Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29.03.2023 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 31.01.2023 bis zum 31.07.2023 i.H.v. monatlich 972 € zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1960 geborene Antragsteller leidet an Gastritis, COPD und arterieller Hypertonie. Er ist auf die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente angewiesen (Attest vom 00.00.0000 von U. F.).
Der Antragsteller ist seit 2011 selbstständig als Uhrmacher tätig. Hierfür hat er im T.-straße N01 in Z. Räume angemietet. Das vorläufige Ergebnis für das Jahr 2020 belief sich ausweislich der Betriebswirtschaftlichen Auswertung auf - 1.506,72 €. Der Umsatz belief sich 2020 auf 3.170 €.
Der Antragsteller bezog aufgrund seines Weiterbewilligungsantrags vom 12.05.2021 von Mai bis Oktober 2021 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 326 € monatlich (Bescheid vom 20.10.2021). Dabei berücksichtigte der Antragsgegner ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 700 €.
Ausweislich der Betriebswirtschaftlichen Auswertung vom 17.02.2022 für Januar bis Juni 2021 erwirtschaftete der Antragsteller ein vorläufiges Ergebnis i.H.v. - 1.182,00 €. Mit Schreiben vom 15.12.2021 kündigte die Obergerichtsvollzieherin in einem Zwangsvollstreckungsverfahren der Handwerkskammer wegen offener Handwerkskammerbeiträge seit 2011 i.H.v. 3.120 € an, dass gegen den Antragsteller ein Haftbefehlt vorliege und sie beauftragt worden sei, den Antragsteller zwecks Abgabe einer Vermögensauskunft zu verhaften.
Der Antragsteller reichte in der Folge keinen Weiterbewilligungsantrag ein, sondern übersandte zunächst am 21.01.2022 eine vorläufige EKS für November 2021 bis April 2022, in der er einen Gewinn i.H.v. insgesamt 540 € (durchschnittlich monatlich 90 €) prognostizierte. Im Februar 2022 übersandte er einen Weiterbewilligungsantrag, in welchem er angab, dass seine Mietwohnung gekündigt worden sei. Nach Aufforderung zur Mitwirkung seitens des Antragsgegners übersandte er eine EKS vom 03.06.2022 betreffend Februar bis Juli 2022, in der der Antragsteller lediglich Verluste aus seiner selbstständiger Tätigkeit prognostizierte. Außerdem gab er an, privat ein Darlehen i.H.v. 17.000 € erhalten zu haben, um die Miete zahlen zu können. Mit Bescheid vom 22.06.2022 lehnte der Antragsgegner die Leistungsgewährung ab Februar 2022 ab, weil der Antragsteller nicht alle vom Antragsgegner angeforderten Unterlagen eingereicht habe. Der Antragsteller erhob am 22.07.2022 Widerspruch. Mit Schreiben vom 05.09.2022 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, eine vorläufige EKS von Februar bis Juli 2022, eine BWA für November 2021 bis August 2022, einen Nachweis, wovon er seinen Lebensunterhalt seit November 2021 sichergestellt habe, einen Nachweis zu dem Darlehen i.H.v. 17.000 €, eine aktuelle Mietbescheinigung nebst Erklärung zum aktuellen Aufenthalt (wegen der Räumung) sowie die Betriebs- und Heizkostenabrechnung für 2020 vorzulegen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2022 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 17.10.2022 reichte der Antragsteller die abschließende EKS von Februar bis Juli 2022 ein, aus der sich ein Gewinn i.H.v. 736 € ergab. Einen Weiterbewilligungsantrag stellte der Antragsteller nicht.
Der Vermieter des Antragstellers hatte bereits mit Schreiben vom 03.10.2021 das bestehende Mietverhältnis im T.-straße N02 wegen Zahlungsverzugs fristlos gekündigt, weil der Antragsteller im Jahr 2021 diverse Mieten i.H.v. monatlich je 425 € nicht gezahlt hatte. Am 14.02.2022 hatte der Vermieter des Antragstellers erneut dessen Mietwohnung im T.-straße N02 fristlos zum 28.02.2022 gekündigt. Der Antragsteller habe seine Mieten für Dezember 2020 und Juni bis September 2021 i.H.v. 1.302,87 € sowie Rückständen im Januar und Februar 2020 i.H.v. 850 € nicht gezahlt
Am 31.01.2023 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungszahlung zu verpflichten.
Der Vermieter des Antragstellers hat mit Schreiben vom 17.02.2023 darauf hingewiesen, dass die Räumungsklage bereits bei seinem Anwalt liege und diese bei Gericht eingereicht werde, wenn die Rückstände nicht bis zum 28.02.2023 beglichen würden. Es seien Mietrückstände i.H.v. 2.196,95 € offen, weil der Antragsteller unter anderem von April bis August 2022 die Miete i.H.v. 425 € nicht gezahlt habe. Mit Schreiben vom 13.03.2023 hat der Vermieter des Antragstellers die Mietschulden auf mittlerweile 2.612,95 € beziffert. Er habe die Räumungsklage nicht zustellen lassen in der Hoffnung, die rückständigen Mieten noch zu erhalten.
Der Antragsteller hat geltend gemacht, mehrfach Anträge gestellt und alle erforderlichen Unterlagen eingereicht zu haben. Der Antragsgegner habe nicht reagiert. Er könne sich keine Lebensmittel leisten und seit längerem keine Miete zahlen. Sein Mietvertrag sei gekündigt worden. Er sei vermögenslos und habe seine Wertgegenstände verkaufen und sich Geld von seinen Freunden leihen müssen. Er habe kein Fahrzeug und benötige Fahrkarten, die er nicht zahlen könne. Er habe zwar einen Uhrenladen, der laufe aber nicht. Auch seine Bekannten könnten ihm nicht mehr weiterhelfen. Er befinde sich in einer akuten Notsituation und habe überhaupt nichts zum Leben. Am 24.12.2022 habe er nur ein trockenes Brötchen kaufen können. Er sei völlig am Ende und sehr verzweifelt. Er sei nicht mehr krankenversichert und könne keinen Arzt aufsuchen. Es gehe ihm gesundheitlich schlecht. Er benötigte blutdrucksenkende Medikamente, die verschreibungspflichtig seien, und Magentabletten gegen seine Magenbeschwerden sowie Asthma-Spray. Er sei mehrfach wegen zu hohem Blutdruck kollabiert.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Der zuletzt gestellte Antrag vom 17.02.2022 sei bestandskräftig mit Bescheid vom 22.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2022 abgelehnt worden. Ein weiterer Antrag sei nicht gestellt worden. Er werde den Eingang des Eilverfahrens jedoch als Antrag auf Leistungen nach dem SGB II werten.
Mit Schreiben vom 15.03.2022 hat der Antragsgegner den Antragsteller aufgefordert, einen ausgefüllten Hauptantrag, eine Anlage EK, eine Anlage EKS für Februar bis Juli 2023, eine BWA von August bis September 2022 bzw. Februar 2023, eine Anlage VM, und eine aktuelle Meldebescheinigung zum Aufenthaltsort einzureichen.
Mit Beschluss vom 29.03.2023 hat das Sozialgericht Dortmund den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags, da diesem das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Antragsteller habe sich nicht zuvor an die Behörde gewandt und dort einen Antrag auf Leistungen gestellt. Zudem sei der Antrag auch unbegründet. Der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Denn der Antragsteller habe die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen wie den ausgefüllten Hautantrag, die Anlage VM, KdU und SV sowie entsprechen Nachweise nicht eingereicht.
Gegen den dem Antragsteller am 05.04.2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 09.04.2023 Beschwerde eingelegt.
Ausweislich der vom Antragsteller übersandten Kontoauszüge belief sich sein Guthaben am 15.03.2023 auf 3,75 €. Der Vermieter des Antragstellers hat mit Schreiben vom 16.05.2023 wegen offener Forderungen i.H.v. 4.998,37 € die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen. Der Antragsteller müsse die Wohnung spätestens bis zum 31.05.2023 räumen. Im Anschluss werde Räumungsklage erhoben.
Der Antragsteller hat vorgetragen, sehr krank zu sein und ständig hohen Blutdruck zu haben. Er kollabiere auf dem Weg zum Badezimmer. Er habe Atemprobleme und benötige Asthmaspray. Er beherrsche die Deutsche Sprache nicht gut, seine Nachbarin unterstütze ihn bei den Anträgen. Er könne seine Rechnungen nicht begleichen. Er habe kein Einkommen und kein Vermögen, kein Gold, Eigentum oder Auto. Er fahre nicht in den Urlaub. Er warte von Montag bis Samstag in seinem Laden auf Kunden. Die Geschäftslage sei aber schlecht, die Kunden kauften nicht ein. Das er 2022 seine Anträge nicht vollständig eingereicht habe liege daran, dass ihm keiner dabei behilflich gewesen sei. Sein Vermieter habe keine Geduld mehr. Sein Lebensmittelpunkt sei in Z. L.. Er wohne noch in der Wohnung, mache sich aber Sorgen, diese zu verlieren. Beim Antragsgegner könne man nur mit Termin vorsprechen; am Telefon lande man nur in der Warteschleife und werde aufE-Mails verwiesen. Er habe jedoch keinen E-Mail-Account. Er wisse nicht mehr weiter und benötige dringend Hilfe. Er sterbe sonst. Er sei abgemagert. Seine Arme seien dünn und ausgemergelt und er sei absolut entkräftet. Er habe keine Angehörigen, keine Ehefrau und keine Kinder. Seit fünf Tagen scheide sein Darm Blut aus.
Zu dem von dem Antragsgegner aufgeworfenen Fragen hat der Antragsteller angegeben, dass er am Tag lediglich ein Brötchen gegessen habe, trocken und ohne Margarine. Er halte sich immer noch in seiner Wohnung auf und sein Vermieter warte auf die Miete. Die Geldleihe sei eine ganz vertrauliche Sache, man helfe ihm jedoch nicht nochmal aus. Er habe sein Gewerbe noch nicht abgemeldet. Der Antragsteller hat einen ausgefüllten Hauptantrag, eine Anlage VM, eine Anlage SV und eine Anlage EKS, der zu entnehmen war, dass der Antragsteller kein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erwartet, eingereicht.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung aufgrund einer Folgenabwägung begründet. Während sich der Anordnungsgrund aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen ergibt, kann der Umfang der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers und damit der Anordnungsanspruch nicht abschließend geprüft werden.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs dürfen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2020 – 1 BvR 932/20 – juris, Rn. 10). Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfGE 126, 1 ˂27 f.˃). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Indessen dürfen sich die Gerichte, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, nur dann an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen können. Eine solche abschließende Prüfung kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist. Andernfalls ist eine Folgenabwägung durchzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2020, a.a.O., Rn. 11 m.w.N.; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER –, vom 05.09.2017 – L 7 AS 1419/17 B ER – und vom 21.07.2016 – L 7 AS 1045/16 B ER –).
Der Antrag ist nicht deshalb unzulässig, weil dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn ein Antragsteller nicht die ihm zumutbaren Möglichkeiten ausschöpft, sein Ziel ohne eine Einschaltung des Gerichts zu erreichen (vgl. hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, Vorbem. § 51 Rn. 16, § 86b Rn. 26b; Beschlüsse des Senats vom 13.07.2022 – L 7 AS 389/22 B ER –; vom 24.03.2020 – L 7 AS 1087/19 B –). Hierzu gehört vor allem die Vorbefassung des Antragsgegners (vgl. hierzu Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG, Stand: 08.03.2023, Rn. 356). Insoweit hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zunächst zu Recht mangels Rechtsschutzbedürfnis abgelehnt, weil der Antragsteller einen Eilantrag erhoben hatte, ohne zuvor den obligatorischen Leistungsantrag nach § 37 Abs. 1 SGB II beim Antragsgegner gestellt zu haben.
Der Antragsgegner hat jedoch angegeben, den Eilantrag vom 31.01.2023 als Leistungsantrag werten zu wollen. Der Antragsteller ist zwecks Prüfung seines Leistungsbegehrens vom Antragsgegner aufgefordert worden, diverse Unterlagen einzureichen. Grundsätzlich bestehen auch dann Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis, wenn davon auszugehen ist, dass der Antragsgegner sich einem berechtigten Leistungsbegehren des Antragsstellers nicht verschließen würde, wenn dieser seine Einkommens- und Vermögenssituation im Verwaltungsverfahren unter Verwendung der hierfür vorgesehenen Vordrucke darlegt und durch geeignete Unterlagen nachweist und gegebenenfalls zur Klärung seines Leistungsanspruchs bei dem Antragsgegner vorspricht. Insofern mag im Zeitpunkt des Beschlusses des Sozialgerichts weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis zweifelhaft gewesen sein. Diese prozessuale Situation ist nunmehr überholt. Eine Bewilligung existenzsichernder Leistungen seitens des Antragsgegners ist bis Juni 2023 und damit seit mehr als vier Monaten nicht erfolgt. Der Antragsteller hat auch im Wesentlichen die von dem Antragsgegner angeforderten Unterlagen und Erklärungen im Laufe des Beschwerdeverfahrens übersandt, namentlich einen ausgefüllten Hauptantrag, eine Anlage VM, eine Anlage SV und eine Anlage EKS, denen allesamt zu entnehmen ist, dass der Antragsteller kein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erwartet. Zu der Frage, wie er seinen Lebensunterhalt bestritten habe, hat der Antragsteller angegeben, am Tag lediglich ein trockenes Brötchen gegessen zu haben und mittlerweile völlig kraftlos und ausgemergelt zu sein. Nicht eingereicht hat der Antragsteller eine aktuelle Meldebescheinigung. Er hatte jedoch angegeben, sich immer noch in seiner Wohnung aufzuhalten. Auch nicht eingereicht hat der Antragsteller eine BWA für den Zeitraum von August 2022 bis Februar 2023 und diesbezüglich angegeben, kein Geld für seinen Steuerberater zu haben, damit dieser diese erstelle. Dies steht einer in die Zukunft gerichteten Leistungsgewährung jedoch vorliegend nicht entgegen. Auch der Antragsgegner ist gemäß § 41a Abs. 1 SGB II ermächtigt, vorläufig über einen Leistungsanspruch zu entscheiden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen, wie z.B. wenn nur die Möglichkeit einer prospektiven Einschätzung der Einkommenssituation gegeben ist. Da der Antragsgegner offensichtlich keinerlei Veranlassung sieht trotz der vom Antragssteller geltend gemachten eigenen desolaten Situation Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zeitnah zur Verfügung zu stellen, obwohl der Leistungsanspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegt (dazu sogleich), ist der Antragsteller auf dieses Abwarten nicht mehr zu verweisen.
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Der 63jährige Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1) sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Z.-L. und damit in der Bundesrepublik (Nr. 4). Es gibt keine Anhaltspunkte, die gegen seine Erwerbsfähigkeit i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II sprechen.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung spricht einiges dafür, dass der Antragsteller hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II ist. Der Antragsteller hat angegeben, weder über Einkommen noch über Vermögen zu verfügen. Die Angaben sind nachvollziehbar und zumindest überwiegend glaubhaft gemacht. Bereits im Jahr 2020 erwirtschaftete der Antragsteller einen Verlust im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit als Uhrmacher i.H.v. - 1.506,72 €, im Zeitraum von Januar bis Juni 2021 i.H.v. - 1.182 €. Für den Zeitraum von Februar bis Juli 2022 und auch in der Folge prognostizierte der Antragsteller nur noch Verluste und gab an, dass die Geschäftslage im Uhrmacherladen schlecht sei und die Kunden nichts einkauften. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller vermögend sein könnte. Ausweislich der vom Antragsteller übersandten Kontoauszüge belief sich sein Guthaben am 15.03.2023 auf 3,75 €. Gegen den Antragsteller wurde bereits ein Haftbefehlt erlassen wegen offener Handwerkskammerbeiträge. Er hat Mietschulden i.H.v. 4.998,37 € und der Vermieter hat das Mietverhältnis fristlos gekündigt und die Erhebung einer Räumungsklage angekündigt. Der Antragsteller hat angegeben, nicht mehr krankenversichert zu sein und trotz erheblicher gesundheitlicher Beschwerden deshalb keinen Arzt aufsuchen zu können. Bei dieser Sachlage bestehen kaum Zweifel, dass der Antragsteller dem Grunde nach hilfebedürftig ist. Unklar und vom Antragsteller bislang nicht hinreichend beantwortet ist allerdings die Frage nach Qualität und Modalitäten des „Privatdarlehens“ i.H.v. 17.000 €, welches der Antragsteller in seiner EKS vom 03.06.2022 zwecks Zahlung der Miete (für den Uhrmacherladen) aufgenommen zu haben angegeben hatte. Die abschließende rechtliche Beurteilung dieser vor etwa einem Jahr erfolgten Zuwendung ist momentan in ihre Bedeutung für den hiesigen Bewilligungsabschnitt nicht absehbar und erfordert weiterer Ermittlungen im Hauptsacheverfahren. Auch wird der Antragsteller dort die Gelegenheit haben, die vom Antragsgegner geforderten BWAs für die Vergangenheit einzureichen.
Können die Erfolgsaussicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung grundrechtlicher Belange entscheiden (BVerfG, a.a.O.). Je schwerwiegender ein durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens endgültig eintretender Schaden ausfiele, desto geringere Anforderungen sind im Rahmen der Folgenabwägung an die Überzeugung des Gerichts vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs zu richten. Der Antragsteller hat vorgetragen schwer krank zu sein, wegen hohen Blutdrucks zu kollabieren, dringend auf Medikamente angewiesen sowie völlig abgemagert und ausgemergelt zu sein. Sein Darm scheide Blut aus. Er ernähre sich von trockenen Brötchen. Sein Vermieter hat das Mietverhältnis fristlos gekündigt und wegen erheblicher Mietrückstände eine Räumungsklage angekündigt. Nicht nur ist offensichtlich das Existenzminimum des Antragstellers nicht gedeckt, ihm drohen auch weitere erhebliche gesundheitliche Einschränkungen; auch muss er befürchten, seine Wohnung zu verlieren. Dem Antragsteller drohen nicht nur schwere und möglicherweise irreparable Nachteile, diese sind sogar schon eingetreten. Ausgehend davon überwiegt das grundrechtlich geschützte Interesse der Antragsteller am Erhalt existenzsichernder Leistungen das fiskalische Interesse des Antragsgegners, nicht ohne Rechtsgrundlage Leistungen auszuzahlen.
Bezüglich der Höhe der Leistungen legt der Senat den maßgeblichen Regelbedarf des Antragstellers gemäß § 20 SGB II i.H.v. 502 € zuzüglich seiner tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II i.H.v. 425 € zugrunde, zusammen 972 €. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller (anrechenbares) Einkommen erwirtschaften wird. Um die Hauptsache nicht vorwegzunehmen und nachteilige Folgen auf Seiten des Antragsgegners zu beschränken, ist die einstweilige Anordnung zeitlich zu begrenzen. Beginn der Leistungsgewährung ist der 31.01.2023 (Eingang des Antrags bei Gericht). Die Dauer der Leistungen wurde in Anlehnung an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II bis zum 31.07.2023 und somit auf sechs Monate befristet (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 16.03.2020 – L 7 AS 37/20 B ER –).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).