L 10 KR 159/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 1655/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 159/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.01.2023 geändert.

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.09.2022 aufschiebende Wirkung hat.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 897,66 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Der Antragsteller ist Träger eines Krankenhauses, das vom 29.12.2020 bis 06.04.2021 die bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte X. (* 00.00.0000) teilstationär behandelte. Hierfür rechnete der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin insgesamt 17.419,34 € ab (Rechnung vom 20.05.2021). Die Antragsgegnerin beglich diese Rechnung zunächst vollständig, leitete aber eine Abrechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst (MD) ein, der eine sekundäre Fehlbelegung feststellte. Die teilstationäre Behandlung habe um 17 Tage verkürzt werden können. Die Antragsgegnerin machte daraufhin die Erstattung von 3.555,38 € geltend und verrechnete diesen Betrag gegen andere (unstreitige) Vergütungsansprüche des Antragstellers.

Daneben setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller eine Aufschlagszahlung i.H.v. 897,66 € fest (Bescheid vom 13.09.2022). Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Dieser ist bislang nicht beschieden.

Am 02.12.2022 hat der Antragssteller hiergegen um einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht (SG) Köln nachgesucht.

Er hat vorgetragen, Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung des Aufschlags hätten keine aufschiebende Wirkung, diese sei jedoch anzuordnen. Nach summarischer Prüfung sei der Aufschlagsbescheid rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Regelung zur Aufschlagszahlung sei auf teilstationäre Behandlungsfälle nicht anwendbar. Wegen der Rechtswidrigkeit des Aufschlagsbescheides bestehe auch kein Rechtsgrund, den Aufschlagsbetrag einzubehalten.

Der Antragsteller hat schriftsätzlich beantragt,

die aufschiebende Wirkung zum Aufschlagsbescheid der Antragsgegnerin vom 13.09.2022 nach Einlegung des Widerspruchs des Antragstellers vom 23.09.2022 anzuordnen;

die Antragsgegnerin leiste eine Rückerstattung i.H.v. 897,66 € an den Antragsteller.

Die Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 02.12.2022 zurückzuweisen.

Sie hat ihren Aufschlagsbescheid für rechtmäßig gehalten. Ein Aufschlagsbescheid sei auch für Behandlungsfälle aus den Jahren 2020 und 2021 zu erlassen. Richtiger Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Aufschläge sei der Zeitpunkt der leistungsrechtlichen Entscheidung. Die Ermächtigung zur Erhebung von Aufschlagszahlungen habe nämlich bereits m.W. ab Anfang 2020 in Kraft treten sollen; daher greife das Argument nicht, dass eine zwingende Verknüpfung einer qualitätsabhängigen Prüfquote und des Aufschlags gesetzgeberische Intention gewesen sei. Das, was für vollstationäre Behandlungsformen gelte, sei zudem erst recht auf eine teilstationäre Behandlung anzuwenden.

Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Aufschlagsbetrag von 897,66 € an den Antragsteller zurückzuerstatten (Beschluss vom 30.01.2023). Der Aufschlagsbescheid sei bereits deshalb offensichtlich rechtswidrig und die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil § 275c Abs. 3 SGB V auf den vorliegenden Behandlungsfall in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar sei. Der Gesetzeswortlaut enthalte zwar keinen Hinweis darauf, welcher zeitliche Anknüpfungspunkt für die Festsetzung der Aufschlagszahlung maßgeblich sei („ab dem Jahr 2022“). Sinn und Zweck der Aufschlagszahlung sei nach der Gesetzesbegründung aber offensichtlich die Schaffung eines Anreizes für eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung. Entscheidender Anknüpfungspunkt sei somit eine Rechnungsstellung der Krankenhäuser im Jahr 2022. Auf einen zeitlichen Anknüpfungspunkt abzustellen, auf den das Krankenhaus keinen Einfluss mehr habe, sei dagegen weder zielführend noch angemessen. Auf die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkassen könne es daher nicht ankommen.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 28.02.2023 eingelegten Beschwerde.

Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend trägt sie vor, vorliegend sei § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V in der Fassung anwendbar, die zum Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Aufschlagsbescheides gegolten habe (alte Fassung ˂a.F.˃). Der Widerspruch gegen diesen Bescheid sei zulässig gewesen. Dementsprechend gelte auch noch hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V a.F. Insoweit könnten auch die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts nicht geltend gemacht werden, da jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung anderes Recht gegolten habe.

Sie beantragt schriftsätzlich,

den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.01.2023 aufzuheben.

Der Antragsteller hat seinen Antrag während des Beschwerdeverfahrens teilweise geändert. Er beantragt nunmehr noch,

festzustellen, dass sein Widerspruch vom 23.09.2022 gegen den Aufschlagsbescheid der Antragsgegnerin vom 13.09.2022 aufschiebende Wirkung hat.

Er trägt vor, bis heute habe die Antragsgegnerin den Aufschlagsbetrag auch nicht zurückerstattet. Zwar sei § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V a.F. weiterhin anwendbar. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, habe die Antragsgegnerin jedoch zu Unrecht die Vollziehung des Aufschlagsbetrages vorgenommen. Hinsicht seines Antrages auf Rückerstattung der geleisteten Aufschlagszahlung (Aufhebung der Vollziehung) komme ihm auch ein besonderes Aufhebungsinteresse zu. Dieses liege vorliegend in der beinahe willkürlichen Missachtung des Willens des Gesetzgebers. Denn vorliegend stelle sich nicht die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 275c Abs. 5 SGB V, weil § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V a.F. für teilstationäre Behandlungsfälle nicht gelte. Zudem lasse sich das besondere Aufhebungsinteresse aus dem Rechtsgedanken der §§ 109 Abs. 6, 415 SGB V herleiten. Gerade in Zeiten hoher Inflation könne, weil Krankenhäuser sehr energieintensiv seien, nicht argumentiert werden, dass der in Rede stehende Betrag nur ein kleiner Prozentsatz des Jahresumsatzes sei. Zum einen habe die Antragsgegnerin bislang in über 70 Fällen verrechnet und zum anderen angekündigt, „ungehindert“ so fortfahren zu wollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, jedoch nur im dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.

1. Soweit der Antragsteller seinen Antrag während des Berufungsverfahrens dahingehend umgestellt hat, dass er nunmehr noch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs begehre, betrifft dies nach dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen allein den erstinstanzlichen Antrag zu 1). Der Antragsteller hält daneben seinen Antrag zu 2) auf Aufhebung der Vollziehung – konkret: Rückerstattung der geleisteten Aufschlagszahlung – aufrecht, wenn er näher zu seinem besonderen Interesse an der Aufhebung der Vollziehung vorträgt. Insoweit beantragt der Antragsteller mithin sinngemäß weiterhin, die Beschwerde zurückzuweisen.

2. Soweit die Antragsgegnerin sich gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung wendet, ist ihre Beschwerde lediglich insoweit erfolgreich, als – entsprechend dem im Beschwerdeverfahren geänderten Antrag des Antragstellers – lediglich noch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13.09.2022 festzustellen ist.

Ist – wie hier – umstritten, ob einem Widerspruch kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zukommt, kann der Widerspruchsführer eine entsprechende Feststellung beanspruchen. Dabei kann dahinstehen, ob die Befugnis des Gerichts zur einer solchen Feststellung letztlich bereits als Minus im Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG selbst enthalten ist (so LSG NRW, Beschluss vom 30.05.2016 – L 8 LW 5/15 B ER; juris Rn. 24; Beschluss vom 27.05.2013 – L 11 KA 16/13 B ER, juris Rn. 25; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 86b Rn. 254; ähnlich auch ThürLSG, Beschluss vom 04.02.2005 - L 3 AL 484/04 B ER, juris Rn. 26: Erst-recht-Schluss) oder aus einer analogen Anwendung dieser Vorschrift folgt (so wohl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, Rn. 15 m.w.N.). In jedem Fall sind beide Anträge letztlich auf dasselbe Rechtsschutzbegehren gerichtet. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geht lediglich insoweit weiter als deren bloße Feststellung, als sie ein rechtsgestaltendes Element enthält, eben die Anordnung der aufschiebenden Wirkung als solche (vgl. Burkiczak, a.a.O. Rn. 232).

Vorliegend hat der Widerspruch des Antragstellers gegen den angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin aufgrund der zum 29.12.2022 erfolgten Änderung des § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Von den in § 86a Abs. 2 SGG aufgezählten Ausnahmen, in denen die aufschiebende Wirkung entfällt, ist keine einschlägig. Insbesondere ist die aufschiebende Wirkung nicht (mehr) gesetzlich vorgeschrieben (dazu a), noch hat die Antragsgegnerin sie angeordnet (dazu b). Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht deshalb entfallen, weil der Widerspruch unzulässig geworden wäre (dazu c).

a) Nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in (anderen) durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V (i.d.F. des MDK-Reformgesetzes vom 14.12.2019, BGBl. I 2789) sah zwar noch vor, dass Widerspruch und Klage auch gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach § 275c Abs. 3 SGB V keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Regelung hat der Gesetzgeber jedoch m.W.v. 29.12.2022 auf Widersprüche und Klagen gegen die Ermittlung der Prüfquote nach § 275c Abs. 4 SGB V beschränkt. Soweit die Regelung bis dahin vorsah, dass auch Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung eines Aufschlags keine aufschiebende Wirkung haben, hat er sie gestrichen. Stattdessen hat der Gesetzgeber einen neuen § 275c Abs. 3 S. 4 SGB V angefügt, der lediglich regelt, dass die Geltendmachung des Aufschlags im Wege elektronischer Datenübertragung erfolgt und der GKV-Spitzenverband Bund mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft das Nähere hierzu vereinbart (Art. 1 Nr. 7 Buchst. b und c des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes ˂KHPflEG˃ vom 20.12.2022, BGBl. I 2793).

Die Änderung ist seit ihrem Inkrafttreten auch im vorliegenden Verfahren zu beachten, obschon sowohl in dem Zeitpunkt, als der Antragsteller am 02.12.2022 bei dem SG seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung angebracht hat, als auch in dem, als er seinen Widerspruch erhob, noch § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V a.F. galt. Dies folgt aus den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts.

aa) Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts sind Änderungen der Rechtslage grds. ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anzuwenden (BSG, Urteil vom 23.06.2015 - B 1 KR 26/14 R, amtl. Rn. 10; Urteil vom 08.10.2014 - B 3 KR 7/14 R, amtl. Rn. 13; Beschluss vom 16.12.2009 - B 7 AL 146/09 B, juris Rn. 8; alle m.w.N.; zum Ganzen auch Keller, a.a.O. vor § 143 Rn. 10e). Eine Änderung des Verfahrensrechts erfasst damit grds. auch anhängige Rechtsstreitigkeiten, wenn Übergangsregelungen nichts Abweichendes regeln (BVerfG, Beschluss vom 07.07.1992 - 2 BvR 1631/90 u.a., juris Rn. 43 m.w.N.; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 08.06.2023 – 14 ME 15/23, juris Rn. 16 ff.). Für das Verwaltungsverfahrensrecht gilt i.Erg. nichts anderes (dazu BSG, Urteil vom 14.04.2011 - B 8 SO 18/09 R, juris Rn. 13). Dies zugrundegelegt, war die Streichung der sofortigen Vollziehbarkeit von Widersprüchen und Klagen gegen die Geltendmachung von Aufschlägen ab ihrem Inkrafttreten zum 29.12.2022 auch im vorliegenden Verfahren zu beachten. Bei § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V handelte und handelt es sich weiterhin um eine verfahrensrechtliche Regelung, denn sie schreibt konstitutiv vor, dass in den dort geregelten Fällen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben.

bb) Ein Ausnahmefall von dem vorgenannten Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts liegt hier nicht vor. Zwar darf eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel führen (BVerfG, a.a.O.; Beschluss vom 17.03.2005 - 1 BvR 308/05, juris Rn. 15). Die vorgenannte Regel findet vielmehr verfassungsrechtliche Grenzen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dies gebieten; dies gilt etwa, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozessbeteiligter sich befindet, einwirkt und eine unter der Geltung des alten Rechts entstandene prozessuale Rechtsposition nachträglich verändert oder beseitigt. Zwar ist das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen im Allgemeinen weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen, im Einzelfall können aber verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Besitzstände des materiellen Rechts (BSG, Urteil vom 25.04.2013 - B 8 SO 21/11 R, amtl. Rn. 12). Derartige schutzwürdige Verfahrensrechtspositionen bestehen vorliegend aber weder aufseiten des Antragstellers noch der Antragsgegnerin.

Zunächst benachteiligt die Streichung der sofortigen Vollziehbarkeit von Bescheiden über die Geltendmachung eines Aufschlags den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Im Gegenteil: Die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs tritt nunmehr kraft Gesetzes ein. Weiter verliert der Antragsteller i.Erg. auch kein Rechtsmittel. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist seitdem zwar unzulässig, dem Antragsteller steht nötigenfalls aber ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung analog § 86b Abs. 1 SGG zur Verfügung.

Der Antragsgegnerin kommen i.Erg. ebenfalls keine schutzwürdigen Verfahrenspositionen zu. Inwieweit dies schon daraus folgt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller bei Erlass des Aufschlagsbescheides in einem Über-Unterordnungsverhältnis gegenübertrat, kann dabei dahinstehen. Denn jedenfalls bleibt der Antragsgegnerin ein etwaiger materiell-rechtlicher Anspruch auf die geltend gemachte Aufschlagszahlung auch bei Anwendung des § 275c SGB V n.F. in der Sache ohnehin erhalten. Der Aufschlagsbescheid ist lediglich nicht mehr kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Der angefochtene Bescheid verliert dadurch aber nicht seine Verwaltungsaktqualität. Der Antragsgegnerin bleibt mithin die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung anzuordnen (vgl. dazu sogleich unten b). Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nur in Fällen möglich ist, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist. Denn wo das Vollzugsinteresse nicht überwiegt, spricht ohnehin wenig für eine verfassungsrechtlich schützenswerte Verfahrensposition.

cc) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Regelungszusammenhang, in dem die Änderung des § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V erfolgte. Der Senat verkennt nicht, dass der Gesetzgeber die Anordnung, dass Widerspruch und Klage auch gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach § 275c Abs. 3 SGB V wohl deshalb gestrichen hat, weil er davon ausging, dass die Geltendmachung der Aufschläge „nicht länger als Verwaltungsakt ausgestaltet [werde]“. Verbunden mit der Streichung der entsprechenden Regelung in § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V sei „die Klarstellung, dass Krankenkassen Aufschläge künftig als Realakte im Gleichordnungsverhältnis gegenüber den Krankenhäusern geltend [machten]“ (BT-Drs. 20/3876, 51). Auch danach ist für eine anderslautende Auslegung i.Erg. kein Raum. Zwar lässt sich der Gesetzesbegründung in der Tat nicht zweifelsfrei entnehmen, dass der Gesetzgeber das Verfahrensrecht zielgerichtet auch für seinerzeit bereits anhängige Widersprüche und Klagen hätte ändern wollen. Das Gegenteil ist jedoch ebenso wenig der Fall. Eine nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts grds. notwendige Übergangsregelung (vgl. oben aa) hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Zudem war es ausweislich der Gesetzesbegründung gerade Anliegen der Neuregelung, den mit der Geltendmachung der Aufschläge und der Bearbeitung etwaiger Widersprüche verbundenen administrativen Aufwand zu verringern (vgl. BT-Drs. a.a.O.). Diesen Zweck befördert aber eine Anwendung der Neuregelung auch auf solche Fälle, in denen bei Inkrafttreten des § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V a.F. bereits ein Widerspruch oder eine Klage anhängig war, jedenfalls insoweit, als insbesondere Verfahren über Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entfallen können.

b) Die Antragsgegnerin hat die aufschiebende Wirkung auch nicht gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet. Zwar hat sie in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich Folgendes ausgeführt:

„Der festgesetzte Betrag ist sofort fällig; der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung und der Betrag ist sofort vollstreckbar (§ 275c Abs 5 SGB V in Verb mit § 86a SGG)“

Hierin liegt jedoch schon deshalb keine Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil die Antragsgegnerin bei Erlass ihres Bescheides noch – und insoweit nach § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V a.F. auch zu Recht – davon ausgegangen sein dürfte, dass dieser kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist und es einer Anordnung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG daher gar nicht bedurfte. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre die entsprechende Anordnung mangels schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung jedoch formell rechtswidrig (vgl. etwa Richter in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 86a SGG ˂Stand: 15.06.2022˃, Rn. 58).

c) Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht deshalb entfallen, weil der in der Hauptsache erhobene Widerspruch unzulässig geworden wäre. Dieser ist und bleibt vielmehr statthaft. Dabei kann dahinstehen, ob die Geltendmachung eines Aufschlags unter § 275c Abs. 3 S. 4 SGB V n.F. im Wege elektronischer Datenübertragung künftig keinen Verwaltungsakt mehr darstellt und ein Widerspruch deshalb unstatthaft wäre (dafür wohl BT-Drs. a.a.O., S. 51zur Möglichkeit elektronisch erlassener Verwaltungsakte vgl. aber § 33 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ˂SGB X˃). Maßgeblich dafür, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, ist indes allein, ob die Voraussetzungen des § 31 S. 1 SGB X erfüllt sind (vgl. Littmann in Hauck/Noftz, SGB X ˂Stand: XII/2011˃, § 31 Rn. 18). In jedem Fall folgt aus dem oben erläuterten Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17.03.2005, a.a.O.) aber, dass Rechtsänderungen gerade nicht zum Fortfall bereits eingelegter Rechtsbehelfe – hier: des Widerspruchs – führen.

d) Auf die Auslegung des § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V sowohl hinsichtlich des zeitlichen („Ab dem Jahr 2022“) als auch des sachlichen Anwendungsbereichs (auf teilstationäre Behandlungen) kommt es vorliegend nach allem nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob § 11 Abs. 4 S. 1 der Prüfverfahrensvereinbarung vom 22.06.2021 („lediglich eine vom Krankenhaus nicht bestrittene, geeinte oder rechtskräftig festgestellte Erstattungsforderung“) eine Aufrechnung überhaupt erlaubt oder insoweit nicht das aus § 15 Abs. 4 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V - Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung - folgende Aufrechnungsverbot entgegensteht.

3. Soweit das SG die Antragsgegnerin zwecks Aufhebung der Vollziehung verpflichtet hat, den Aufschlagsbetrag von 897,66 € an den Antragsteller zurückzuerstatten, ist die Beschwerde unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder – wie hier – befolgt worden ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen (zur Anwendung bei einer Feststellung der aufschiebenden Wirkung Cantzler in BeckOK-SozR ˂Stand: VI/2023˃, § 86b SGG Rn. 47). Eine Vollzugsfolgenbeseitigungsanordnung nach § 86b Abs. 1 S. 2 SGG ergeht dabei ggf. aufgrund einer gegenüber der nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG eigenständigen Interessenabwägung (LSG NRW, Beschluss vom 14.10.2020 – L 12 AS 721/20 B ER, juris Rn. 29 m.w.N.). Dabei ist das öffentliche Interesse am Fortbestand des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehungsmaßnahme abzuwägen (Keller, a.a.O. Rn. 10a). Es muss ein besonderes Interesse des Betroffenen dargelegt werden (vgl. Burkiczak, a.a.O. Rn. 270).

Nach diesen Maßstäben überwiegt vorliegend das Aufhebungsinteresse. Dabei kann offenbleiben, inwieweit das Entschließungsermessen des Gerichts („Ob“) i.R.d. § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eingeschränkt ist (dafür Wahrendorf in BeckOGK-SGG ˂Stand: V/2023˃, § 86b Rn. 145, weil der Rechtsstaat rechtswidrige Fakten nicht hinnehmen müsse; kritisch: Keller, a.a.O. Rn. 10a; Harks in Hennig, SGG ˂Stand: I/2020˃, § 86b Rn. 32 f.; offen dagegen LSG NRW, Beschluss vom 06.01.2004 – L 11 B 17/03 KA ER, juris Rn. 49). Zwar betrifft das vorliegende Verfahren einen Zahlungsstreit zwischen zwei Trägern der öffentlichen Hand. Zudem steht ein verhältnismäßig geringer Betrag von 897,66 € im Streit. Auf die Höhe des Betrages kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht abgestellt werden. Vielmehr hat der Antragsteller hierzu vorgetragen, dass die Antragsgegnerin in seinerzeit über 70 Fällen bereits eine Verrechnung vorgenommen habe. Die Antragsgegnerin ist diesem Vorbringen nicht entgegengetreten. Danach besteht auch für den Senat kein Anhaltspunkt, am diesbezüglichen Vortrag des Antragstellers zu zweifeln.

4. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung folgen aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung bzw. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 Gerichtskostengesetz.

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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