- Bei der in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V enthaltenen Dreijahresfrist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, sodass bei einem Verstreichen der Frist der Anspruch des Klägers auf eine einkommensgerechte Beitragsbemessung erloschen ist (entgegen Sozialgericht Stralsund (Urteil vom 21.04.2023 – S 3 KR 79/22 –, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.05.2023 – L 1 KR 145/23 B ER – und Sozialgerichts Berlin (Urteil vom 12.07.2023 – S 223 KR 868/22 – ).
2. Auf ein etwaiges Verschulden oder Nichtverschulden des freiwilligen Mitglieds an der Versäumung dieser Frist kommt es nicht an.
für Recht erkannt:
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Tatbestand
Vorliegend wendet sich der Kläger gegen die Höhe der für das Jahr 2018 endgültig festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV).
Der im …. geborene Kläger war als Selbstständiger vom 02.01.2016 bis 31.01.2020 bei den Beklagten freiwillig kranken- und pflegeversichert. Seit 01.02.2020 ist er aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung pflichtversichertes Mitglied der Beklagten.
Aufgrund seiner Einkommenserklärung vom 22.08.2017, wonach er ein jährliches Einkommen aus selbständiger Tätigkeit i.H.v. 15.000 € erzielt, setzten die Beklagten mit Bescheid vom 20.12.2017 die von ihm ab 01.01.2018 zur GKV und zur sPV zu leistenden Beiträge auf der Grundlage der Mindestbemessungsgrundlage auf insgesamt monatlich 267,20 € fest. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass es sich um eine vorläufige Beitragsfestsetzung handelt unter dem Vorbehalt der Neuberechnung und Änderung, bis ein aktueller Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Jahr vorliegt.
Als Anlage war diesem Bescheid ein Informationsblatt beigefügt, das u.a. den Hinweis enthielt, um die Beiträge für das Jahr 2018 endgültig festzusetzen, müsse der Einkommensteuerbescheid 2018 bis spätestens 31.12.2021 eingereicht werden. Sei dies nicht der Fall, würden nach diesem Zeitpunkt die Beiträge in Höhe der Bemessungsgrenze berechnet. Weiter enthielt dieses Informationsblatt folgenden wörtlichen Hinweis: „Wichtig für Sie: Bitte reichen Sie auch weiterhin Ihren Einkommensteuerbescheid umgehend ein, sobald Sie diesen vom Finanzamt erhalten.“
Mit Bescheid vom 24.09.2018 wurden dann ab 01.10.2018 die Beiträge zur GKV und zur sPV auf monatlich insgesamt 776,59 € monatlich auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2018 (4.425,00 € monatlich) festgesetzt, da die angeforderte Einkommenserklärung nicht vorgelegt worden sei. Diesem Bescheid war ebenfalls in der Anlage das dem Bescheid vom 20.12.2017 beigefügte Informationsblatt beigefügt.
Nach Vorlage des vom 18.07.2018 datierenden Einkommensteuerbescheides 2016 wurden von den Beklagten mit Bescheid vom 08.11.2019 unter Aufhebung u.a. des Bescheides vom 24.09.2018 die vom Kläger zu leistenden Beiträge ab 01.10.2018 zur GKV und zur sPV auf monatlich 267,20 € vorläufig festgesetzt. Auch diesem Bescheid war ebenfalls in der Anlage das dem Bescheid vom 20.12.2017 beigefügte Informationsblatt beigefügt.
Mit Schreiben vom 20.09.2021 wiesen die Beklagten den Kläger darauf hin, dass noch sein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 fehlt. Er wurde gebeten, eine Kopie des Einkommensteuerbescheides bis zum 15.10.2021 zu übersenden. Weiter enthielt dieses Schreiben folgenden wörtlichen Hinweis: „Andernfalls verpflichtet uns der Gesetzgeber, Ihren Beitrag nach Ablauf der Dreijahresfrist auf der Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (im Jahr 2018 4.425,00 Euro) festzulegen. Uns ist wichtig, dass Ihnen keine Nachteile entstehen. Bitte beachten Sie: Eine rückwirkende Beitragskorrektur für das Jahr 2018 ist nur bei Eingang der Unterlagen bis 31.12.2021 möglich.“
Die Beklagten setzten dann mit drei Bescheiden vom 23.06.2022 die für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.07.2018, für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis 30.09.2018 und für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 31.12.2018 vom Kläger zu leistenden Beiträge zur GKV und zur sPV jeweils auf der Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von 4.425,00 € auf monatlich insgesamt jeweils 776,59 € endgültig fest, da der Einkommensteuerbescheid 2018 nicht vorgelegt worden sei. Es bestünden Nachforderungen i.H.v. 3.565,73 € für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.07.2018, i.H.v. 1.018,78 € für den Zeitraum vom 01.08. bis 30.09.2018 und i.H.v. 1.528,17 € für den Zeitraum vom 01.10. bis 31.12.2018.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 04.07.2022 Widerspruch mit der Begründung ein, er habe gedacht, dass er den Beklagten den Einkommensteuerbescheid für 2018 schon geschickt habe. Beigefügt war der vom 27.01.2021 datierende Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018, aus dem sich für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 3.000 € ergeben.
Der bei den Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2022 den Widerspruch des Klägers gegen ihre Bescheide vom 23.06.2022 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, der Einkommensteuerbescheid 2018 hätte spätestens bis 31.12.2021 vorgelegt werden müssen. Es handele sich hierbei um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Versäume das Mitglied seine tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres gegenüber seiner zuständigen Krankenkasse per Einkommensteuerbescheid nachzuweisen, erlösche sein Anspruch auf eine einkommensgerechte Beitragsfestsetzung. Die nach Fristablauf eingereichten Einkommensteuerbescheide würden keine Rechtswirkung entfalten. Vielmehr trete die gesetzlich geregelte Rechtsfolge in Gestalt der endgültigen Beitragsfestsetzung auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze ein. Hierauf sei mit dem, dem Bescheid vom 20.12.2017 beigefügten Informationsblatt und mit Erinnerungsschreiben vom 20.09.2021 hingewiesen worden. Der Steuerbescheid 2018 habe dem Kläger bereits seit Ende Januar 2021 vorgelegen. Somit habe der Kläger, insbesondere auch nach ihrem Erinnerungsschreiben, bis 31.12.2021 noch genug Zeit gehabt, diesen ihnen zur Verfügung zu stellen. Da dies ignoriert worden sei, trete die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene Sanktion ein.
Hiergegen hat der Kläger am 21.11.2022 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren erhoben, die endgültige Beitragsfestsetzung für das Jahr 2018 auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze aufzuheben.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, seine Frau habe den Lohnsteuerbescheid von 2018 per Brief geschickt und da kein Postrücklauf bei ihnen eingegangen sei, seien sie davon ausgegangen, die Unterlagen fristgerecht eingereicht zu haben. Den Erinnerungsbrief der Beklagten vom 20.09.2021 könnten sie in ihren Unterlagen nicht mehr finden und würden sich auch nicht daran erinnern, ihn gelesen zu haben. Angesichts seiner Situation (Aufbau einer Firma seit vielen Jahren, Versorgung von fünf minderjährigen Kindern, Bezug von Wohngeld und Kinderzuschlag, keinerlei Ersparnisse) habe er keinerlei Spielraum, die Forderungen der AOK zu begleichen.
Ergänzend hierzu hat der Kläger auf Anfrage der Kammer angegeben, der Steuerbescheid von 2018 sei bei ihnen Ende Januar 2021 angekommen. Da sie gewusst hätten, dass sie ihn schnellstmöglich an die Beklagten schicken sollten, hätten sie dies in den nächsten ein bis drei Wochen getan. Das genaue Datum wüssten sie nicht mehr. Die Übersendung sei mit einfachem Brief erfolgt. Bei der Beratungsstelle der AOK in ..... sei ihnen bei einem Kundengespräch gesagt worden, dass es gut möglich sei, dass bei der AOK ein Brief in diesem Zeitraum verloren gegangen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 23.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2022 zu verurteilen, die von ihm im Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2018 zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung auf der Grundlage der im Jahr 2018 geltenden Mindestbemessungsgrundlage festzusetzen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, ein Posteingang bei ihnen sei nicht verzeichnet. Da bislang weder ihre Schreiben noch ihre Bescheide an den Kläger als unzustellbar zurückgekommen seien, sei davon auszugehen, dass auch das Erinnerungsschreiben vom 20.09.2021 ihm zugestellt worden sei. Unabhängig davon sei er in der Vergangenheit bereits mehrfach auf die Einreichung der Einkommensteuerbescheide und die Folge der Nichteinhaltung hingewiesen worden. Im Zeitraum Ende Januar bis Ende Februar 2021 habe es keine Vorkommnisse gegeben, die einen Zugang der an sie gerichteten Schreiben erschwert oder sogar unmöglich gemacht hätten. Die Postsendungen würden ihnen von der Deutschen Post AG gesammelt überbracht und dann bei ihnen digitalisiert. Den Einkommensteuerbescheid hätten sie erstmalig mit Schreiben des Klägers vom 01.07.2022 am 04.07.2022 erhalten. Ein vom Kläger (ohne Datum) angeführtes Beratungsgespräch bei der AOK in …… mit der Aussage, „dass es gut möglich ist, dass bei der AOK ein Brief in diesem Zeitraum verloren gegangen ist“, sei in ihrem EDV-System nicht hinterlegt. Die Aussage, dass bei ihnen im besagten Zeitraum Briefe verloren gegangen sein könnten, sei in keinster Weise nachvollziehbar.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen SG erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 23.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2022 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagten haben zu Recht die von ihm zur GKV und zur sPV im Jahr 2018 zu leistenden Beiträge auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt. Auch die darauf beruhende Beitragsforderung für diesen Zeitraum ist nicht zu beanstanden.
Aus der freiwilligen Mitgliedschaft des Klägers in der GKV und in der sPV im hier streitgegenständlichen Zeitraum folgt seine Verpflichtung, Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung (§§ 252 Satz 1, 250 Abs. 2 SGB V) und zur sozialen Pflegeversicherung (§§ 60 Abs. 1 Satz 1, § 59 Abs. 4 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches – SGB XI –) entrichten zu müssen.
Nach § 220 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden die Mittel der Krankenversicherung u.a. durch Beiträge aufgebracht.
Für die soziale Pflegeversicherung enthalten die §§ 54 und 55 SGB XI vergleichbare Regelungen.
Für freiwillige Mitglieder – wie den Kläger – wird nach § 240 Abs. 1 SGB V die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt.
Für Selbstständige wie den Kläger bestimmt § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V, dass die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig festgesetzt werden; dabei ist der Einkommensteuerbescheid für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen.
Nach § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V werden die vorläufig festgesetzten Beiträge auf der Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheids endgültig festgesetzt. Weist das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkassen nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V).
Mit der zum 01.01.2018 durch das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz vom 04.04.2017 (BGBl. I 2017,778) eingeführten Regelung in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V wird für die Beiträge auf das Arbeitseinkommen die Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 2 HS 2 SGB V vollzogen. Nach dieser Regelung gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen.
Mit der Regelung des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V wird ausweislich der Beschlussempfehlung und des Berichtes des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drucksache 18/11205, Seite 71) sichergestellt, dass das bei freiwillig versicherten Mitgliedern in der GKV der Beitragsbemessung zugrunde zu legende Arbeitseinkommen sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung den tatsächlich im jeweiligen Kalenderjahr erzielten beitragspflichtigen Einnahmen entsprechen und Einnahmeschwankungen vollständig berücksichtigt werden. Zukünftig soll die Beitragsbemessung weder durch die Bearbeitungszeiten bei der zuständigen Finanzbehörde noch durch eine verzögerte Abgabe von Einkommensteuererklärungen beeinflussbar sein. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr erfolgen die endgültige Beitragsfestsetzung rückwirkend entsprechend der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen sowie die erneute vorläufige Festsetzung der Beiträge für die Zukunft.
Hinsichtlich der endgültigen Beitragsfestsetzung wird geregelt, dass die Beiträge selbstständig erwerbstätiger Mitglieder für das jeweilige Kalenderjahr endgültig auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt werden, wenn das Mitglied seine tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweist. Die endgültige Beitragsberechnung auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze ist ausschließlich für das Kalenderjahr vorzunehmen, für das die Nachweise nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf eingereicht wurden. Die vorläufige Beitragsberechnung für die darauffolgenden Kalenderjahre bleibt solange bestehen, bis auch für diese Jahre die Dreijahresfrist abgelaufen ist (BT-Drucksache 18/11205, Seite 73).
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V vor.
Sowohl die Regelung in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V als auch die dargestellten Motive des Gesetzgebers zeigen nach Überzeugung der Kammer, dass Höchstbeiträge festgesetzt werden, wenn ein freiwilliges Mitglied in der GKV und in der sPV trotz entsprechenden Verlangens der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie erzielt wurden, seine tatsächlichen Einnahmen nachweist. Dabei setzt die Regelung in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V ebenso wie im Abs. 1 ein Verlangen der Krankenkasse voraus.
Welche Anforderungen an das Vorlageverlangen der Krankenkasse zu stellen sind, definiert das Gesetz nicht näher. Die Gesetzesbegründung zur durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vom 4. April 2017 (BGBl. I S. 778) zum 01.01.2018 eingefügten Vorschrift des § 240 Abs. 4a SGB V misst dem Verlangen der Krankenkasse keine eigenständige Bedeutung bei (BT-Drucks. 18/11205, S. 73). Semantisch wird der Begriff Verlangen mit einem ausdrücklichen Wunsch, einer nachdrücklich geäußerten Bitte oder einer Forderung umschrieben; er weist damit auf Handlungspflichten beim Adressaten des Verlangens und nicht auf Sorgfaltspflichten beim Verlangenden hin. Soweit Sozialleistungsträgern im Hinblick auf weitreichende, für den Leistungsempfänger negative Rechtsfolgen gesteigerte Hinweis- und Aufklärungspflichten auferlegt werden, ist dafür das Rechtsinstitut der Rechtsfolgenbelehrung gebräuchlich (vgl. z.B. § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 3 des Künstlersozialversicherungsgesetzes), das in § 240 Abs. 4a SGB V gerade nicht eingesetzt wird.
Wenn demgegenüber in der Literatur im Hinblick auf die weitreichenden Rechtsfolgen der fiktiv endgültigen Beitragsfestsetzung nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V dem Verlangen z.T. eine Warnfunktion zugeschrieben wird (Padé in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 240 Rdnr. 72; vgl. auch Ulmer in: BeckOK, 68. Edition, Stand: 1. März 2023, § 240 Rdnr. 33) – andere Standardkommentierungen verhalten sich zu dieser Frage nicht (vgl. Mecke in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl. 2022, § 240 Rdnr. 26; Beck in: BeckOGK-SGB V, Stand: 1. März 2022, § 240 Rdnr. 70; Buhr in: Hänlein/Schuler, SGB V, 6. Aufl. 2022, § 240 Rdnr. 16) –, spricht vieles dafür, dass dieser Funktion bereits durch das ernsthaft geäußerte Verlangen mit Hinweis auf die ablaufende Dreijahresfrist entsprochen wird. Allein aus dem Begriff des Verlangens ohne Hinweis auf eine entsprechende gesetzgeberische Zielsetzung weitergehende, strenge Aufklärungs- und Hinweispflichten herzuleiten, ist auch im Hinblick auf den Adressatenkreis, dem ein höheres Maß an Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten abzuverlangen ist – die Vorschrift gilt nur für hauptberuflich Selbständige –, nicht geboten.
Wie bereits dargestellt, war den Bescheiden vom 20.12.2017, vom 24.09.2018 und vom 08.11.2019 jeweils ein Informationsblatt beigefügt, dass u.a. den Hinweis enthielt, um die Beiträge für das Jahr 2018 endgültig festzusetzen, müsse der Einkommensteuerbescheid 2018 bis spätestens 31.12.2021 eingereicht werden. Sei dies nicht der Fall, würden nach diesem Zeitpunkt die Beiträge in Höhe der Bemessungsgrenze berechnet. Diese Hinweise im Informationsblatt, das den genannten Bescheiden jeweils beigefügt war, stellt das notwendige Verlangen der Beklagten im Sinne des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V dar, gerichtet auf die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2018 bis spätestens 31.12.2021. Aus den genannten Hinweisen im Informationsblatt war für den Kläger eindeutig zu ersehen, dass er den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 bis spätestens 31.12.2021 den Beklagten vorzulegen hat, anderenfalls seine Beiträge zur GKV und sPV in Höhe der Bemessungsgrenze berechnet werden.
Aus dem eigenen Vorbringen des Klägers ist zu ersehen, dass er diesen Hinweis auch zur Kenntnis genommen hat. So hat der Kläger vorgetragen, nach Erhalt des vom 27.01.2021 datierenden Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2018 diesen in den nächsten ein bis drei Wochen an die Beklagten geschickt zu haben, da er gewusst habe, dass er ihn schnellstmöglich an die Beklagten schicken solle.
Auch das Schreiben der Beklagten vom 20.09.2021 stellt das nach § 240 Abs. 4 Satz 4 SGB V notwendige Verlangen zur Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2018 bis spätestens 31.12.2021 dar. In diesem Schreiben wurde der Kläger um Übersendung einer Kopie des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2018 – allerdings bis zum 15.10.2021 – gebeten. Aus dem Schreiben ist jedoch weiterhin zu ersehen, dass dieser Einkommensteuerbescheid spätestens am 31.12.2021 bei den Beklagten eingegangen sein muss, da anderenfalls Beiträge auf Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgelegt werden und eine rückwirkende Beitragskorrektur nicht mehr möglich ist.
Trotz des mehrfachen, eindeutigen, an den Kläger gerichteten Verlangens, seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018 bis spätestens 31.12.2021 den Beklagten vorzulegen, ging dieser dort ausweislich der vorliegenden Verwaltungsakte erst zusammen mit dem vom 04.07.2022 datierenden Widerspruch ein. Die Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2018 erfolgte somit erst nach Ablauf der Dreijahresfrist des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V.
Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei dieser Dreijahresfrist um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, sodass bei einem Verstreichen der Frist der Anspruch des Klägers auf eine einkommensgerechte Beitragsbemessung erloschen ist. Die Kammer folgt dabei der im Schrifttum vertretenen Auffassung (Pade´, a.a.O., Ulmer, a.a.O.; Mecke, a.a.O.; Schmidt in Orlowski/Remmert, GKV-Kommentar, SGB V, § 42 Rdnr. 79).
Der gegenteiligen Auffassung des Sozialgerichts Stralsund (Urteil vom 21.04.2023 – S 3 KR 79/22 – juris -), des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.05.2023 – L 1 KR 145/23 B ER – juris – ) und des Sozialgerichts Berlin (Urteil vom 12.07.2023 – S 223 KR 868/22 – juris –), wonach es sich bei der in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V genannten Dreijahresfrist nicht um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handle, sodass der Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Jahr auch nach Ablauf der Dreijahresfrist noch im laufenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgelegt werden kann, kann sich die Kammer nach eigener Überprüfung nicht anschließen. Würde man dieser Auffassung folgen, würde die vom Gesetzgeber zum 01.01.2018 eingeführte Regelung des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V ohne weiteres umgangen werden. Das würde jedoch dem Ziel des Gesetzgebers, auch bei Selbstständigen Beiträge zur GKV und zur sPV möglichst zeitnah endgültig festzusetzen, widersprechen. Mit der in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V enthaltenen Dreijahresfrist hat der Gesetzgeber nach Überzeugung der Kammer deutlich gemacht, dass spätestens nach Ablauf von drei Jahren die von Selbstständigen zu leistenden Beiträge zur GKV und zur sPV endgültig festgesetzt werden müssen. Wenn man der Auffassung der genannten Gerichte folgen würde, bestünde die Gefahr, dass in zahlreichen Fällen dieses Ziel nicht erreicht werden kann.
Bei der von der Kammer vertretenen Auffassung, es handele sich bei der Dreijahresfrist des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist kommt es auf ein etwaiges Verschulden oder Nichtverschulden des freiwilligen Mitglieds an der Versäumung dieser Frist nicht an.
Selbst wenn – den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt – seine Ehefrau den Einkommenssteuerbescheid 2018 Anfang 2021 mit einfachem Brief an die Beklagte gesandt hat, ändert dies daher nichts daran, dass die Rechtsfolge des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V (Bemessung der Beiträge auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze) eintritt.
Unabhängig davon konnte die Kammer nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Vortrag des Klägers, seine Ehefrau habe den Einkommensteuerbescheid 2018 Anfang 2021 an die Beklagte gesandt, zutreffend ist. Ein Nachweis für die Absendung des Einkommensteuerbescheides 2018 an die Beklagten existiert nicht. Auch aus dem eigenen Vorbringen des Klägers ergeben sich durchaus Zweifel hieran. So hat der Kläger in seinem Widerspruchsschreiben vom 04.07.2022 ausgeführt, er habe gedacht, dass er den Einkommensteuerbescheid für 2018 schon den Beklagten geschickt habe. Auf Frage des Vorsitzenden der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zwar zunächst ausgeführt, er ginge davon aus, dass er den Einkommensteuerbescheid 2018 geschickt habe. Anschließend gab er jedoch an, er sei sich sicher, dass dies der Fall gewesen sei. Allerdings räumte er unmittelbar danach ein, dass es aufgrund des immer viel anfallenden Papierkrams es schon mal vorkommen könne, dass man „etwas zu spät liefert“.
Soweit der Kläger getragen hat, bei einem Beratungsgespräch bei der AOK in ….. sei ihm mitgeteilt worden, dass es gut möglich sei, dass dort ein Brief in diesem Zeitraum (Anfang 2021) verloren gegangen sei, gibt es hierfür keine Bestätigung oder etwaige Anhaltspunkte hierfür. So hat die Beklagte ausgeführt, dass Entsprechendes in ihrem EDV-System nicht hinterlegt sei.
Entsprechend § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V haben die Beklagten auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2018 i.H.v. 4.425 € die vom Kläger für das Jahr 2018 zu leistenden Beiträge zur GKV und zur sPV in Höhe von monatlich insgesamt 776,59 € errechnet. Hieraus ergeben sich für den gesamten Zeitraum die in den drei Bescheiden vom 23.06.2022 genannten Forderungen. Weder gegen die Beitragshöhe noch gegen die Höhe der ihm gegenüber geltend gemachten Forderungen wurden vom Kläger Einwände erhoben. Auch für die Kammer bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der Beiträge oder der Forderungen unzutreffend ist.
Da somit die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden ist, war die Klage daher mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergebenden Kostenfolge abzuweisen.