L 1 KR 181/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 27 KR 155/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 181/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. März 2021 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2017 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere Kosten i.H.v. 2.620,00 € zu erstatten.

 

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Erstattung der der Klägerin angefallenen Kosten für die beidseitige Versorgung mit Hörhilfen.

 

Die 1967 geborene, als Dialyse-Schwester tätige Klägerin leidet unter einer gering- bis mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits sowie einem chronisch kompensierten Tinnitus aurium. Sie stellte unter dem 13. September 2016 (Eingang am 15. September 2016) bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die beidseitige Versorgung mit Hörgeräten der Firma Widex, Modell Unique 440 Passion. Zur Begründung führte sie aus, nach einem Hörsturz leide sie unter einem immer stärker werdenden beidseitigen chronischen Tinnitus. Im Rahmen der an der C erfolgten Therapie sei ihr das Tragen von Hörgeräten empfohlen worden. Im Rahmen der Anpassungsphase habe sie Geräte verschiedener Hersteller ausprobiert. Erst nach Anprobe mit einem High End Hörgerät, welches den Frequenzverlauf ihres Hörverlustes in 15 Frequenzkanälen aufarbeite, habe ihre chronische Tinnitusbelastung reduziert werden können. Es handele sich hierbei um das Modell Unique 440 Passion. Zudem habe sie anlagebedingt sehr kleine Ohren, weshalb größere Geräte Beschwerden verursachten. Während ihres Berufsalltags in einer medizinischen Dialysepraxis nehme sie dank dieser Hörgeräte den chronischen Tinnitus gar nicht mehr wahr. Bei ihrer Arbeit sei sie darauf angewiesen, verschiedene Geräusche von Maschinen und vitalen Lebensfunktionen in der Nacht und am Tage wahrzunehmen. Die aus verschiedenen Richtungen kommenden Geräusche mit unterschiedlichen Alarmfunktionen zu erkennen, ermögliche erst eine sichere Betreuung der Patienten. Beigefügt war ein Anpass- und Abschlussbericht des Hörakustikers – vorläufige Anpassdokumentation – vom 5. September 2016 über die Testung des vorgenannten Gerätes (Positionsnr. 13.20.12.3189 des Hilfsmittelverzeichnisses) sowie des Hörgerätes der Firma Hansaton, Typ flow 2-312 M HdO (Positionsnr. 13.20.12. 2504 des Hilfsmittelverzeichnisses). Danach ergaben sich Messwerte im Freifeld bei Nutzschall 65 dB: Widex 95%, Hansaton 90% sowie im Freifeld bei Nutzschall 65 dB und Störschall 60 dB: Widex 65%, Hansaton 60%. Ferner überreichte sie die ohrenärztliche Verordnung vom 17. September 2015 (Diagnose: chronischer Tinnitus; Notwendigkeit beidseitiger Hörhilfen zur Teilmaskierung). Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Hörakustik-Meisterin G am 23. September 2016 mit, es seien insgesamt sechs Hörgeräte getestet worden. Ergänzend bekräftigte sie am 6. Februar 2017, dass die Anpassung abgeschlossen sei.

 

Nachdem bei der Beklagten am 27. September 2016 eine Kostenaufstellung vom 5. September 2016 über einen Gesamtbetrag i.H.v. 6.287,02 € (zwei Versorgungspauschalen Widex Unique 440 U4-PA inklusive Hörer i.H.v. jeweils 2.995,00 €, zwei Plastiken für externe Hörer i.H.v. jeweils 33,50 € sowie zwei Reparaturpauschalen i.H.v. jeweils 125,01 €, abzüglich gesetzlicher Zuzahlung i.H.v. 20,00 €) eingegangen war, teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 28. September 2016 mit, sie beteilige sich mit 675,00 € bzw. 522,00 € zuzüglich zweimal 33,50 € Vergütungspauschale für Ohrpassstücke sowie zweimal 125,01 € Reparaturpauschale an den Kosten für die Hörgeräteversorgung. Da die Klägerin angegeben habe, dass ihre berufliche Tätigkeit besondere Anforderungen an ihr Gehör stelle und sie deshalb auf die beantragten Hörgeräte angewiesen sei, seien die Antragsunterlagen an die Beigeladene weitergeleitet worden. Diese werde ihr mitteilen, ob sie die Mehrkosten der Hörgeräteversorgung im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben übernehme.

 

Entsprechend ihrer Ankündigung leitete die Beklagte unter demselben Datum den Antrag der Klägerin an die Beigeladene mit der Bitte um Prüfung weiter, ob die weiteren Kosten als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) übernommen würden. Dies wurde von der Beigeladenen mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 sowohl gegenüber der Beklagten als auch der Klägerin verweigert.

 

Gegen die Entscheidung der Beklagten vom 28. September 2016 legte die Klägerin Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ausführte, dass die Beklagte verpflichtet sei, sie auch über den Festbetrag hinaus mit Hörgeräten zu versorgen, die zu einer Teilmaskierung des vorhandenen Tinnitus geeignet seien. Dieses sei mit dem beantragten Hörgerät Widex Unique 440 Passion der Fall, weshalb die Übernahme der vollen Kosten für diese Hörgeräteversorgung zu erfolgen habe.

 

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2017 als unbegründet zurück. Dem Anliegen der Klägerin, die vollen Kosten für die Hörgeräte der Marke Widex Unique PA 440-M zu übernehmen, könne nicht entsprochen werden. Die von ihr getesteten zuzahlungsfreien Hörgeräte der Firma Hansaton, Typ flow 2-312 M stellten einen individuellen, qualitativ hochwertigen Versorgungsvorschlag dar, der dem aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts entspreche und einen weitestgehenden Ausgleich der Schwerhörigkeit ermögliche. Dieses Versorgungsangebot erfülle die vom Bundessozialgericht (BSG) geforderten und in der Hilfsmittel-Richtlinie (HilfsM-RL) normierten Voraussetzungen und Ziele. Aus den erzielten Messwerten des normierten Freiburger Sprachtests sei abzuleiten, dass die Signalverarbeitung und die Richtmikrofontechnik grundsätzlich für den objektiven Ausgleich sowohl im Alltag bzw. im Störgeräusch als auch bei Gesprächen in Gruppen geeignet seien. Hingegen verfüge das von der Klägerin gewählte Gerät Widex Unique PA 440-M über eine Vielzahl von Komfortmodulen. Derartige Zusatzfunktionen seien für den funktionellen Ausgleich des Hörverlustes nicht erforderlich und überschritten das Maß des Notwendigen, weshalb sie von der Übernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ausgenommen seien. Gehe ein Tinnitus mit einer Schwerhörigkeit einher, versuche man primär den Ausgleich der Hörkurve mit einer Hörgeräteversorgung zu erreichen und damit gleichzeitig die Filterfunktion des Gehirns wieder zu trainieren. Generell komme dafür jedes Hörsystem in Betracht. Daher sei die eigenanteilsfrei angebotene Technik der Firma Hansaton auch für eine Tinnitus-Maskierung grundsätzlich geeignet.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Juni 2017 Klage zu dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben und zunächst die Verurteilung der Beklagten zur vollen Kostenübernahme hinsichtlich der von ihr benötigten Hörgeräteversorgung begehrt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und bekräftigt, die Hörgeräteversorgung Widex Unique 440 U4-PA habe sich für sie als geeignet erwiesen, was sowohl hinsichtlich der Bekämpfung des Tinnitus, der Störgeräuschunterdrückung als auch hinsichtlich des Richtungshörens gelte.

 

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandelnden HNO-Ärztin des Tinnituszentrum der Charité – Dr. Al - vom 28. November 2018 sowie eine Auskunft der Hörakustik-Meisterin G vom 4. März 2019 eingeholt. Diese hat unter anderem angegeben, während der Anpassungsphase vom 10. November 2015 bis zum 1. Juli 2016 habe die Klägerin insgesamt fünf verschiedene Hörgeräte-Modelle über mehrere Wochen in ihrem gewohnten Umfeld zur Probe tragen können, dabei habe es sich um die Modelle Dream 440 Passion, Dream 220 Passion sowie Dream 110 Passion der Firma Widex, Nevara 1 Nano Rite der Firma Bernafon und LINX 961 der Firma GN ReSound gehandelt. Das Modell der Firma Bernafon Nevara 1 Nano Rite sei als zuzahlungsfreies Modell angeboten worden. Objektivierbare Defizite dieses Hörgerätes habe es nicht gegeben. Die von der Klägerin letztlich ausgewählten Hörgeräte wiesen keine objektivierbaren Vorteile im Vergleich zu den getesteten zuzahlungsfreien Hörgeräten auf. Das Verstehen in den laut des mit dem Verband der Ersatzkassen (VdEK) geschlossenen Vertrags zur Versorgung der Ersatzkassenversicherten mit Hörsystemen geforderten Messabläufen sei mit den Vergleichsgeräten identisch gewesen. Auf gerichtliche Nachfrage hat Frau G unter dem 10. März 2020 ergänzend mitgeteilt, in ihrer Auskunft vom 4. März 2019 habe sie versehentlich das Hörsystem Hansaton flow 2-312 M HdO vergessen. Dieses Modell habe der Klägerin nach eigenen Angaben keinerlei Linderung der Ohrgeräusche verschafft und sei auch vom Tragekomfort schlechter als andere Hörsysteme gewesen. Im Freifeldtest sei mit dem von der Klägerin favorisierten Hörgerätemodell kein signifikant messbarer Vorteil erreicht worden, nur die bereits im Anpass- und Abschlussbericht aufgeführten 5 %-Punkte. Laut Angaben der Klägerin sei mit den aufzahlungsfreien Hörsystemen keine Tinnitusmaskierung erreicht worden. Bei dem im Anpassbericht bezeichneten Modell Unique U4-PA handele es sich um den technischen Nachfolger des Gerätes Dream 440 PA. Die Modelle Widex Dream 440 PA und Widex Unique 440 PA seien auf dem Markt nicht mehr erhältlich, die Geräte Nevara 1 Nano Rite und flow 2-312 M hingegen schon. Ihrer Auskunft hat sie einen Anpass- und Abschlussbericht vom 7. Dezember 2017 (Anhang 5a erste Seite: Widex Unique 220 U2-PA; Anhang 5a zweite Seite: Widex Unique 440 U4-PA im Vergleich zum aufzahlungsfreien Bernafon Nevara 1 Nano Rite mit Messwerten wie im vorherigen Bericht) beigefügt.

 

Im Dezember 2017 hat die Klägerin zwei Hörgeräte der Firma Widex Modell Unique 220 U2-PA erworben. Für diese Geräte nebst Plastik für externe Hörer und Reparaturpauschalen ist ihr von der Hörakustiker Firma „H a S“ ein Betrag i.H.v. 2.640,00 € einschließlich der gesetzlichen Zuzahlung i.H.v. 20,00 € in Rechnung gestellt worden (Rechnung vom 7. Dezember 2017). Den Rechnungsbetrag hat sie in Teilbeträgen von 2.500,00 € und 140,00 € am 7. Dezember 2017 und 5. Januar 2018 bar beglichen.

 

Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, es handele sich bei dem Modell Unique 220 U2-PA im Verhältnis zu dem Modell Unique 440 Passion um ein gleichartiges und gleichwertiges Modell mit einer reduzierten technischen Ausstattung. Die Beklagte habe umfassend und ermessensfehlerfrei über ihren Antrag zu entscheiden.

 

Die Beklagte hat die Ausführungen für nicht nachvollziehbar erachtet. Die Klägerin habe eindeutig beantragt, ihr „die Kosten für das Widex-Gerät Unique 440 Passion im vollen Umfang zu erstatten“. Es habe sich um einen klar benannten und bezifferbaren Streitgegenstand gehandelt, welcher Gegenstand des Vorverfahrens und bislang des gerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Wenn ein anderes Hörgerät erworben werde und andere Mehrkosten zu zahlen seien, handele es sich auch um einen anderen Streitgegenstand, der nicht im vorliegenden Verfahren zu behandeln sei, sondern in einem eigenständigen Antragsverfahren.

 

Das Sozialgericht hat die zuletzt auf Erstattung des Eigenanteils für die Hörgeräteversorgung Widex Unique 220 U2-PA beidseits i.H.v. 2.620,00 € gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 25. März 2021 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr getragenen Kosten für die Beschaffung der im Antrag bezeichneten Hörsysteme, denn die Beklagte habe den Leistungsanspruch der Klägerin bezüglich der Versorgung mit den tatsächlich beschafften Hörsystemen nicht zu Unrecht abgelehnt. Vielmehr sei die Beklagte in dem notwendig durchzuführenden Vorverfahren mit der Beschaffung dieser Hörsysteme nicht vorbefasst worden, sodass die Klägerin den für Sachleistungen der gesetzlichen Krankenkassen notwendig einzuhaltenden Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Die Klägerin habe ihr Sachleistungsbegehren bezüglich der Beklagten mit ihrem Antrag vom 13. September 2016 auf die Hörsysteme Widex Unique 440 Passion konkretisiert. Dasselbe gelte in Bezug auf die Beigeladene, an die der vorgenannte Antrag von der Beklagten weitergeleitet worden sei. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2017 auch nur über die Versorgung mit den Hörgeräten der Firma Widex, Modell Unique 440 Passion entschieden. Die Versorgung der Klägerin mit anderen Hörgeräten wäre der Beklagten vor dem Hintergrund der Konkretisierung des Leistungsbegehrens auf das vorgenannte Modell auch nicht möglich gewesen. Insbesondere hätte die Beklagte den Widerspruch der Klägerin durch die Gewährung der von ihr später tatsächlichen angeschafften Hörgerätesysteme nicht abhelfen können, da sie damit der Klägerin eine Leistung aufgedrängt hätte, die diese nicht begehrt habe. In Anbetracht der Konkretisierung des klägerischen Begehrens im Vorverfahren sei die ablehnende Entscheidung der Beklagten bezüglich der Übernahme von Kosten über die Festbeträge hinaus in dem angefochtenen Bescheid auch nicht allgemein dahingehend auszulegen, dass lediglich die Versorgung mit dem Festbetrag geleistet worden sei, nicht jedoch eine darüber hinausgehende Versorgung mit kostenaufwändigeren Hörhilfen. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus dem Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2017, in welchem sich die Beklagte entsprechend dem Antragsbegehren der Klägerin allein mit einer Versorgung mit den Hörsystemen der Firma Widex, Modell Unique 440 Passion auseinandersetze. Bei diesen zuletzt genannten Hörsystemen handele es sich auch nicht um dieselben Hörsysteme wie diejenigen, welche die Klägerin tatsächlich angeschafft habe (Widex 220 U2-PA). Die zuletzt genannten Hörsysteme verfügten nicht über identische technische Eigenschaften, sodass es sich vielleicht um eine einfachere Version der zunächst begehrten Systeme handele, sich jedoch nicht als wesensgleich darstellten. Vor diesem Hintergrund wäre es vor der Beschaffung dieser Hörsysteme unbedingt geboten gewesen, einen erneuten Antrag bei der Beklagten zur Versorgung mit diesen Hörsystemen zu stellen.

 

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die fristgemäß eingegangene Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, indem sie sich im Dezember 2017 eine einfachere Version des zunächst begehrten Hörsystems selbst beschafft habe, habe sie nicht auf die ihr gesetzlich zustehenden Ansprüche verzichtet. Aus ihrer Sicht habe kein Zweifel daran bestanden, dass es sich bei der einfacheren Version um ein wesensgleiches Minus des ursprünglich beantragten Systems gehandelt habe. Sie habe auch keinen Grund zur Annahme gehabt, dass ihre Umentscheidung auf eine einfachere Version derselben Hörgeräteserie ein Grund dafür gewesen wäre, den Dialog mit der Krankenkasse zu suchen. Eine dahingehende Obliegenheit habe für sie nicht bestanden. Soweit der Leistungserbringer die Obliegenheit oder gar Verpflichtung gehabt hätte zu veranlassen, dass sie den Dialog mit ihrer Krankenkasse suche, könne ihr ein derartiges Fehlverhalten nicht angelastet werden. Sie müsse die Chance haben, den Beschaffungsweg einzuhalten. Da sie diese Chance nicht gehabt habe, liege ein Systemversagen vor. Selbstverständlich hätte sie rechtzeitig vor der Selbstbeschaffung Kontakt mit der Beklagten aufgenommen, wenn ihr diese angebliche Notwendigkeit entweder seitens der Beklagten oder seitens des Leistungserbringers mitgeteilt worden wäre. Das Gutachten des Sachverständigen E sowie seine ergänzende Stellungnahme bestätigten im Übrigen, dass insbesondere der Datenaustausch und die Ermöglichung der Verdeckung des Tinnitus Gebrauchsvorteile des tatsächlich beschafften Hörsystems gegenüber den getesteten zuzahlungsfreien Geräten bewirke. Mit reinem Bedienkomfort habe dies nichts zu tun. In der Zusammenschau der Ausführungen des Sachverständigen zeige sich, dass die hier streitgegenständliche Hörgeräteversorgung keineswegs über das Maß des für sie privat und beruflich Notwendigen hinausgehe. Die Geräuschkulisse in den Räumen der Dialysepraxis, in denen sich in der Regel fünf Patienten gleichzeitig aufhielten, sei im Übrigen sehr intensiv und nicht zu unterschätzen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. März 2021 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2016 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2017 zu ändern und die Be-klagte zu verurteilen, für die Hörgeräteversorgung Widex Unique 220 U2-PA beidseits gemäß Rechnung vom 7. Dezember 2017 den Eigenanteil i.H.v. 2.620,00 € an die Klägerin zu erstatten.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Sachverständigengutachten sei zur Kenntnis genommen worden. Aus ihrer Sicht sei die Klage bereits unzulässig, da hinsichtlich der beschafften Hörgeräte nie ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe. Auch sei ihrerseits einer Klageänderung niemals zugestimmt worden. Die Beschaffung seitens der Klägerin sei laut Rechnungsstellung erst im Dezember 2017 erfolgt, demnach weit mehr als ein Jahr nach Testung der eigenanteilsfreien Hörgeräte. Zu diesem Zeitpunkt hätten mit Sicherheit schon technisch neuere eigenanteilsfreie Hörgeräteversorgungsmöglichkeiten am Markt zur Verfügung gestanden, auf welche durch die Beklagte hätte hingewiesen werden können, wenn sie von der Klägerin über die beabsichtigte Anschaffung derer Hörgeräte informiert worden wäre. Im Übrigen müssten wesentliche Gebrauchsvorteile in Gestalt von Messwerten objektivierbar sein. Dabei rechtfertige aus ihrer Sicht ein nur um fünf Prozentpunkte besseres Sprachverstehen für ein Zuzahlungspflichthörgerät nicht die Annahme eines wesentlichen Gebrauchsvorteils. Dass im Dezember 2017 tatsächlich nochmals andere eigenanteilsfreie Hörgeräte getestet worden seien, sei nicht nachvollziehbar.

 

Die Beigeladene beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie vertritt die Auffassung, eine Versorgung mit adäquaten Hörgeräten aus berufsspezifischen Gründen sei nicht angezeigt. Weder die Behandlung des Tinnitus noch ein schlechter Sitz eigenanteilsfrei getesteter Hörgeräte begründeten eine Hörgeräteversorgung aus ausschließlich berufsspezifischen Gründen. Das Sachverständigengutachten habe sie zur Kenntnis genommen. Soweit der Sachverständige die Auffassung vertrete, die Nutzung der streitgegenständlichen Versorgung sei im Arbeitsalltag essenziell, so könne dem nicht beigetreten werden. Soweit der Sachverständige im Weiteren die Geräte als „State of the Art“ bezeichne, sei darauf zu verweisen, dass eine dem Stand der Technik entsprechende Hörgeräteversorgung nach der Rechtsprechung des BSG Aufgabe der Krankenkassen und nicht der Beigeladenen sei.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nach Aktenlage erstellten Sachverständigengutachtens von dem Hörakustik-Meister E vom 23. Mai 2022. Die tatsächlich erworbenen Hörgeräte seien geeignet, den vorhandenen Hörverlust der Klägerin auszugleichen. Ein Sprachverstehen sei mit diesen Geräten problemlos möglich. Das tatsächlich beschaffte Hörsystem unterscheide sich von dem ursprünglich begehrten Widex Unique 440 PA dahingehend, dass im Unique 220 ein weniger robustes Störgeräuschmanagement zum Einsatz komme. Auch sei die InterEar-Funktionalität auf das Feedback-Management und den Angleich der Lautstärke, bzw. die Synchronität der Programme limitiert. Im Vergleich zum Hansaton flow verfüge das Widex 220 über zwei Kanäle mehr (sechs statt vier Kanäle). Mit vier Kanälen sei die Anpassung nicht so genau wie bei einem Gerät mit acht oder mehr Kanälen. Außerdem verfüge das Widex 220 U2-PA über eine binaurale Synchronisation, d.h. beide Geräte tauschten permanent Daten über Rückkopplungen, Lautstärkeeinstellungen und Programme aus. Die Vorteile der letztlich beschafften Geräte gingen deutlich über den Bedienkomfort hinaus. Diese Geräte ermöglichten es der Klägerin, im beruflichen und privaten Alltag kommunizieren zu können. Der Hörverlust werde im Arbeitsalltag gut ausgeglichen, viel wichtiger sei aber die Nutzung von guten Geräten bei der Bedienung der Gerätschaften in der Dialyse-Praxis. Hier müsse zwischen verschiedenen Signalen der Dialysegeräte unterschieden werden, was eine gute Technik ermögliche. Auch die Verdeckung und Reduktion des Tinnitus sowohl im beruflichen wie auch im privaten Umfeld sei mit den beschafften Geräten gut möglich. Die Geräte seien eine Versorgung in der Mittelklasse und das, was man für den beruflichen Alltag seinerzeit als „State auf the Art“ habe betrachten können.

 

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. September 2022 hat der Sachverständige ausgeführt, eine (Teil-) Maskierung eines Tinnitus aufgrund der Verwendung eines Hörsystems bzw. der Grad einer solchen Markierung lasse sich messtechnisch nicht objektivieren. Ein Tinnitus werde in der Regel durch die Hörgeräte-Versorgung und die damit angebotenen akustischen Reize von außen überdeckt. Dies passiere mit jedem Hörgerät, egal in welcher Preisklasse. Das Widex Unique biete darüber hinaus ZEN-Klänge an, die vom Tinnitus ablenken könnten.

 

Auf Nachfrage des Gerichts hat die Hörakustik-Meisterin G unter dem 14. April 2023 angegeben, im Rahmen der Anpassung seien mit dem gewählten Hörgeräte-Modell Widex Unique 220 PA in der Freifeld Messung ohne und mit Störschall die gleichen Messergebnisse erzielt worden wie mit dem ursprünglich favorisierten Modell Widex Unique 440 PA. Ihrer Auskunft hat sie einen Screenshot einer Bildschirmansicht der Daten aus ihrem Computersystem beigefügt.

 

Der Senat hat die im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes hinterlegten Produktinformationen zu den Hörsystemen Widex Unique 440 U4-PA (Positionsnr. 13.20.12.3189), Widex Unique 220 U2-PA (Positionsnr. 13.20.12.3180), Hansaton flow 2-312 M (Positionsnr. 13.20.12.2504) sowie Bernafon Nevara 1 Nano Rite (Positionsnr. 13.20.12.2885) in den Rechtsstreit eingeführt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Beigeladenen verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

 

I. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angegriffenen erstinstanzlichen Entscheidung über das Kostenerstattungsbegehren der Klägerin auch die Leistungsbegrenzung im Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2017. Durch ihn hat die Beklagte mit der Leistungsgewährung zugleich ihre Leistungspflicht auf den Festbetrag gem. § 36 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.H.v. 1.514,02 € beschränkt. Damit ist das weitergehende Leistungsbegehren der Klägerin abgelehnt und mit Bindungswirkung gegenüber ihr entschieden worden, dass Ansprüche nur im Rahmen einer Festbetragsversorgung bestehen. Ohne Beseitigung der Bindungswirkung dieser Entscheidung kann die Klägerin mit ihrem Kostenerstattungsanspruch nicht durchdringen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - juris Rn. 9).

 

Die auf Erstattung gerichtete Klage ist auch zulässig. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der Umstellung des Klagebegehrens auf Kostenerstattung anstatt der ursprünglich begehrten (Sach-)Leistung nicht um eine Klageänderung handelt (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. A. 2020, Rn. 5 zu § 99).

 

II. Der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagte damit eine Leistung über die Festbeträge hinaus hinsichtlich der ursprünglich begehrten Hörgeräte abgelehnt hat. Die Klägerin hat darüber hinaus auch Anspruch auf Erstattung der von ihr geltend gemachten Kosten für die nach Ablehnung der Versorgung mit dem Hörsystem Widex Unique 440 U4-PA erfolgten Anschaffung des Hörsystems Widex Unique 220 U2-PA in der tenorierten Höhe.

 

1. Soweit – wie hier – nicht grundsätzlich anstelle der Sach- und Dienstleistungen gegenüber der Krankenkasse Kostenerstattung gewählt wurde (§ 13 Abs. 2 SGB V) oder eine im Ausland erbrachte Leistung streitgegenständlich ist (§ 13 Abs. 4 und 5 SGB V), setzt ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V voraus, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Grundlage des hier gegen die Beklagte geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs kann nur § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V in der Fassung vom 20. Februar 2013 (a.F.) sein, denn es handelte sich bei der ursprünglich begehrten Versorgung mit den im klägerischen Antrag vom 13. September 2016 genannten Hörhilfen der Marke Widex, Modell Unique 440 Passion (andere Bezeichnung: Unique 440 PA; Positionsnummer im Hilfsmittel-Verzeichnis 13.20.12.3189) nicht um eine unaufschiebbare Leistung in dem Sinne, dass die Versorgung im Dezember 2017 so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. Hierfür ist nichts vorgetragen. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V a.F. gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 28).

 

So liegt es hier, weil die Beklagte ihre Leistungspflicht zu Unrecht auf den Festbetrag begrenzt und die vollständige Erfüllung des gegebenen Leistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt hat (hierzu im Folgenden unter 2.), die Klägerin sich die geschuldete Leistung selbst beschafft und hierbei die Grenzen des Notwendigen gewahrt hat und es auch nicht an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung fehlt (nachfolgend 3.).

 

2. Rechtsgrundlage des Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte u.a. Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln wie Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um u.a. die hier allein in Betracht zu ziehende Behinderung nach § 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt. SGB V und damit die beeinträchtigte Körperfunktion wie hier das Hören auszugleichen. Die Klägerin ist aufgrund ihrer gering- bis mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Begleittinnitus auf eine Hörgeräteversorgung angewiesen. Dass sie zum Ausgleich ihrer Schwerhörigkeit einen Anspruch auf eine Versorgung mit Hörgeräten hat, die nach § 34 Abs. 4 SGB V nicht aus der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, wird von der Beklagten im Grundsatz auch nicht in Frage gestellt.

 

Das konkret ausgewählte Hörgerät ist grundsätzlich für einen in seiner Hörfähigkeit, eingeschränkten Menschen - wie die Klägerin- erforderlich i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn es nach dem Stand der Medizintechnik (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen normal Hörender erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R – juris Rn. 19). Für den Behinderungsausgleich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 1, 3. Alt. SGB V gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten, möglichst vollständigen Behinderungsausgleichs ist es, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Dies schließt die Versorgung mit volldigitalen Hörgeräten ein (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - und 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - jeweils juris). Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Denn der Anspruch auf ein Hilfsmittel der GKV zum Behinderungsausgleich und zwar auch außerhalb des Grundbedürfnisses nach Mobilität im Sinne von Fortbewegung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 - B 3 KR 7/19 R – juris Rn. 31) ist nicht von vornherein auf einen Basisausgleich im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt. Für den Versorgungsumfang, insbesondere die Qualität, aber auch die Quantität und Diversität der Hilfsmittelausstattung kommt es im Ergebnis allein auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an (BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R - juris Rn. 42), ohne dass nach neuerer überzeugender Rechtsprechung des BSG hierfür maßgeblich die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich heranzuziehen wäre (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 - B 3 KR 7/19 R - juris Rn. 27). Begrenzt ist der Anspruch auf Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V jedoch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse nicht bewilligen (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2011 - B 3 KR 9/10 R - juris). Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede – subjektiv – gewünschte und von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 1. Februar 2023 – L 1 KR 384/21 – juris Rn. 40; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. Oktober 2022 – juris Rn. 44 m.w.N.; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. August 2020 - L 6 KR 36/16 R – juris Rn 48; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2020 – L 9 KR 90/18 – juris Rn. 28 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. November 2021 – L 11 R 3540/20 juris Rn 33; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2021 – L 26 KR 228/19 – juris Rn. 51 f.).

 

Die Krankenkasse erfüllt grundsätzlich mit der Zuzahlung des Festbetrags ihre Leistungspflicht. Der für ein Hilfsmittel – hier: Hörsysteme – nach § 36 SGB V festgesetzte einheitliche Festbetrag, der eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs. 2 SGB V darstellt, begrenzt die Leistungspflicht der GKV allerdings dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkreten vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (BSG, Urteile vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - juris Rn. 39 m.w.N. sowie 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteile vom 20. Februar 2023 - L 2 R 263/22 – juris Rn. 50 sowie 14. Oktober 2022 – L 16 KR 336/21 – juris Rn. 43). Wesentliches Kriterium hierfür ist die Frage, ob das begehrte Hörgerät im Alltag einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen, zum Festbetrag erhältlichen Hörhilfen bietet. Ausgeschlossen sind insofern Ansprüche auf teurere Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind bei einer über das Maß des Notwendigen hinausgehenden Versorgung selbst zu tragen (std. Rspr. BSG, Urteil vom 10. September 2020 - B 3 KR 15/19 R - juris Rn. 19 m.w.N.; vgl. § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung; § 33 Abs. 1 Satz 9 SGB V in der aktuellen Fassung). Übertragen auf den Ausgleich einer Hörbehinderung folgt hieraus, dass das Hören zu dem allgemeinen Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört. Zu diesem Freiraum gehört u.a. die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen Menschen (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2020 - B 3 KR 15/19 R - juris Rn. 17). Die Hörgeräteversorgung muss demnach gewährleisten, dass mit ihr die Funktionsbehinderung in typischen Alltagssituationen der Kommunikation mit anderen Menschen möglichst weitgehend ausgeglichen wird. Dazu gehört, dass der aktuelle Stand des medizinischen und technischen Fortschritts berücksichtigt wird. Es muss aber – gerade bei unterschiedlich aufwändigen, gleichermaßen zur Verfügung stehenden Versorgungsalternativen – für eine höherwertige Versorgung ein relevanter Gebrauchsvorteil für das allgemeine Grundbedürfnis nachgewiesen sein. Ist ein Behinderungsausgleich bei dem Versicherten durch ein Hörgerät zum Festbetrag zu erreichen, besteht kein Anspruch auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten.

 

Dies zugrunde gelegt bot das von der Klägerin ursprünglich ausgewählte und bei Antragstellung bezeichnete Hörsystem Widex Unique 440 U4-PA, über dessen Kostenübernahme die Beklagten in dem angegriffenen Bescheid entschieden hat, im Verhältnis zu den beiden getesteten aufzahlungsfreien Hörgeräten Hansaton flow 2-312 M und Bernafon Nevara 1 Nano Rite zur Überzeugung des Senats einen erheblichen Gebrauchsvorteil. Die Klägerin war mit den gewählten Hörgeräten nach den vorliegenden Testergebnissen sowohl unter Nutzschall als auch unter Nutz- und Störschall besser in der Lage, zu hören und zu verstehen. Mit den Hörgeräten Widex Unique 440 U4-PA wies sie nach den von der Hörakustikerin durchgeführten Messungen im Freifeld bei 65dB ohne Störschall ebenso wie mit Störschall im Verhältnis zu den zuzahlungsfreien, getesteten Geräten ein um 5 % besseres Sprachverstehen auf. Der Test der Geräte Widex Unique 440 U4-PA ergab im Freifeld 65dB ohne Störgeräusch ein Sprachverstehen von 95 %, die zuzahlungsfreien Geräte hingegen lediglich von 90 %. Mit Störschall ergab sich im Test der Geräte Widex Unique 440 U4-PA ein Wert von 65 %, bei den zuzahlungsfreien Geräten hingegen ein Wert von lediglich 60 %.

 

Die genannten Testergebnisse folgten jeweils auf Grundlage des nach § 21 Abs. 2 ff. der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (HilfsM-RL) vorgesehenen und vorliegend durchgeführten sog. Freiburger Einsilbertests im freien Schallfeld (DIN ISO 8253-3) und im Störschall. Bei diesem Sprachtest handelt es sich um ein normiertes Verfahren, das einen objektiven Vergleich zwischen den für den Versicherten konkret in Betracht kommenden Hörgeräten ermöglicht. Die HilfsM-RL wurde mit Beschluss des GBA vom 24. November 2016 geändert. Nach den „Tragenden Gründen zum Beschluss“ (vgl. https://www.g-ba.de/downloads/40-268-4059/2016-11-24_HilfsM-RL_Freiburger Einsilbertest_TrG.pdf) handelt es sich bei dem Freiburger Einsilbertest um ein Testverfahren zur Überprüfung der Sprachverständlichkeit. Da der Nachweis einer Gleichwertigkeit des Freiburger Einsilbertests im Störgeräusch mit den bisher beispielhaft aufgezählten Testverfahren zur Überprüfung nur anhand der vorhandenen Literatur nicht möglich gewesen sei, sei nach den Ausführungen des GBA eine Expertenanhörung auf niedrigerer Evidenzstufe durchgeführt worden mit dem Ergebnis, dass der Freiburger Einsilbertest im Störgeräusch prinzipiell als geeignet angesehen werden könne. Bisher hat kein anderes Verfahren den Freiburger Sprachtest wegen besserer Qualität/Geeignetheit abgelöst (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. November 2021 – L 11 R 3540/20 – juris Rn. 33).

 

Dass es sich bei dem festgestellten Messunterschied von 5 % zwischen den ausgewählten Hörgeräten und den zuzahlungsfreien Geräten um eine zu vernachlässigende, bloße Messtoleranz handeln könnte, kann der Klägerin – anders als die Beklagte meint – nicht entgegengehalten werden. Denn die HilfsM-RL sieht bei der Anwendung des maßgeblichen Freiburger Einsilbertests keine derartigen Abschläge für Messungenauigkeiten oder Schwankungen vor. Die Krankenkassen können daher gegen Messergebnisse eines Hörakustikers, die die Überlegenheit eines zuzahlungsfreien Geräts belegen, nicht generell Messungenauigkeiten einwenden, die eine Abweichung von 5 % zugunsten des teuren Geräts erklären könnten (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 1. Februar 2023 – L 1 KR 384/21 – juris Rn. 48; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. Oktober 2022 – L 16 KR 336/21 – juris Rn. 49 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2021 – L 26 KR 228/19 – juris Rn. 52; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. August 2020 - L 16 R 974/16 - juris Rn. 33; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Dezember 2019 - L 9 KR 44/17 - juris Rn. 36; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2020 - L 9 KR 90/18 - juris). Hieran ändert auch der Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung für Hörgeräteakustik und den nachfolgend benannten Ersatzkassen (Referenzvertrag11gesamt.pdf (vdek.com)), zu denen auch die Beklagte gehört, vom 1. Juli 2015 nichts. In diesem Vertrag ist in Anlage 1 Ziffer 9 (S. 30) bestimmt, dass bei einem Test von aufzahlungspflichtigen und aufzahlungsfreien Hörgeräten ein möglichst weitgehend gleiches Sprachverstehen, jedoch bei einer Messtoleranz von 5 % Punkten, erreicht werden muss. Der zwischen Hilfsmittelerbringer und Krankenkasse geschlossene Vertrag vermag aber schon nicht den gesetzlichen Anspruch des Versicherten zu begrenzen. Im Übrigen kann die genannte Messintoleranz vorliegend schon deshalb nicht relevant sein, weil es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass es sich bei dem festgestellten – gegenüber zwei aufzahlungsfreien Geräten erzielten – besseren Hörergebnis mit den anfänglich ausgewählten Hörgeräten Widex Unique 440 U4-PA lediglich um eine der konkreten Testsituation geschuldete zufällige und daher nicht beachtenswerte Abweichung vom Nennmaß handelt. Anhaltspunkte dafür, dass es in der konkreten Testsituation zu Messungenauigkeiten gekommen sein könnte, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Wenn der Freiburger Sprachtest als derzeit am besten geeignet zur Überprüfung der Sprachverständlichkeit angesehen wird (siehe oben), dann muss er auch tatsächlich zugrunde gelegt werden. Bei der Berücksichtigung pauschaler Messtoleranzen ergäbe sich eine Verschiebung zuungunsten der betroffenen Versicherten. Denn auch wenn man unterstellen würde, dass 5% im Bereich einer Messtoleranz liege, so ist es in diesen Fällen ebenso gut möglich, dass der tatsächliche Unterschied 5% mehr, also 10% beträgt. Die Messtoleranz ohne weitere Überprüfung stets „aufzurunden“ und das getestete (Festbetrags-)Gerät pauschal für gleichwertig im Vergleich zum nächstbesseren zu erklären, erscheint daher willkürlich und nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. Oktober 2022 - L 16 KR 336/21 – juris Rn. 49).

 

Zur Überzeugung des Senats ist der durch 5% besseres Sprachverstehen ohne und mit Störschall zu erlangende Gebrauchsvorteil gegenüber dem zuzahlungsfreien Gerät auch nicht als unwesentlich anzusehen (anders insoweit Sächsisches LSG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – L 9 KR 311/19 – juris Rn. 32; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 30. November 2021 - L 11 R 3540/20 - juris Rn 33 sowie vom 2. Februar 2021 - L 11 KR 2192/19 - juris Rn 29). Zwar ist zutreffend, dass im Freiburger Sprachtest ein (einsilbiges) Wort bei der Austestung eine Wertigkeit von 5% hat, bei einem Unterschied von 5% also gerade einmal ein einziges Wort mehr bzw. weniger verstanden wurde. Angesichts des Umstandes, dass insgesamt lediglich 20 Wörter abgefragt werden, hält der Senat diesen Unterschied jedoch durchaus für erheblich. Wenn übertragen auf den Alltag des Hörgeminderten mit dem aufzahlungspflichtigen Hörgerät jedes 20. Wort besser verstanden wird als mit dem Vergleichsgerät, so kann diesem Gerät die Tauglichkeit für einen weitergehenden Ausgleich des Funktionsdefizits und damit eine maßgebliche Verbesserung auf dem Weg zu dem erstrebten Gleichziehen der Klägerin mit dem Hörvermögen gesunder Menschen nicht abgesprochen werden. Es handelt sich dabei nicht um bloße Komfortaspekte, sondern um das zentrale Anliegen eines verbesserten Hörens als solches, weshalb unter Beachtung der Teilhabeziele des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V), insbesondere § 1 SGB IX (Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. Oktober 2022 - L 16 KR 336/21 – juris Rn. 50 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 - B 3 KR 7/19 R – juris Rn 29).

 

Neben den objektiven Messergebnissen geht aus dem Gutachten des Sachverständigen E hervor, dass das ursprünglich beantragte Gerät Widex Unique 440 U4-PA (ebenso wie das tatsächlich erworbene Gerät Unique 220 U2-PA), hinsichtlich dessen hier der Sachleistungsanspruch zu prüfen ist, im Gegensatz zum aufzahlungsfrei getesteten Hansaton flow 2-312 M noch über eine binaurale Synchronisation verfügt, welche das Raumhören und damit das Sprachverstehen ebenfalls positiv beeinflussen. Ausweislich der in den Rechtsstreit eingeführten Produktinformation zu dem weiteren aufzahlungsfrei getesteten Bernafon Nevara 1 Nano Rite verfügt auch dieses Gerät nicht über eine derartige binaurale Synchronisation.

 

Es ist darüber hinaus für den Senat nicht ersichtlich, dass die Klägerin ausschließlich in der konkreten Arbeitssituation in einer Dialysepraxis mit fünf zu versorgenden Patienten in einem Raum auf eine besondere, nur mit den beantragten oder den selbst beschafften Hörgeräten zu realisierenden besseren Hörfähigkeit angewiesen ist, wie dies etwa bei akustischen Kontroll- und Überwachungsarbeiten oder beim feinsinnigen Unterscheiden zwischen Tönen und Klängen beispielsweise bei der Tätigkeit eines Klavierstimmers der Fall sein kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Januar 2020 - L 5 KR 241/18 - juris Rn. 47; BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R - juris Rn. 53; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2019 - L 1 KR 321/19 B ER - juris). Wegen der funktionellen Gebrauchsvorteile der ursprünglich begehrten Hörgeräte Widex Unique 440 U4-PA können die anderen aufzahlungsfreien Hörgeräte nicht in gleicher Weise als geeignet angesehen werden, die Hörminderung der Klägerin auszugleichen, so dass eine Unwirtschaftlichkeit mangels Vergleichbarkeit der getesteten Hörgeräte nicht vorliegt.

 

3. Die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin für die im Laufe des Klageverfahrens tatsächlich erworbenen Hörsysteme Widex Unique 220 U2-PA beruhen auch ursächlich auf der Versagung der o.g. Leistung durch die Beklagte, so dass der nach Wortlaut und Zweck des § 13 SGB V notwendige Ursachenzusammenhang zwischen der Kostenlast der Versicherten und der Leistungsablehnung durch die Krankenkasse besteht. Hieran würde es indes fehlen, wenn die Krankenkasse vor der Beschaffung der Leistung durch den Versicherten nicht mit dem Leistungsbegehren befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre, oder wenn der Versicherte auf eine bestimmte Versorgung von vornherein festgelegt war (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R – juris Rn. 11).

 

"Selbst verschafft" ist eine Hilfsmittel-Leistung nicht schon mit deren Auswahl. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet deshalb als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. Anspruchshindernd ist vielmehr erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Im Bereich der Versorgung mit Hörhilfen ist ein Ursachenzusammenhang noch gegeben, wenn der Versicherte sich erst nach der Lieferung und Anpassung der Geräte an die Krankenkasse wendet, was mit der an den medizinisch-technischen Notwendigkeiten orientierten Praxis in diesem Bereich begründet wird, nach der die Krankenkasse über einen Versorgungsantrag in der Regel erst entscheidet, wenn sich der Versicherte ggf. nach Erprobung mehrerer Geräte für ein bestimmtes Gerät entschieden hat. Anders ist es dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer auch im Fall der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse die Abnahme und Zahlung des Hilfsmittels verlangen kann (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2021 - L 26 KR 228/19 - juris Rn. 55). Unschädlich sind danach Auswahlentscheidungen, die den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung.

 

Insofern ist es unschädlich, wenn die Versicherte zunächst in ihrem Antrag vom 13. September 2016 - ebenso wie im Rahmen ihres Widerspruchs - unter Bezugnahme auf die Ausstattung der Geräte mit 15 Frequenzkanälen ausdrücklich und nachdrücklich die Versorgung mit dem Modell Widex Unique 440 U4-PA begehrt hat, denn eine rechtlich verbindliche Kaufentscheidung i. S. einer Verpflichtung zum Erwerbs genau dieser Hörsysteme gegenüber dem Leistungserbringer hatte sie zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht getroffen.

 

Der Erwerb der letztlich tatsächlich beschafften Hörsysteme Widex Unique 220 U2-PA erfolgte ausweislich der Rechnung vom 7. Dezember 2017 erst nach der Leistungsablehnung durch die Beklagte. Der erforderliche Ursachenzusammenhang entfällt auch nicht dadurch, dass die Klägerin sich andere Hörsysteme desselben Herstellers (Widex) und aus derselben Baureihe („Unique“) wie die ursprünglich begehrten Hörsysteme 440 U4-PA beschafft hat, ohne sich zuvor (erneut) an die Beklagte zu wenden. Denn zum einen handelt es sich bei den Hörsystemen Widex Unique 220 U2-PA (Positionsnr. im Hilfsmittel-Verzeichnis 13.20.12.3180) nicht um eine gänzlich andersartige Leistung i.S. eines „aliuds“ gegenüber der Versorgung mit dem ursprünglich begehrten System Widex Unique 440 U4-PA (Positionsnr. 13.20.12.3189). Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich der Produktbeschreibungen im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes:

Merkmale

Widex Unique 440

Widex Unique 220

Bauform

HdO

HdO

Bauart-Nr.

DHI 7026

DHI 7022

Schutzklasse

IP 58

IP 58

Kanalanzahl

15

6

Verstärkung

67 dB bei 2,5 kHz

67 dB bei 2,5 kHz

OSPL90

124 dB

123 dB

Signalverarbeitung

digital

digital

Mikrofone

1 Kugel- und 1 Richtmikrofon

1 Kugel- und 1 Richtmikrofon

Mikrofonsystem

dual mit adaptiver Richtcharakteristik

dual mit Richtcharakteristik

Ausgangsschalldruckbegrenzung

ja (MPO)

ja (MPO)

Einstellbare Parameter

alle digital programmierbar

alle digital programmierbar

Verstärkungsregelung

automatisch, manuell

automatisch, manuell

AGC-Regelsysteme

AGC I, Anzahl 15; AGC 0, Anzahl 15

AGC I, Anzahl 6; AGC 0, Anzahl 6

Klangblenden

ja/Verstärkung in 15 Bändern individuell einstellbar

ja/Verstärkung in 6 Bändern individuell einstellbar

Schaltung mehrerer Programme möglich

ja/5

ja/3

Hochfrenqzenzbereich transponierende Softwareauslegung

-

-

Störschall unterdrückende softwareauslegung

ja

ja

Rückkopplungsauslöschung

ja

ja

Batterietyp

ZL 10

ZL 10

Telefonspule

ja

ja

Audioeingang

ja

ja

Fernbedienung optional

ja

ja

Wireless

ja

ja

Sonstige Ausstattungen

aktive Spracherkennung, DataLogging, Binaurale Synchronisation, TrueSoundsoftner, Digital Pinna, ZEN, Windgeräuschunterdrückung

aktive Spracherkennung, DataLogging, Binaurale Synchronisation, TrueSoundsoftner, Digital Pinna, ZEN, Windgeräuschunterdrückung

Danach unterscheiden sich die beiden Hörsysteme im Kern nur durch die Anzahl der Kanäle, die Feinheit der Richtcharakteristik (adaptiv oder nicht) sowie die Anzahl der Programme, sodass sich die Systeme Unique 220 U2-PA gegenüber den Systemen Unique 440 U4-PA als reines Minus darstellen.

 

Darüber hinaus stellen sich die erworbenen Systeme als ebenso geeignet zum weitestgehenden Ausgleich der Hörbehinderung dar wie die ursprünglich begehrten Systeme. Denn ausweislich des im Klageverfahren von der Hörakustik-Meisterin G vorgelegten Anpass- und Abschlussberichts vom 7. Dezember 2017 und des im Berufungsverfahrens eingereichten Screenshots ergab sich im Freiburger Sprachtest derselbe Hörvorteil von 5% sowohl ohne als auch mit Störschall gegenüber den aufzahlungsfreien Hörsystemen wie bei den ursprünglich begehrten Hörsystemen Unique 440.

 

Dass im Zeitraum vom Abschluss der (ersten) Anpassphase im September 2016 bis zur Verschaffung der Hörsysteme Widex Unique 220 im Dezember 2017 keine erneute vergleichende Anpassung mit weiteren aufzahlungsfreien Geräten erfolgt ist, ist unschädlich. Denn die Klägerin hatte die letztlich erworbenen Geräte bereits im Zuge dieser Anpassphase vergleichend getestet. Dies folgt aus den Angaben der Hörakustik-Meisterin G vom 23. September 2016, wonach damals sechs verschiedene Hörsysteme getestet worden waren, in Zusammenschau mit ihren Auskünften gegenüber dem Sozialgericht vom 4. März 2019 und 10. März 2020. Danach fand in der Test- und Anpassphase vom 10. November 2015 bis Anfang September 2016 eine vergleichende Testung der Modelle Widex Dream 440 Passion (dabei handelt es sich um den technischen Vorgänger des Unique 440 U4-PA <Passion>, wobei allerdings am 5. September 2016 das Unique 440 U4-PA angepasst worden ist), Dream 110 Passion und Unique 220 Passion sowie Bernafon Nevara 1 Nano Rite, Hansaton flow 2-312 und GN ReSound LINX 961 statt. Angesichts der Tatsache, dass in dieser Anpassphase bereits zwei aufzahlungsfreie Hörsysteme (Bernafon Nevara 1 Nano Rite sowie Hansaton flow 2-312) getestet worden waren, die laut Auskunft von Frau G vom 10. März 2020 auch im Dezember 2017 noch auf dem Markt erhältlich waren, war die Testung weiterer aufzahlungsfreier Hörsysteme durch die Klägerin nicht mehr erforderlich, weil die Klägerin letztlich nur ihre aufgrund der bereits abgeschlossenen Test- und Anpassphase getroffene Auswahlentscheidung geändert hat.

 

Vor diesem Hintergrund war hinsichtlich der Anschaffung der technisch einfacheren, aber hinsichtlich der objektiven Messwerte gleich geeigneten Hörsysteme auch keine erneute Antragstellung bei der Beklagten erforderlich, zumal die Klägerin sich zur Reduzierung der Kostenlast der Beklagten für wesentlich günstigere Geräte entschlossen hat.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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