Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.06.2022 aufgehoben.
Die Kosten des gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Z. vom 18.01.2022 und die damit verbundenen Auslagen der Klägerin werden auf die Landeskasse übernommen.
Die Landeskasse erstattet der Klägerin deren außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt im Beschwerdeverfahren die Übernahme der Kosten eines nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachtens auf die Landeskasse.
Im Hauptsacheverfahren war die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und des Merkzeichens G streitig. Das Sozialgericht (SG) Duisburg erhob gemäß § 106 SGG Beweis durch Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen sowie eines gefäßchirurgischen Sachverständigengutachtens. Letzteres ergab insbesondere das Bestehen eines Lymphödems beider Arme und Beine (Einzel-GdB 40) sowie weiterer, jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertender, Gesundheitsstörungen (Gutachten Dr. Knoob vom 14.10.2019). Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, U., stellte in ihrem am 07.12.2020 erstellten Gutachten zudem das Vorliegen einer länger andauernden depressiven Reaktion fest, für welche sie einen Einzel-GdB von 10 in Ansatz brachte. Die Gutachter gingen übereinstimmend davon aus, dass ein Gesamt-GdB von 40 angemessen sei und sämtliche Gesundheitsstörungen bereits bei Antragstellung der Klägerin im April 2018 vorgelegen hätten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG holte das SG ein weiteres psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten der Z. ein. Diese stellte in ihrem am 18.01.2022 erstellten Gutachten das Vorliegen einer leichteren psychischen Störung in Form einer depressiven Anpassungsstörung mit einem Einzel-GdB von 20 sowie einer Angststörung bei Persönlichkeitsakzentuierung mit einem Einzel-GdB von 30 fest. Der GdB auf psychiatrischem Fachgebiet sei auf 40 festzusetzen. Unter Berücksichtigung der körperlichen Einschränkungen werde ein Gesamt-GdB von 50 empfohlen. Die Funktionsbeeinträchtigungen hätten seit Antragstellung im April 2018 vorgelegen.
Der Beklagte unterbreitete der Klägerin daraufhin einen Vorschlag zur einvernehmlichen Beendigung des Rechtsstreits unter Annahme eines GdB von 50 für die Zeit ab dem 01.01.2022, welchen die Klägerin annahm.
Am 24.03.2022 hat die Klägerin bei dem SG beantragt, die Kosten des nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens der Landeskasse aufzuerlegen.
Dies hat das SG mit Beschluss vom 23.06.2022 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 06.06.2018, L 13 SB 241/15, abgelehnt. Das Gutachten habe die medizinische Sachaufklärung nicht gefördert. Ein Klageerfolg aufgrund eines Gutachtens nach § 109 SGG führe nicht in jedem Fall zu einer Kostenübernahme. Wenn in einem Rechtsstreit des Schwerbehindertenrechts die von dem Gutachten nach § 109 SGG bestätigte Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigungen erst nach Vorlage des von Amts wegen eingeholten Gutachtens und zudem zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, zu dem das Gericht ohne den Antrag nach § 109 SGG entschieden hätte, sei eine Kostenübernahme auf die Landeskasse ausgeschlossen. Die erst später eingetretene Verschlimmerung könne mittels eines Änderungsantrags geltend gemacht werden. So liege die Sachlage hier. Die Sachverständige U. habe ihr Gutachten im Dezember 2020 erstattet. Die Gutachterin Z. gelange in ihrem Gutachten aus Januar 2022 zu dem Ergebnis, dass nach Antragstellung im April 2018 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, welche ihre abweichende Einschätzung begründe. Das daraufhin unterbreitete Regelungsangebot des Beklagten habe eine Erhöhung des Gesamt-GdB erst ab Januar 2022 vorgesehen, welches die Klägerin angenommen habe. Damit stehe zwischen den Beteiligten ein Änderungszeitpunkt hinsichtlich der festzustellenden Höhe des GdB fest, der mehr als ein Jahr und damit deutlich nach Abschluss der Sachaufklärung von Amts wegen gelegen habe. Ohne den Antrag nach § 109 SGG hätte die Kammer über die Klage aller Wahrscheinlichkeit nach bereits entschieden gehabt. Die laut Gutachten nach § 109 SGG erst später eingetretene Verschlimmerung hätte von der Klägerin sodann mittels eines Änderungsantrages gegenüber dem Beklagten geltend gemacht werden können. Dem Regelfall der Kostenübernahme liege letztlich die Annahme zugrunde, dass die Sachaufklärung von Amts wegen fehlerhaft gewesen sei, eine solche Fehlerhaftigkeit sei im vorliegenden Fall aber gerade nicht gegeben gewesen, da die Verschlimmerung erst deutlich nach Vorlage des von Amts wegen eingeholten Gutachtens eingetreten sei. Bei dieser Sachlage sei eine Kostenübernahme durch die Landeskasse nicht gerechtfertigt.
Am 29.06.2022 hat die Klägerin hiergegen Beschwerde eingelegt, mit welcher sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
1. Die nach den §§ 172, 173 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.
Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, die Kosten des nach § 109 SGG von Z. unter dem 18.01.2022 erstatteten Gutachtens und die damit verbundenen Auslagen der Klägerin auf die Landeskasse zu übernehmen.
Über die endgültige Pflicht, die Kosten für ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten zu tragen, entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 109, Rn. 16 f.).
Eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung in dem oben genannten Sinne ist nach Auffassung des Senats durch das Gutachten der Z. vom 18.01.2022 erfolgt. Denn diese hat, abweichend von den Feststellungen der U., die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen auf ihrem Fachgebiet nicht mit einem GdB von 10, sondern mit einem Einzel-GdB von 20 hinsichtlich der bestehenden Anpassungsstörung sowie darüber hinaus einem Einzel-GdB von 30 hinsichtlich der festgestellten Angststörung beurteilt. Diese Beurteilung hat den Beklagten dazu veranlasst, der Klägerin ein Regelungsangebot zu unterbreiten, welches letztendlich zur Beendigung des Verfahrens geführt hat. Anders als von dem SG in seiner Entscheidung angenommen, sind die von Z. festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (nach deren Beurteilung) nicht erst nach Vorliegen des von Amts wegen eingeholten Gutachtens im Dezember 2020 eingetreten. Vielmehr stellt Z. in ihrem Gutachten (Blatt 29 der Prozessakte unter 4) a)) das Vorliegen der entsprechenden Funktionsbeeinträchtigungen bereits seit April 2018 fest. Zudem bringt sie in dem Gutachten an mehreren Stellen zum Ausdruck, dass die festgestellten Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet zum Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung der Klägerin im Oktober 2021 bereits seit mehreren Jahren vorgelegen haben. So führt Z. aus, dass die Angststörung kurz nach der Diagnose des Lipödems (2017) aufgetreten und trotz entsprechender Therapie keine Verbesserung eingetreten sei. Dem Gutachten ist mithin nicht zu entnehmen, dass die Sachverständige von einer nach Erstellung des Gutachtens nach § 106 SGG im Dezember 2020 eingetretenen Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen ist. Dem Gutachten kann nach alledem die Förderlichkeit für die Beendigung des Verfahrens selbst unter Berücksichtigung der durch den 13. Senat in seiner Entscheidung vom 06.06.2018, L 13 SB 241/15, aufgestellten Maßstäbe nicht abgesprochen werden.
2. Die Pflicht zur Erstattung der Kosten für das Beschwerdeverfahren trifft ebenfalls die Landeskasse.
Bei Beschwerdesachen nach § 109 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz SGG hat das Beschwerdegericht eine Kostenentscheidung zu treffen, weil das Beschwerdeverfahren seit Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vom 05.05.2004 einen eigenständigen Verfahrensabschnitt bildet (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.07.2012, L 16 SB 2/12 B; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a. SGG, 13. Auflage 2020, § 176 Rn. 5a).
Mit Blick auf die Kostentragung durch die Landeskasse, die an dem Beschwerdeverfahren nicht (unmittelbar) beteiligt ist, ist zwar umstritten, ob bzw. auf welcher rechtlichen Grundlage ihr die Kostentragung für ein erfolgreiches Beschwerdeverfahren nach § 109 SGG aufgebürdet werden kann (vgl. dazu ausführlich Böttiger in jurisPR-SozR 22/2014 Anm. 6). Die überzeugenderen Gründe sprechen jedoch dafür, hierzu die Regelungen in § 193 SGG und § 46 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 467 der Strafprozessordnung (StPO) entsprechend heranzuziehen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.05.2012, L 10 R 1764/12 B Rn. 10 m.w.N.). Da es sich bei den zu übernehmenden Kosten für ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten um solche der Gerichtshaltung handelt, ist es konsequent, auch die Kosten, die für den (erfolgreichen) Streit um die Kostentragung für ein Gutachten nach § 109 SGG anfallen, – quasi als „Annex“ – als solche der Gerichtshaltung anzusehen (so etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2016, L 14 R 562/12 Rn. 11 und 13 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.09.2011, L 10 P 34/11 B Rn. 4; LSG Bayern, Beschluss vom 27.07.2012, L 16 SB 2/12 B Rn. 11 f.). Soweit vertreten wird, die Kostentragung eines erfolgreichen Beschwerdeverfahrens nach § 109 SGG müsse (in Parallelität zu vergleichbaren Fallgestaltungen insbesondere im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess) der Kostenregelung des Hauptsacheverfahrens folgen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.2013, L 13 SB 83/13 B Rn. 7 m.w.N.), ist dem der Rechtsgedanke aus § 46 OWiG i.V.m. § 467 StPO entgegenzuhalten, aus dem sich ergibt, dass in bestimmten Konstellationen die Kostentragung durch die nicht unmittelbar verfahrensbeteiligte Landeskasse gerechtfertigt sein kann.
3. Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.