L 5 P 79/23 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 11 P 179/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 79/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.05.2023 abgeändert.

Die Beiordnung von Rechtsanwältin Z. wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

I.

Im Streit steht die Aufhebung einer Beiordnung im Rahmen von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts.

Der dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren bekannte, 0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Er leidet an einer leichten Intelligenzminderung und einer deutlichen Verhaltensstörung. Ein Grad der Behinderung von 100 ist anerkannt. Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung durch die Deutsche Rentenversicherung V..

Der Kläger erhob im Mai 2021 bei dem Sozialgericht Klage mit dem Ziel, Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt stand er unter gesetzlicher Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt. Am 20.10.2021 beantragte der Kläger bei dem Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Beschluss vom 03.05.2022 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die Klage sei unzulässig, weil der Kläger unter Betreuung stünde und daher nicht wirksam selbst Klage erheben könne. Eine Klageerhebung durch den Betreuer sei nicht erfolgt. Hiergegen erhob der Kläger am 17.05.2022 Beschwerde. Es habe vom 10.11.2020 bis zum 06.07.2021 eine gesetzliche Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt bestanden. Derzeit bestehe keine gesetzliche Betreuung. Auf Anfrage des erkennenden Senats teilte die vom Kläger benannte Rechtsanwältin P. Z. mit, dass sie bereit sei, den Kläger im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu vertreten. Mit Beschluss vom 27.06.2022 änderte der erkennende Senat daraufhin den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.05.2022 ab, bewilligte dem Kläger für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe und ordnete ihm Rechtsanwältin Z. bei.

Mit Schreiben vom 28.07.2022 hat der Kläger gegenüber dem Sozialgericht beantragt, die Beiordnung von Rechtsanwältin Z. aufzuheben und ihm eine andere Rechtsanwältin bzw. einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen. Die beigeordnete Rechtsanwältin sei mit seiner Schwerbehinderung überfordert. Er habe bislang keinen persönlichen Termin mit ihr in der Kanzlei gehabt. Sie habe ihm einen solchen Termin zugesichert, sich aber sodann nicht daran gehalten. Die neue Rechtsanwältin bzw. der neue Rechtsanwalt solle für ihn Zeit haben sowie seine Maskenbefreiung und seine Schwerbehinderung akzeptieren.

Nachfolgend hat der Kläger Rechtanwalt Herrn E. als neuen Bevollmächtigten benannt, der sich allerdings außerstande gesehen hat, die Vertretung zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 30.05.2023 hat das Sozialgericht den Antrag, die Beiordnung von Rechtsanwältin Z. aufzuheben und Rechtsanwalt E. beizuordnen, abgelehnt. Ein wichtiger Grund für die Entpflichtung im Sinne des § 48 Abs. 2 BRAO sei nicht festzustellen. Die Entpflichtung des alten und die Beiordnung eines neuen Rechtsanwalts komme nicht in Betracht, wenn der Mandant selbst durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten das Mandatsende verursacht habe. Die beigeordnete Rechtsanwältin habe zudem erklärt, dass sie weiterhin bereit sei, dass Mandat zu führen. Eine Zerrüttung des Mandatsverhältnisses sei vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Der nunmehr benannte Rechtsanwalt E. habe schließlich mitgeteilt, er könne das Mandat nicht übernehmen.

Mit Schreiben vom 09.06.2023 hat der Kläger gegen einen „Beschluss vom 05.06.2023“, den er am 07.06.2023 erhalten habe, Beschwerde erhoben. Die ihm beigeordnete Rechtsanwältin bearbeite seine Angelegenheit nicht ordentlich, verhalte sich vertragswidrig, verpasse wichtige Fristen und Termine, beziehe nicht alle wichtigen Fakten des Sachverhalts mit ein, sei nicht erreichbar und reagiere auch nicht auf Mails. Er habe sie täglich angeschrieben. Es werde ihm alles zu viel. Die beigeordnete Rechtsanwältin unterschlage Briefe. Er habe ihr gesagt, sie solle alle Briefe per Post schicken und das mache sie nicht. Sie schicke ihm die Briefe sehr verspätet zu. Die Rechtsanwältin habe von ihm auch keine Vollmacht bekommen.

Da dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 07.06.2023 lediglich der Beschluss vom 30.05.2023 zugestellt worden war, ist das Schreiben als Beschwerde gegen diesen Beschluss erfasst worden.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

              den Beschluss des Sozialgerichts vom 30.05.2023 abzuändern und

die Beiordnung von Rechtsanwältin Z. aufzuheben sowie ihm eine andere Rechtsanwältin bzw. einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen.

Die beigeordnete Rechtsanwältin hat hierzu ausgeführt, dass der Kläger nicht einmal mehr vor der Unterstellung von Straftaten zurückschrecke. Er habe sich offensichtlich darüber geärgert, dass seine Anfragen nicht innerhalb weniger Stunden nach Eingang bearbeitet würden. Angesichts der Vielzahl seiner E-Mails sei dies aber auch in einem normalen Arbeitsablauf gar nicht zu realisieren. Wenn er auf eine E-Mail nicht innerhalb von einer Stunde eine Antwort erhalte, werde er immer penetranter und unverschämter und bombardiere ihr E-Mail-Postfach mit unerträglichen, selbstgerechten E-Mails. Der Kläger habe erkennbar keinerlei Impulskontrolle und lehne jegliche normale Umgangsformen offensichtlich für sich ab. Nachdem er nunmehr sogar gegenüber der Rechtsanwaltskammer erklärt habe, sie würde Post unterschlagen, was sie nicht tue, bitte sie nunmehr ihrerseits um Entpflichtung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 30.05.2022 ist im Ergebnis teilweise begründet.

Auf ihren Antrag hin war die Beiordnung von Rechtsanwältin Z. aufzuheben (nachfolgend unter a)). Hingegen hat der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts insoweit Bestand, als die Beiordnung eines neuen Rechtsanwalts bzw. einer neuen Rechtsanwältin abgelehnt wurde (nachfolgend unter b)).

a)

Nach § 48 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kann der gemäß § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG dem Beteiligten im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen. Hierfür sind konkrete Umstände vorzutragen und gegebenenfalls nachzuweisen, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, aufgrund derer zu besorgen ist, dass die Rechtsverfolgung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Bei der Entscheidung über die Entpflichtung sind neben dem Interesse des bedürftigen Beteiligten und dem Interesse des beigeordneten Rechtsanwalts auch das öffentliche Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege und das Interesse des Antragstellers an einer zügigen Erledigung des Verfahrens zu beachten. Sinn und Zweck des § 48 Abs. 2 BRAO ist, bei einmal erfolgter Beiordnung die anwaltliche Vertretung auch weiterhin sicherzustellen. Die Beschränkung der Entpflichtungsmöglichkeit auf wichtige Gründe soll verhindern, dass mit der Beendigung der Vertretung verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden. Die Entscheidung über die Entpflichtung ist daher im jeweiligen Einzelfall unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zu treffen. Wichtige Gründe im Sinne von § 48 Abs. 2 BRAO sind in der Regel das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 45 – 47 BRAO sowie schwere Krankheit des Anwalts und die unbehebbare Störung des Vertrauensverhältnisses. Eine solche unbehebbare Störung liegt vor, wenn die Zusammenarbeit im Rahmen des Mandatsverhältnisses nicht mehr gewährleistet ist, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig und tiefgreifend gestört ist. Allerdings ist nicht jede Differenz mit dem Mandanten ausreichend (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12.01.2023 – L 13 AS 281/22 B – m.w.N.)

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist vom Vorliegen eines wichtigen Grundes gem. § 48 Abs. 2 BRAO auszugehen.

Die beigeordnete Rechtsanwältin sieht sich dem Vorwurf des Klägers ausgesetzt, sie unterschlage Briefe. Diesen Vorwurf hat der Kläger auch gegenüber der Rechtsanwaltskammer erhoben. Tatsächliche Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat vielmehr an anderer Stelle selbst ausgeführt, die Rechtsanwältin übersende ihm die Briefe sehr verspätet. Auch hierfür gibt es im Übrigen keine tragfähigen Anhaltspunkte. Schon dies ist ein zureichender Grund, eine Zerrüttung des Mandatsverhältnisses festzustellen. Zugleich fordert der Kläger eine Beantwortung seiner Korrespondenz in einer Geschwindigkeit ein, die in einem normalen Geschäftsgang nicht zu erreichen ist. Ob dies nun auf stündlichem oder auch „nur“ täglichem Kontakt beruht, mag dahinstehen. Der Kläger hat in seiner Beschwerdeschrift vom 09.06.2023 selbst eingeräumt, seine Bevollmächtigte täglich angeschrieben zu haben. Eventuell abgesehen von Eilverfahren erscheint die Einforderung täglicher Reaktionen durch einen beigeordneten Rechtsanwalt unzumutbar.

Damit korrespondierend, wenngleich aus gänzlich anderen Erwägungen, sieht auch der Kläger das Mandatsverhältnis als zerrüttet an.

Eine Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Kläger und der beigeordneten Rechtsanwältin erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen.

b)

Hingegen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Beiordnung einer anderen Rechtanwältin bzw. eines anderen Rechtsanwaltes. Denn das Vertrauensverhältnis zu der beigeordneten Rechtsanwältin wurde durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten des Klägers zerstört, der dadurch deren Entpflichtung nach § 48 Abs. 2 BRAO verursacht hat. Auch unter Berücksichtigung des bei dem Kläger nach eigener Darstellung vorliegenden frühkindlichen Hirnschadens ist für den Senat nicht erkennbar, dass der Kläger nicht in der Lage ist, die fehlende Berechtigung seines Vorwurfs strafbarer Handlungen seitens der ihm beigeordneten Rechtsanwältin zu erkennen. Hingegen sind objektivierbare Gründe, die für eine von der beigeordneten Rechtsanwältin verursachte Zerrüttung des Mandatsverhältnisses sprechen, nicht festzustellen. Insbesondere ist das Fehlen einer schriftlichen Vollmacht für die beigeordnete Rechtsanwältin unerheblich. Denn auch wenn die Beiordnung nicht die Erteilung einer Prozessvollmacht ersetzt (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.07.2003 – B 13 RJ 83/02 B), kann in der Benennung des beizuordnenden Rechtsanwaltes vor der Beiordnung die schlüssige Erklärung zur Erteilung der Vollmacht gesehen werden (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 13e).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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