L 7 AS 382/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 69 AS 3157/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 382/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 27.01.2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, „den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen ab Antragstellung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs, der Unterkunftskosten und der ausstehenden Mietschulden zu gewähren“.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen(§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER – und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER –). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 –1 BvR 569/05 –). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER –, vom 05.09.2017 – L 7 AS 1419/17 B ER – und vom 21.07.2016 – L 7 AS 1045/16 B ER –).

Der Antrag ist nicht begründet. Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Senat kann die für einen Leistungsanspruch maßgebliche Hilfebedürftigkeit  i.S.v. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II nicht beurteilen, weil die Antragsteller die mit Eingangsverfügung des Senats vom 13.03.2023 angeforderten Kontoauszüge für den streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 23.11.2022 (Datum der erstinstanzlichen Antragstellung) bis zum Tag der Beschlussfassung nicht übersandt haben. Weiter sind die Antragsteller nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugrundezulegenden summarischen Prüfungsmaßstab vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst, denn sie haben die Voraussetzungen für ein über das Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche hinausgehendes Aufenthaltsrecht, insbesondere für ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) als Arbeitnehmerin i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU, nicht glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt diesbezüglich i.S.v.§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug. Die Antragsteller haben die in dem angefochtenen Beschluss dargestellten Widersprüchlichkeiten des Vortrags zum Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin zu 1) (Arbeitsort, Arbeitszeit, Stundenerfassung usw.) trotz mehrfacher Aufforderung des Senats, zuletzt mit Verfügung vom 13.04.2023 und abschließender Fristsetzung bis zum 20.04.2023, auch im Beschwerdeverfahren nicht ausgeräumt.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Antragsteller auch keinen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht haben. Da die Antragsteller unabhängig von dem fraglichen Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin zu 1) nach ihrem Vortrag durchgehend Unterhaltsvorschuss (500 €), Kindergeld (750 €) und Elterngeld (300 €), insgesamt 1.550 €, erzielt haben, war ihr Regelbedarf i.S.v. § 20 Abs. 1 SGB II (im November 2022 und Dezember 2022 i.H.v. (449 + 311 + 311 + 285 =) 1.356 €, ab Januar 2023 i.H.v. (502 + 348 + 348 + 318 =) 1.516 € durch diese Einnahmen faktisch gedeckt. Freibeträge haben bei der Prüfung des Anordnungsgrundes außer Betracht zu bleiben (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 18.06.2018 – L 7 AS 563/18 B ER –  und vom 26.05.2017 – L 7 AS 510/17 B ER – ). Ein Anordnungsgrund im Hinblick auf die nicht durch das Einkommen abgedeckten Bedarfe der Antragsteller für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II bzw. auf etwaige Mietschulden i.S.v.§ 22 Abs. 8 SGB II ist nicht ersichtlich. Zwar ist nach ständiger und in Übereinstimmung mit dem BVerfG stehender Rechtsprechung des Senats die Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter keine Voraussetzung für die Annahme eines Anordnungsgrundes (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 18.06.2018 – L 7 AS 563/18 B ER – und vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER –). Eilbedürftigkeit liegt indes nicht vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Anhaltspunkte für einen Verlust der Wohnung vorliegen. Dies ist insbesondere – aber nicht abschließend – dann der Fall, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte belastbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vertraglichen Pflichten des Antragstellers jedenfalls während der Nichtzahlung von Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs gestundet sind, etwa weil es sich um ein Mietverhältnis unter Verwandten handelt oder eine sonstige Nähebeziehung zwischen dem Vermieter und dem Anspruchsteller besteht (vgl. hierzu und zu weiteren eine Eilbedürftigkeit ausschließenden Fallkonstellationen Beschlüsse des Senats vom 12.07.2022 – L 7 AS 351/22 B ER – , vom 19.07.2021 –  L 7 AS 950/21 B ER –  und vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER –). Nach diesen Maßgaben ist im vorliegenden Fall eine Eilbedürftigkeit zu verneinen, denn der Vermieter der Antragsteller hat im Erörterungstermin des Sozalgerichts vom 20.01.2023 erklärt, „er werde niemanden auf die Straße setzen“. Diese Erklärung deckt sich mit dem tatsächlichen Verhalten des Vermieters, denn obwohl die Antragsteller seit April 2022 keine Miete gezahlt haben und der Vermieter das Mietverhältnis im September 2022 fristlos und zum Dezember 2022 darüber hinaus ordentlich gekündigt hat, sind nach Aktenlage bis zum Tag der Beschlussfassung keine weiteren Schritte erfolgt. Auch die Tatsache, dass die Antragsteller während des vorgetragenen Beschäftigungsverhältnisses der Antragstellerin zu 1) nicht wenigstens anteilig ihre Miete gezahlt haben, spricht gegen eine Gefährdung ihrer Unterkunft. Abschließend lässt auch das schleppende prozessuale Verhalten der Antragsteller keine besondere Eilbedürftigkeit ihres Begehrens erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kommt wegen fehlender Erfolgsaussichten i.S.d. §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO nicht in Betracht. Darüber hinaus haben die Antragsteller keinen beizuordnenden Rechtsanwalt benannt, sondern angegeben, auf einen Rechtsanwalt zu verzichten, so dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das im Übrigen gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenfreie Verfahren bereits aus diesem Grund ausscheidet (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 15.10.2018 – L 7 AS 1195/18 B –).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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