L 3 R 965/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SF 44/21 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 965/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 22.09.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zustehenden Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Die Beklagte hatte den am 17.08.2018 gestellten Antrag des Klägers auf Bewilligung einer medizinischen Rehabilitation mit Bescheid vom 12.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2019 abgelehnt. Der Kläger erfülle einerseits die persönlichen Voraussetzungen für eine Gewährung nicht, da seine Erwerbsfähigkeit weder gemindert noch gefährdet sei, andererseits sei eine ambulante fachärztliche Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse ausreichend. Zur Begründung seiner am 27.02.2019 vor dem Sozialgericht Duisburg (S 17 R 239/19) erhobenen Klage trug der Kläger vor, sein Arzt habe ihm eine stationäre Rehabilitation empfohlen, seine Krankenkasse ihn an die Beklagte verwiesen.

Mit Beschluss vom 18.04.2019 bewilligte das SG dem Kläger unter Beiordnung des Beschwerdeführers Prozesskostenhilfe und holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Nachdem der Beklagtenvertreter im Erörterungstermin vom 22.07.2020 auf die Zuständigkeit der Krankenkasse verwies, wandte sich der Beschwerdeführer für den Kläger an die Krankenkasse. Gegen den seinen Antrag auf stationäre Rehabilitation zunächst ablehnenden Bescheid der Krankenkasse vom 23.10.2020 legte der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Daraufhin bewilligte die mit Beschluss des SG vom 30.10.2020 zum Rechtsstreit beigeladene Krankenkasse (fortan: Beigeladene) dem Kläger mit Bescheid vom 25.01.2021 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Der Beschwerdeführer erklärte unter Hinweis auf die nunmehr erfolgte Bewilligung am 25.01.2021: „Für den Kläger ist der Rechtsstreit damit erledigt“.

Der Beschwerdeführer beantragte am 05.03.2021, seine Vergütung für das Klageverfahren nach dem Vergütungsverzeichnis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (VV-RVG) in Höhe von insgesamt 940,10 € wie folgt festzusetzen:

VV-Nr. 3102 RVG              (Verfahrensgebühr)                                          300,00 €

VV-Nr. 3106 RVG              (Terminsgebühr)                                               280,00 €

VV-Nr. 1006 RVG               (Einigungsgebühr)                                           190,00 €

VV-Nr. 7002 RVG              (Auslagen)                                                            20,00 €

19% USt.                                                                                                             150,10 €

_________________________________________

Gesamt:                                                                                                             940,10 €

Mit Entscheidung vom 10.03.2021 setzte die Kostenbeamtin des SG die Vergütung in Höhe von 714,00 € fest. Die Einigungsgebühr sei dem Grunde nach nicht entstanden, da das Verfahren durch Rücknahme erledigt worden sei. Zudem sei eine konkrete, erfolgbezogene qualifizierte Mitwirkung des Beschwerdeführers, welche über das Maß der normalen anwaltlichen Tätigkeit hinausgehe, nicht ersichtlich.

Das von der Krankenkasse am 12.03.2021 erteilte Teilanerkenntnis hinsichtlich der Übernahme der hälftigen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers nahm dieser am 12.07.2021 an.

Gegen die Festsetzung vom 10.03.2021 hat der Beschwerdeführer am 18.03.2021 Erinnerung eingelegt. Zum einen habe er die Klage nicht zurückgenommen, sondern Erledigung angezeigt. Zum anderen seien seine schriftliche und telefonische Korrespondenz mit der Krankenkasse sowie sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.10.2020 qualifiziert und zielgerichtet auf die Erledigung des Rechtsstreites gerichtet gewesen. Der Beschwerdegegner hat die Entscheidung der Kostenbeamtin für zutreffend erachtet. Diese hat der Erinnerung am 22.03.2021 nicht abgeholfen.

Mit Beschluss vom 22.09.2021 hat das SG die Erinnerung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen. Die Erledigungsgebühr entstehe nicht schon dann, wenn die Klage zurückgenommen, ein Anerkenntnis angenommen oder ein Verfahren für erledigt erklärt werde. Erforderlich sei vielmehr die Entfaltung besonderer erledigungsgerichteter Bemühungen wie bspw. das Vorlegen bisher nicht bekannter Unterlagen.

Gegen den ihm am 05.10.2021 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 07.10.2021 Beschwerde eingelegt. Er habe den Kontakt zur sachbearbeitenden Stelle der Beigeladenen vermittelt, Unterlagen vorgelegt und mit seinem Widerspruch sogar zwei Verfahren in einem geführt. Dies sei vergütungsrechtlich zu würdigen.

Der Beschwerdegegner hält den Beschluss vom 22.09.2021 für zutreffend. Neue Argumente seinen nicht ersichtlich.

Das SG hat der Beschwerde am 28.09.2022 nicht abgeholfen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des PKH-Hefts, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und nicht durch den Einzelrichter. § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG, wonach auch über die Beschwerde der Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen worden ist, findet im sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung, selbst wenn die angefochtene Entscheidung allein durch den Kammervorsitzenden ergangen ist. Der Kammervorsitzende des SG entscheidet nicht als Einzelrichter, sondern als Kammer in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter, denn diese wirken gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit (vgl. LSG NRW Beschluss vom 30.03.2012 - L 19 AS 2092/11 B, juris Rn. 26 und Beschluss des erkennenden Senats vom 04.08.2021 – L 3 R 924/20 B).

Die Beschwerde ist statthaft. Die Beschwer des Beschwerdeführers übersteigt mit 226,10 EUR (brutto) den Betrag von 200,00 EUR (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 1 RVG). Die Beschwerde ist (trotz der von §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG abweichenden Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 22.09.2021) innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung eingelegt worden. Das Sozialgericht hat der Beschwerde am 28.09.2022 nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 Satz 1 RVG).

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Erinnerung gegen die Festsetzung vom 10.03.2021 zu Recht mit Beschluss vom 22.09.2021 zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer steht kein weitergehender Anspruch zu.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die Höhe errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die Gebühren sind dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Hier wurde der Beschwerdeführer dem i.S.d. § 183 Satz 1 SGG kostenprivilegierten Kläger im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 18.04.2019 beigeordnet.

Eine höhere Vergütung ist nicht bereits deshalb zu versagen, weil der Kläger das Teilanerkenntnis der Krankenkasse hinsichtlich der Übernahme der hälftigen notwendigen außergerichtlichen Kosten angenommen hat. Nach § 59 Satz 1 RVG geht, soweit dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Partei oder einen ersatzpflichtigen Gegner zusteht, dieser Anspruch mit der Befriedigung des Rechtsanwalts durch die Staatskasse auf diese über. Nach § 59 S. 2 RVG kann der Übergang nicht zum Nachteil des Rechtsanwalts geltend gemacht werden.

Eine Einigungsgebühr ist im vorliegenden Verfahren nicht festzusetzen.

In gerichtskostenfreien Verfahren entsteht eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG für die Mitwirkung des Rechtsanwaltes bei dem Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit über die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 Satz 2 VV RVG).  Die Gebühr 1000 entsteht bei einer Einigung oder Erledigung in einem Verwaltungsverfahren in sozialrechtlichen Angelegenheiten, wenn in die Einigung Ansprüche aus anderen Verwaltungsverfahren einbezogen werden. Ist über den Gegenstand ein gerichtliches Verfahren anhängig, entsteht die Gebühr Nr. 1005 nach Nr. 1006 VV-RVG in Höhe der Verfahrensgebühr. Die Gebühr bestimmt sich nach Nr. 1006 Abs. 1 Satz 1 VV RVG auch dann einheitlich nach dieser Vorschrift, wenn in die Einigung Ansprüche einbezogen werden, die nicht in diesem Verfahren rechtshängig sind.

Der Senat verkennt nicht, dass sich der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des Beklagtenvertreters zur Zuständigkeit der Beigeladenen im Erörterungstermin außerhalb des Klageverfahrens an die (erst später) Beigeladene gewandt, dort einen erneuten Antrag gestellt und nach dessen Ablehnung Widerspruch eingelegt hat, der dann auch zur Abhilfeentscheidung und letztlich zu Erledigungserklärung geführt hat. Die Bemühungen des Beschwerdeführers waren jedoch objektiv betrachtet nicht zur Erledigung der Angelegenheit erforderlich. Denn das Begehren des Klägers hätte gegenüber der Beklagten in dem bereits anhängigen Klageverfahren geltend gemacht werden können und unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass jeder Verfahrensbeteiligte verpflichtet ist, die Kosten der Prozessführung, die er im Falle des Obsiegens vom Gegner erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung der berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2012 – VI ZB 1/12) auch geltend gemacht werden müssen. Diese Verpflichtung zur prozessökonomischen Verfahrensführung ist verletzt, wenn ein einheitlicher Lebenssachverhalt in mehrere Prozessmandate aufgespalten wird, weil ein Anspruch oder mehrere Ansprüche, die in einem inneren Zusammenhang stehen und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsen, ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11.09.2012 - VI ZB 59/11, nach juris). Im Hinblick auf die hier vom Kläger begehrte stationäre Rehabilitationsmaßnahme handelt es sich um dieselbe Angelegenheit im Sinne des RVG. Das Bundessozialgericht (BSG) geht in der Regel von derselben Angelegenheit aus, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R -, Rn. 15 m.w.N., nach juris). Der Beschwerdeführer hatte während des Klageverfahrens S 17 R 239/19 den Auftrag erhalten, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme gegenüber der Beklagten durchzusetzen. Dafür war es gerade nicht erforderlich, ein gesondertes Verwaltungsverfahren gegenüber der (erst später) Beigeladenen in Gang zu setzen. Denn die Beklagte hatte es versäumt, den Antrag des Klägers vom 17.08.2018 auf Bewilligung einer stationären Rehabilitation nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Damit war sie nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente zur Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX unverzüglich und umfassend (d.h. auch nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch) festzustellen und Leistungen zu erbringen. Diese gesetzliche Zuständigkeitsregelung ist nicht disponibel. Wird sie bewusst oder unbewusst umgangen, führt dies jedenfalls im Gebührenrecht nicht dazu, dass in eine Einigung Ansprüche einbezogen werden, die vermeintlich nicht in diesem Verfahren rechtshängig sind. Dem Beschwerdeführer steht es anheim, seinen Aufwand nach § 63 Abs. 1 Zehntes Buch Gesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz gegenüber der Beigeladenen geltend zu machen.

Grundsätzlich ist Gegenstand des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens nach § 56 RVG die gesamte Kostenfestsetzung, nicht nur die einzelne Gebühr, gegen deren Versagung sich die Beschwerde richtet. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Kostenfestsetzung im Übrigen sind jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Rechtskraft
Aus
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