L 16 KR 275/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 6/23 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 275/23 B ER
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.02.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Rybrevant® (Wirkstoff: Amivantamab) im Rahmen eines Einzelimports aus dem Ausland nach § 73 Abs. 1 AMG durch die Antragsgegnerin.

Die am 00.00.0000 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich versicherte Antragstellerin leidet unter einer metastasierten Lungenkrebserkrankung (nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, non-small cell lung cancer, NSCLC). Sie beantragte mit Hilfe ihrer behandelnden Onkologin X. K. am 02.12.2022 die Kostenübernahme für die Therapie mit dem Arzneimittel Rybrevant (Wirkstoff: Amivantamab) bei der Antragsgegnerin. Der pharmazeutische Unternehmer (Janssen-Cilag) gab am 20.08.2022 bekannt, dass er das Arzneimittel Rybrevant, welches eine Zulassung unter besonderen Bedingungen von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) besitzt, vom deutschen Markt nehmen werde, nachdem der GBA mit Beschluss vom 07.07.2022 (BanZ AT 27.07.2022 B3) im Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V festgestellt hatte, dass ein Zusatznutzen des Arzneimittels im Verhältnis zu zweckmäßigen Vergleichstherapien nicht belegt sei. X. K. führte im o.a. Antrag aus, die Voraussetzungen für die Therapie mit Amivantamab seien gemäß der geltenden EMA-Zulassung auf Seiten der Antragstellerin gegeben, da sie an einem progressiven Adenokarzinom der Lunge im Stadium IV leide. Ferner bestehe der Nachweis einer Exon-20-lnsertion in EGFR und es habe eine platinhaltige Therapie in der Vergangenheit stattgefunden. In einem weiteren Schreiben an die Antragsgegnerin führte X. K. aus, die klinische Situation der Antragstellerin lasse keinen weiteren Aufschub der Therapie zu und zeigte „die Therapieeinleitung mit Amivantamab zur Behandlung“ an, sofern sie „binnen 24 Stunden keine anderslautende Antwort“ von der Antragsgegnerin bekomme.

Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst (MD) E. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage. Die Gutachterin kam in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2022 zu dem Ergebnis, dass keinerlei Angaben zu weiteren Vortherapien oder Kontraindikationen vorlägen, die die zweckmäßigen Vergleichstherapien als nicht (mehr) anwendbar erscheinen ließen. Auch eine Befürwortung nach den Kriterien des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 („Nikolaus“) komme nicht in Betracht, da zweckmäßige Vergleichstherapien zur Verfügung stünden. Insgesamt sei der Krankenkasse eine Kostenzusage zum Arzneimittel im Voraus auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen nicht zu empfehlen. Das Arzneimittel Rybrevant (Amivantamab) sei gemäß aktueller Fachinformation des Herstellers indiziert zur Behandlung Erwachsener mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) und aktivierenden Exon-20-lnsertionsmutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) nach Versagen einer platinhaltigen Therapie. Das Arzneimittel werde in Anlage XII der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) gelistet, im Nutzenbewertungsverfahren des GBA seien als zweckmäßige Vergleichstherapien die Therapie mit Docetaxel oder die Therapie mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder eine Therapie mit Pemetrexed angesetzt worden. Ein entsprechender Zusatznutzen von Amivantamab gegenüber diesen Therapien sei im Nutzenbewertungsverfahren nicht festgestellt worden. Werde nach Nutzenbewertung durch den GBA das Arzneimittel vom Hersteller – wie hier – vom deutschen Markt genommen, könne es trotzdem als zugelassenes Arzneimittel prinzipiell in Deutschland nach § 73 Abs. 1 AMG in den Verkehr gebracht werden. Die Verordnung habe aber dem Wirtschaftlichkeitsprinzip zu entsprechen. Gemäß AM-RL des GBA sei jedoch, wenn ein Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht nachgewiesen sei, generell von einer Unwirtschaftlichkeit auszugehen. Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit könnten allenfalls bestätigt werden, wenn die zweckmäßige Vergleichstherapie aus patientenspezifischen Gründen nicht anwendbar sei. Im vorliegenden Fall sei dies die Therapie mit Docetaxel oder mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder eine Therapie mit Pemetrexed. Sollten all diese Optionen bereits erfolglos angewendet worden oder aus patientenspezifischen Gründen nicht anwendbar sein, könnten die behandelnden Ärzte ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse das Arzneimittel auf dem Formular Muster 16 verordnen, importieren lassen und anwenden.

Mit Bescheid vom 21.12.2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin ab. Die Kostenübernahme von Arzneimitteln als Einzelimport aus dem Ausland sei nur in seltenen Fällen möglich. Lediglich wenn die in Deutschland verfügbaren Behandlungsalternativen nicht in Frage kämen, bereits erfolglos ausprobiert worden seien oder zu erheblichen Nebenwirkungen geführt hätten, seien die Voraussetzungen einer Kostenübernahme gegeben. Dies sei nach der gutachtlichen Stellungnahme des MD bei der Antragstellerin nicht der Fall.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 28.12.2022 Widerspruch ein und nahm im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen Bezug. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2023 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Antragstellerin Klage bei dem Sozialgericht Münster erhoben (Az.: S 16 KR 160/23).

Am 04.01.2022 hat sie außerdem um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ersucht. Sie hat ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vertieft und auf ihren lebensbedrohlichen Zustand hingewiesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Therapie mit Amivantamab zur Behandlung der metastasierten Lungenkrebserkrankung, wie beantragt, zu übernehmen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie nimmt ergänzend zu ihren Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren auf ein im Eilverfahren eingeholtes Gutachten des MD vom 30.01.2023 Bezug, in dem die Gutachterin geführt ausführt habe, dass das beantragte Fertigarzneimittel zwar zulassungskonform zum Einsatz kommen solle, der GBA jedoch keinen Zusatznutzen gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien festgestellt habe. Bei Patientinnen und Patienten, für die eine weitere Chemotherapie angezeigt sei, wäre zu prüfen, inwieweit die zweckmäßige Vergleichstherapie mit Docetaxel oder Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder Therapie mit Pemetrexed in Betracht komme, wozu keine näheren Angaben vorlägen. Inwieweit die genannten zweckmäßigen Vergleichstherapien somit auch im Einzelfall bei der Versicherten nicht in Frage kämen, sei nicht abschließend zu beurteilen und wäre entsprechend zu prüfen. Sofern bei der Versicherten keine weitere zytotoxische Chemotherapie angezeigt sei (bspw. aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes), sei als zweckmäßige Vergleichstherapie „Best Supportive Care“ zu nennen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Onkologin X. K. angefordert. Diese hat auf die Frage: „Welche allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungen stehen zur Behandlung der metastasierten Lungenkrebserkrankung zur Verfügung?“ ausgeführt: „Chemotherapie ggf. Bestrahlung, mit deutlich mehr Nebenwirkungen und schlechterem Outcome (s. Daten der Chrysalis Studie). Es gibt bei der vorliegenden Mutation aber keine andere zielgerichtete Therapie, TKIs sind bei dieser speziellen Mutation nicht wirksam, der bispezifische Antikörper Amivantamab kann dies aber umgehen, deshalb erfolgt aufgrund der überzeugenden Daten der Chrysalis Studie im Dezember 2021 Zulassung der EMA: Zulassungsnummer: EU/1/21/1594/001; Datum der Erteilung der Zulassung/Verlängerung der Zulassung: 09.12.2021“. Auf die Frage „Sind alle zur Verfügung stehenden, dem medizinischen Standard entsprechenden Methoden bei d. ASt. genutzt bzw. vergeblich in Anspruch genommen worden? Ggf. warum nicht?“ hat X. K. geantwortet: „Es erfolgte bereits eine Standard 1st line Therapie (platinhaltig) mit erheblichen, lebensbedrohlichen Nebenwirkungen, diese kann deshalb nicht erneut durchgeführt werden. Eine Standard 2 Linientherapie (Chemotherapie) hat erhebliche Nebenwirkungen und hat im Vergleich zur zielgerichteten Therapie mit Amivantamab deutlich geringere Ansprechraten (s. Chrysalis). Andere zielgerichtete Therapien stehen nicht zur Verfügung“.

Mit Beschluss vom 28.02.2023 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin sei nicht zu einer Versorgung der Antragstellerin mit dem beantragten Arzneimittel Rybrevant (Wirkstoff: Amivantamab) zu verpflichten, da die Antragstellerin derzeit weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, also die Darlegung, welche Nachteile zu erwarten seien, wenn sie auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen werde, sei der Antragstellerin durch die vorgelegte Stellungnahme der behandelnden Onkologin X. K. nicht gelungen. Die Antragstellerin lege nicht konkret dar, welche Nachteile ihr bei Versagung einer Therapie mit dem begehrten Arzneimittel im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entstünden. Darüber hinaus habe sie auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen für eine Therapie mit dem Arzneimittel Rybrevant (Wirkstoff: Amivantamab) im Rahmen eines Einzelimports aus dem Ausland nach § 73 Abs. 1 AMG lägen nicht vor. Das begehrte Arzneimittel sei nicht als wirtschaftlich i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V anzusehen und daher nicht von der Leistungspflicht der GKV nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst. Die Therapie sei nicht wirtschaftlich im engeren Sinne nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da weitere kostengünstigere Therapieoptionen für die Behandlung der Antragstellerin zur Verfügung stünden und für die begehrte Therapie mit dem Wirkstoff Amivantamab kein Zusatznutzen durch den GBA festgestellt worden sei. Die frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V sei ein konkretes Mittel zur Bestimmung der Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verordnung eines Arzneimittels i.S.d. § 12 SGB V. Die Jahrestherapiekosten der begehrten Therapie mit dem Wirkstoff Amivantamab seien unwirtschaftlich in Relation zu den durch den GBA im Nutzenbewertungsverfahren festgestellten zweckmäßigen Vergleichstherapien mit anderen Wirkstoffen (mit Docetaxel oder mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder mit Pemetrexed). So beliefen sich die Jahrestherapiekosten pro Patientin bzw. Patient bei dem Wirkstoff Amivantamab auf 136.490,21 €, bei den zweckmäßigen Vergleichstherapien zwischen 8.802,66 € bis 45.752,26 €. Darüber hinaus habe der GBA in seinem Beschluss vom 07.07.2022 keinen Zusatznutzen des begehrten Wirkstoffs gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien festgestellt. Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergebe sich auch nicht nach Maßgabe des § 2 Abs. 1a SGB V bzw. einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung. Der Antragstellerin stünden mangels entgegenstehender Angaben zu möglichen Kontraindikationen nach derzeitigem Stand weitere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapien zur Verfügung. Die behandelnde Onkologin X. K. habe selbst zugestanden, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stehe. Denn sie habe ausgeführt, dass die Möglichkeit von Chemotherapie ggf. einer Bestrahlung mit „deutlich mehr Nebenwirkungen und schlechterem Outcome“ bestehe und die begehrte Therapie mit Amivantamab vor allem dahingehend begründet, dass eine grundsätzlich zur Verfügung stehende Chemotherapie erhebliche Nebenwirkungen habe und im Vergleich zur zielgerichteten Therapie mit Amivantamab deutlich geringere Ansprechraten aufweise. Damit könne jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass neben der Therapie mit Amivantamab bei der Behandlung der Antragstellerin keine weiteren Therapien zur Verfügung stünden. Denn sie habe über den pauschalen Hinweis auf „erhebliche Nebenwirkungen“ hinaus nicht dargelegt, dass ihrerseits eine Kontraindikation gegenüber einer der alternativ zu Verfügung stehenden Therapien mit Docetaxel oder mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder mit Pemetrexed bestehe. Das Gericht schließe sich zudem den schlüssigen Ausführungen des MD in dessen Gutachten vom 15.12.2022 und 30.01.2023 nach eigener Prüfung an.

Gegen diesen ihr am 02.03.2023 zugestellten Beschluss richtet sich die am 15.03.2023 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Unter Bezugnahme auf einen Arztbrief der Onkologin X. K. vom 19.01.2023 sowie eine Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin R. X. D. (P.) vom 22.04.2023 führt sie aus, dass die bei ihr vorliegende metastasierte, progredient wachsende Lungentumorerkrankung lebensbedrohlich sei und eine weitere Behandlung keinen Aufschub mehr dulde. Als einzige Behandlungsmöglichkeit stehe derzeit nur noch die Arzneimittelbehandlung mit Amivantamab zur Verfügung, da sich eine erneute Immuntherapie aufgrund lebensbedrohlicher Nebenwirkungen bei der Erstgabe verbiete. Auch die Behandlung in Form einer Therapie mit Docetaxel oder mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder mit Pemetrexed stelle aufgrund von Kontraindikation bzw. Off Label-Einsatzes keine mögliche Behandlungsalternative für sie dar. Der Einsatz von Amivantamab sei aufgrund ihres Krankheitsbildes zulassungskonform („In-Label“). So sei insbesondere entsprechend den aktuellen Leitlinien die systemisch platinbasierte Therapie (Immunchemotherapie-Kombination mit Immuncheckpoint-Inhibitoren Nivolumab und Ipiliumab und Zytostatika Carboplatin und nabPaclitaxel) begonnen, jedoch nach zwei Zyklen aufgrund schwerster lebensbedrohlicher Nebenwirkungen abgebrochen worden. Da sich ihr Krankheitsbild seit der zweiten Jahreshälfte 2022 zunehmend verschlechtert habe, bedeute die Versorgung mit dem Arzneimittel Rybrevant die Ultima-Ratio-Therapie für sie. Außer dem Einsatz dieses Arzneimittels stünden keine weiteren Therapiealternativen mehr zur Verfügung. So verbiete sich ausweislich der Stellungnahme von R. D. eine erneute Immuntherapie aufgrund der bedrohlichen Nebenwirkungen bei der Erstgabe. Ebenso komme der Einsatz von Docetaxel oder Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder Pemetrexed als Zweitlinientherapie bei ihr nicht in Betracht. Nach den Ausführungen von R. D. gehöre Docetaxel zu den Taxanen. Ein Taxan sei mit nabPaclitaxel jedoch bereits in der Erstlinientherapie eingesetzt worden. Nach der schweren neurologischen Komplikation im Rahmen der ärztlichen Therapie sei Docetaxel daher bei ihr kontraindiziert. Gleiches gelte für den Einsatz von Docetaxel in Kombination mit Nintedanib. Ein Einsatz von Nintedanib als Monotherapie (also ohne Docetaxel) werde in keiner Leitlinie empfohlen und sei Off-Label. Auch Pemetrexed stelle bei ihr keine zweckmäßige Alternative dar. So sei nach den Ausführungen von R. D. dessen Wirksamkeit in der Zweitlinientherapie gering. Laut einer Studie habe die Ansprechrate bei 9,1%, das mediane progressionsfreie Überleben bei 2,9 Monaten gelegen. Auch habe er kritisch darauf hingewiesen, dass laut Fachinformation sensorische und motorische Neurotoxizität auch bei Pemetrexed zu den begrenzenden Nebenwirkungen gehöre. Vor dem Hintergrund der bei ihr bereits aufgetretenen schwersten Nebenwirkungen in Form von Lähmungserscheinungen sei ein Einsatz von Pemetrexed folglich ebenfalls nicht angezeigt. Dagegen sei laut R. D. Amivantamab im indirekten Vergleich der Chemotherapie mit Docetaxel deutlich überlegen, was Daten aus indirekten Vergleichen mit Registerdaten bestätigten. Damit sei nur die Versorgung mit Rybrevant eine notwendige, ausreichende, zweckmäßige und damit wirtschaftliche Leistung i.S.d. § 12 SGB V.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.02.2023 abzuändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr wegen der bei ihr bestehenden Erkrankung in Form eines progressiven Adenokarzinoms der Lunge im Stadium IV die für sie medizinisch notwendige Arzneimittelbehandlung mit dem Präparat Rybrevant® (Amivantamab) im Wege der Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf eine erneute gutachtliche Stellungnahme des MD vom 24.05.2023 zu den Ausführungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einschließlich des Arztbriefes von R. D.. Danach sei weiterhin nicht nachgewiesen, dass die vom GBA in seinem Beschluss vom 07.07.2022 zur Nutzenbewertung von Amivantamab genannten zweckmäßigen Vergleichstherapien bei der Antragsgegnerin nicht zur Anwendung kommen könnten. Insbesondere gelte dies für die Behandlung mit Pemetrexed, die entgegen der Aussage von R. D. gemäß Fachinformationsstand Juli 2021 exakt für die hier vorliegende Konstellation zugelassen sei. Ob eine Behandlung mit Docetaxel und Paclitaxel denkbar sei, könne dagegen vom Gutachter nicht sicher bewertet werden. Zurückzuweisen seien die Aussagen im Hinblick auf das Gesamtüberleben und das Nebenwirkungsspektrum, da laut Gutachten des MD bislang keine randomisierte Phase-3-Studie zeige, dass das Gesamtüberleben unter der Therapie mit Amivantamab verlängert sei. Der GBA habe deshalb auch keinen Zusatznutzen von Amivantamab über den zweckmäßigen Vergleichstherapien festgestellt. Studien, die eine Überlegenheit bei den Nebenwirkungen belegten, lägen jedenfalls nicht vor. Der MD könne daher die Behauptung, die begehrte Substanz sei nebenwirkungsarm, nicht bestätigen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.02.2023 ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die im Wege des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin mit dem Arzneimittel Rybrevant (Wirkstoff: Amivantamab) zu versorgen, zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin hat auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

1.) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B – Rn. 6, juris). Im Verfahren des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfGE 126, 1, 28). Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.06.2018 – 1 BvR 733/18 – Rn. 3, juris). Aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergeben sich indes besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12 – Rn. 10, 12, juris).

a) Auf diesen rechtlichen Grundlagen basierend, fehlt es auch gegenwärtig an einem von der Antragstellerin glaubhaft zu machenden Anordnungsanspruch. Dieser ergibt sich weder aus dem originären Leistungsrecht der GKV (unter aa.), noch aus § 2 Abs. 1a SGB V (unter bb.) noch auf der Grundlage einer allgemeinen Folgenabwägung (unter cc.).

aa) Wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, folgt ein Anspruch auf Versorgung der Antragstellerin mit dem Arzneimittel Rybrevant (Wirkstoff Amivantamab) im Wege des Imports aus dem Ausland nach § 73 Abs. 1 AMG nicht aus §§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V die Versorgung mit Arzneimitteln im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Versicherte haben nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien des GBA nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Die Krankenkassen stellen den Versicherten gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V die im Dritten Kapitel genannten Leistungen – auch Arzneimittel – unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß § 12 SGB V zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Gemäß dem Wirtschaftlichkeitsgebot müssen die Leistungen dabei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Auch haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

Zwar sind nach § 31 SGB V grundsätzlich alle Arzneimittel verordnungsfähig, die über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügen, wie dies bei dem Arzneimittel Rybrevant der Fall ist. Mit der Einführung des Systems der frühen Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 SGB V bewertet der GBA allerdings den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, insbesondere den Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Es handelt sich hierbei um eine bereichsspezifische Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) dergestalt, dass allein die Zulassung eines Arzneimittels und damit der Nachweis der Wirksamkeit die Zahlung eines mit dessen Einführung einhergehenden hohen Marktpreises durch die GKV nicht rechtfertigt, so dass zusätzlich zur Zulassung und dem damit einhergehenden Wirksamkeitsnachweis ein Marktvergleich dahingehend anzustellen ist, ob das Arzneimittel im Vergleich mit anderen Therapien auf den Markt einen Zusatznutzen bietet (s. Pitz/Treutwein, SGb 2018, 466, 467; Pitz, in: jurisPK-SGB V, § 35a Rn. 13). In Ansehung des von der Antragstellerin begehrten Arzneimittels Rybrevant fällt dies besonders ins Gewicht, weil die Zulassung des Arzneimittels seitens der EMA vom 09.12.2021 nur unter besonderen Bedingungen (s. Art. 14 Abs. 7 und 8 VO [EG] Nr. 726/2007) erfolgt ist, was bedeutet, dass weitere Nachweise für den Nutzen des Arzneimittels erwartet werden. Der Beschluss des GBA über die Feststellung eines Zusatznutzens (§ 35a Abs. 3 SGB V) ist hingegen Teil der Arzneimittel-Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (§ 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V) und damit u.a. für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich (§ 91 Abs. 6 SGB V). Als Rechtsfolge beinhaltet die Nutzenbewertung des GBA nach § 35a SGB V somit auch und gerade eine bereichsscharfe Bewertung von Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verordnung des Arzneimittels i.S.d. § 12 SGB V (s. Pitz, in: jurisPK-SGB V, § 35a Rn. 39). Fehlt es an einem Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, ist eine Versorgung im System der GKV unwirtschaftlich und damit grundsätzlich nicht zu erbringen.

Hier hat der GBA mit Beschluss vom 07.07.2022 (BanZ AT 27.07.2022 B3) im Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V festgestellt, dass ein Zusatznutzen des Arzneimittels Rybrevant mit dem Wirkstoff Amivantamab bei der Erkrankung, an der auch die Antragstellerin leidet, im Verhältnis zu zweckmäßigen Vergleichstherapien (mit Docetaxel oder mit Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder mit Pemetrexed, soweit eine weitere Chemotherapie angezeigt ist sowie Best-Supportive-Care bei fehlender Indikation für eine weitere Chemotherapie) nicht belegt ist. Bei Jahrestherapiekosten der begehrten Therapie pro Patientin bzw. Patient bei dem Wirkstoff Amivantamab von 137.813,26 € einerseits und den zweckmäßigen Vergleichstherapien zwischen 10.386,32 € bis 51.568,82 € andererseits (s. die Dossierbewertung des durch den GBA beauftragten Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen [IQWiG] vom 13.04.2022 [Nr. 1329], S. 34) ist die Versorgung mit Amivantamab somit unwirtschaftlich i.S.d. § 12 SGB V und darf daher im Grundsatz nicht zu Lasten der GKV erfolgen. Die von der Antragstellerin mit Hinweis auf die Zulassung von Rybrevant und seines beabsichtigten indikationsgemäßen Einsatzes reklamierte „Gleichwertigkeit“ mit den Vergleichstherapien, an der das Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V nichts ändere, besteht daher gerade nicht und würde dem Sinn und Zweck des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung durch den GBA erkennbar zuwiderlaufen.

bb) Ein Anspruch auf die von der Antragstellerin begehrte Versorgung mit Amivantamab im Wege des Einzelimports nach § 73 Abs. 1 AMG kommt auch nicht nach § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragstellerin aufgrund ihres Erkrankungsbildes einer metastasierten Lungenkrebserkrankung (nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, non-small cell lung cancer, NSCLC) im Stadium IV an einer lebensbedrohlichen und/oder regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet. Allerdings ist im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats festzustellen, dass der Antragstellerin eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn die ausweislich der o.a. Nutzenbewertung des GBA zu Amivantamab zweckmäßigen Vergleichstherapien (Docetaxel oder Docetaxel in Kombination mit Nintedanib oder Pemetrexed) bei der Antragstellerin kontraindiziert, d.h. wirkungslos bzw. zur Erreichung des therapeutischen Ziels nicht geeignet sind oder schwere, der Antragstellerin nicht zumutbare oder gar lebensbedrohliche Nebenwirkungen hervorrufen.

Dass eine solche Konstellation für sämtliche, bei der Antragstellerin infrage kommenden Behandlungsoptionen zur systemischen Zweitlinientherapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms besteht, kann der erkennende Senat aus den ihm vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht schlussfolgern. Dies gilt insbesondere für die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin R. D. vom 22.04.2023, der die Behandlung mit Docetaxel (ggf. in Kombination mit Nintedanib) wegen geringer Wirksamkeit einer erneuten Taxantherapie im Rezidiv für gering und aufgrund „schwerer neurologischer Komplikationen im Rahmen der Erstlinientherapie“ für kontraindiziert hält. Ferner attestiert er einer Behandlung mit Pemetrexed wiederum geringe Wirksamkeit in der Zweitlinientherapie und weist auf die laut Fachinformation „sensorische und motorische Neurotoxizität“ als zu den begrenzenden Nebenwirkungen gehörend hin.

Ob eine Therapie mit Docetaxel bei der Antragstellerin zur Anwendung gelangen kann, steht auch nach Würdigung der Ausführungen des MD in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 24.05.2023 u.a. zu den Ausführungen von R. D. nicht fest. Denn bei der Antragstellerin ist es zu einem wegen Nebenwirkungen frühzeitigen Abbruch der Erstlinientherapie u.a. mit einem Taxan (nabPaclitaxel) gekommen, wobei die Ursache für die Nebenwirkungen allerdings unklar geblieben ist. Dass gerade neurologische Komplikationen durch Taxane zum vorzeitigen Behandlungsabbruch geführt haben, lässt sich den Unterlagen im Anschluss an die insoweit nachvollziehbaren Ausführungen des MD in der gutachtlichen Stellungnahme vom 24.05.2023 gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen und hat auch R. D. nicht explizit behauptet. Gleichwohl hat er den Einsatz von Taxanen bei der Antragstellerin im Hinblick auf die zuvor gezeigten Symptome in der Zweittherapie als kontraindiziert bezeichnet. Damit lässt sich bei summarischer Prüfung die Verfügbarkeit dieser Therapieoption nicht hinreichend verifizieren.

Anders liegt es jedoch hinsichtlich einer Behandlung der Antragstellerin mit Pemetrexed. Soweit R. D. eine Kontraindikation auch für eine Behandlung der Antragstellerin mit Pemetrexed bejaht, hält der Senat die von ihm hierfür gegebene Begründung für nicht schlüssig. So verneint auch er die grundsätzliche Anwendbarkeit von Pemetrexed nicht, sondern stellt lediglich abstrakt die Wirksamkeit von Pemetrexed in der Zweitlinientherapie infrage. Allerdings ist es ausweislich der Fachinformation des Herstellers, auf die sich auch die Stellungnahme des MD vom 24.05.2023 bezieht, gerade für das Krankheitsbild der Antragstellerin als Monotherapie in der Zweitlinie zugelassen. Die entsprechenden Daten basieren nach den Ausführungen des MD, deren Richtigkeit der Senat insoweit nicht in Zweifel zieht, auf einer randomisierten Phase 3-Studie. Sonst wäre im Übrigen auch nicht erklärlich, warum der GBA und das ihm von Gesetzes wegen (§ 35a Abs. 2 SGB V) zuarbeitende IQWiG von Pemetrexed als zweckmäßiger Vergleichstherapie nach Versagen einer platinbasierten Chemotherapie ausgehen. Soweit R. D. aufgrund der im Rahmen der Erstlinientherapie seitens der Antragstellerin gezeigten Lähmungserscheinungen unklarer Herkunft (s.o.) auf laut Fachinformation mögliche neurologische Nebenwirkungen auch bei der Behandlung mit Pemetrexed hinweist („sensorische und motorische Neurotoxizität“), ist dies gerade in Ansehung dieser Fachinformation nicht belegt, soweit er auf schwere Lähmungserscheinungen der Antragstellerin als Kontraindikation rekurriert. So sind die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit Pemetrexed standen, entweder in der Mono- oder in der Kombinationstherapie angewendet, Knochenmarksuppression bedingte Anämie, Neutropenie, Leukopenie, Thrombozytopenie und gastrointestinale Toxizitäten, die als Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Obstipation, Pharyngitis, Mukositis und Stomatitis in Erscheinung treten. Andere Nebenwirkungen sind Nierentoxizitäten, erhöhte Aminotransferasen, Alopezie, Müdigkeit, Dehydratation, Rash (Hautrötung), Infektion/Sepsis und sensorische Neuropathie. Selten aufgetretene Ereignisse sind das Stevens-Johnson Syndrom und die toxische epidermale Nekrolyse (s. https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/alimta-epar-product-information_de.pdf). Dass eine sensorische Neuropathie, d.h. Gefühllosigkeit, die Wirksamkeit der Behandlung der Antragstellerin im Hinblick auf das Therapieziel nachhaltig beeinträchtigt oder gar aufhebt, hat selbst R. D. nicht behauptet, sondern dies lediglich als „kritischer im Kontext der Therapieoptionen bei der Antragstellerin“ bezeichnet. Auch ist Gefühllosigkeit mit den von der Antragstellerin während der Erstlinientherapie beschriebenen schweren Lähmungserscheinungen vom Schweregrad her nicht annähernd vergleichbar. Damit vermag R. D. die Feststellung, dass der Antragstellerin mit Pemetrexed eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht, nicht zu widerlegen.

cc) Selbst wenn man diesbezüglich Zweifel hätte, lässt sich ein Anordnungsanspruch auf Versorgung der Antragstellerin mit dem von ihr begehrten Arzneimittel nicht auf das Ergebnis einer Folgenabwägung stützen. Durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat der Verfassungsgeber die objektive Wertentscheidung getroffen, dass alle staatlichen Organe die Pflicht haben, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54, 73). Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass die Gerichte die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193, 218) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen (LSG NRW, Beschluss vom 27.02.2020 – L 5 KR 1/20 B ER – Rn. 50, juris; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2014 – L 1 KR 167/14 B ER – Rn. 4, juris).

Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung vermag nicht zu Gunsten der Antragstellerin auszugehen. Dies wäre dann der Fall, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass Amivantamab die einzig noch in Betracht kommende Therapieoption ist, weil Zweifel an der Wirksamkeit der zweckmäßigen Vergleichstherapien überwiegen und/oder mehr für eine wirksame bzw. erfolgsversprechendere Behandlung mit Amivantamab hinsichtlich der Verwirklichung der Therapieziele sowie des Auftretens von Nebenwirkungen spricht, so dass dieses Arzneimittel der an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidenden Antragstellerin aus Gründen der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht vorenthalten werden darf. Dabei ist zunächst festzustellen, dass sämtliche in Rede stehenden Therapien lediglich einen palliativen Ansatz verfolgen. Auch R. D. bestimmt die mediane Gesamtüberlebenszeit unter Einsatz der begehrten Therapie mit weniger als 24 Monaten.

Nach dem bereits Ausgeführten ist es unter Würdigung der medizinischen Unterlagen jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Anwendung der zweckmäßigen Vergleichstherapie insbesondere mit Pemetrexed kontraindiziert und damit ausgeschlossen ist. Auch soweit R. D. in seiner Stellungnahme vom 22.04.2023 sowie die behandelnde Onkologin X. K. in ihrer Stellungnahme vom 19.01.2023 von einer „(deutlichen) Überlegenheit“ von Amivantamab gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien ausgehen und sich hierfür auf Ergebnisse der nicht-randomisierten Studie CHRYSALIS sowie Daten zweier deutscher Lungenkrebsregister (CRISP und NGM) berufen, spiegelt dies nicht das Ergebnis des Nutzenbewertungsverfahrens durch den GBA nach § 35a SGB V sowie die dort gewonnenen Erkenntnisse zur Datenlage wider, welches auch im vorliegenden Eilverfahren zumindest im Rahmen der Folgenabwägung nicht unbeachtet bleiben kann. Denn nach der Dossierbewertung des durch den GBA beauftragten IQWiG vom 13.04.2022 (A22-05, Nr. 1329), auf der die Feststellung eines fehlenden Zusatznutzens durch den GBA im Beschluss vom 07.07.2022 ausweislich seiner tragenden Gründe maßgeblich zurückgeht, waren die vom pharmazeutischen Unternehmer zum Vergleich mit den zweckmäßigen Vergleichstherapien vorgelegten o.a. Studien und Registerergebnisse nicht geeignet, einen Zusatznutzen von Amivantamab herzuleiten. Denn diese ließen u.a. wegen teilweise fehlender, geeigneter Daten und nicht sachgerechter Kriterien bei der Auswahl der betreffenden Patienten „keinen adäquaten Vergleich von Amivantamab mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu“, insbesondere keine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden im Rahmen der Nutzenwertung auf Basis der vorgelegten Daten (s. näher S. 5 f., 11 ff., 17 f. der Dossierbewertung). Unter diesen Defiziten leiden damit auch die von R. D. hervorgehobene „mediane progressionsfreie Überlebenszeit von 6,7 Monaten“ sowie die „mediane Gesamtüberlebenszeit von 22,8 Monaten“ bei Anwendung von Amivantamab. Denn diese Zeiten beruhen auf der nicht kontrollierten Studie CHRYSALIS, welcher vom IQWiG und dem GBA die Geeignetheit für den Vergleich mit den zweckmäßigen Vergleichstherapien abgesprochen wurde. So hat das IQWiG konkret folgende Mängel des vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Vergleichs auf der Basis der (von R. D. zitierten) Studien benannt (s. Dossierbewertung S. 5):

  • Der Studienpool aufseiten der zweckmäßigen Vergleichstherapie sei potenziell unvollständig.
  • Die Einschlusskriterien zur Identifizierung von Confoundern (=Störgrößen) seien hinsichtlich der Endpunkte und des Publikationsjahrs nicht sachgerecht und führten möglicherweise zu einer Unvollständigkeit der relevanten Confounder.
  • In den Registern fehlten Daten zur Ausprägung von Patientencharakteristika, die vom pharmazeutischen Unternehmer für die Selektion der Patientenpopulation in den Registerstudien verwendet und teilweise auch als relevante Confounder identifiziert worden seien. Der Umgang des pharmazeutischen Unternehmers mit fehlenden Daten in den Registerstudien, der u. a. Auswirkungen auf die Bildung der ausgewerteten Patientenpopulationen sowie auf die Adjustierung für Störgrößen (Confounder) habe, sei nicht sachgerecht. Zudem könne aufgrund fehlender Angaben nicht beurteilt werden, inwieweit die vom GBA als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegten Wirkstoffe entsprechend der Fachinformationen und Leitlinie verabreicht worden seien.
  • Vergleichende Daten lägen im zu untersuchenden Anwendungsgebiet nur für den patientenrelevanten Endpunkt Gesamtüberleben vor. Eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden im Rahmen der Nutzenbewertung sei auf Basis der vorgelegten Daten somit nicht möglich. Darüber hinaus seien die Effekte beim Endpunkt Gesamtüberleben nicht groß genug, als dass sie in der vorliegenden Datensituation nicht ausschließlich durch eine systematische Verzerrung erklärt werden könnten. Insgesamt lasse der vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegte Vergleich einzelner Arme aus der Studie CHRYSALIS und den Registern CRISP und NGM keinen adäquaten Vergleich von Amivantamab mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu.

Soweit R. D. die gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien angeblich längere Überlebenszeit bei Behandlung mit Amivantamab hervorhebt, kann er sich somit nicht auf aussagekräftiges Datenmaterial stützen, dem auch keine entsprechende Indizwirkung zukommt.

Ferner muss im Rahmen der Folgenabwägung in Rechnung gestellt werden, dass die Anwendung von Amivantamab ausweislich der aktenkundigen Fachinformation des Herstellers von Rybrevant® auch zu Erkrankungen des Nervensystems, der Augen, der Atemwege, des Gastrointestinaltrakts, der Leber und Galle, der Haut und des Unterhautgewebes, der Muskulatur und infusionsbedingten Reaktionen führen kann.

Bei Gesamtwürdigung aller genannten Gesichtspunkte lässt sich damit eine Überlegenheit der begehrten Therapie und die Unzumutbarkeit der Verweisung auf die genannte Alternativbehandlung nicht erkennen, so dass auch eine Folgenabwägung dem Begehren der Antragstellerin nicht zum Erfolg verhelfen kann.

b) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund, d.h. die Unzumutbarkeit, den Ausgang des anhängigen Hauptsacheverfahrens abzuwarten, nicht glaubhaft gemacht. Nach einhelliger Auffassung der Obergerichte, die der Senat teilt, ist ein Anordnungsgrund zu verneinen, wenn nicht ersichtlich ist, dass der Antragstellerin eine Vorfinanzierung der streitgegenständlichen Leistung nicht möglich oder unzumutbar ist. Ist es der Antragstellerin möglich und zumutbar, die begehrte Leistung (hier Arzneimittel) einstweilen aus eigenen Mitteln zu bestreiten, kann sie im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hierauf verwiesen werden (s. LSG NRW, Beschluss vom 26.01.2012 – L 5 KR 720/11 ER – Rn. 7, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.11.2017 – L 1 KR 415/17 B ER – Rn. 46, juris u. Beschluss vom 14.03.2013 – L 27 R 818/12 B ER – Rn. 2, juris). Hier hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erteilt. Auch hat sie nicht dargelegt, dass es ihr nicht möglich sei, mit den Behandlern einen Zahlungsaufschub oder eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Allein die Höhe der möglichen Kosten begründet unter diesen Umständen keine Eilbedürftigkeit.

2.) Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

3.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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