nachhinein noch ein Differenzbetrag zwischen Kranken- und Verletztengeld festgestellt wird. 

Hinzukommt, dass die Klägerin vorliegend erst aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Jahr 2015 weitere Unfallfolgen anerkannt und entsprechend dem Versicherten weitere Leistungen zugesprochen hatte. Von einer Bewilligung von Leistungen über den 6. Januar 2010 hinaus (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2014 L 3 U 3510/13 – juris Rn. 39; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 13/07 R Rn. 19) kann danach erst im Jahr 2015 ausgegangen werden.

Die mit Eingang des Schreibens vom 15. Juni 2015 in Lauf gesetzte 12-Monatsfrist war mit der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Schreiben der Beklagten vom 26. November 2015 gewahrt. Damit erfolgte die Erstattung der Leistungen von der Klägerin an die Beklagte nicht zu Unrecht. Die Klägerin hat entsprechend keinen Anspruch auf Rückerstattung nach § 112 SGB X

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Kammer hat die Berufung auf Antrag der Klägerin wegen der grundsätzlichen Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Frage, wann die Frist des § 111 SGB X bei einer zeitabschnittsweisen Bewilligung mit Leistungsablehnung in Lauf gesetzt wird, wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung – insbesondere wenn es keine Sachleistungen betraf – noch nicht einvernehmlich entschieden. Zudem weicht die hiesige Konstellation von der vom LSG Baden-Württemberg entschiedenen Konstellation insoweit ab, da vorliegend kein Differenzbetrag zwischen dem tatsächlich gezahlten Krankengeld und dem zu gewährenden Verletztengeld festgestellt wurde.
 

Rechtskraft
Aus
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