L 6 AS 138/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 562/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 138/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.12.2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 18.451,06 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Verurteilung zur Erstattung von Kosten, die für einen Aufenthalt einer leistungsberechtigten Person (nachfolgend: Leistungsberechtigte) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in einem auf dem Gebiet der Klägerin gelegenen Frauenhaus entstanden sind.

Die 0000 geborene nicht am Verfahren beteiligte Leistungsberechtigte wohnte im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten und befand sich dort im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im gleichen Haus wohnte nach ihren Angaben auch ihr Ex-Partner. Nachdem es zu Gewalttätigkeiten des Ex-Partners gegen die Leistungsberechtigte gekommen war, floh sie am 13.07.2016 in ein Frauenhaus im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin, das von dem Trägerverein „Frauenhaus und Beratung e.V.“ (nachfolgend: „Trägerverein“) geführt wurde.

Am 14.07.2016 teilte die Klägerin dem Beklagten per E-Mail mit, dass sich die Leistungsberechtigte seit dem 13.07.2016 in dem Frauenhaus aufhalte. Daraufhin hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Leistungsberechtigten mit Bescheid vom 21.07.2016 ab dem 01.08.2016 auf.

Erstmalig am 18.07.2016 und später mit weiteren Anträgen beantragte die Leistungsberechtigte bei der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 13.07.2016. Die Klägerin bewilligte der Leistungsberechtigten nachfolgend durch mehrere Bescheide für den Zeitraum vom 13.07.2016 bis zum 07.06.2017 Leistungen nach dem SGB II und zahlte diese an die Leistungsberechtigte (Regelbedarf) bzw. den Trägerverein (Leistungen zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung nebst Betreuungskosten) aus. Der an den Trägerverein für die Kosten der Unterkunft geleistete Gesamtbetrag belief sich ausweislich der hierzu in der Verwaltungsakte der Klägerin vorhandenen Unterlagen auf 5.277,46 €. Nach Angaben der Klägerin zahlte sie zudem einen Gesamtbetrag i. H. v. 13.173,60 € an Betreuungskosten an den Trägerverein. Ferner bewilligte die Klägerin der Leistungsberechtigten Leistungen zur Erstausstattung i. H. v. 1.380 € (Bescheid vom 02.05.2017).

Unter dem 22.08.2016 teilte die Klägerin dem Beklagten erneut mit, dass die Leistungsberechtigte sich seit dem 13.07.2016 in dem Frauenhaus in Münster aufhalte und machte einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 36a SGB II geltend. Sie teilte weiter mit, dass die Bezifferung des Erstattungsanspruches nachgehend erfolgen werde. Der Beklagte erkannte mit Schreiben vom 29.08.2016 seine Verpflichtung zur Kostenerstattung für die Zeit ab dem 13.07.2016 gemäß § 36a SGB II dem Grunde nach an. Er teilte ferner mit, dass dieses Kostenanerkenntnis zunächst für die Dauer von zwei Monaten befristet sei.

Am 07.06.2017 zog die Leistungsberechtigte aus dem Frauenhaus aus und in eine eigene Wohnung in Münster um.

Mit Schreiben vom 22.02.2018 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten ihren Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 36a SGB II geltend und stellte ihre Aufwendungen in Rechnung. Insgesamt machte sie zuletzt einen Betrag i. H. v. 18.451,06 € geltend (5.277,46 € für die Unterkunftskosten und 13.173,60 € für die Betreuungskosten).

Diesen Betrag beglich der Beklagte nicht, weil er die Forderung nicht für berechtigt hielt. Hierüber tauschten die Beteiligten sich in der Folgezeit schriftsätzlich mehrfach aus.

Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 12.07.2018 abschließend mitgeteilt hatte, dass eine Erstattung nicht erfolgen werde, hat die Klägerin am 06.08.2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Leistungsgewährung für bzw. an die Leistungsberechtigte rechtmäßig gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, 18.451,06 € an die Klägerin zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat an der Auffassung festgehalten, dass die Klägerin zu Unrecht Leistungen an die Leistungsberechtigte erbracht habe.

Mit Urteil vom 16.12.2021 hat das SG den Beklagten (auf der Grundlage von § 36a SGB II) antragsgemäß verurteilt. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Das Urteil ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, durch die die Beteiligten unter Nennung der Vorschrift des § 65d Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen werden, dass einzureichende Anträge, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronische Dokumente zu übermitteln sind. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten dieser Belehrung wird auf Blatt 49 f. der Prozessakte Bezug genommen.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 18.01.2022 zugestellte Urteil am 31.01.2022 (einem Freitag) bei dem Landessozialgericht (LSG), per Briefpost Berufung eingelegt. Der Berufungsschriftsatz, dem das angefochtene Urteil nicht beigefügt gewesen ist, ist nicht unterschrieben.

Der Berufungseingang ist dem Senatsvorsitzenden von der Geschäftsstelle des Senats am 04.02.2023 vorgelegt worden. Gleichzeitig hat die Geschäftsstelle den Eingang der Berufung an den Beklagten bestätigt und die Prozessakte vom SG angefordert. Nach Eingang der Akte des SG (am 17.02.2022) ist der Berichterstatterin das Verfahren erstmalig am 23.02.2022 vorgelegt worden.

Unter Beibehaltung seiner Rechtsauffassung im Übrigen beantragt der Beklagte,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.12.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unbegründet und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Mit Verfügung vom 30.11.2022 hat der Senat den Beklagten darauf hingewiesen, dass die Berufung entgegen der Vorschrift des § 65d SGG in der seit dem 01.01.2022 geltenden Fassung lediglich postalisch bei dem LSG eingegangen sei. Enthalte der Schriftsatz – wie vorliegend die Berufungsschrift – eine Prozesserklärung, sei diese im Falle der Nichteinhaltung der Vorgaben des § 65d SGG formunwirksam. Es habe eine Abweisung durch Prozessurteil zu erfolgen. Der Beklagte hat darauf vorgetragen, dass das Gericht aus Gründen der prozessualen Fürsorgepflicht gehalten gewesen sei, ihn umgehend nach Eingang der Berufungsschrift auf die Unzulässigkeit der Berufungseinlegung hinzuweisen, um ihm noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist Gelegenheit zu geben, den Formmangel zu beseitigen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten insbesondere des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

A) Die Berufung hat keinen Erfolg.

Sie ist zwar nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, leidet aber unter einem Formmangel und ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG).

Die von dem Beklagten mittels Briefpost eingelegte Berufung wahrt die im Berufungsverfahren unmittelbar geltenden Formvorschriften der §§ 65a, 65d SGG nicht (vgl. zur unmittelbaren Geltung der §§ 65a ff. SGG im Berufungsverfahren: Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 14. Auflage 2023, § 153, Rn. 2a; Sommer in BeckOGK SGG, Stand: 01.08.2023, § 153 SGG Rn. 7; Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand: 04.09.2023, § 153 Rn. 18). Die Berufung ist deswegen nicht innerhalb der Berufungsfrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG formwirksam eingelegt worden (dazu unter Ziffer I.). Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 67 SGG kommt nicht in Betracht (dazu unter Ziffer II.)

I. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Gemäß § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Nach § 65a Abs. 1 SGG können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Gemäß § 65d S. 1 SGG in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 05.10.2021 (BGBl I, 4607) sind ab dem 01.01.2022 vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, an das Gericht als elektronisches Dokument zu übermitteln (vgl. Regelung zum Inkrafttreten des § 65d in Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl. I, 3786). Die zur Nutzung verpflichteten Personen haben die entsprechenden technischen Geräte vorzuhalten und deren Bedienung zu beherrschen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten [RegE], BT-Ducks. 17/12634, zur parallelen Vorschrift des § 130d Zivilprozessordnung [ZPO], S. 28 und S. 37; vgl. auch Oberverwaltungsgericht [OVG] Sachsen, Beschluss vom 13.06.2022, 5 A 118/22; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.2022, 19 A 448/22.A; Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Beschluss vom 04.04.2022, 8 U 23/22). Die zwingende Einreichung von Erklärungen in elektronischer Form gemäß § 65d Satz 1 SGG betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit und ist deswegen von Amts wegen zu prüfen (RegE, BT-Drucks. 17/12634, S. 27 f zu § 130d ZPO; vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 24.11.2022, IX ZB 11/22; BGH, Beschluss vom 20.09.2022, IX ZR 118/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2022, I-12 U 61/21, 12 U 61/21; Jung in BeckOGK, SGG, Stand 01.08.2023, § 65d, Rn. 7; Keller a.a.O., § 65d, Rn. 2 m.w.N.; Stäbler in jurisPK-SGG, Stand: 05.05.2023, § 65d, Rn. 23). Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den in § 65d SGG normierten aktiven Benutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 16.02.2022, B 5 R 198/21 B; BGH, Beschlüsse vom 25.01.2023, IV ZB 7/22 und vom 17.11.2022, IX ZB 17/22 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.05.2023, L 19 AS 1476/22 B; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.11.2022, 2 WF 167/22; vgl. auch zu § 130d ZPO: BT-Drucks. 17/12634 S. 27 und entsprechend zu § 65d SGG: BT-Drucks. 17/12634 S. 37; Keller a.a.O., § 65d, Rn. 2).

Im vorliegenden Fall ist die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des SG zutreffend, weshalb die gesetzliche Monatsfrist gilt. Die Ausfertigung des schriftlichen Urteils vom 16.12.2021 ist dem Beklagten am 18.01.2022 gegen Empfangsbekenntnis (§ 63 Abs. 2 SGG i. V. m. § 175 ZPO) zugestellt worden. Damit begann die Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der Zustellung, vorliegend dem 19.01.2022 und endete gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit Ablauf des 18.02.2022. Innerhalb dieser Frist ist die gegen das Urteil des SG durch den Beklagten als Behörde i. S. d. § 1 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) (vgl. Herbst in jurisPK-SGB II, Stand: 04.10.2023, § 6, Rn. 24) eingelegte Berufung nur per D. übersandt und damit entgegen der Verpflichtung nach §§ 65a, 65d SGG nicht formgerecht eingelegt worden, so dass die Berufungseinlegung als Verfahrenshandlung unwirksam ist.

Gründe, die für eine Ausnahme von der Pflicht zur elektronischen Einreichung nach § 65a Abs. 1 Satz 3 und 4 SGG sprechen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Vielmehr hat der Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Einreichung der Berufung auch auf elektronischem Wege möglich gewesen wäre. Die Einreichung auf postalischem Wege sei „aus alter Gewohnheit“ erfolgt.

Davon ausgehend kann dahinstehen, ob die Berufung (wegen der fehlenden Unterschrift unter der Berufungsschrift) auch wegen Verstoß gegen das Schriftformerfordernis (§ 151 Abs. 1 SGG) formunwirksam ist (vgl. zum Schriftformerfordernis etwa BSG, Urteil vom 30.01.2002, B 5 RJ 10/01 R mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BSG Beschluss vom 24.05.2017, B 14 AS 178/16 B; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Urteil vom 06.12.1988, 9 C 40/87 sowie Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 05.04.2000, GmS-OGB 1/98; Keller a.a.O., § 151, Rn. 3a).

II. Dem Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm nach § 67 Abs. 1 SGG auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGG).

1. Eine Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 1 SGG scheitert vorliegend bereits daran, dass der Beklagte bis zum Ende der mündlichen Verhandlung die entsprechende Handlung (die Einlegung der Berufung in elektronischer Form) nicht nachgeholt hat.

2. Zudem hat der Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass er i. S. d. § 67 Abs. 1 SGG ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen wäre. Insbesondere wies die Rechtsmittelbelehrung im erstinstanzlichen Urteil vom 16.12.2021 auf die zum 01.01.2022 in Kraft getretene gesetzliche Regelung des § 65d SGG ausdrücklich hin. Der Beklagte wusste bzw. hätte wissen müssen, dass die gewählte Form der Rechtsmitteleinlegung nicht der vorgeschriebenen entsprach.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob eine Wiedereinsetzung wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts zu gewähren ist. Dessen ungeachtet wäre – anders als vom Beklagten geltend gemacht – aber auch bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts eine formgerechte Einlegung der Berufung innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG nicht mehr möglich gewesen.

Nach der Rechtsprechung des BSG besteht eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts dann, wenn es darum geht, einen Prozessbeteiligten oder seinen Bevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass ein unzulässig eingelegtes Rechtsmittel in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (BSG, Beschluss vom 09.05.2018, B 12 KR 26/18 B). Allerdings sind die Gerichte dabei nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zugunsten des Betroffenen zu ergreifen. So entspricht es jedenfalls dann, wenn ein Schriftsatz keinen Hinweis auf eine besondere Dringlichkeit enthält, wegen der regelmäßig erforderlichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten (Zuordnung des Dokuments zu einer Akte oder Anlegen der Akte; Zuständigkeitsbestimmung; Zutrag) dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die richterliche Erstbearbeitung eines Dokuments nicht bereits am Tag seines Eingangs erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2016, B 4 AS 1/16 R; BSG, Beschluss vom 23.07.2012, B 13 R 280/12 B m. w. N.; Keller a. a. O. § 67, Rn. 4d).

Die am 31.01.2022 (einem Freitag) bei dem LSG eingegangene Rechtsmittelschrift des Beklagten ist dem Senatsvorsitzenden am 04.02.2022 und damit zweifellos im ordnungsgemäßen Geschäftsgang vorgelegt worden. Zu diesem Zeitpunkt wäre ein Hinwirken auf die Beseitigung des Formfehlers i. S. d. §§ 153 Abs. 1, 106 Abs. 1 SGG zwar noch möglich gewesen. Dies war dem Vorsitzenden allerdings aufgrund der Vorschrift des § 155 Abs. 1 und Abs. 4 SGG und der in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerten Garantie des gesetzlichen Richters (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Plenumsbeschluss vom 08.04.1997, 1 PBvU 1/95) verwehrt. Denn nach § 155 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 SGG liegen diese Aufgaben in der Zuständigkeit desjenigen Berufsrichters des Kollegialorgans, die gemäß § 21g Gerichtsverfassungsgesetz innerhalb des Senats in einem von allen Mitgliedern zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan festgelegt wird. Nach dem hier maßgeblichen Geschäftsverteilungsplan des Senats war dies die Berichterstatterin. Dieser ist die Akte am 23.02.2022 erstmalig vorgelegt worden, wobei auch dies im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgt ist. Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch sonst aus den Akten ersichtlich. Vielmehr gestaltet sich der weitere ordnungsgemäße Geschäftsgang in der Weise, dass nach Vorlage der Akte bei dem Vorsitzenden zunächst die Prozessakte beim SG angefordert wird. Dies ist hier noch am 04.02.2022 erfolgt und war zur weiteren Bearbeitung der Angelegenheit auch notwendig, da der Berufungsschrift eine Kopie des zur Überprüfung gestellten Urteils des SG, aus der ggf. aufgrund des Eingangsstempels des Beklagten der Zugang rechtssicher ersichtlich gewesen wäre, nicht beigefügt war. Insofern war eine Überprüfung des Laufs der Rechtsmittelfrist sowie auch der Ordnungsgemäßheit der Rechtsmittelbelehrung im Urteil zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht möglich. Die angeforderte Verfahrensakte ist am 17.02.2022, einem Donnerstag, auf der Poststelle des LSG eingegangen. Im Rahmen der o. g. üblichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten ist das Verfahren dem Senatsvorsitzenden sodann am 21.02.2022 und der zuständigen Berichterstatterin am 23.02.2022 vorgelegt worden. Zu beiden Zeitpunkten war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

C) Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht. Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

D) Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 40 Gerichtskostengesetz.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 KasseloderBundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel

einzulegen.

Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung -ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Weitergehende Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen

-          jeder Rechtsanwalt,

-          Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,

-          selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,

-          berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,

-          Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

-          Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,

-          juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Ein Beteiligter, der zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Handelt es sich dabei um eine der vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen, muss diese durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.

In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.

Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.

Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.

Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).

Rechtskraft
Aus
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