L 19 AS 557/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 960/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 557/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.02.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Kläger sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen. 

 

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Grundsicherungsleistungen nach den SGB II für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 streitig.

Der Kläger zu 1) ist mit der am 00.00.0000 geborenen Frau Q. (Frau Q.) verheiratet. Die Klägerinnen zu 2) bis zu 4) sind die gemeinsamen Kinder des Ehepaares.

Mit Bescheid vom 18.07.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.11.2019 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus dem Ehepaar und den drei Kindern, Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II vorläufig für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 gemäß § 41a Abs. 1 SGB II.

Mit Bescheid vom 30.07.2020 setzte der Beklagte die Leistungsansprüche der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 abschließend gemäß § 41a Abs. 3 SGB II fest.

Mit Bescheid vom 29.07.2020, adressiert an den Kläger zu 1), forderte der Beklagte von den Klägern die Erstattung von zu viel gezahlten Leistungen i.H.v. insgesamt 461,49 € (223,47 € + 97,33 € + 71,66 € + 69,03 €) gemäß § 41a Abs. 6 S.3 SGB II.

Mit Schreiben vom 24.08.2020 legten die Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 29.07.2020 ein. Sie trugen vor, der Erstattungsbescheid sei rechtsgrundlos ergangen, da die Leistungen noch nicht endgültig festgesetzt worden seien. Die Bekanntgabe des Erstattungsbescheides sei am 02.08.2020 erfolgt, die des Festsetzungsbescheides nicht unwesentlich später.

Mit Bescheid vom 29.10.2020, mit der Überschrift „Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren, Ihr Mandant: W.“, hob der Beklagte den Bescheid vom 29.07.2020 auf und übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach.

Mit Schreiben vom 31.08.2020 legten die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.07.2020 ein. Sie führten aus, dass aus der Widerspruchseinlegung nicht folge, dass die Entscheidung im vollen Umfang für fehlerhaft gehalten werde. Die Merkmale der angefochtenen Entscheidung, die für rechtswidrig gehalten würden, ergeben sich aus der folgenden Widerspruchsbegründung. Im Schreiben vom 04.11.2020 machten die Kläger geltend, dass bei den Kosten für Unterkunft und Heizung nur Nebenkosten i.H.v. 160,00 € monatlich berücksichtigt worden seien. Die tatsächlichen Nebenkosten hätten aber 190,00 € monatlich betragen.

Mit Bescheid vom 02.12.2020, adressiert an den Kläger zu 1), bewilligte der Beklagte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020. In den Bescheid heißt es:

„Nach den vorläufigen Entscheidungen vom 18.07.19, 23.11.19, 30.07.20 ergeht nunmehr eine abschließende Entscheidung. Die von Ihnen beanstandete Höhe des Betriebskostenabschlags wurde auf 190,00 € monatlich für den gesamten Bewilligungsabschnitt korrigiert.“

Mit weiterem Bescheid vom 02.12.2020, adressiert an die Prozessbevollmächtigten der Kläger, mit der Überschrift „Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren, Ihr Mandant: W.“ hob der Beklagte den Bescheid vom 30.07.2020 auf. In dem Bescheid wurde ausgeführt:

„Ihren Widerspruch konnte demnach im vollen Umfange entsprochen werden. Die weiteren Einzelheiten entnehmen sie bitte dem Ihnen beigefügten Bescheid.

Die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten werde ich auf Antrag erstatten, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen werden. Dies gilt auch für die durch ihre Bevollmächtigung entstandenen Gebühren und Auslagen.“

Dem Abhilfebescheid war eine Mehrfertigung des Bewilligungsbescheides vom 02.12.2020 beigefügt.

Mit Schreiben vom 08.12.2020 übersandten die Prozessbevollmächtigten dem Beklagten unter Bezugnahme auf den Abhilfebescheid vom 02.12.2020 eine Vergütungsrechnung mit der Bitte um Ausgleich.

Mit Bescheid vom 02.12.2020, adressiert an den Kläger zu 1), forderte der Beklagte von dem Kläger die Erstattung von zu viel gezahlten Leistungen i.H.v. insgesamt 323,81 € (181,21 € + 64,19 € + 40,43 € + 37,98 €) gemäß § 41 Abs. 6 SGB II. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass dem beiliegenden endgültigen Bescheid die den Klägern tatsächlich zustehenden Leistungen zu entnehmen seien. Da diese Leistung von den an sie gezahlten Leistungen im Zeitraum vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 abwichen, sei die Differenz erstatten.

Mit Schreiben vom 04.01.2021 legten die Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, gegen den Erstattungsbescheid vom 02.12.2020 Widerspruch ein. Sie machten geltend, dass der Beklagte mit Bescheid vom 02.12.2020 die endgültige Festsetzung vom 30.07.2020 aufgehoben habe. Mithin bestehe kein Rechtsgrund für den Erlass eines Erstattungsbescheides. Der Erstattungsbescheid sei insoweit rechtsgrundlos und aufzuheben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2021 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Erstattungsbescheid vom 02.12.2020 sei rechtmäßig. Es fehle nicht an einer rechtlichen Grundlage. Der ursprüngliche Bescheid über die endgültige Festsetzung vom 30.07.2020 habe nicht aufgehoben werden können, da eine vollständige Aufhebung eines begünstigenden endgültigen Verwaltungsaktes im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens nicht möglich sei; hierbei würde es sich um eine unzulässige reformatio in peius handeln. Trotz des Wortlautes im Abhilfebescheid vom 02.12.2020 „Den Bescheid vom 30.07.2020 hebe ich auf“, handele es sich tatsächlich nicht um eine Aufhebung. Der Abhilfebescheid sei vielmehr mit dem neuen Bewilligungsbescheid vom 02.12.2020 verbunden und bilde mit diesem eine Einheit. Der zugunsten der Bedarfsgemeinschaft erlassene Bescheid vom 02.12.2020 stelle keine neue endgültige Festsetzung, sondern faktisch einen Änderungsbescheid zur bereits im Bescheid vom 30.07.2020 erfolgten endgültigen Festsetzung dar, die weiterhin Bestand habe. Der Erstattungsbescheid vom 02.12.2020 habe hierin seine Rechtsgrundlage. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Hiergegen haben die Kläger am 26.03.2021 Klage erhoben.

Sie haben vorgetragen, dass die Aufhebungsverfügung des Abhilfebescheides nicht angegriffen worden und daher unabhängig von der Frage nach deren Rechtmäßigkeit in Bestandskraft erwachsen sei. Eine erneute endgültige Festsetzung sei daher rechtlich nicht zulässig. Der Erlass des streitgegenständlichen Erstattungsbescheides sei damit ohne Bestehen eines endgültigen Festsetzungsbescheides rechtswidrig. Anderenfalls hätte der Erstattungsbescheid eigentlich auf die Regelung der §§ 44ff. SGB X gestützt werden müssen, da die Regelung des § 41a Abs. 6 SGB II nicht auf die Differenz zwischen zwei unterschiedlichen endgültigen Leistungsbescheiden anwendbar sei.

Mit Urteil vom 18.02.2022 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 24.03.2022 zugestellte Urteil haben die Kläger am 12.04.2022 Berufung eingelegt.

Sie tragen vor, es sei unstreitig, dass bei der erstmaligen endgültigen Festsetzung keine Vertrauensschutzgesichtspunkte zu beachten seien. Etwas anderes gelte jedoch für die Abänderung der endgültigen Festsetzung. Diese unterscheide sich insoweit in keiner Weise von einer sonstigen, von Anfang an endgültigen Bewilligung. Für die Aufhebung dieser und Abänderung zulasten des Leistungsbeziehers würden dann die entsprechenden gesetzlichen Regelungen der §§ 45 ff. SGB X gelten.

Wäre dagegen dem Sozialgericht folgend eine komplette Aufhebung der endgültigen Festsetzung mit einer anschließenden neuen endgültigen Festsetzung möglich, so würde die nach § 45 SGB X notwendige Prüfung des Vertrauensschutzes, umgangen. Nur weil irgendwann eine vorläufige Bewilligung vorgelegen habe, könne die Behörde immer wieder die endgültige Bewilligung aufheben und neu, ohne jeglichen Vertrauensschutz zu beachten, festsetzen. Dies entspreche offenkundig nicht den gesetzlichen Vorgaben. Es sei ebenfalls zu beachten, dass während ein Ausgangsbescheid in einem Änderungsbescheid fortlebe und bei Aufhebung des Änderungsbescheides wiederauflebe, dies bei der vorläufigen Leistungsbewilligung nicht der Fall sei. Die vorläufige Leistungsbewilligung sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine eigenständige Regelung, die sich nach eindeutigen Wortlaut des Gesetzes bei einer endgültigen Festsetzung erledige und auch als solche in dieser nicht fortlebe. Mithin lebe nach Aufhebung einer endgültigen Festsetzung keine vorläufige Leistungsbewilligung wieder auf. Zwar gelte gegebenenfalls die vorher erlassene vorläufige Leistungsbewilligung, jedoch nicht in ihrer vorläufigen Form, da die Vorläufigkeit wie bereits ausgeführt eine eigenständige Regelung sei und nicht wieder rückwirkend aufleben könne. Vor diesem Hintergrund sei vorliegend kein Raum für den Erlass des Erstattungsbescheides, sondern der Beklagte habe, wenn er der Auffassung sei, dass eine rechtswidrige Bewilligung vorliege, nach § 45 SGB X vorzugehen. Dies sei nicht erfolgt.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.02.2022 abzuändern und den Bescheid 02.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

              die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Ergänzend trägt er vor, die Kläger hätten die zuerst ergangene endgültige Festsetzung mit Widerspruch angegriffen und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie diese für fehlerhaft hielten und somit gerade nicht auf ihren Bestand vertraut hätten. Die Aufhebung eines fehlerhaften Bescheides im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens schaffe keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass ein rechtmäßiger Bescheid zu dem entsprechenden Sachverhalt nicht mehr erlassen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere durch Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGG statthaft.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.02.2022 sowie der Bescheid vom 02.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2021, mit dem der Beklagte von den Klägern die Erstattung eines Betrages i.H.v. insgesamt 323,81 € nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II fordert. Der Bescheid vom 02.12.2020 betreffend die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II an die Kläger für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, da die beiden Bescheide nicht wechselseitig aufeinander bezogen sind und damit keine rechtliche Einheit bilden (siehe hierzu BSG, Urteil vom 13.07.2022 - B 7/14 AS 57/21 R). Auch haben die anwaltlich vertretenen Kläger sowohl im Widerspruchsverfahren wie auch im gerichtlichen Verfahren ihr Begehren auf die Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 02.12.2020 beschränkt.

Die gegen den Erstattungsbescheid vom 02.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2021 erhobene reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG ist zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 34/17 R).

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen.

Die Kläger sind nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

Der angefochtene Erstattungsbescheid vom 02.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2021 ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsbescheid ist § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II i.d.F. ab dem 01.08.2016 (Gesetz vom 26.07.2016, BGBl I 1824). Danach sind Überzahlungen, die nach der Anrechnung entsprechend § 41a Abs. 6 S. 1 und 2 SGB II fortbestehen, zu erstatten. Dies gilt auch im Fall des Abs. 3 S. 3 und 4 (Satz 5).

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Dahinstehen kann, ob vor Erlass eines Erstattungsbescheides nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II ein Leistungsberechtigter nach § 24 SGB X angehört werden muss, jedenfalls ist die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt und damit ein etwaiger Anhörungsfehler geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

Bei dem Erstattungsanspruch nach § 41 Abs. 6 S. 3 SGB II  handelt es sich um einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der kraft Gesetzes in dem Moment entsteht, in dem sich aus einem Vergleich zwischen gewährter Vorleistung und abschließend zu gewährender Leistung eine Überzahlung ergibt.

Vorliegend hat der Beklagte mit Bescheid vom 30.07.2020 u.a. die Leistungsansprüche der Kläger für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020 abschließend nach § 41a Abs. 3 S. 3 und 4 SGB II festgesetzt. Dieser Bescheid ist wirksam i.S.v. § 39 Abs. S. 1 SGB X. Danach wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, indem er ihm bekannt gegeben wird. Der Bescheid vom 30.07.2020 ist den Klägern i.S.v. § 37 SGB X bekanntgegeben worden.

Mit Bekanntgabe des Bescheides vom 30.07.2020 an die Kläger ist daher ein Erstattungsanspruch gemäß § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II entstanden, da der Vergleich zwischen gewährter Vorleistung und abschließend zu gewährender Leistung eine Überzahlung ergeben hat.

Dieser Erstattungsanspruch ist nicht dadurch erloschen, dass der Beklagte den Erstattungsbescheid vom 29.07.2020 durch den Abhilfebescheid vom 29.10.2020 aufgehoben hat. Denn Regelungsgegenstand des Erstattungsbescheides vom 29.07.2020 ist nur die verbindliche Feststellung eines Zahlungsanspruchs des Beklagten gegenüber den Klägern gewesen, die Vollstreckungsgrundlage sein kann. Der Bescheid hat aber nicht den Erstattungsanspruch begründet.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Erstattungsanspruch auch nicht durch den Erlass der Bescheide vom 02.12.2020 vollständig erloschen, sondern nur teilweise. Denn der Beklagte hat mit dem Abhilfebescheid vom 02.12.2020 die abschließende Festsetzung der Leistungsansprüche vom 30.07.2020 nicht vollständig aufgehoben, sondern er hat die abschließende Festsetzung der Leistungsansprüche vom 30.07.2020 zu Gunsten der Kläger abgeändert. Er hat im Vergleich zur abschließenden Festsetzung vom 30.07.2020 höhere Leistungsansprüche der Kläger festgesetzt, die aber niedriger als die vorläufig bewilligten Leistungen sind.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Kläger, dass der Abhilfebescheid vom 02.12.2020 dahingehend auszulegen ist, dass der Beklagte den Bescheid vom 30.07.2020 vollständig aufgehoben hat und damit der Grund für das endgültige Behaltendürfen eines Teils der vorläufig erhaltenen Leistungen für die Kläger entfallen ist.

Bei der Auslegung eines Bescheids ist maßgebend, wie der Empfänger ihn verstehen durfte (§ 133 BGB). Auszugehen ist vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Der Empfänger kann sich nicht darauf berufen, er habe die Erklärung in einem bestimmten Sinne verstanden, wenn sie objektiv - unter Berücksichtigung aller Umstände - nicht so verstanden werden konnte (BSG, Urteile 19.05.2021 – B 14 AS 57/19 R m.w.N. und vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R m.w.N.). Der Abhilfebescheid vom 02.12.2020 und der zeitgleich erlassene Bewilligungsbescheid vom 02.12.2020 bilden eine rechtliche Einheit. Denn sie sind zeitgleich erlassen worden und sind wechselseitig aufeinander bezogen (vgl. zu den Voraussetzungen einer rechtlichen Einheit: BSG, Urteil vom 13.07.2022 – B 7/14 AS 57/21 m.w.N.). Denn im Abhilfebescheid vom 02.12.2020 wird ausdrücklich auf den Bescheid vom 02.12.2020 hinsichtlich des Umfangs der Abhilfe Bezug genommen, und im Bescheid vom 02.12.2020 wird der Bescheid vom 30.07.2020, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens ist, aufgeführt. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 02.12.2020 handelt es sich ausweislich der Ausführungen des Beklagten im Bescheid um eine abschließende Festsetzung der Leistungsansprüche der Kläger für die Zeit vom 01.08.2019 bis zum 31.01.2020 i.S.v. § 41a Abs. 3 SGB II. Denn der Beklagte hat in dem Bescheid zwar nicht auf die Rechtsgrundlage seiner Entscheidung – § 41a Abs. 3 SGB II – Bezug genommen, jedoch ausgeführt, dass „nach den vorläufigen Entscheidungen vom 18.07.,19, 23.11.19, 30.07.20 ergeht nunmehr eine abschließende Festsetzung“. Mit Erlass der abschließende Festsetzung vom 02.12.2020 hat der Beklagte dem mit dem Widerspruch verfolgten Begehren der Kläger auf Berücksichtigung eines höheren Nebenkostenabschlags bei der Ermittlung des Bedarfs und damit auf abschließende Festsetzung höherer Leistungsansprüche vollständig Rechnung getragen und somit dem Widerspruch der Kläger – wie zutreffend im Abhilfebescheid vom 02.12.2020 ausgeführt – in vollem Umfang entsprochen. Indem der Beklagte im Abhilfebescheid hinsichtlich der Einzelheiten der Abhilfe auf den “beigefügten Bescheid“ Bezug nimmt, ergibt sich schon aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen im Abhilfebescheid, dass der Beklagte in dem Bescheid nicht die vollständige Aufhebung des Bescheides vom 30.07.2020, sondern eine Aufhebung, also eine Abänderung, zu Gunsten der Kläger regelt. Die Prozessbevollmächtigten haben den Abhilfebescheid vom 02.12.2020 auch so ausgelegt, da sie mit Schreiben vom 08.12.2020 eine Kostenrechnung bezüglich des Widerspruchsverfahrens übersandt haben, also von einer Beendigung des Widerspruchsverfahrens durch eine Abhilfe i.S.v. § 85 Abs. 1 SGG ausgegangen sind. Bei einer Auslegung des Abhilfebescheides vom 02.12.2020 dahingehend, dass der Bescheid vom 30.07.2020 vollständig aufgehoben wird, hätte ein gewissenhafter Bevollmächtigter den Widerspruch aufrechterhalten, da bei einer solchen Entscheidung Rechtspositionen seiner Mandanten, nämlich der Grund für das Behaltendürfen eines Teils der vorläufig bewilligten Leistungen, entfallen wären.

Selbst wenn der Auffassung der Kläger gefolgt wird, dass der Abhilfebescheid vom 02.12.2020 und der Bewilligungsbescheid vom 02.12.2020 keine rechtliche Einheit bilden und damit die abschließende Festsetzung vom 30.07.2020 ganz aufgehoben worden ist, besteht dennoch ein Erstattungsanspruch gemäß § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II gegenüber den Klägern. Zwar wäre der durch Erlass des Bescheides vom 30.07.2020 entstandene Erstattungsanspruch mit vollständiger Aufhebung des Bescheides vom 30.07.2020 erloschen, aber mit Erlass des Bewilligungsbescheides vom 02.12.2020 wäre ein neuer Erstattungsanspruch entstanden. Denn bei dem Bewilligungsbescheid vom 02.12.2020 handelt es sich ausweislich den Ausführungen des Beklagten in dem Bescheid um eine abschließende Festsetzung der Leistungsansprüche der Kläger für die Zeit vom 01.08.2019 bis zum 31.01.2020 i.S.v. § 41a Abs. 3 SGB II.

Dieser Bescheid ist wirksam i.S.v. § 39 Abs. S. 1 SGB X, da er den Klägern i.S.v. § 37 SGB X bekanntgegeben worden ist. Soweit die Kläger rügen, der Beklagte sei nicht mehr berechtigt gewesen, ihre Leistungsansprüche für den streitigen Zeitraum abschließend festzusetzen, begründet dieser Einwand allenfalls eine Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 02.12.2020, nicht aber seine Nichtigkeit i.S.v. § 40 SGB X. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen i.S.v. § 40 Abs. 2 SGB X sind nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Kläger. Die fehlerhafte Anwendung der Eingriffsnorm – vorliegend nach Auffassung der Kläger die des § 41a Abs. 3 SGB II – begründet keinen schwerwiegenden Fehler i.S.v. § 40 Abs. 1 SGB X, der offensichtlich ist.

Die abschließende Leistungsfestsetzung durch einen gesonderten Bescheid entfaltet für die Berechnung des Erstattungsanspruchs nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II Tatbestandswirkung, ohne dass es auf die Bestandskraft der abschließenden Festsetzung ankommt (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 328 SGB III: BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 34/17 R, wonach allein auf die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit des den Leistungsanspruch abschließend regelnden Bescheid abzustellen ist; Urteile des Senats vom 23.09.2020 – L 19 AS 512/20, vom 05.07.2019 - L 19 AS 701/19, vom 22.06.2017 – L 19 AS 2181/16 und vom 16.03.2015 - L 19 AS 2386/13 m.w.N.; siehe auch: Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 08/ 2020, § 41a SGB II Rn. 498 ff; Kemper in: Eicher/Luik/Harich, SGB II 5. Aufl. 2021, § 41a Rn. 75). Denn bei den beiden Verfügungen – endgültige Festsetzung der Leistung nach § 41a Abs. 3 SGB II und der daraus folgenden Erstattungsforderung nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II – handelt es sich um zwei selbstständige, voneinander unabhängige Verfügungen, die separat erlassen (vgl. zur Vorgängervorschrift BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 34/17 R) oder in einem gemeinsamen Verwaltungsakt zusammengefasst werden können. Deshalb wird die Rechtmäßigkeit einer abschließenden Leistungsbewilligung nach § 41a Abs. 3 SGB II im Rahmen der Überprüfung eines Erstattungsbescheides nach § 41a Abs. 6 S. 3 und 4 SGB II nicht - auch nicht inzidenter - überprüft.

Die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Rückforderung von zu viel gezahlten Leistungen ist im Rahmen der alleine stattfindenden arithmetischen Prüfung nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat den sich aus der abschließenden Festsetzung ergebenden Erstattungsanspruch in Höhe der Differenz zwischen den vorläufig bewilligten Leistungen und der abschließenden Festsetzung korrekt berechnet. Dies wird auch nicht substantiell angegriffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, bestehen nicht.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 KasseloderBundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel

einzulegen.

Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung -ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Weitergehende Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen

-          jeder Rechtsanwalt,

-          Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,

-          selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,

-          berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,

-          Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

-          Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,

-          juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Ein Beteiligter, der zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Handelt es sich dabei um eine der vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen, muss diese durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.

In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.

Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.

Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.

Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches _  Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).

Rechtskraft
Aus
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