L 9 U 1451/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 U 2450/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1451/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung und Entschädigung einer Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, im Folgenden: BK 2108).

Der 1949 geborene Kläger war von September 1969 bis Februar 1981 als Fahrer und Beifahrer im Brennstoffhandel bei der Firma R Brennstoffe in S beschäftigt. Ab Oktober 1987 machte er eine Umschulung zum Güteprüfer.

Mit Schreiben vom 29.06.2000 beantragte der Kläger bei der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist (im Folgenden einheitlich: die Beklagte) die Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK. Zur Begründung gab er an, er habe während der Beschäftigung bei R. schwer gehoben und getragen, hierdurch seit 1977 oft schwere Rückenbeschwerden gehabt und seine Tätigkeit deshalb 1981 aufgegeben. Auf Kosten des Rentenversicherungsträgers habe er von 1987 bis 1991 eine Umschulung zum Güteprüfer absolviert. Bis 1975 sei er überwiegend damit beschäftigt gewesen, vor allem Kohle und Brikett auszuliefern. Er habe Kohle in Säcke mit einem Gewicht von 50 kg abgepackt, diese auf den Lkw geladen, sie zu den Kunden gefahren, dort abgeladen und an die dortigen Lagerorte (Keller, Dachboden oder Schuppen) getragen. Ab 1976 habe er noch den Transport von Heizöl und Diesel übernommen. Weitere wirbelsäulenbelastende oder gefährdende berufliche Tätigkeiten nach 1981 gab der Kläger nicht an.

Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.07.2001 ab und führte aus, ein Entschädigungsanspruch aus Anlass seiner Erkrankung sei nicht gegeben, weil weder eine BK vorliege noch die konkrete Gefahr des Entstehens einer BK bestehe bzw. bestanden habe. Der Kläger leide unter Wirbelsäulenbeschwerden, welche er auf seine berufliche Tätigkeit bei R. zurückführe. Doch selbst unterstellt, die bis Februar 1981 ausgeübte Tätigkeit sei für seine Wirbelsäule gefährdend gewesen, komme eine Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als BK 2108 bis 2010 nicht in Betracht. Nach der Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 2 BKV (alter Fassung; nach aktueller Fassung: Abs. 6) dürfe der Versicherungsfall frühestens am 01.04.1988 eingetreten sein. Der Tag des Versicherungsfalls ergebe sich aus dem Ende der die Wirbelsäule gefährdenden Tätigkeit. Sollte die angeschuldigte Tätigkeit bis Februar 1981 gefährdend gewesen sein, läge der Tag des Versicherungsfalls vor dem 01.04.1988. Den ohne Begründung eingelegten Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2002 zurück. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 08.02.2016 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 24.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002. Hierzu nahm er Einsicht in den Ausdruck der papierlos geführten Akte der Beklagten, welche ihm mitteilte, dass nur noch eine Restakte vorhanden sei, da nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen ein Teil der Unterlagen bereits vernichtet sei. Der Kläger legte ein Bestätigungsschreiben der R. und medizinische Unterlagen aus den Jahren 1983 bis 2000 vor.

Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 07.06.2016 ab. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X für die Rücknahme des Bescheides vom 24.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002 lägen nicht vor, neue Gesichtspunkte seien nicht vorhanden. Die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei aufgrund § 6 Abs. 2 BKV aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, sowohl die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien aufgrund des schweren Hebens und Tragens als Kohlenarbeiter, als auch die medizinischen Voraussetzungen im Hinblick auf vorhandene Bandscheibenvorfälle der LWS im Bereich L4/5, L5/S1 und L3/4 erfüllt. Auch eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei gegeben und ein Anspruch auf Verletztenrente sowie auf Übergangsleistungen bestehe. Hilfsweise mache er eine BK nach neuer Erkenntnis im Einzelfall nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) (sog. Wie-BK) geltend, die es noch im Erstfeststellungsverfahren festzustellen gelte. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2016 zurück.

Mit seiner hiergegen zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage (S 9 U 4591/16) begehrte der Kläger die Anerkennung seiner Lendenwirbelsäulenerkrankung als Listen-BK, hilfsweise als Wie-BK, da seines Erachtens für § 551 Abs. 2 RVO keine zeitliche Einschränkung der Rückwirkung gelte.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2018 ab. Soweit sie auf „Entschädigung“ und die Anerkennung seiner Lendenwirbelsäulenerkrankung als Wie-BK gerichtet sei, sei die Klage bereits unzulässig, da insoweit die Beklagte in den klagebefangenen Bescheiden keine Entscheidung getroffen habe, im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Die begehrte Anerkennung als BK sei aufgrund der einschlägigen Stichtagsregelung in § 6 Abs. 2 BKV a. F. ausgeschlossen. Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie aufgrund der bereits 1981 erfolgten Aufgabe der unstreitig allein als gefährdende Tätigkeit in Betracht kommenden Beschäftigung im Brennstoffhandel davon ausgehe, dass der Versicherungsfall – bei unterstelltem Vorliegen der übrigen Anerkennungsvoraussetzungen – jedenfalls deutlich vor dem 31.03.1988 eingetreten sein müsse. Diese Annahme werde durch die im Verwaltungsverfahren vorgelegten medizinischen Befundberichte bestätigt. Danach seien die Rückenbeschwerden seit 1977 aufgetreten und erhebliche degenerative Veränderungen sowie Bandscheibenvorfälle und –protrusionen im Bereich der Lendenwirbelsäule seit 1983 durch bildgebende Verfahren nachgewiesen. Objektive Umstände, nach denen sich ein Eintritt des Versicherungsfalls erst nach dem 31.03.1988 begründen lassen könne, habe weder der Kläger vorgetragen noch seien sie sonst ersichtlich. Damit könne dahinstehen, ob die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen einer der BKen Nr. 2108, 2109 oder 2110 erfüllt seien. Die Berufung hiergegen wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 22.02.2019 (L 12 U 1248/18) zurück.

Aufgrund der hilfsweisen Geltendmachung im Widerspruchs- und Klageverfahren lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Wie-BK nach § 551 Abs. 2 RVO bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII mit Bescheid vom 11.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2017 ab. Die dagegen gerichtete Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 15.04.2020 (S 17 U 4102/17) ab, die Berufung hiergegen wies das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 18.12.2020 (L 8 U 1456/20) zurück. Die Beschwerde des Klägers zum BSG gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 18.12.2020 wurde mit Beschluss vom 16.03.2021 (B 2 U 11/21 B) als unzulässig verworfen.

Einen Überprüfungsantrag des Klägers mit Schreiben vom 20.01.2021 und vom 01.04.2021 bezüglich der Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Wie-BK lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2021 ab, die Klage hiergegen (S 17 U 4102/17) blieb erfolglos (Gerichtsbescheid vom 06.05.2022). Hiergegen ist ein Berufungsverfahren beim Senat unter dem Aktenzeichen L 9 U 1657/22 anhängig.

Den vorliegend streitgegenständlichen ebenfalls mit den Schreiben vom 20.01.2021 und 01.04.2021 gestellten erneuten Überprüfungsantrag des Klägers bezüglich der Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als BK Nr. 2108 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.05.2021 ab. Es gebe keine Hinweise darauf und es seien keine Gründe vorgetragen, dass bei Erlass des Bescheides vom 24.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen oder das Recht falsch angewandt worden sei. Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 01.07.2021 zurück.

Hiergegen hat der Kläger über seine früheren Bevollmächtigten am 09.08.2021 Klage zum SG erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, im Zugunstenwege seine Erkrankung der Lendenwirbelsäule als BK 2108 anzuerkennen und zu entschädigen. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, dass die Beklagte lediglich eine Restakte führe und diese nur als Ausdruck einer papierlos geführten Akte zur Verfügung stelle, verstoße gegen die Pflicht einer Behörde, die Akte vollständig und wahrheitsgetreu zu führen. Indem das SG die von der Beklagten vorgelegte Akte nicht beanstandet habe, habe es ebenfalls gegen die gesetzlichen Pflichten verstoßen. Da die Beklagte nach § 138 Zivilprozessordnung (ZPO) zur Wahrheit verpflichtet sei, aber Schriftstücke vorenthalten und damit Verwahrungsbruch begangen habe, müssten seine Beanstandungen nach § 444 ZPO als bewiesen gelten und die Beklagte entsprechend verurteilt werden. Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten unter Bezugnahme auf die zuvor bereits zwischen den Beteiligten geführten Verfahren.

Nach vorheriger Ankündigung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2022 abgewiesen. Die nach Auslegung zulässige Klage sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zurücknahme der ergangenen Bescheide und Anerkennung sowie Entschädigung der geltend gemachten BK 2108, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht erfüllt seien. Hierzu hat das SG auf die Ausführungen im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.02.2019 verwiesen, denen nichts hinzuzufügen sei. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der Klage auch unter Berücksichtigung von § 444 ZPO i. V. m. § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kein Erfolg zukomme. Es sei weder erkennbar, um welche Urkunden es konkret gehe und welchen dem Klageerfolg förderlichen Inhalt diese ggf. haben könnten, noch könne von einer rechtswidrigen Beseitigung von Unterlagen die Rede sein. Ergebnis des Verwaltungsverfahrens im Jahr 2000 sei die bestandskräftige Ablehnung des damaligen Antrags gewesen, so dass Ansprüche hieraus nicht hätten abgeleitet werden können. Dies schränke die Notwendigkeit einer langfristigen Aufbewahrung erheblich ein, sodass gegen die teilweise Vernichtung der Unterlagen nach mehr als einem Jahrzehnt mit Bildung einer Restakte rechtlich wenig einzuwenden sei.

Hiergegen richtet sich die am 16.05.2022 zum LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Einwendungen gegen die teilweise Vernichtung von Unterlagen durch die Beklagte, die Führung der Restakte als papierlos und deren Zurverfügungstellung als Ausdruck. Da die Beklagte keine wahrheitsgetreue und vollständige Verwaltungsakte vorgelegt habe, habe sich auch das SG vor seiner Entscheidung nicht von der wahrheitsgemäßen und vollständigen Verwaltungsakte überzeugt. Deshalb verstoße das SG im angefochtenen Urteil gegen die gesetzlichen Regelungen, dies gelte auch für die zuvor ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. Insoweit könne sich das Gericht nicht auf diese Entscheidungen berufen und müsse im Wege einer Beweislastumkehr zu seinen Gunsten entscheiden. Da alle Urteile nicht dem Gesetz folgten, seien sie nicht rechtswirksam verkündet worden und von Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht als unabhängige richterliche Entscheidungen legitimiert. Sie stünden in einem strafrechtlichen Zusammenhang und seien bereits aus diesem Grunde nichtig. Die Beklagte sowie die involvierten Richter seien strafrechtlich zu verfolgen, zu verurteilen und fortan der Ausübung hoheitlicher Aufgaben des Staates nicht befähigt. Dieser Vorwurf sei auch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen und im Urteil nach Art. 6 Abs. 1 EMRK darauf ausführlich einzugehen. Weiter rügt der Kläger, dass im vorliegenden und den weiteren bislang von ihm gegen die Beklagte geführten Verfahren weder Gutachten von Amts wegen eingeholt wurden noch Herr Rinderle als ehemaliger Chef zu seinen Belastungen an seinem Arbeitsplatz bei R. angehört wurde. Insoweit sehe er ein gravierendes, systematisches Ermittlungsdefizit.

Der Kläger beantragt sachdienlich ausgelegt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Mai 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2021 zu verurteilen, den Bescheid vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2002 zurückzunehmen und seine Erkrankung der Lendenwirbelsäule als BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihres Erachtens ist der Gerichtsbescheid weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die beigezogenen Gerichtsakten der. vorhergehenden bzw. parallel geführten Verfahren beim SG, LSG Baden-Württemberg und BSG (S 9 U 4591/16 und L 12 U 1248/18 sowie SG S 17 U 4102/17, L 8 U 1456/20, B 2 U 11/21 B, L 9 U 1657/22) und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte in Form eines Ausdrucks der elektronisch geführten Akte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und über die Berufung entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da der Kläger mit der ordnungsgemäßen, ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 31.08.2022 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG) und er mit Schreiben vom 19.09.2022 sein Nichterscheinen zum Termin angekündigt hat, ohne einen Antrag auf Terminverlegung oder –aufhebung zu stellen.

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2021. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat es zu Recht (erneut) abgelehnt, den Bescheid vom 24.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002 zurückzunehmen und das Vorliegen der BK Nr. 2108 festzustellen.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 24.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002 kommt nur § 44 Abs. 1 Satz SGB X in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. 

Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Bei Erlass des Bescheids vom 28.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2002 wurde weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Die Voraussetzungen für die begehrte Anerkennung und Entschädigung der BK 2108 durch die Beklagte lagen nicht vor.

Wie der 12. Senat im Urteil vom 22.02.2019 (L 12 U 1248/18) bereits ausgeführt hat, ist maßgebliche Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Anerkennung der BK 2108 die Regelung des § 551 Abs. 1 RVO, die zwar mit Wirkung vom 01.01.1997 durch § 9 Abs. 1 SGB VII ersetzt wurde, jedoch nach der Übergangsregelung des § 212 SGB VII weiterhin einschlägig ist, weil im Fall des Klägers ein Versicherungsfall nur vor Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 in Betracht kommt. Wie bereits vom 12. Senat ausgeführt, kann dahingestellt bleiben, ob die (weiteren Voraussetzungen) für die Feststellung des Lendenwirbelsäulenleidens des Klägers als BK 2108 vorliegen. Denn der begehrten Feststellung einer BK 2108 steht die Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 BKV alter Fassung; aktuelle Fassung: Abs. 6) entgegen, wonach dann, wenn ein Versicherter am 01.01.1993 an einer Krankheit gelitten hat, die erst auf Grund der 2. Verordnung zur Änderung der BKV vom 18.12.1992 als BK anerkannt werden kann, die Krankheit auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.03.1988 eingetreten ist.

Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers, wie bereits zuvor vom SG und LSG in den zwischen den Beteiligten geführten Verfahren zutreffend entschieden wurde, nicht vor. Selbst wenn die medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung der BK 2108 vorliegen würden, wäre der Versicherungsfall lange vor dem Stichtag eingetreten.

Denn wirbelsäulenbelastend war allein die berufliche Tätigkeit, die der Kläger bei R. ausgeübt und die er am 13.02.1981 aufgegeben hat. Hieran ändert sich auch nichts durch das Berufungsvorbringen des Klägers über seine früheren Bevollmächtigten im parallel geführten Verfahren L 9 U 1657/22. Dort wird zwar die Feststellung, dass der Kläger nur während seiner Beschäftigung bei R. bis zu deren Aufgabe im Februar 1981 wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten beruflich ausgeübt hat, als bloße Spekulation bezeichnet, da auch im Rahmen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als Güteprüfer wirbelsäulengefährdende Tätigkeiten vorkommen könnten und gerügt, dass die Beklagte bzw. das Gericht weiter aufzuklären hätten, ob dies bei dem Kläger der Fall wäre. Allerdings wird insoweit lediglich eine allgemeine Behauptung in den Raum gestellt, ohne auch nur ansatzweise vorzutragen, dass, ggf. in welchen Zeiträumen und bei welchen Arbeitgebern der Kläger nach dem 13.02.1981 welche Tätigkeiten ausgeübt haben will, die gefährdend für die Wirbelsäule gewesen sein könnten. Vielmehr hat der Kläger bereits mit dem Fragebogen im Jahr 2000 und stets auch im Nachgang als einzige Beschäftigung mit wirbelsäulenbelastenden bzw. –gefährdenden Tätigkeiten diejenige bei R. und als Zeitraum den von 1969 bis 1981 angegeben. Auch mit seinem letzten Schreiben vom 19.09.2022 mahnt er eine weitere Aufklärung zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 an, allerdings wiederum nur in Bezug auf die im Februar 1981 aufgegebene Tätigkeit bei R. Insoweit bestehen keinerlei Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen der Beklagten oder des Gerichts. Es mag zutreffen, dass auch in dem Berufsfeld des Güteprüfers Belastungen auftreten können. Nach den eigenen Angaben des Klägers seit dem Jahr 2000 hat dies in seinem persönlichen beruflichen Werdegang aber gerade nicht zugetroffen. Ob allein durch die Tätigkeit bei R. die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die geltend gemachte BK erfüllt waren, kann weiterhin dahinstehen, insoweit ist auch eine Anhörung von ehemaligen Mitarbeitern oder Vorgesetzen des Klägers bei R. nicht erforderlich. Vielmehr wird dies zugunsten des Klägers unterstellt. Gleichwohl ist angesichts der bereits seit 1977 aufgetretenen Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit im Februar 1981 kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine BK 2108 erst nach dem 31.03.1988 eingetreten sein könnte.

Soweit der Kläger ebenfalls im parallel geführten Verfahren L 9 U 1657/22 und sinngemäß mit seinem Schreiben vom 19.09.2022 geltend macht, dass unklar geblieben und weiter aufzuklären sei, ab wann überhaupt Beschwerden der Lendenwirbelsäule bei ihm in einem Ausmaß vorgelegen hätten, die möglicherweise eine BK bzw. eine Wie-BK hätten begründen können, ist dies ebenfalls nicht nachvollziehbar. Es bestehen keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen der Beklagten oder des Gerichts zum etwaigen Eintritt einer durch schweres Heben und Tragen von Lasten bedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers in der Zeit nach dem 31.03.1988 und damit mehr als sieben Jahre nach Aufgabe der einzigen konkret angegebenen Arbeit, die mit die Lendenwirbelsäule belastenden Tätigkeiten verbunden war. Dafür, dass erst nach dem 31.03.1988 eine Krankheitsentwicklung stattgefunden hat, die sich auf die berufliche Einwirkung in den Jahren bis 1981 zurückführen ließe, ist nichts ersichtlich. Insoweit wäre nicht nur fraglich, ob noch eine zeitliche Korrelation zwischen der – als ausreichend unterstellten – beruflichen Exposition und der Krankheitsentwicklung mehr als sieben Jahre später noch plausibel wäre (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 535 und 537 m. w. N.). Vielmehr hat der Kläger selbst durchgehend seit dem Jahr 2000 angegeben, dass er bereits seit 1977 unter Beschwerden der Lendenwirbelsäule gelitten hat und diese Beschwerden ihn zur Aufgabe seiner Tätigkeit bei R. Anfang 1981 gezwungen haben. Dies deckt sich, wie bereits der 12. Senat im genannten Urteil ausgeführt hat, mit sämtlichen aktenkundigen medizinischen Befunden. Diese Befunde belegen auch, dass es sich bei der vor dem 31.03.1988 aufgetretenen Lendenwirbelsäulenerkrankung nicht bloß um irgendwelche Beschwerden gehandelt hat, die sich erst durch möglicherweise nach dem Stichtag erfolgte weitere berufliche Belastungen zu einer Lendenwirbelsäulenerkrankung im Sinne der BK 2108 entwickelt haben könnten. Neben den Angaben des Klägers selbst, seit 1977 (Fragebogen der Beklagten), seit fünf Jahren (Bericht der Neurochirurgischen Universitätsklinik vom 31.10.1983), seit seinem 28. Lebensjahr (Bericht S1 vom 13.04.2004), seit über 20 Jahren (Bericht Fachklinik E vom 12.20.2004) an Schmerzen und Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule gelitten zu haben, lässt sich den vorliegenden Berichten der ihn behandelnden und untersuchenden Ärzte entnehmen, dass der Kläger sich im Oktober 1983 u.a. mit einer Hyposensibilität im Dermatom L5 am linken Unterschenkel und Fuß mit Großzehen- und Fußheberschwäche links beim Orthopäden vorgestellt hat, der einen Bandscheibenprolaps im Bereich L5 links diagnostizierte und den Kläger zur Computertomographie (CT) anmeldete (Bericht des M vom 10.10.1983), dass sich nach der Beurteilung des Arztes F in der CT eine gleichförmige mäßiggradige Protrusion der Bandscheibe L4/5 ohne wesentliche raumfordernde Wirkung auf die Strukturen intraspinal (schmaler Caudalsack), dorso-lateral links im Bereich L5/S1 ein Bandscheibenvorfall mit ausgeprägten Osteophyten und Einengung sowohl des Recessus als auch des Foramens intervertebralia links und eine geringe Facettenarthropatie zeigte, er in Abhängigkeit vom neurologischen Status (konstante Ausfälle) eine Vorstellung in der Neurochirurgie für dekomprimierende Maßnahmen für angezeigt hielt (Bericht G/G1 vom 18.10.1983), dass sich der Kläger  am 21.10.1983 in der neurochirurgischen Ambulanz vorgestellt hat, dass aufgrund der bestehenden Schmerzsymptomatik bei seit fünf Jahren rezidivierenden Lumbalgien mit akuter linksseitiger Lumboischialgie eine relative Operationsindikation  gesehen wurde, allerdings bei ausgeprägter Adipositas eine bereits geplante Gewichtsreduktion abgewartet werden sollte, dass eine CT der Zwischenwirbelräume der unteren Lendenwirbelsäule vom 26.09.1986 einen verkalkten Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 links dorsolateral mit Einengung des Spinalkanals, einen medialen Bandscheibenprolaps L4/5 mit Einengung des Spinalkanals, eine geringe Protrusion der Bandscheibe L3/4 mit Verkalkung rechts dorsolateral und leichter Einengung des Spinalkanals und des Foramen intervertebrale, eine Hyperlordose am lumbosacralen Übergang, eine Streckhaltung im mittleren LWS-Drittel und eine relative Spondylosis deformans bei Osteochondrose zeigte (Bericht S2/H des Radiologischen Instituts des Kreiskrankenhauses O), dass der Kläger sich bei A im Januar 1987 vorstellte und über anhaltende Lumbalgien mit Ausstrahlung zum linken Unterleib und Gesäß klagte (Bericht vom 20.01.1987). Damit ist festzustellen, dass sowohl klinisch als auch bildgebend bereits vor dem 31.03.1988 ein deutlicher Befund an der Lendenwirbelsäule vorlag, dass hierdurch erhebliche Beschwerden verursacht wurden, die am 13.02.1981 zur Aufgabe der früheren beruflichen Tätigkeiten geführt haben. Noch im Verfahren S 9 U 4591/16 hat der Kläger selbst unter dem 02.03.2017 angegeben, dass alle relevanten Befundberichte der Beklagten vorlägen, so dass nicht nachvollziehbar ist, inwieweit hier noch eine weitere Aufklärung erforderlich wäre.

Zu keinem anderen Ergebnis führen auch die zwischenzeitlich mit Wirkung zum 01.01.2021 eingeführten Änderungen des SGB VII und der BKV. Zwar ist die BK 2108 zwischenzeitlich neu gefasst als „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben“. Damit ist der zuvor geregelte Unterlassungszwang weggefallen. Nachdem der Kläger aber tatsächlich seine als wirbelsäulengefährdend angeschuldigte Tätigkeit aufgegeben hat und zwar nach seinen Angaben infolge der Lendenwirbelsäulenerkrankung, führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung.

Auch ist mit § 218b SGB VII eine neue Regelung für die rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten in Kraft getreten, wonach für die rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten, die vor dem 01.01.2021 in der BKV bezeichnet worden sind, § 6 der BKV in der am 01.01.2021 geltenden Fassung gilt. Danach bleibt es aber bei der Regelung des § 6 Abs. 6 BVK, die der früheren Regelung in § 6 Abs. 2 BKV alter Fassung entspricht und somit bei dem Stichtag des 31.03.1988 bzw. 01.04.1988.

Soweit der Kläger eine Unwirksamkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids sowie der früheren gerichtlichen Entscheidungen zwischen den Beteiligten geltend macht im Hinblick auf die von der Beklagten nur noch vorgelegte Restakte und insoweit eine Beweislastumkehr zu seinen Gunsten annimmt, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, ist weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, welche Unterlagen mit welchem dem Klageziel förderlichen Inhalt die Beklagte vernichtet hat und insbesondere auch nicht, dass sie dies in der Absicht, diese dem Kläger zu entziehen, getan hätte.

Es kommt auch, wie das SG bereits im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeführt hat, keine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers in Betracht. Nachdem der Kläger nicht einmal konkret behauptet, dass seine als BK 2108 geltend gemachte Lendenwirbelsäulenerkrankung erst zu einem Zeitpunkt nach dem 31.01.1988 aufgetreten bzw. durch spätere berufliche Einwirkungen verursacht oder verschlimmert worden wäre, eine solche Behauptung auch im deutlichen Widerspruch zu den durchgehend seit dem Jahr 2000 gemachten Angaben des Klägers und zu den vorliegenden medizinischen Unterlagen aus der Zeit von 1983 bis 1987 stünde, ist bereits kein Beweisnotstand des Klägers ersichtlich, der bei seiner Auflösung zu der von ihm begehrten Anerkennung einer BK 2108 führen könnte.

Ebenso bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte im Rahmen der Bearbeitung der ersten Antragstellung des Klägers in Bezug auf seine Lendenwirbelsäulenerkrankung im Jahr 2000 keine vollständige und wahrheitsgetreue Aktenführung vorgenommen hätte. Die Beklagte hat lediglich mitgeteilt, dass im Zeitraum zwischen dem Abschluss des damaligen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens im Jahr 2002 und der Einleitung eines neuen Verwaltungsverfahrens bzw. Überprüfungsverfahren durch den Kläger im Jahr 2016 eine Vernichtung von Aktenteilen nach Ablauf der für sie geltenden Aufbewahrungsfristen erfolgt sei.

Nach der im gesamten Zeitraum von 2000 bis 2016 geltenden Regelung des § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der bis 24.05.2018 geltenden Fassung waren Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich war und kein Grund zu der Annahme bestand, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wurden. Angesichts der damaligen Ablehnung des Antrags durch den Bescheid vom 24.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2002, dessen Erwachsen in Bestandskraft und des langen Zeitablaufs bis zum erstmaligen Überprüfungsbegehren des Klägers im Jahr 2016 ist weder ersichtlich, dass Gründe vorlagen, die einer Vernichtung von Aktenbestandteilen entgegengestanden hätten, noch dass eine Missachtung der für sie geltenden Aufbewahrungsfristen durch die Beklagte erfolgt wäre.
 
Vor diesem Hintergrund geht auch der Verweis des Klägers auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 16.03.1983 (1 B 153/87), des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.06.1983 (2 BvR 244 und 310/83) sowie des SG Gießen vom 05.11.2021 (S 20 AL 70/21) fehl. Verstöße gegen § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), Art. 97 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder § 103 SGG sind für den Senat nicht ersichtlich.

Damit ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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