L 1 BA 67/23 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 BA 33/23
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 67/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

 

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 31.941,07 €.

 

Gründe

 

Der Rechtsstreit ist durch den Tod des vormaligen Beigeladenen, des ehemaligen Geschäftsführers und Gesellschafters der Antragstellerin TH, am 2. August 2023 nicht unterbrochen worden. Aufgrund des Versterbens ist seine Beiladung zu dem Verfahren obsolet geworden, ohne dass es einer Aufhebung des Beiladungsbeschlusses bedurfte (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 11. Dezember 2019 - B 6 KA 11/18 R -, juris Rdnr. 16 mit Bezugnahme u. a. auf BSG, Urteil vom 22. April 1998 - B 9 VG 6/96 R - BSGE 82, 112, 118). Der Tod eines einfach oder notwendig Beigeladenen führt nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung, da diese Vorschrift nur auf die Hauptbeteiligten des Verfahrens – hier die Antragstellerin und die Antragsgegnerin – entsprechend anwendbar ist, nicht hingegen auf Beigeladene (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019, a.a.O. Rdnr. 17 mit weiteren Nachweisen; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. A. 2020, § 75 Rdnr. 17e). Der oder die Rechtsnachfolger des Verstorbenen sind nicht nach § 75 Abs. 1 oder 2 SGG neu beizuladen. Eine Beiladungsnotwendigkeit scheidet bereits aus, weil es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt. Aus demselben Grund ist auch eine einfache Beiladung nicht opportun.

 

Die am 18. Juli 2023 zulässig erhobene Beschwerde der Antragstellerin gegen den genannten Beschluss des Sozialgerichts Berlin (SG) hat in der Sache keinen Erfolg.

 

Nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Wirkung entfällt nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG unter anderem bei einem Prüfbescheid wie hier nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Aufgrund § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2018 - L 1 KR 215/18 B ER -, juris-Rdnr. 32, vom 23. Oktober 2017 - L 1 KR 421/17 B ER). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber - wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt - an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Hier gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 86b Rdnr. 12e ff. mit weit. Nachw.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist allerdings ganz allgemein für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts immer ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. April 2001 - 1 BvR 1577/00 -, juris-Rdnr. 13 mit Bezugnahme auf BVerfGE 69, 220, 228 f.).

 

Bei Beachtung dieser Maßstäbe hat es das SG zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Prüfbescheid vom 6. September 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2023 anzuordnen, soweit dort Beiträge für den ehemaligen Geschäftsführer nachgefordert werden. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird hierauf verwiesen, § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.

 

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Von überwiegenden Erfolgschancen der Klage im Hauptsachenverfahren ist nach wie vor nicht auszugehen, ein Obsiegen weniger wahrscheinlich.

 

Der angegriffene Beschluss des SG stellt sich als im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG dar, welcher auch der hiesige Senat folgt. Auf die Rechte ihres vormaligen Geschäftsführers als Treugeber kann sich Antragstellerin nicht berufen, auch wenn dieser gleichzeitig Gesellschafter war (vgl. ergänzend zu den vom SG angeführten Urteilen: BSG, Urteil vom 12. Mai 2020 – B 12 KR 30/19 R - juris). Dass der Gesellschaftsvertrag in Übereinstimmung mit § 49 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) die Einberufung der Gesellschafterversammlung (nur) durch den Geschäftsführer vorsieht, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Gesellschafterbeschlüsse können auch ohne förmliche Einladung wirksam erfolgen, wenn alle Gesellschafter anwesend sind (§ 51 Abs. 3 GmbHG). Daneben können die Gesellschafter auch nach Maßgabe des § 50 GmbHG die Einberufung einer Versammlung verlangen (§ 50 Abs. 1 GmbHG) und bei mangelnder Befolgung auch selbst bewirken (§ 50 Abs. 3 GmbHG). Maßgeblich für die Abgrenzungsfrage einer Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch ist nur die Frage, ob die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers in der Gesellschafterversammlung, ausreicht, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 1. Februar 2022 - B 12 R 20/19 R -, juris-Rdnr. 15).

 

Anhaltspunkte für eine unbillige Härte durch die sofortige Vollziehung entsprechend § 86a Abs. 3 S. 2 SGG sind abschließend weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist regelmäßig vom halben Hauptsachenstreitwert auszugehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. September 2019 – L 1 BA 75/19 B ER –, juris-Rdnr. 21). Hier werden im Prüfbescheid der Antragsgegnerin vom 6. September 2022 für den verstorbenen vormaligen Beigeladenen 63.882,13 € gefordert.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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