Der erstattungsberechtigte Leistungsträger muss innerhalb der Frist des § 111 SGB X dem in Anspruch genommenen Leistungsträger die Umstände des Einzelfalles in dem Umfang mitteilen, dass dieser ohne weiter Nachforschung beurteilen kann, ob die erhobene Forderung dem Grunde nach besteht oder ausgeschlossen ist.
ENTWURF Sozialgericht Berlin |
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verkündet am
als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle |
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…,
- Klägerin -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwältin …
gegen
Jobcenter Berlin Steglitz-Zehlendorf,
Kelchstr. 17-23, 12169 Berlin,
- Beklagter -
hat die 43. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 11. September 2023 durch den Richter am Sozialgericht … sowie die ehrenamtliche Richterin Frau … und den ehrenamtlichen Richter Herrn … für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie ein ihr vom Beklagten gewährtes Kautionsdarlehen nicht zurückzahlen muss.
Die 1950 geborene Klägerin stand 2010 im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Sie mietete zum 01.04.2010 nach entsprechender Zusicherung zu den Aufwendungen durch den Beklagten eine Wohnung in der S. Straße … in … Berlin an (Mietvertrag vom 27./28.03.2010 mit den Zeugen B.). Nach dem Mietvertrag hatte die Klägerin eine Kaution von drei Nettokaltmieten (insgesamt 870,00 €) zu zahlen.
Der Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 31.03.2010 entsprechend ein Darlehen. In dem Bescheid heißt es wörtlich: „Die Rückzahlung des Darlehens wird mit Beendigung des Mietverhältnisses oder mit Beendigung der Hilfebedürftigkeit – mutmaßlich mit Ablauf des bewilligten Leistungsabschnitts – (nach Beendigung des Bezuges von ALG II) fällig. Maßgeblich ist hierbei das Ereignis, welches in zeitlicher Hinsicht als Erstes eintritt. Über die Rückzahlungsmodalitäten werden Sie zu gegebener Zeit ein gesondertes Schreiben des Forderungseinzugs der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg erhalten. Bitte zahlen Sie vorab nicht ein. Bestandteil dieses Bescheides sind die Vereinbarungen im Darlehensvertrag und in der Abtretungserklärung vom 31.03.2010.“ Die Beteiligten schlossen zudem am 31.03.2010 einen Darlehensvertrag wegen der Kaution. Schließlich trat die Klägerin mit Erklärung ebenfalls vom 31.03.2010 ihren Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution gegenüber dem Vermieter unwiderruflich an den Beklagten ab.
Der Rentenversicherungsträger gewährte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer für die Zeit ab 01.03.2012. Mit Bescheid vom 09.09.2013 hob der Beklagte entsprechend bewilligte Leistungen ab 01.10.2013 auf.
Die Klägerin bezog in der Folge neben ihrer Erwerbsminderungsrente von ca. 10,00 € ergänzend Grundsicherungsleistungen vom Sozialhilfeträger.
Mit Schreiben vom 26.06.2014 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die „Mietkaution“ erst fällig werde, wenn die Klägerin aus der Wohnung ausziehe oder der Leistungsbezug beendet werde. Aus einem internen Vermerk ergibt sich, dass der Beklagte hinsichtlich der Rückforderung des Mietkautionsdarlehens eine Mahnsperre setzte.
Mit Schreiben vom 30.11.2017 erinnerte der Inkasso-Service bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Inkasso-Service) an die Rückzahlung der Forderung aus dem Darlehensbescheid vom 31.03.2010 von 870,00 €.
Am 01.12.2017 zog die Klägerin aus der Wohnung, für die das Mietkautionsdarlehen gewährt worden war, aus und zog in ihre jetzige Wohnung. Mit Schreiben vom 11.12.2017 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, Ansprechpartner für die geltend gemachte Forderung sei der Vermieter bzw. die Verwaltung.
Mit Schreiben vom 29.12.2017 rechnete der Vermieter der Klägerin, die Zeugen B., gegenüber der Klägerin die Kaution ab. Danach wurde die Kaution (wegen vermeintlich erheblicher Schäden an der Mietwohnung) einbehalten.
Mit Schreiben vom 4.12.2018 mahnte der Inkassoservice erneut die Rückzahlung an und setzte eine Mahngebühr von 5,00 € fest. Mit Schreiben vom 02.05.2019 erfolgte die Ankündigung der Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt über eine Forderung von insgesamt 875,00 €.
Die Klägerin hat am 21.05.2019 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 43 AS 5012/19 ER stellte der Beklagte die Forderung (erneut) ruhend.
Mit ihrer Klage vom 21.05.2019 begehrte die Klägerin zunächst die Feststellung, dass die Forderung von 875,00 € verjährt sei und im Übrigen gegen die Klägerin nicht geltend gemacht werden könne sowie die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin zurückzunehmen. Sie macht geltend, aufgrund der unwiderruflichen Abtretung die Kaution nicht selbst gegenüber dem Vermieter geltend machen zu dürfen.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
festzustellen, dass der Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung des mit Darlehensvertrag und -bescheid vom 31.03.2010 gewährten Darlehens von 870,00 € verjährt bzw. aus Treu und Glauben nicht durchsetzbar ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist insbesondere der Auffassung, der Darlehensrückforderungsanspruch unterliege einer 30-jährigen Verjährungsfrist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit den Schriftsätzen der Beteiligten nebst Anlagen sowie den Inhalt der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Klagegegenstand ist (nur) die Frage, ob die Klägerin zur Rückzahlung des ihr gewährten Kautionsdarlehens von 870,00 € verpflichtet ist. Soweit die Klägerin ursprünglich die Feststellung in Bezug auf einen Betrag von 875,00 € begehrte, war in diesem Betrag auf der Grundlage des Schreibens des Inkasso-Service vom 04.12.2018 eine Mahngebühr von 5,00 € enthalten. Entgegen der Aufforderung, das Darlehen zurückzuzahlen, handelt es sich jedoch bei der Festsetzung einer Mahngebühr um einen Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage statthaft und eine Feststellungsklage insoweit subsidiär ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin insoweit ein Vorverfahren durchgeführt hätte. Auch ist der Beklagte insoweit nicht passivlegitimiert. Die Klägerin hat das Begehren daher insoweit mit ihrem im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrag konkludent aufgegeben.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Klägerin hat insbesondere ein berechtigtes (Feststellungs-)Interesse, Klarheit darüber zu erlangen, ob der Beklagte berechtigt ist, den Darlehensrückzahlungsanspruch fortgesetzt ihr gegenüber geltend zu machen.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Beklagte hat einen durchsetzbaren Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens.
Der Anspruch war mit Abschluss des Darlehensvertrages vom 31.03.2010 entstanden. Aus der Gewährung eines Darlehens ergibt sich die Rückzahlungspflicht eines Darlehensnehmers, da diese der Rechtsnatur eines Darlehens immanent ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.07.2019, L 19 AS 2151/18, juris, Rn 46; Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 06.03.1997, 9b RAr 7/90, juris, Rn 17).
Der Rückzahlungsanspruch ist fällig. Die Fälligkeit kann sich vorliegend nicht bereits aus § 42a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ergeben, weil die Vorschrift erst zum 01.04.2011 in Kraft trat und auf den vorliegenden Sachverhalt jedenfalls nicht anwendbar ist, weil das Darlehen bereits vor dem 01.04.2011 ausgezahlt worden war (BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 28/14 R, juris, Rn 18). Die Fälligkeit trat vielmehr gemäß dem Darlehensvertrag und auch dem Darlehensbescheid, jeweils vom 31.03.2010, mit Auszug zum 01.12.2017 aus der Wohnung, für die das Darlehen gewährt worden war, ein. Zutreffend hatte der Beklagte eine Fälligkeit bereits aufgrund des Endes des Bezuges von Arbeitslosengeld II (ALG II) zum Oktober 2013 verneint. Insoweit konkretisiert der Darlehensbescheid vom 31.03.2010 die Fälligkeitsvoraussetzung dahingehend, dass die Hilfebedürftigkeit beendet sein muss. Dies kann, muss aber nicht – wie hier – mit einem Ende des ALG II-Bezuges zusammenfallen. Vorliegend war und ist die Klägerin weiter hilfebedürftig im Sinne des SGB II bzw. des Zwölften Buch des Sozialgesetzbeuch (SGB XII).
Der Rückzahlungsanspruch ist nicht verjährt.
Der (vertragliche) Rückzahlungsanspruch unterlag zunächst der regelmäßigen dreijährigen Verjährung gemäß § 61 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Verjährung war jedoch zunächst in zweifacher Hinsicht gehemmt. Zum einen war die Verjährung aufgrund der fehlenden Fälligkeit gemäß § 205 BGB von Beginn an (§ 199 BGB) gehemmt. Zum anderen – und vorliegend entscheidend – war die Verjährung des Rückzahlungsanspruchs auch aufgrund des Erlasses des Darlehensbescheides vom 31.03.2010 gemäß § 52 Abs. 1 SGB X gehemmt. Danach gilt: „Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, hemmt die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.“ Der Beklagte hatte seinen Darlehensrückzahlungsanspruch mit Bescheid vom 31.03.2010 festgestellt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.07.2019, L 19 AS 2151/18, juris, Rn 50; Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, 3. Ergänzungslieferung 2023, § 52, Rn 20).
Beide Hemmungen sind zwischenzeitlich beendet. Der Bescheid vom 31.03.2010 ist bestandskräftig im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 2 SGB X und die Klägerin ist Ende 2017 aus der Wohnung, für die das Darlehen gewährt worden war, ausgezogen.
Während die dreijährige Verjährungsfrist bei einem Verjährungsbeginn mit Fälligkeit aufgrund des Auszuges zwischenzeitlich abgelaufen wäre, bestimmt § 52 Abs. 2 SGB X, dass die Verjährungsfrist 30 Jahre beträgt, wenn ein Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X unanfechtbar geworden ist. Die Klägerin hat den Darlehensbescheid vom 31.03.2010 nicht angegriffen, etwa mit dem Ziel statt eines Darlehens, einen Zuschuss zu erhalten. Der Darlehensbescheid war daher Mitte 2010 unanfechtbar geworden. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren ist offensichtlich nicht verstrichen.
Der Annahme einer 30-jährigen Verjährungsfrist steht das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04.03.2021 (B 11 AL 5/20 R, juris) nicht entgegen. Denn das Urteil beschäftigt sich (allein) damit, ob ein Erstattungsbescheid im Sinne des § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X ein Feststellungs- oder Durchsetzungsbescheid im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X sein kann. Dies wird überzeugend verneint, weil die spezielle (kurze) Verjährung von 4 Jahren gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X erst aufgrund der Unanfechtbarkeit dieses Bescheides beginnt. Der Bescheid kann mithin nicht zugleich (eine im Übrigen mangels Unanfechtbarkeit noch nicht begonnene) Verjährung im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X hemmen und mit seiner Unanfechtbarkeit – im Widerspruch zu § 50 Abs. 4 SGB X – zugleich eine 30-jährige Verjährungsfrist bewirken. Im Urteil des BSG heißt es etwa in Randnummer 27: „Die dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 52 Abs. 2 SGB X greift aber nur ein, wenn ein "Verwaltungsakt im Sinne des Absatzes 1" unanfechtbar geworden ist. Ein Verwaltungsakt iS des § 52 Abs. 1 SGB X ist jedoch nur ein solcher, der zur Feststellung oder Durchsetzung dieses Anspruchs und – in zeitlicher Hinsicht – zugleich während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs erlassen wird.“ Diese Voraussetzung können Erstattungsbescheide nicht erfüllen, weil die Verjährung von Erstattungsansprüchen gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X überhaupt erst mit Unanfechtbarkeit des Erstattungsbescheides im Sinne des § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X beginnt. Demgegenüber hatte die Verjährung des hier streitigen Darlehensrückzahlungsanspruchs – wenn auch gehemmt – unabhängig vom erlassenen Darlehensbescheid vom 31.03.2010 begonnen. Mithin kann der Darlehensbescheid vom 31.03.2010 in Einklang mit der BSG-Entscheidung ein Bescheid zur Feststellung des (Darlehensrückzahlungs-)Anspruchs im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X sein.
Die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Das Gericht folgt dem Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 15.06.2022 (S 35 AS 520/21, juris) ausdrücklich nicht. Das SG Detmold meint, der Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn er sich – wie auch hier – einerseits den Kautionsrückzahlungs-anspruch unwiderruflich abtreten lasse, dann aber die Kaution nicht (vor ihrer Verjährung) vom Vermieter zurückverlange. Es sei denn rechtsmissbräuchlich, von dem Darlehensnehmer die Rückzahlung des Darlehens zu verlangen. Dieser Auffassung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Wie auch das SG Detmold zutreffend ausführt, erfolgte die Abtretung als Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs. Der Sicherungsnehmer und Zessionar (hier der Beklagte) ist jedoch nicht verpflichtet, in erster Linie den (vermeintlichen) Drittschuldner (hier den Vermieter) in Anspruch zu nehmen. Vielmehr bestehen der gesicherte Darlehensrückzahlungsanspruch und der sicherungshalber abgetretene Kautionsrückzahlungsanspruch nebeneinander und der Sicherungsnehmer kann sich aussuchen, welchen Anspruch er geltend macht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, vor einer Inanspruchnahme der Klägerin den Kautionsrückzahlungsanspruch gegenüber dem Vermieter geltend zu machen und – vorliegend wohl auch – gerichtlichen durchsetzen zu müssen.
Vorliegend ging der Beklagte zudem – wenn auch fälschlich – davon aus, dass die Klägerin die Kaution vom Vermieter zurückerhalten hat. Die Abrechnung des Vermieters über die Kaution vom 29.12.2017, nach der der Vermieter die Kaution nach Räumung der Klägerin aufgrund (vermeintlich) erheblicher Schäden an der Wohnung einbehalten hatte, hat die Klägerin dem Beklagten nicht zur Kenntnis gegeben. Aufgrund der Unwiderruflichkeit der Abtretung konnte die Klägerin zwar nicht die Rückzahlung an sich verlangen. Soweit die Klägerin jedoch einen (wohl nicht bestehenden) Anspruch auf Rückzahlung der Kaution als gegeben ansah, hätte sie – im eigenen Interesse – ihrerseits eine Ermächtigung zur gewillkürten Prozessstandschaft vom Beklagten vor Ablauf der Verjährung des Kautionsrückzahlungsanspruchs verlangen müssen.
In der Gesamtschau kann von einem Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben durch den Beklagten im vorliegenden Fall keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.