Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.03.2023 geändert. Die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen S 32 U 323/23 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2023 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf 3.179,93 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf unter dem Az. S 32 U 323/23 erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Beitragshaftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 20.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2023.
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen des Baugewerbes. Sie beauftragte die K. GmbH (im Folgenden: Nachunternehmerin), für welche die Antragsgegnerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung zuständig war, am 30.05.2017 mit der Durchführung verschiedener Bauleistungen für die Errichtung eines Rohbaus in H.. Baubeginn war der 06.06.2017. Ausweislich der Abschlagsrechnung vom 14.12.2017 stellte die Nachunternehmerin der Antragstellerin für die Ausführung der Arbeiten im Zeitraum vom 06.06.2017 bis zum 14.12.2017 einen Nettobetrag in Höhe von 118.580,51 Euro in Rechnung (1.062.759,42 Euro Summe Rohbauarbeiten abzüglich 5% Sicherheit aus 991.752,29 Euro abzüglich Abschlagszahlungen in Höhe von 894.591,30 Euro).
Mit Schreiben vom 25.08.2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über eine mögliche Beitragshaftung als Auftraggeberin gemäß § 150 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Verbindung mit § 28e Abs. 3a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Die Nachunternehmerin habe im Auftrag der Antragstellerin Bauleistungen erbracht. Die Nachunternehmerin sei ihrer Zahlungspflicht für die Jahre 2017 und 2018 trotz Mahnung und Zwangsvollstreckung nicht nachgekommen. Das Amtsgericht Friedberg habe über das Vermögen der Nachunternehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Damit bestehe Zahlungsunfähigkeit. Zur Prüfung einer möglichen Haftung bat die Antragsgegnerin um Übersendung von im Einzelnen benannten Unterlagen für jedes Bauvorhaben, für das die Nachunternehmerin beauftragt worden war, sowie um weitere Angaben.
Eine Reaktion der Antragstellerin erfolgte nicht
Die Antragsgegnerin hörte die Antragstellerin daraufhin mit Schreiben vom 17.11.2022 wegen einer Beitragshaftung als Auftraggeberin an. Da die Antragstellerin keine Angaben über die angefallenen Arbeitsentgelte gemacht habe, sei die Höhe geschätzt worden. Bei einem Netto-Auftragsvolumen von 1.062.759,42 Euro ergäben sich für das Jahr 2017 beitragspflichtige Arbeitsentgelte in Höhe von 708.506,28 Euro. Da diese Summe die bislang verbeitragte Gesamtbruttolohnsumme der Nachunternehmerin übersteige, erfolge eine Kürzung auf 428.239,00 Euro.
Die Antragstellerin bat daraufhin um Gewährung von Akteneinsicht, was die Antragsgegnerin unter Hinweis auf den Datenschutz ablehnte.
Mit Bescheid vom 20.12.2022 nahm die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 150 Abs. 3 SGB VII in Verbindung mit § 28e Abs. 3a SGB IV als Auftraggeberin mit einem Betrag in Höhe von 12.719,73 Euro in Anspruch. Zur Begründung wiederholte sie ihre Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben. Ergänzend führte sie aus, dass neben der Antragstellerin weitere Auftraggeber als Haftungsschuldner in Anspruch genommen würden, so dass sich unter Berücksichtigung der insgesamt gemeldeten Lohnsumme der Nachunternehmerin und der bereits für den/die anderen Auftraggeber angefallenen Arbeitsentgelte für 2017 ein beitragspflichtiges Entgelt in Höhe von 352.647,00 Euro ergebe. Der Haftungsbetrag für 2017 werde auf 23.682,02 Euro festgesetzt und reduziere sich unter Berücksichtigung bereits auf die ursprünglichen Beiträge geleisteten Teilzahlungen für das Jahr 2017 um 10.962,29 Euro auf 12.719,73 Euro.
Dagegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.12.2022 Widerspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Der Bescheid gehe von falschen Tatsachen aus, da der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt sei. Die vorgenommene Schätzung sei ohne die Vorlage der maßgeblichen Unterlagen nicht nachvollziehbar. Zudem werde erneut Akteneinsicht beantragt.
Die Antragsgegnerin lehnte die Gewährung von Akteneinsicht ab.
Am 10.01.2023 hat die Antragstellerin daraufhin ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim SG Düsseldorf anhängig gemacht, mit welchem sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 23.12.2022 gegen den Bescheid vom 20.12.2022 begehrt hat. Der Bescheid sei rechtswidrig, da er von falschen Tatsachen ausgehe. Zudem entspreche er nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zudem habe die Antragsgegnerin durch die Verweigerung von Akteneinsicht gegen das rechtliche Gehör verstoßen.
Die Antragstellerin hat im Verfahren insgesamt vier von der Antragsgegnerin auf die Nachunternehmerin ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigungen vom 18.05.2017, gültig bis zum 15.07.2017, vom 07.08.2017, gültig bis zum 15.09.2017, vom 22.09.2017, gültig bis zum 15.11.2017 und vom 22.11.2017, gültig bis zum 15.05.2018, jeweils über Arbeitsentgelte der aktuellen Vorschüsse für den Unternehmensteil Trockenbau in Höhe von 128.606,00 Euro und den Unternehmensteil Büroteil des Unternehmens in Höhe von 0,00 Euro vorgelegt. In den Unbedenklichkeitsbescheinigungen wird der Nachunternehmerin bescheinigt, dass sie Mitglied der Berufsgenossenschaft ist und ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen zur gesetzlichen Unfallversicherung erfüllt hat. Sie enthalten zudem den Hinweis, dass der Auftraggeber grundsätzlich aus dem Auftragsverhältnis zum Auftragnehmer für dessen nicht gezahlte Unfallversicherungsbeiträge gemäß § 150 Abs. 3 SGB VII haftet und Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Antragsgegnerin nur dann von einer Inanspruchnahme befreien, wenn die Gültigkeitszeiträume der Bescheinigungen den Zeitpunkt der Auftragsvergabe sowie den gesamten Bauzeitraum erfassen (Nr. 1) und das Verhältnis der obigen Arbeitsentgelte zu der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Beschäftigten plausibel ist (Nr. 2) und der Auftragnehmer mit den obigen Unternehmensteilen die übernommenen Arbeiten ausführen kann (Nr. 3).
Die Antragsgegnerin hat unter erneuter Darlegung ihrer Berechnungen die Auffassung vertreten, dass der Bescheid sowohl inhaltlich hinreichend bestimmt als auch mit der erforderlichen Begründung versehen sei. Die Voraussetzungen für eine Haftung lägen dem Grunde nach vor. Die Antragstellerin könne sich auch nicht exkulpieren, da sie keine lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegt habe. Zudem hätte ihr bei entsprechender Prüfung auffallen müssen, dass die dort aufgeführten gewerblichen Lohnsummen in keinem adäquaten Verhältnis zur Größe des vergebenen Auftrags gestanden hätten.
Mit Beschluss vom 08.03.2023 hat das SG den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Der Haftungsbescheid sei rechtmäßig, so dass der Antrag abzulehnen sei. Die vorgenommene Schätzung sei nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin habe sich auch nicht exkulpiert, da sie keine lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegt habe. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liege nicht vor.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 16.03.2023 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 13.04.2023 Beschwerde eingelegt und erneut Akteneinsicht beantragt. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbingen.
Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss vom 8.3.2023 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2023 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Akteneinsicht könne nach § 25 SGB X nicht gewährt werden, da die Antragstellerin nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens gegen die Nachunternehmerin sei.
Der Senat hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 04.07.2023 auf die Regelung in § 120 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zudem hat es die Antragsgegnerin aufgefordert, den Haftungsbeitrag zu erläutern sowie (Lohn-) Unterlagen der Nachunternehmerin und Unterlagen über geleistete Zahlungen sowie bezüglich des Haftungsumfangs des weiteren Auftraggebers vorzulegen.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 21.07.2023 ergänzende Ausführungen gemacht sowie Unterlagen übersandt und mitgeteilt, dass eine Einschränkung des Akteneinsichtsrechts nach § 120 SGG nicht erfolgen sollte. Akteneinsicht in die Gerichtsakte sei möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2023 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.12.2022 zurückgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin am 27.07.2023 Klage beim SG Düsseldorf erhoben. Das Verfahren wird dort unter dem Az. S 32 U 323/23 geführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der beigezogenen Akte S 32 U 323/23 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu Unrecht abgelehnt. Vielmehr ist der nach Erlass des Widerspruchsbescheides sinngemäße Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der von ihr am 27.07.2023 erhobenen Klage (S 32 U 323/23) gegen den Bescheid vom 20.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2023 anzuordnen, zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag der Antragstellerin ist statthaft, denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den hier streitigen Beitragshaftungsbescheid vom 20.12.2022 haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, und auch im Übrigen zulässig.
Der Antrag ist auch begründet.
Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. zum Prüfungsmaßstab z.B. Landessozialgericht ˂LSG˃ Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 - L 8 BA 141/21 B ER -, juris, Rn. 3 ff. m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 12b ff. m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung derzeit wahrscheinlich ist, dass sich der von der Antragsgegnerin erlassene streitgegenständliche Bescheid als rechtswidrig erweisen wird.
Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheides vom 20.12.2022 ist § 150 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB VII (in der vom 01.10.2009 bis zum 22.11.2019 geltenden Fassung ˂a.F.˃) i.V.m. § 28e Abs. 3a Satz 1, 1. Alternative SGB IV (in der vom 01.04.2012 bis zum 31.03.2017 sowie vom 01.04.2017 bis zum 22.11.2019 unverändert geltenden Fassung ˂a.F.˃). Danach haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflichten dieses Unternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Eine Haftung nach § 28e Abs. 3a SGB IV nach den genannten Fassungen kommt aber erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275.000,00 Euro in Betracht (§ 28e Abs. 3d Satz 1 SGB IV a.F.).
Die Antragstellerin gehört zu den Unternehmen des Baugewerbes und hat die Nachunternehmerin damit beauftragt, Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 SGB III zu erbringen. Nach den festgestellten Auftragssummen besteht auch kein Zweifel daran, dass der Gesamtwert dieser von der Auftraggeberin an die Nachunternehmerin vergebenen Bauleistungen, bezogen auf das Bauvorhaben in H., den Grenzwert des § 28e Abs. 3d Satz 1 SGB IV in Höhe von 275.000,00 Euro erreichte und überschritt.
Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist jedoch davon auszugehen, dass die Antragstellerin sich exkulpieren kann und der Bescheid aus diesem Grund rechtswidrig ist.
Nach der mit Einführung der Unternehmerhaftung zum 01.08.2002 geschaffenen Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV entfällt die Haftung nach Abs. 3a, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfüllt (sog. Exkulpation). Der Nachweis ist vom Hauptunternehmer zu erbringen, dass er bei der Auswahl des Nachunternehmens die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns aufgewandt hat. Die Beweislast für das Nichtvorliegen der Haftung trägt der Hauptunternehmer (BT-Drs. 14/8221, 15). Nach der mit Wirkung vom 01.10.2009 eingefügten Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch vom 15. Juli 2009, BGBl I 1939) ist ein Verschulden des Unternehmers ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 8 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. März 2006 (BAnz. Nr. 94a vom 18. Mai 2006) erfüllt. Nach Abs. 3f Satz 1 der Bestimmung kann der Unternehmer den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch durch Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung der zuständigen Einzugsstelle für den Nachunternehmer erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten (Satz 2). Diese Regelungen werden in der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 150 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative, Satz 2 SGB VII (in der ab 01.10.2009 bis zum 21.11.2019 geltenden und daher hier maßgeblichen Fassung) dahingehend modifiziert, dass der Nachunternehmer für den Nachweis nach § 28e Abs. 3f SGB IV eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen hat; diese enthält insbesondere Angaben über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile und diesen zugehörige Lohnsummen des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2023 - L 9 U 619/22 -, juris, Rn. 46 m.w.N., nicht rechtskräftig, anhängig beim Bundessozialgericht ˂BSG˃, B 2 U 14/23 R).
Ausgehend hiervon ist es nach Ansicht des Senats überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin für den hier streitigen Leistungszeitraum der Durchführung des Bauvorhabens ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass die Nachunternehmerin ihre Zahlungspflicht gegenüber der Antragsgegnerin erfüllt hatte und daher eine Haftung der Antragstellerin ausscheidet.
Der Antragstellerin lag bereits zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe an die Nachunternehmerin am 30.05.2017 eine bis zum 15.07.2017 gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung der Antragsgegnerin vom 18.05.2017 vor. Insoweit kann dahinstehen, ob es ausreichend ist, wenn erst zu Beginn der Auftragsausführung eine solche Unbedenklichkeitsbescheinigung vorliegt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.07.2016 - L 17 U 301/15 -, juris, Rn. 29), oder ob dies bereits für den Zeitpunkt der Auftragsvergabe zu fordern ist (vgl. LSG Thüringen, Urteil vom 04.07.2019 - L 1 U 1334/18 -, juris, Rn. 33). Dem schlossen sich drei weitere Unbedenklichkeitsbescheinigungen an, die nahezu lückenlos, nur unterbrochen durch die kurzen Zeiträume vom 16.07.2017 bis zum 06.08.2017, vom 16.09.2017 bis zum 21.09.2017 und vom 16.11.2017 bis zum 21.11.2017, den gesamten Zeitraum bis zur Beendigung des Auftragsverhältnisses bzw. der Bauarbeiten im Dezember 2017 erfassten bzw. darüber hinausreichten.
Soweit die Antragsgegnerin einwendet, eine Exkulpation greife nur für den Fall, dass die Bescheinigungen die gesamte Dauer der Bauphase lückenlos abdecken, folgt der Senat dem jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht.
Im hier streitgegenständlichen Zeitraum des Jahres 2017 war die Exkulpation nach § 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV a.F.an die Vorlage „einer Unbedenklichkeitsbescheinigung“ geknüpft; die Vorlage von „lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ wurde erst mit Wirkung zum 01.07.2020 in 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV eingefügt. Der Senat hat bereits entschieden, dass für den hier streitgegenständlichen Zeitraum des Jahres 2017 Unbedenklichkeitsbescheinigungen nicht lückenlos für den gesamten Zeitraum des Auftrags vorliegen müssen, denn bis zum 30.06.2020 enthielt das Gesetz in § 28e Abs. 3f SGB IV a.F. keine entsprechende Vorgabe (Urteil vom 19.04.2016 - L 15 U 302/15 -, juris, Rn. 17; dem folgend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.07.2016 - L 17 U 301/15 -, juris, Rn. 32). Zwar lässt sich auch bereits dem Wortlaut des § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV a.F., wonach ein Verschulden des Unternehmers nur ausgeschlossen ist, „soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers nachweist“ entnehmen, dass der Unternehmer gehalten ist, sich fortlaufend über die Zuverlässigkeit seines Nachunternehmers auf dem Laufenden zu halten. Dieser Verpflichtung ist die Antragstellerin im vorliegenden Fall im Hinblick auf die weiteren Unbedenklichkeitsbescheinigungen vom 07.08.2017, 22.09.2017 und 22.11.2017 jedoch nachgekommen.
Die vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen sind auch qualifiziert im Sinne von § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, da sie die dort formulierten Mindestangaben (über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile, diesen zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge) enthalten.
Soweit die Antragsgegnerin vorbringt, eine Exkulpation sei nur dann möglich, wenn der Auftraggeber geprüft habe, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigungen auch inhaltlich geeignet seien, ein Vertrauen in die ordnungsgemäße Beitragserfüllung des Subunternehmers zu schaffen, kann dem nicht gefolgt werden.
Der Senat hat bereits entschieden, dass den Hauptunternehmer keine Pflicht trifft, die vorgelegte Unbedenklichkeitsbescheinigung auf Richtigkeit oder zumindest Schlüssigkeit zu prüfen (Urteil vom 19.04.2016 - L 15 U 302/15 -, juris, Rn. 14; dem folgend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.07.2016 - L 17 U 301/15 -, juris, Rn. 28; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2023, a.a.O., Rn. 48 ff.).
Der Nachweis nach § 28e Abs. 3b Satz 2, Abs. 3f SGB IV hängt nicht davon ab, dass der Unternehmer über die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung hinaus nachweist, dass er die Vereinbarkeit der von der Antragsgegnerin erfassten und veranlagten Unternehmensteile mit dem auszuführenden Auftrag sowie der gemeldeten Arbeitsentgelte mit dem Volumen des Auftrags geprüft hat. Der Gesetzeswortlaut sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Nach dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Vorschriften lässt vielmehr bereits die Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung die Haftung entfallen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 06.07.2016 und vom 19.04.2016, a.a.O.; LSG-Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2023, a.a.O., Rn. 48; Spellbrink in: Kasseler BeckOGK, EL. 101 Sept. 2018, § 150 Rn. 18).
Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich eine materielle Prüfpflicht des Auftraggebers, die im Falle ihrer Verletzung eine Haftung für nicht gezahlte Beiträge des Nachunternehmers begründen könnte, nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Das LSG Baden-Württemberg hat dazu in seiner Entscheidung vom 18.04.2023 ausgeführt: „Mit dem zum 01.08.2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.07.2002, BGBl 2787, 3760) sollte die illegale Beschäftigung (Schwarzarbeit) bekämpft, die Funktionalität und finanzielle Stabilität der Sozialversicherung gewährleistet und gewerbliche Unternehmer sollten verfassungsgemäß belastet werden (BT-Drucksache 14/8221 zu Nr. 4 § 28e S. 15 ff). Ziel der Regelung ist es, den Hauptunternehmer zu veranlassen, dafür zu sorgen, dass der Nachunternehmer seinen sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten nachkommt. Er soll, um einer eigenen Inanspruchnahme vorzubeugen, solche Nachunternehmer auswählen, die die Gewähr bieten, dass sie ihre Beschäftigten nicht illegal beschäftigen. Nach der Gesetzesbegründung bei Einführung der Generalunternehmerhaftung zum 01.08.2002 gehört zum Prüfungsumfang eines ordentlichen Kaufmanns die Überprüfung des Angebots des Nachunternehmers darauf, ob bei den Lohnkosten Sozialversicherungsbeiträge zutreffend einkalkuliert waren oder auch, ob der Nachunternehmer seiner Steuerpflicht ausreichend nachkommt (BT-Drs. 14/8221, 15). Diese gesetzgeberische Intention hat ihren normativen Niederschlag in der Bestimmung des § 28e Abs. 3a SGB IV und der generalklauselartigen Exkulpationsbestimmung des Abs. 3b Satz 1 gefunden. Letztere Vorschrift hat allerdings ab dem 01.10.2009 ihre Ausgestaltung und Ergänzung durch zwei weitere, nach dem Gesetzeswortlaut gleichwertige Entlastungsmöglichkeiten gefunden, nämlich den Nachweis einer Präqualifikation des Nachunternehmers nach Abs. 3b Satz 2 und die Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nach Abs. 3f Satz 1 und 2. Zwar sollte die Entlastung durch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Unfallversicherungsträgers (§ 28e Abs. 3f Satz 1 und 2 SGB IV i. V. m. § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII) nach der Intention des Gesetzes nur noch übergangsweise zur Exkulpation verwendet werden können, bis die Präqualifikation breite Anwendung findet (BT-Drs. 16/12596, 10). Durch diese Beschränkung, die zugleich mit einer eindeutigen Regelung einhergeht, sollte Rechtssicherheit hergestellt werden. Gleichwohl existieren beide Rechtsinstitute nebeneinander - bis zum heutigen Tag - weiter und begründen damit bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen gleichermaßen eine spezielle Exkulpationsmöglichkeit jenseits der generalklauselartigen Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV. Für den Nachweis der Präqualifikation stellt dies schon der Wortlaut des § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV klar, wonach ein Verschulden in diesem Falle „ausgeschlossen“ ist. Indem § 28e Abs. 3f Satz 1 SGV IV für den „Nachweis nach Abs. 3b Satz 2“ lediglich die „Vorlage“ einer Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangt, bestimmt und begrenzt er gewissermaßen spezialgesetzlich den sanktionsbewehrten Pflichtenkreis eines Generalunternehmers dahingehend, dass sich dieser - wie hier - über den gesamten Zeitraum der Baumaßnahmen qualifizierte, von der Beklagten selbst ausgestellte, eine bis dato ordnungsgemäße Entrichtung von Beitragsvorschüssen bestätigende Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen lassen muss, ohne dass von ihm nach der gesetzlichen Regelung aber eine weitere inhaltliche Prüfung verlangt wird. Eine Prüfpflicht des Hauptunternehmers in Bezug auf die letztlich prognostische Frage, ob sein Nachunternehmer nicht nur, wie in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen bestätigt, bislang zuverlässig seine Unfallversicherungsbeiträge bzw. -vorschüsse bezahlt hat, sondern dies voraussichtlich auch in Zukunft tun wird - und zwar auch aus den in Rede stehenden höheren Auftragssummen, bedürfte schon mit Blick auf die möglichen weitreichenden haftungsrechtlichen Folgen für den Hauptunternehmer einer eindeutigen gesetzlichen Bestimmung.“ Diesen Erwägungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.
Der Senat verkennt nicht, dass in Rechtsprechung und Literatur mit ausführlicher Argumentation auch andere Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2022 - L 10 U 1400/20 - juris, Rn. 33 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.06.2019 - L 3 U 194/16, juris, Rn. 38 f. zur lediglich zeitabschnittsweisen Exkulpation für die bescheinigte Dauer der Unbedenklichkeitsbescheinigung; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2022, § 150 Rn. 20d). Diese überzeugen den Senat aber nicht nachhaltig. Es ist Unbedenklichkeitsbescheinigungen immanent, dass sie stets nur darüber Auskunft geben, dass die betreffende Unternehmerin in der Vergangenheit ihren Beitragspflichten nachgekommen ist. Der Inhalt von Unbedenklichkeitsbescheinigungen ist damit stets auch auf einen Zeitraum vor ihrer Ausstellung gerichtet. Da Unbedenklichkeitsbescheinigungen ihrer Natur nach stets auf der Grundlage der in der Vergangenheit erfolgten Pflichterfüllung ausgestellt werden, enthalten sie zudem darüber, dass eine Unternehmerin auch aktuell ihren rechtlichen Pflichten nachkommt, keine belastbare Aussage. Indem der Gesetzgeber aber eine Exkulpation des Hauptunternehmers bei Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung angeordnet hat, hat er deutlich gemacht, dass er ungeachtet der begrenzten Aussagekraft von Unbedenklichkeitsbescheinigungen eine Haftung des Hauptunternehmers ausschließen möchte. Für die Annahme von Prüfpflichten des Hauptunternehmers bleibt daher kein Raum. Überdies zwingt auch ein erheblich über die bescheinigten Arbeitsentgelte hinausgehendes Auftragsvolumen nicht zu der Annahme, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigungen inhaltlich falsch sind. Denkbar ist auch, dass der Nachunternehmer seinerseits Subunternehmer beauftragt oder Leiharbeitnehmer beschäftigt, sodass er für tätig werdende Arbeitnehmer nicht selbst Beiträge abzuführen hat. Für die von einem Verleiher geschuldeten Beiträge haftet der Generalunternehmer nach § 28e Abs. 3a Satz 1 2. Alt. SGB IV gesondert, sodass insoweit ein gesondertes Exkulpationserfordernis gilt, wohingegen für von dem Nachunternehmer eingeschaltete weitere Subunternehmen eine Haftung lediglich nach § 28e Abs. 3e SGB IV, für dessen Voraussetzungen hier nichts ersichtlich ist, in Betracht kommt (so bereits Beschluss des Senats vom 21.09.2023 - L 15 U 189/23 B ER).
Vor diesem Hintergrund hält der Senat einstweilen an seiner ständigen Rechtsprechung fest. Für die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bleibt gegebenenfalls der Ausgang des beim BSG anhängigen Revisionsverfahrens B 2 U 14/23 R abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2023 - B 8 BA 98/22 B ER -, juris, Rn. 13).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).