Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.08.2023 geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vom 03.08.2023 bis zum 27.10.2023 Arbeitslosengeld iHv 58 € täglich zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller in beiden Rechtszügen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Arbeitslosengeld.
Der 0000 geborene Antragsteller meldete sich am 08.02.2023 elektronisch über das Online-Portal der Antragsgegnerin arbeitslos. Zur Bestätigung der Meldung nutzte er die Online-Funktion seines Personalausweises. Aufgrund eines ebenfalls elektronisch gestellten Antrages vom 07.03.2023 bezog er vom 08.02.2023 bis zum 28.02.2023 Arbeitslosengeld iHv 58 € täglich von der Antragsgegnerin (Änderungsbescheid vom 28.06.2023). Zum 01.03.2023 nahm er eine Beschäftigung auf, die am 27.04.2023 durch Kündigung des Antragstellers endete. Als Grund für die Kündigung gab der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin „Mobbing“ an.
Der Antragsteller stellte am 10.07.2023 einen elektronischen Antrag auf Arbeitslosengeld ab dem 28.04.2023 über das Online-Formular der Antragsgegnerin. Er gibt an, dass er zur Bestätigung seiner Identität wieder die Online-Funktion seines Personalausweises genutzt habe, anders sei es gar nicht möglich, elektronische Erklärungen in dem Online-Portal der Antragsgegnerin abzugeben. Eine ausdrückliche elektronische Arbeitslosmeldung erfolgte nicht. Die vom Antragsteller im Antrag auf Arbeitslosengeld gewünschte rückwirkende Arbeitslosmeldung ab 28.04.2023 ist online nicht möglich.
Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 24.07.2023 mit, über den Antrag auf Arbeitslosengeld könne noch nicht entschieden werden, da die Arbeitslosmeldung und die Arbeitsbescheinigung des letzten Arbeitsgebers fehlten.
Der Antragsteller hat am 03.08.2023 beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Arbeitslosengeld zu verpflichten, seinen Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten und ihm einen Vorschuss iHv 1.000 € zu zahlen. Aufgrund einer Krebserkrankung sei er dringend auf das Arbeitslosengeld und den damit zusammenhängenden Krankenversicherungsschutz angewiesen. Seine Ersparnisse seien aufgebraucht.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 08.08.2023, dem Antragsteller zugestellt am 11.08.2023, abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da es an der Arbeitslosmeldung fehle. Zudem sei Eilbedürftigkeit nicht gegeben, da der Antragsteller weder Unterlagen noch eine Versicherung an Eides Statt vorgelegt habe.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 11.08.2023, mit der er sein Begehren auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Arbeitslosengeld weiterverfolgt.
Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Danach war er vom 10.08.2023 bis 17.08.2023 aufgrund einer Krebserkrankung arbeitsunfähig. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass die Behandlung seiner Krebserkrankung mittels Chemotherapie fortdauert, er sich aber im Übrigen arbeitsfähig fühlt.
Die Antragsgegnerin geht auf telefonische Nachfrage durch den Senat davon aus, dass ein elektronischer Antrag auf Arbeitslosengeld auch ohne Nutzung der Online-Funktion des Personalausweises gestellt werden kann. Sie hat mitgeteilt, nicht rekonstruieren zu können, ob der Antrag auf Arbeitslosengeld vom 10.07.2023 unter Verwendung des Personalausweises gestellt worden ist. Ein Protokoll des Authentifizierungsvorgangs kann sie nicht übersenden.
Mit Bescheid vom 05.09.2023 hat die Antragsgegnerin den Antrag auf Arbeitslosengeld abgelehnt, da sich der Antragsteller nicht arbeitslos gemeldet habe. Der Antragsteller hat dagegen am 11.09.2023 Widerspruch eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt (Beschluss des Senats vom 17.05.2022 – L 9 SO 238/21 B ER mwN). Der Antragsteller muss die dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund zu Grunde liegenden Tatsachen glaubhaft machen.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch folgt aus § 137 Abs. 1 SGB III. Danach hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Der Antragsteller ist arbeitslos iSv § 138 Abs. 1 SGB III. Sein letztes Beschäftigungsverhältnis endete am 27.04.2023 und er ist auch verfügbar iSv § 138 Abs. 5 SGB III. Dem steht nach Aktenlage die Krebserkrankung nicht entgegen. Nach der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war der Antragsteller lediglich vom 10.08.2023 bis zum 17.08.2023 arbeitsunfähig. Ob der Antragsteller wegen der nach seinen Angaben seit dem 15.09.2023 wieder aufgenommenen Chemotherapie wieder arbeitsunfähig wird, lässt der Senat offen. Denn dann besteht der Leistungsanspruch gem. § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III sechs Wochen weiter, dauert also bis zum 27.10.2023 an. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin ist deshalb bis zu diesem Datum auszusprechen.
Der Antragsteller hat die Anwartschaftszeit erfüllt. Er kann ausgehend von dem Antrag auf Arbeitslosengeld vom 10.07.2023 gem. § 161 SGB III den am 08.02.2023 entstandenen Anspruch geltend machen.
Der Antragsteller hat sich auch arbeitslos gemeldet. Nach § 141 Abs. 1 SGB III in der ab dem 01.01.2022 geltenden Fassung hat sich die oder der Arbeitslose elektronisch im Fachportal der Bundesagentur oder persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Die Arbeitslosmeldung ist eine Tatsachenerklärung, an die keine übertriebenen Anforderungen zu stellen sind (BSG Urteil vom 19.01.2005 – B 11a/11 AL 41/04 R). Nach dem bis zum 31.12.2021 geltenden Recht war formelle Voraussetzung lediglich die persönliche Anwesenheit des Arbeitslosen in der zuständigen Agentur für Arbeit. Eine Arbeitslosmeldung liegt damit schon dann vor, wenn der Arbeitslose in der Agentur erscheint und jedenfalls sinngemäß zum Ausdruck bringt, er sei arbeitslos; ob darüber hinaus weitere Erklärungen abgegeben werden – etwa ein Auskunftsersuchen – ist nicht entscheidend (BSG Urteil vom 19.01.2005 – B 11a/11 AL 41/04 R).
Nach dem ab dem 01.01.2022 geltenden Recht besteht die Möglichkeit, sich elektronisch arbeitslos zu melden. Das elektronische Verfahren muss gem. § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Voraussetzungen des § 36a Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 iVm Satz 5 HS 1 SGB I erfüllen. Danach kann die Schriftform auch ersetzt werden durch unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular, das von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt wird. Bei einer Eingabe über öffentlich zugängliche Netze muss gem. § 36a Abs. 2 Satz 5 SGB I ein elektronischer Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes, nach § 12 des eID-Karte-Gesetzes oder nach § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erfolgen.
Diese Anforderungen an die elektronische Kommunikation mit der Behörde berühren die Frage, wie eine im Übrigen formwirksam abgegebene Erklärung auszulegen ist, indes nicht. Die Rechtsprechung zu der Frage, wann eine Handlung als Arbeitslosmeldung auszulegen ist, bleibt von den Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr daher unberührt. Insoweit hatte das BSG schon zum alten Recht entschieden, dass in dem persönlich gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld zugleich die persönliche Arbeitslosmeldung zu erblicken ist (BSG Urteil vom 19.03.1986 – 7 RAr 48/84, Rn. 20). Das gilt gleichermaßen für den elektronischen Rechtsverkehr, so dass ein Antrag auf Arbeitslosengeld, der die Voraussetzungen des § 36a Absatz 2 Satz 4 Nummer 1 in Verbindung mit Satz 5 erster Halbsatz SGB I erfüllt, zugleich als elektronische Arbeitslosmeldung anzusehen ist. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, den Antrag auf Arbeitslosengeld vom 10.07.2023 über das Online-Portal der Antragsgegnerin gestellt und mit der Online-Funktion seines Personalausweises bestätigt zu haben. Es ist überwiegend wahrscheinlich, da der Antragsteller die technischen Voraussetzungen für eine Online-Authentifizierung erfüllt und Fotos von seinem Computerbildschirm und dem Kartenlesegerät, das er an den Computer angeschlossen hat, übersandt hat. Die Antragsgegnerin hat die Glaubhaftmachung des Antragstellers nicht erschüttert können. Sie konnte zur Klärung der Frage, ob der Antrag auf Arbeitslosengeld unter Verwendung der Online-Funktion des Personalausweises gestellt wurde, nichts beitragen, insbesondere das Authentifizierungsprotokoll nicht vorlegen. Die Höhe des Anspruchs kann noch nicht abschließend geklärt werden, da die Arbeitsbescheinigung des letzten Arbeitgebers noch nicht vorliegt. Der Antragsteller hat jedoch gem. § 151 Abs. 4 SGB III einen Anspruch mindestens in der Höhe, in der er das Arbeitslosengeld bis zum 28.02.2023 bezogen hat. Offenbleiben kann, ob aufgrund der Kündigung des Antragstellers gem. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe eingetreten ist. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen ist, wären die zwölf Wochen Sperrzeit (§ 159 Abs. 3 SGB III) zum Zeitpunkt des Antrages auf Erlass der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht am 03.08.2023 bereits abgelaufen. Leistungen vor diesem Zeitpunkt kommen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht in Betracht (Beschluss des Senates vom 28.08.2018 – L 9 SO 397/18 B ER). Damit kann auch offenbleiben, ob gem. § 159 Abs. 1 Nr. 9 SGB III eine Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Anforderungen sind insoweit reduziert, da ein Anspruch in dem tenorierten Umfang mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht. Es genügt damit die Erklärung des Antragstellers, das Arbeitslosengeld zur Sicherung seines Lebensunterhaltes zu benötigen, da seine Ersparnisse aufgebraucht seien. Darüber hinaus ist er aufgrund seiner Krebserkrankung dringend auf die Pflichtversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V angewiesen, die mit dem Bezug des Arbeitslosengeldes kraft Gesetzes eintritt (Felix in JurisPK SGB V § 5 Rn. 36, 38), weshalb die entsprechende Rechtsfolge nicht ausdrücklich tenoriert werden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).