Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31.08.2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch im Berufungsverfahren die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Erstattung von Kosten für eine ambulante Autismustherapie.
Bei der 0000 geborenen Klägerin bestehen eine geistige Behinderung und ein Autismus mit Wahrnehmungsstörungen. Dies führt zu einer starken Impulsivität mit Weglauftendenzen und zu auto- und fremdaggressiven Verhaltensweisen. Schon durch geringe Belastungen ist die Klägerin überfordert. Zur Stabilisierung benötigt sie Auszeiten mit therapeutischer Unterstützung. Bei der Klägerin sind ein GdB von 100 und die Merkzeichen G, H und B festgestellt. Ihre Eltern sind ihre rechtlichen Betreuer.
Die Klägerin ist seit dem Jahr 1996 stationär untergebracht, von 1998 bis zum 26.05.2019 lebte sie im M.-Stift (M.) in X. in einer Wohngruppe mit acht Bewohnerinnen und Bewohnern. Eine Autismustherapie wurde von der Einrichtung im streitigen Zeitraum (01.01.2017 bis 25.05.2019) allenfalls selten in einigen wenigen Sitzungen angeboten. Eine spezielle Station für Menschen mit autistischer Störung gab es in der Einrichtung nicht. Die Kosten für die stationäre Unterbringung trug der Beklagte. Dieser hatte den „Leistungstyp (LT) 14 – Wohnangebote für Erwachsene mit der fachärztlichen Diagnose Autismus“ bewilligt. Tagsüber arbeitete die Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Über anzurechnendes Einkommen und Vermögen verfügte sie nicht.
Bereits seit 1993 und auch weiter während der stationären Unterbringung – mit einer Unterbrechung von 1999 bis 2003 – erhielt die Klägerin von dem Beklagten eine ambulante Autismustherapie im Umfang von wöchentlich zwei Fördereinheiten (Modulen). Leistungserbringer war zunächst der O., durchgeführt wurde die Therapie durch die Beigeladene zu 1). Diese wechselte im Jahr 2013 zur Beigeladenen zu 2). Seither wurden die Leistungen von der Beigeladenen zu 2) erbracht. Die Beigeladene zu 2) hat mit dem L. eine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung über die autismusspezifische Förderung abgeschlossen.
Der Beklagte bewilligte die Autismustherapie mit Bescheid vom 14.10.2016 für das Jahr 2016 wie bisher im Umfang von wöchentlich zwei Fördereinheiten und für das Jahr 2017 im Umfang von wöchentlich einer Fördereinheit. Ab dem 01.01.2018 lehnte er eine weitere Kostenübernahme ab. Der Klägerin sei der „LT 14“ bewilligt worden, der eine spezielle Förderung für Menschen mit Autismusspektrumstörung beinhalte und die Kosten für entsprechend geschultes Personal in der Betreuung vorsehe. Dadurch werde der Bedarf gedeckt, weshalb eine Autismustherapie daneben nicht dauerhaft übernommen werden könne.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 14.11.2016 Widerspruch ein. Der Betreuungsbedarf werde durch die Einrichtung nicht gedeckt, da es dort zu wenig Personal gebe und dieses auch häufig wechsele. Daher sei die ambulante Autismustherapie weiter notwendig.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2017 zurück. Die Klägerin habe zwar Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, aber ihr Bedarf werde durch den bewilligten „LT 14“ im Rahmen der stationären Unterbringung gedeckt. Ein höherer Betreuungsbedarf eines Bewohners der Einrichtung löse keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe aus. Es sei daher kein Grund ersichtlich, weiterhin eine externe Autismustherapie zu finanzieren.
Die Klägerin hat am 11.05.2017 Klage erhoben. Die Einrichtung decke ihren behinderungsbedingten Bedarf nicht, so dass die ambulante Autismustherapie notwendig sei. Die Mitarbeiter der Einrichtung verfügten nicht über die notwendige Qualifikation, teilweise würden nur Praktikanten und FSJler eingesetzt. Es werde auch keine Kontinuität der Bezugspersonen gewährleistet.
Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum weiter Autismustherapie im Umfang von zwei Fördereinheiten/Woche in Anspruch genommen. Eine Fördereinheit ist durch die Beigeladene zu 1) erbracht worden und die andere durch die bei der Beigeladenen zu 2) beschäftigte Frau C.. Die Kosten für die Betreuung durch Frau C. sind teilweise aus dem Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI finanziert worden. Die Restkosten haben jeweils die Eltern der Klägerin getragen.
Im Jahr 2017 hat der Beklagte (noch) die Kosten getragen, soweit die Beigeladene zu 1) tätig geworden ist. Für die Betreuung durch Frau C. sind nach Abzug des Entlastungsbetrages nach § 45b SGB XI Kosten iHv 2.465 € entstanden, die von den Eltern der Klägerin getragen worden sind.
Im Jahr 2018 hat sich die Beigeladene zu 1) selbständig gemacht. Die Klägerin hat deren Leistungen weiter in Anspruch genommen. Dadurch sind Kosten iHv 2.453,76 € entstanden, die die Eltern getragen haben. Zusätzlich ist sie weiter durch Frau C., betreut worden. Dafür sind nach Abzug des Entlastungsbetrages nach § 45b SGB XI Kosten iHv 2.272,40 € entstanden, die ebenfalls von den Eltern getragen worden sind.
Im Jahr 2019 sind der Klägerin Kosten für Autismustherapien durch die Beigeladene zu 1) iHv 789,06 € und durch die Beigeladene zu 2) nach Abzug des Entlastungsbetrages nach § 45b SGB XI iHv 636,40 € entstanden. Auch diese Kosten sind von den Eltern getragen worden.
Während der Therapiestunden ist die Klägerin durch die Betreuerinnen im Umfang einer 1:1-Betreuung therapiert worden. Die Therapeutinnen haben mit der Klägerin alltägliche Handlungen, wie zum Beispiel einkaufen, ein Café besuchen oder spazierengehen durchgeführt und sind aufgrund ihrer speziellen Ausbildung geschult gewesen, mit den Behinderungsbild der Klägerin umzugehen und spezielle Verhaltensweisen richtig zu interpretieren.
Am 26.05.2019 hat die Klägerin die stationäre Einrichtung gewechselt. Der Beklagte hat für den Übergang in die neue Einrichtung 100 Module Autismustherapie bewilligt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 14.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2017 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Autismustherapie für die Zeit vom 01.01.2017 bis 25.05.2019 iHv 8.574,02 € zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat seine Bescheide verteidigt. Neben der stationären Unterbringung mit dem „LT 14“ komme eine ambulante Autismustherapie nicht in Betracht.
Das Sozialgericht hat einen Bericht des behandelnden Psychiaters U. vom 28.06.2018 eingeholt, in dem dieser ausführt, die durchgeführte ambulante Autismustherapie sei erforderlich. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Berichts verwiesen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 31.08.2021, dem Beklagten zugestellt am 22.09.2021, verurteilt, die Kosten für die Autismustherapie für die Zeit vom 01.01.2017 bis 25.05.2019 iHv 8.574,02 € zu erstatten. Der ursprüngliche Sachleistungsanspruch habe sich aufgrund der Selbstverschaffung in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Dazu gehöre auch die durchgeführte Autismustherapie. Die Leistung sei notwendig iSv § 4 SGB IX gewesen. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des Psychiaters U.. Dem Kostenerstattungsanspruch stehe die stationäre Unterbringung nicht entgegen, denn die Einrichtung habe den Bedarf der Klägerin nicht gedeckt. Sie sei nicht in einer Gruppe für Menschen mit Autismusspektrumstörung betreut worden, sondern in einer Regelgruppe. Der Wechsel in eine Spezialgruppe sei von den Eltern aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt worden, da sie dort noch weniger Betreuung erhalten hätte.
Der Beklagte hat am 19.10.2021 Berufung eingelegt. Er geht weiter davon aus, dass eine zusätzliche Autismustherapie nicht notwendig gewesen sei, da der Bedarf durch den bewilligten „LT 14“ in der Einrichtung gedeckt worden sei. Dies hätte durch die beantragte Zeugenvernehmung der zuständigen Fachbereichsleiterin H. nachgewiesen werden können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31.08.2021 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Fachbereichsleiterin H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht erhobene Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat ergänzend verweist, verurteilt, die Kosten für die Autismustherapie für die Zeit vom 01.01.2017 bis 25.05.2019 iHv 8.574,02 € zu erstatten. Die Klage ist zulässig und begründet, der angefochtene Bescheid vom 14.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2017 ist rechtswidrig, die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme.
II. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid 14.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2017, mit dem der Beklagte die Autismustherapie im Jahr 2017 (nur noch) im Umfang von einem Modul pro Woche bewilligt und ab dem 01.01.2018 ganz abgelehnt hat.
Der Bescheid hat sich nicht durch die mit Wirkung vom 01.01.2020 erfolgte Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgerecht des SGB XII und seine Überführung in das SGB IX und die Zuständigkeitsregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, wonach für die von der Klägerin begehrte Leistung nunmehr die Träger der Eingliederungshilfe und nicht mehr die Träger der Sozialhilfe, die auch keine Rehabilitationsträger mehr sind, zuständig sind (vgl. dazu BSG Beschluss vom 25.06.2020 – B 8 SO 36/20 B), erledigt iSd § 39 Abs. 2 SGB X. Es handelt sich um einen vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts bestehenden Bedarf, der von der Klägerin mit Hilfe ihrer Eltern gedeckt wurde, woraus sich eine Kostenerstattungspflicht ergeben kann. Eine bei Rechtswidrigkeit der Ablehnung vor dem 01.01.2020 bestehende Verpflichtung des Beklagten wird durch die Neukonzipierung des Eingliederungshilferechts und eine damit evtl. einhergehende neue Trägerschaft ab Januar 2020 nicht berührt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 14.06.2021 – L 9 SO 27/19, vom 17.05.2021 – L 9 SO 271/19 und vom 12.08.2021 – L 9 SO 116/20). In zeitlicher Hinsicht ist der Gegenstand des Verfahrens antragsgemäß auf den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 25.05.2019 beschränkt.
Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch auf Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Leistung zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG). Der Leistungserbringer ist bei der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nicht notwendig beizuladen (BSG Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R), ungeachtet dessen hat der Senat beide Leistungserbringer (einfach) beigeladen.
III. Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung beruht hinsichtlich des Jahres 2017 auf § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gF und ab dem 01.01.2018 auf § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX. Danach sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung vom Rehabilitationsträger in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und die Leistung notwendig ist. Die Klägerin begehrte ursprünglich die Übernahme der Kosten für die Autismustherapie. Dabei handelte es sich eine Sachleistung, denn die Grundsätze zur Kostenübernahme im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis gelten auch bei ambulanten Leistungen (zur Montessori-Therapie BSG Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R; zur Petö-Therapie BSG Urteil vom 28.08.2018 – B 8 SO 5/17 R). Im Falle der Selbstverschaffung entsteht unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 18 Abs. 6 SGB IX ein Anspruch auf Kostenerstattung (BSG Urteil vom 27.02.2020 – B 8 SO 18/18 R). Erforderlich sind ein Anspruch auf die Sachleistung (dazu unter 1.) und das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 18 Abs. 6 SGB IX (dazu unter 2.).
1. Der Anspruch der Klägerin beruht auf §§ 53, 54 SGB XII aF iVm § 55 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2019 gF.
Bei der Klägerin bestand im streitigen Zeitraum eine wesentliche Behinderung iSv § 53 Abs. 1 SGB XII aF. Die Prüfung der Wesentlichkeit einer Behinderung ist wertend an deren Auswirkungen für die Eingliederung in der Gesellschaft auszurichten. Entscheidend ist mithin nicht, in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (BSG Urteile vom 13.07.2017 – B 8 SO 1/16 R und vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R). Die Klägerin war wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt, denn sie war aufgrund ihrer geistigen Behinderung und ihres Autismus nicht in der Lage, selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Das zeigt sich auch daran, dass sie in einer stationären Einrichtung betreut werden musste und eine Beschäftigung nur in einer Werkstatt für behinderte Menschen ausüben konnte.
Die Klägerin war daher im streitigen Zeitraum leistungsberechtigt nach §§ 53, 54 SGB XII aF iVm § 55 Abs. 1 SGB IX aF. Die Leistungen gem. § 54 Abs. 1 SGB XII aF iVm § 55 Abs. 1 SGB IX aF umfassen ambulante Therapien, wenn diese aufgrund der Behinderung erforderlich sind und (zumindest auch) den Zweck verfolgen, unmittelbar die sozialen Folgen einer Behinderung zu beseitigen bzw. zu mildern.
Es handelt sich bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Autismustherapie nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Maßgebend für die Abgrenzung von medizinischer und sozialer Rehabilitation ist, ob die Therapie direkt an der Behandlung der behinderungsbedingten Störung ansetzt oder unmittelbar die sozialen Folgen einer Behinderung beseitigen bzw. mildern soll (BSG Urteil vom 28.08.2018 – B 8 SO 5/17 R). Dementsprechend bleiben lediglich mittelbar verfolgte Zwecke und Ziele außer Betracht. Dies bedeutet nicht, dass eine Leistungserbringung, die an der Behandlung der behinderungsbedingten Störung ansetzt, nicht gleichzeitig mit dem Ziel durchgeführt werden kann, die sozialen Folgen einer Behinderung zu beseitigen bzw. zu mildern und umgekehrt. Eine Maßnahme kann ausgehend von einer am Einzelfall orientierten, individuellen Beurteilung vielmehr auch mehrere unterschiedliche Zwecke haben, sodass sich die Leistungszwecke der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation überschneiden und (bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen) die Leistungspflicht des Rehabilitationsträgers für eine soziale Rehabilitation begründen können, wenn die Leistung nicht als Leistung zur medizinischen Rehabilitation erbracht wird (BSG Urteil vom 28.08.2018 – B 8 SO 5/17 R; Urteil des Senats vom 17.05.2021 – L 9 SO 271/19). Die bei der Klägerin durchgeführte Autismustherapie mit einer 1:1-Betreuung in Alltagssituationen diente nicht der Behandlung ihrer Behinderung, sondern unmittelbar der Beseitigung oder Milderung der Einschränkungen der Klägerin bei ihrer Teilnahme am sozialen Leben.
Die Autismustherapie war notwendig iSv § 4 Abs. 1 SGB IX. Diese Voraussetzung ist bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfen. Sie ist zu bejahen, wenn eine grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist, die darin liegen (vgl. § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII aF), eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. BSG Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R). Die Klägerin war zur Stabilisierung ihres psychischen Zustandsbildes auf die Autismustherapie angewiesen, ohne diese Unterstützung hätte sich ihre Situation noch deutlich verschlechtert. Dies folgt aus den Ausführungen des Psychiaters U. und wird durch die Entwicklungsberichte der Leistungserbringer belegt. Der Beklagte geht ebenfalls von einem solchen Bedarf aus, denn er hat den „LT 14“ bewilligt. Dieser sieht bei den Betreuungsleistungen ausdrücklich autismusspezifische therapeutische Maßnahmen vor. Andere gleich geeignete Maßnahmen sind nicht ersichtlich.
Die Leistungen waren in dem Umfang erforderlich, in dem sie von der Klägerin im streitigen Zeitraum in Anspruch genommen wurden (zwei Fördereinheiten/Woche). Der Umfang der von ihr in Anspruch genommenen Therapie entsprach der bisherigen Bewilligung durch den Beklagten, dessen Notwendigkeit durch den behandelnden Psychiater U. bestätigt worden ist. Anhaltspunkte für einen reduzierten Bedarf sind nicht ersichtlich.
Der Notwendigkeit iSv § 4 Abs. 1 SGB IX steht nicht entgegen, dass die Klägerin während des streitigen Zeitraums in einer stationären Einrichtung untergebracht war und der Beklagte die Kosten dafür in Form des „LT 14“ getragen hat. Offenbleiben kann, ob ambulante Leistungen bei einer stationären Unterbringung grundsätzlich ausgeschlossen sind. Im Bereich der Hilfe zur Pflege ist dies in § 63b Abs. 3 SGB XII ausdrücklich so geregelt. Für die Eingliederungshilfe fehlt eine entsprechende Vorschrift. Das BSG hat es in Betracht gezogen, dass in einer stationären Einrichtung ergänzend Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX aF erbracht werden können (BSG Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 8/13 R).
Jedenfalls in Fällen eines Systemversagens ist es zulässig, auch bei einer stationären Unterbringung den ungedeckten Bedarf durch ambulante Leistungen zu decken. Zwar hat das BSG bereits mehrfach entschieden, dass auch ein besonders hoher Betreuungsaufwand, der weit über das normale Maß hinausgeht (sog. „Systemsprenger“), keinen zusätzlichen Vergütungsanspruch der Einrichtung auslöse, sondern auch dieser Aufwand mit der normalen Vergütungspauschale abgegolten sei (BSG Urteil vom 06.12.2018 – B 8 SO 9/18 R; BSG Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 8/13 R). Im vorliegenden Verfahren macht in Abgrenzung hierzu jedoch nicht die Einrichtung einen höheren Vergütungsanspruch geltend, sondern die Bewohnerin einen Anspruch auf eine ambulante Leistung, um den Bedarf zu decken, der durch die Einrichtung nicht gedeckt wurde. Nach der Rechtsprechung des BSG sind höhere Leistungen für den Lebensunterhalt zu erbringen, wenn der insoweit bestehende Bedarf nicht vollständig durch die Einrichtung gedeckt wird und dadurch ein Systemversagen vorliegt (BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 16/19 R). Dies ist bei fachlichen Leistungen nicht anders zu beurteilen.
Der Begriff des Systemversagens ist allerdings eng auszulegen. Nicht jeder Personalmangel oder jede fehlende Qualifizierung des Personals ist dafür ausreichend mit der Folge, dass in einer stationären Einrichtung ergänzende ambulante Leistungen in Anspruch genommen werden können. Ein Systemversagen liegt erst dann vor, wenn der bestehende Bedarf von der Einrichtung überhaupt nicht gedeckt werden kann. So liegt der Fall hier. Eine Autismustherapie wurde von der Einrichtung im streitigen Zeitraum nach der glaubhaften Aussage der Zeugin Kopp „nur selten in einigen wenigen Sitzungen durchgeführt“. Es gab auch keine spezielle Station für Menschen mit autistischer Störung.
Der Erstattungsanspruch erfasst die gesamten Aufwendungen der Klägerin für die ambulanten Leistungen. Das gilt zunächst unproblematisch für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1), die der Beklagte jahrelang finanziert hat. Offenbleiben kann, ob die Beigeladene zu 1) selbst eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe abgeschlossen hatte, als sie sich selbständig gemacht hatte. Denn auch wenn eine solche fehlen würde, stünde dies einem Anspruch der Klägerin bei der hier gegebenen rechtswidrigen Ablehnung des Anspruchs bereits dem Grunde nach nicht entgegen (hierzu BSG Urteile vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R und vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 10/07 R; Urteil des Senates vom 17.11.2022 – L 9 SO 350/21).
Der Umstand, dass die Leistungen der Beigeladenen zu 2) (Frau C.) teilweise mit dem Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI finanziert worden sind, steht der Kostenübernahme nicht entgegen. Diese Finanzierung ändert nichts daran, dass es sich bei der erbrachten Therapie um eine Leistung der Eingliederungshilfe zur sozialen Teilhabe gehandelt hat, deren Kosten der Beklagte zu tragen hat. Die Kosten für die durch die Beigeladene zu 2) (Frau C.) erbrachten drei Wochenstunden lagen deutlich unter den Kosten für ein Modul und sind damit ebenfalls in vollem Umfang erstattungsfähig.
Die Klägerin erfüllte auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bezug von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Über anzurechnendes Einkommen und Vermögen verfügte sie nicht. Das Einkommen und Vermögen der Eltern ist gem. § 19 Abs. 3 SGB XII nicht heranzuziehen, da die Klägerin im streitigen Zeitraum volljährig war.
2. Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung sind gem. § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 18 Abs. 6 SGB IX vom Rehabilitationsträger in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn dieser eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Beklagte hatte die Leistung mit Bescheid vom 14.10.2016 abgelehnt, bevor die Klägerin ab dem 01.01.2017 begonnen hat, den Bedarf selbst zu decken.
3. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Eltern die Kosten für die Therapie bereits vollständig beglichen haben. Der Bewilligung von Sozialhilfeleistungen steht bei einer rechtswidrigen Ablehnung eine zwischenzeitliche Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter nicht entgegen (BSG Urteil vom 26.10.2017 – B 8 SO 11/16 R mwN; für Eingliederungshilfeleistungen BSG Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
V. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Das Verfahren betrifft die am 31.12.2019 außer Kraft getretenen Regelungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Im Falle außer Kraft getretenen Rechts ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allenfalls dann gegeben, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des alten Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, namentlich wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht (BSG Beschluss vom 11.05.2022 – B 8/7 AY 5/21 B). Das ist nicht der Fall, da nach der Rechtsprechung des BSG mit dem Wechsel zur Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ein Systemwechsel eingetreten ist (BSG Urteil vom 28.01.2021 – B 8 SO 9/19 R).
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form beim
Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 KasseloderBundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel
einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung -ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Weitergehende Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
- jeder Rechtsanwalt,
- Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,
- selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
- berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
- Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
- Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
- juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Ein Beteiligter, der zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Handelt es sich dabei um eine der vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen, muss diese durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches _ Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).