L 2 SB 67/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 SB 564/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SB 67/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zum Merkzeichen RF

 

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.03.2021 wird zurückgewiesen.

II. Die am 20.02.2023 erhobenen Klagen werden abgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren gegen die Ablehnung des Merkzeichens RF und macht zusätzlich einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 90 statt 80 und der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B und H geltend.

Der 1968 geborene Kläger hat keine Ausbildung abgeschlossen. Er lebt allein in einem von den Eltern geerbten Haus, bezieht nach eigenen Angaben eine Erwerbsminderungsrente (ca. 336 Euro im Monat) und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Übrigen aus einer Erbschaft. Wegen chronisch paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie ist seit Jahren eine Betreuung eingerichtet für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Vertretung in Erbsachen, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Während laut Betreuerausweis für Rechtsanwalt C (W) vom 19.08.2019 kein Einwilligungsvorbehalt bestand, weist der aktuelle Betreuerausweis vom 14.02.2020 einen Einwilligungsvorbehalt, beschränkt auf den Bereich der Vermögenssorge, aus.

Der Kläger betreibt mehrere Websiten (z.B. www.A.de; www.A1.com; www.A2.com) und bietet ein möbliertes Zimmer in seinem Haus unter der Internetadresse www.A3.page zur Vermietung bzw. unter weiteren Adressen als Ferienzimmer an. Nach Veröffentlichungen des Klägers im Internet arbeitete er im März 2023 in einer Werkstatt für behinderte Menschen der O Werkstätten GmbH G.

Der Kläger äußerte wiederholt die Überzeugung, dass zahlreiche Menschen - auch er selbst, Verwandte und Schulkameraden - geklont seien, dass Klone teils in anderen Staaten leben würden und dass es mehrere München, Köln etc. gebe. Der Kläger hört nach eigenen Angaben Stimmen, die seine Gedanken aussprechen, ihn beschimpfen und ihn manipulieren. Er sei durch Strahlen geschädigt. Verantwortlich sei die Max-Planck-Gesellschaft. Im Fernsehen rede man über ihn.

Auf den Erstfeststellungsantrag vom 23.05.2005 stellte der Beklagte nach Auswertung neurologisch-psychiatrischer Gutachten, die vom Amtsgericht W im Zusammenhang mit einem Betreuungsverfahren und der stationären Behandlung des Klägers eingeholt worden waren, sowie von Befundberichten der Allgemeinärzte P und des Arztes für Nervenheilkunde F mit bestandskräftigem Bescheid vom 25.07.2005 eine Behinderung und einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest, aufgrund einer mit einem Einzel-GdB 80 bewerteten seelischen Krankheit.

Vom Kläger persönlich gestellte Anträge auf Anerkennung der Merkzeichen H und RF (vgl. Fax vom 14.09.2005, Antrag vom 08.12.2005) wurden von seinem damaligen Betreuer, Herrn N, jeweils zurückgenommen (vgl. Schreiben vom 22.09.2005, vom 01.06.2005 und vom 22.01.2006).

Am 29.01.2020 ging beim Beklagten der streitgegenständliche Antrag des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens RF ein. Im beigefügten Attest vom 06.12.2019 teilte der P1 mit, dass beim Kläger aufgrund paranoider Schizophrenie mit erheblicher chronischer psychotischer Symptomatik erhebliche Einschränkungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bestünden und dass er aus psychiatrischer Sicht um eine Befreiung des Klägers von den Rundfunkgebühren bitte.

Die Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie K führte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.02.2020 aus, aus den Unterlagen sei nicht erkennbar, dass der Kläger nicht in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.02.2020, übersandt an den Betreuer des Klägers, den Antrag auf Neufeststellung ab. Der GdB betrage weiterhin 80 und die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF seien nicht erfüllt.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 22.03.2020 Widerspruch ein und verwies auf die vorgelegte Bescheinigung des P1. Da er Stimmen höre und andere seine Stimme (gemeint wohl: seine von Stimmen nachgesprochenen Gedanken) hören, ihn dumm anschauen und ausgrenzen würden, könne er sich nur noch zu Hause und nicht mehr unter anderen Menschen aufhalten. Daher wolle er das Merkzeichen RF zugesprochen bekommen.

P1 teilte im Befundbericht vom 07.04.2020 mit, dass der ihm seit 2008 bekannte Kläger nach längerer institutioneller Betreuung in der H in das Haus der verstorbenen Eltern eingezogen sei und sich seit November 2019 wieder in seiner psychiatrischen Behandlung befinde. Diagnostisch handele es sich um eine chronisch verlaufende paranoide Schizophrenie kontinuierlich mit Residuum. Es bestehe gesetzliche Betreuung. Der Kläger leide an einer floriden wahnhaften Symptomatik mit ausgeprägten Beziehungs- bzw. Verfolgungsideen und systematisiertem Wahn bei reduzierter Wahndynamik. Ihm gelinge "doppelte Buchführung"; hinsichtlich der Medikation bestehe nur eingeschränkte Compliance mit eigenmächtigem Verändern der Medikation. Der Kläger sei streckenweise misstrauisch, jedoch die Form wahrend. Es bestehe weiterhin der Verdacht auf halluzinatives Erleben. Er sei formal-gedanklich umständlich, aber weitgehend geordnet. Momentan sei noch nicht absehbar, inwieweit eine eigenständige Lebensführung ohne eine intensiv betreute Wohnform möglich sein werde. Es liege eine deutliche Reduktion des psychosozialen Funktionsniveaus mit weitgehender Aufhebung der Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen vor, eine deutlich eingeschränkte Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, eine deutlich reduzierte Durchhalte- und Kontaktfähigkeit sowie ein Hang zum Rückzug mit Eigenbrötlerverhalten. Die Symptomatik sei chronifiziert.

Der H1 sah in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.05.2020 die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht als erfüllt an, denn aus dem Bericht gehe nicht hervor, dass der Kläger ständig und dauerhaft von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. So sei keine eigenständige psychomotorische Unruhe beschrieben.

Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2020 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Verschlimmerung der Behinderung liege nicht vor. Der GdB sei wie bisher mit 80 richtig festgestellt. Auch werde die Zuerkennung des Merkzeichens RF abgelehnt, da der Antragsteller nach den vorliegenden Befunden aufgrund seiner Gesundheitsstörungen nicht ständig und dauerhaft von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. So sei zum Beispiel eine ständige motorische Unruhe nicht beschrieben.

Mit der am 08.06.2020 beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin die Feststellung des Merkzeichens RF begehrt. Zur Begründung hat er vorgetragen (vgl. Schreiben vom 05.06.2020), dass ihm schon seit 26 Jahren Stimmen seine Gedanken mittels "mind control" laut hinterhersprechen, ihn verspotten und ihn hypnotisieren würden, so dass er auch an öffentlichen Veranstaltungen wie Volksfesten, Messen, Musikveranstaltungen, Ausstellungen, Sportveranstaltungen, kirchlichen Prozessionen, Märkten und öffentlichen Plätzen u.a. nicht teilhaben könne, weil alle Leute die Stimmen hören würden. Er werde verspottet. Er könne sich nirgends mehr sehen lassen und halte sich nur noch zu Hause auf. Selbst im Fernsehen und im Radio werde über ihn gesprochen, weshalb er nur noch selten fernsehschaue. Er wolle das Merkzeichen RF, da er auch eine Bescheinigung des P1 habe.

Der gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Sachverständigen bestellte Psychiater M hat im Gutachten vom 12.11.2020 nach Untersuchung des Klägers am 12.10.2020 die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie sowie den GdB 80 bestätigt. Der Sachverständige hat zur Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zu bejahen seien, Folgendes ausgeführt:
"Aus Sicht des Referenten handelt es sich um eine grenzwertige Entscheidung. Der Kläger berichtet, dass er an sämtlichen relevanten öffentlichen Veranstaltungen, wie Kinobesuche oder Festveranstaltungen, wie z.B.Volksfesten, nicht teilnehmen könne aufgrund seiner paranoid-halluzinatorischen Symptomatik, hierbei vor allem wegen des Stimmenhörens und des Beeinträchtigungs- und Beziehungserlebens. In der Vergangenheit habe er auch mit Gereiztheit darauf reagiert. Seitdem er seine Medikamente regelmäßig nehme, habe sich dies etwas zurückgebildet. Allerdings habe er sich auch insgesamt stark zurückgezogen und vermeide solche Zusammenkünfte aufgrund der gemachten Erfahrungen. Andererseits besuche er regelmäßig eine psychiatrische Tagesstätte, wobei hier der geschützte Rahmen hervorgehoben werden muss.
Glaubt man den Ausführungen des Klägers, wie auch seinem schriftlichen Widerspruch zur Klagebegründung, und berücksichtigt die gesamte Aktenlage und den darin beschriebenen Krankheitsverlauf, kann an eine Gewährung des Merkzeichens RF sehr wohl gedacht werden. Die Entscheidung muss jedoch dem Gericht überlassen bleiben, da es sich hierbei aus Sicht des Referenten um eine grenzwertige Bewertung handelt."

Der Kläger habe bei Untersuchung geschildert, dass er Stimmen höre, die ihm Befehle erteilen würden, etwas zu tun, bzw. die ihn hypnotisieren würden, es sei eine Art "mind controlling", das vor allem durch das Max-Planck-Institut über Strahlen erfolge. Menschen würden zu Tausenden geklont und würden in nachgebauten Städten in den USA leben. Auch er, seine Geschwister und alte Schulkameraden seien geklont worden. Aufgrund seiner Wahrnehmungen habe er große Probleme, fernzusehen oder auf Veranstaltungen, zu Volksfesten oder ins Kino zu gehen; die Stimmen würden ihn sofort malträtieren und es sei dann nicht mehr auszuhalten. Fernsehen könne er nicht, weil er sich durch das Fernsehen beeinträchtigt, manipuliert und kontrolliert fühle. Er würde gern auf Volksfeste oder ins Kino gehen, traue sich dies wegen der Stimmen aber nicht mehr zu. Er habe sich zurückgezogen. Angebunden sei er in der psychiatrischen Tagesstätte O1 in W.
Soziale Kontakte habe er zu seinen Brüdern; vor allem der nun verstorbene Bruder W habe ihn unterstützt. Sein anderer Bruder besuche ihn. Er nehme Perphenazin (2 x 8 mg am Tag) und Akineton (3 x 1/2 Tablette am Tag).
Bei der Untersuchung sei der Kläger wach, klar und orientiert gewesen. Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit, Auffassung und Gedächtnis seien regulär gewesen. Der Kläger sei im Kontakt zugewandt, im Rapport offen, in der Psychomotorik etwas agitiert, im Antrieb teilweise etwas gemindert, affektiv indifferent und formalgedanklich weitschweifig gewesen. Teilweise bestünden Überforderungs- und Insuffizienzgefühle, Selbstzweifel sowie depressive Schwankungen. Der Kläger berichte Beeinträchtigungserleben, akustische und optische Wahrnehmungsstörungen, Beziehungserleben, Gedankenlautwerden und Zönästhesien (= abnorme, den eigenen Körper betreffende Wahrnehmungen).

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 04.01.2021 den Antrag auf Klageabweisung aufrechterhalten, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Psychiaterin, Psychotherapeutin und Sozialmedizinerin B vom 15.12.2020. Unter laufender psychopharmakologischer Behandlung sei eine deutliche Besserung erreicht worden. So habe der Kläger nach dem Tod seiner Mutter sogar in das Haus der Familie einziehen können und lebe dort allein, auch dank familiärer und institutioneller Unterstützung. Unter Medikation reagiere er weniger gereizt auf andere Menschen, es beruhige ihn. Im Gutachten sei ein zugewandter und im Rapport offener Kläger geschildert worden, ohne erhebliche psychomotorische Unruhe bzw. Aggression, der gern fernsehe und Musik über eine Telefon-App höre.

Mit Urteil vom 11.03.2021 aufgrund mündlicher Verhandlung hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe weder Anspruch auf einen höheren GdB als 80 noch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF. In der Begründung heißt es:
"Auch liegen nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nicht vor. Bestimmten Personen wird nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des fünften Rundfunkänderungsstaatsvertrages seit dem 01.01.2013 auf Antrag aus gesundheitlichen Gründen der Rundfunkbeitrag auf ein Drittel ermäßigt. Dies sind insbesondere Blinde oder wesentlich sehbehinderte Personen und Hörgeschädigte, aber auch sonstige behinderte Menschen mit nicht nur vorübergehend einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, wonach aus den vorliegenden Befundberichten nicht hervorgehe, dass der Kläger aufgrund seiner Gesundheitsstörungen ständig und dauerhaft von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Auch wenn der Gutachter es offengelassen hat, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" vorliegen und die Entscheidung dem Gericht überantwortet hat, sind den Ausführungen des Gutachters an mehreren Stellen Zweifel diesbezüglich zu entnehmen. So wird zum psychopathologischen Befund ausgeführt, der Kläger sei wach, klar im Bewusstsein und in allen Qualitäten orientiert. Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit, Auffassung, Gedächtnis seien regulär. Im Gutachten wird auch keine ständige motorische Unruhe beschrieben, die eine Teilnahme an Veranstaltungen allgemein und umfassend ausschließen würde. Zudem ist dem Gutachten zu entnehmen, dass der Kläger die psychiatrische Tagesstätte O1 in W aufsucht. Auch dies spricht dafür, dass er durchaus an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann."

Gegen das am 17.03.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 06.04.2021 beim SG eingegangenem Schreiben Berufung eingelegt. Nach dem Gutachten des M sei ihm das Merkzeichen RF zuzubilligen und sein Arzt P1 habe in seiner Stellungnahme vom 06.12.2019 das Gleiche festgestellt. Das Gericht habe somit nicht richtig entschieden. Die Leitung des Clubhauses O1 der H habe dem Kläger, als er vom Urteil erzählt habe, gesagt, dass sich nur Clubmitglieder dort aufhalten würden und es keine Öffentlichkeit sei. Er sei dort nur unter Leuten, die er länger kenne und die ihm nichts antun würden. Der weitergeleitete Berufungsschriftsatz ist beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 09.04.2021 eingegangen.

Auf Nachfrage hat der Betreuer mit Schreiben vom 03.05.2021 klargestellt, dass er weder als Betreuer noch als Klägerbevollmächtigter am Verfahren teilnehmen wolle. Aus seiner Sicht sei das Urteil eindeutig und die angeblich unberücksichtigten Gesundheitseinschränkungen seien abstrus. Er habe dem Kläger freigestellt, gegen das Urteil vorzugehen.

Der Beklagte hat sich mit Stellungnahme vom 04.05.2021 auf das Urteil des SG gestützt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF seien nicht erfüllt.

Der Kläger hat auf Nachfrage des Gerichts zur weiteren Begründung seiner Berufung in Schreiben vom 26.05.2021 und 05.06.2021 im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Stimmen würden seine Gedanken laut aussprechen. Andere würden sich an den Stimmen stören; er würde dann herabwürdigend behandelt, weil die wüssten, was er vorhabe. Er schäme sich, weil er dumme Gedanken habe. Er werde von der Gesellschaft ausgegrenzt. Er habe einen seelischen und körperlichen Schaden durch "mind control" wegen eines an ihm seit 1994 durchgeführten Versuchs der Max-Planck-Gesellschaft. Davon bekomme er Hoden- und Kopfschmerzen bzw. Schmerzen am Körper. Er wolle keine solchen Experimente, die durchgeführt würden, damit er keine Freundin finde.
Er wohne zwar allein, ihn würden aber Freunde und Bekannte besuchen. Ein Bruder komme fast täglich. Auch die würden die Stimmen von seinen Gedanken hören. Sie würden mit ihm gemeinsam fernsehschauen und sich wundern, dass "die im Fernsehen" auch die Gedanken des Klägers hören würden. Er schaue dann meistens italienisches Fernsehen, wo mittlerweile auch schon über ihn gesprochen werde. Draußen halte er sich nur kurz auf. Die Malteser und sein Bruder würden für ihn einkaufen, da er Angst habe, jemandem über den Weg zu laufen, der ihn nicht möge. Er sei froh, wieder zu Hause zu sein, denn jetzt habe er einen Internetanschluss für wenig Geld legen lassen, der aber auch Geld koste, um in Kontakt mit anderen zu bleiben. Darum wolle er Geld für die Fernsehgebühren sparen. Auch wolle er mal ins Ausland fahren, um zu schauen, ob es da auch so sei, aber das koste Geld, was er nicht habe.

Am 10.01.2022 hat ein Erörterungstermin stattgefunden: Auf die Niederschrift dazu wird verwiesen.

Auf Anforderung eines Befundberichts hat der Allgemeinarzt M mit Schreiben vom 27.01.2022 mitgeteilt, dass er den Kläger vom 02.06.2021 bis 16.12.2021 behandelt habe. Dieser leide anamnestisch unter Schizophrenie und Hyperurikämie.
Der Neurologe F1 hat mit Schreiben vom 21.02.2022 über die Behandlung des Klägers zwischen Juli und Dezember 2021 berichtet. Der Kläger habe Ängste geäußert, habe sich überwacht und von außen beeinflusst gefühlt, er habe Stimmenhören, Spannungskopfschmerzen, innere Unruhe und zuletzt Schlafstörungen geschildert. Die Stimmung habe euthym gewirkt. Der Kläger habe sich im Behandlungszeitraum gleichbleibend psychotisch gezeigt. Antipsychotische Medikamente habe er stets abgelehnt. Er habe gegenüber Fragen nach Mit- oder Vorbehandlung misstrauisch gewirkt.
Der Urologe S hat mit Schreiben vom 24.02.2022 über eine Behandlung wegen Verdachts auf (V.a.) Hypogonadismus seit November 2019 berichtet. Unter Testosteronsubstitution habe sich die Symptomatik anfangs gebessert; allerdings habe die Compliance des Klägers stark abgenommen, zunehmend seit Juni 2021 bei zunehmender Verwirrtheit.

Anschließend hat das Gericht den Psychiater und Psychotherapeuten M zum Sachverständigen bestellt, der nach Untersuchung des Klägers am 01.12.2022 am 13.12.2022 ein Gutachten erstellt hat.
M ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF beim Kläger nicht erfüllt seien. Beim Kläger liege unverändert die vorbekannte chronische paranoid-halluzinatorische Schizophrenie vor mit erheblicher Denkzerfahrenheit, Logorrhoe (erhöhtem, kaum bremsbarem Redefluss), Realitätsverkennung, paranoider Verarbeitung anderer Menschen, Beeinflussungserlebnissen sowie dem Hören von Stimmen, wobei bereits aus den Jahren 2000, 2003 und 2004 vergleichbare psychische Befunde bekannt seien. Dagegen ergebe sich kein Anhalt für eine hirnorganisch bedingte Leistungsminderung, ein Suchtleiden, eine depressive Störung, eine Angststörung oder eine Persönlichkeitsstörung. Zwar weise der Summenwert von 10 Punkten im entsprechenden Frageteil des PHQ-D für sich allein betrachtet auf ein mildes bis mittleres depressives Syndrom hin, was jedoch nicht korreliere mit dem letztlich höher zu wertendem klinischen Untersuchungseindruck; dies sei als fluktuierende depressiv getönte Teilsymptomatik der schizophrenen Erkrankung zu werten. Hinweise auf ein somatoformes Syndrom gebe es weder in der Testung noch in der Schilderung des Klägers.
Als funktionelle Einschränkungen bestünden eine erheblich verminderte Konzentration, eine kaum gegebene Möglichkeit, sich adäquat auf sein Gegenüber im Gespräch einzustellen aufgrund einschießender Gedanken, Logorrhoe sowie Denkzerfahrenheit, paranoider Ängste sowie entsprechender Beeinflussungserlebnisse und Realitätsverkennung bzw. Derealisationsphänomenen.
Ressourcen und Fähigkeiten bestünden aber dahingehend, dass der Kläger über die gesamte Untersuchung psychomotorisch ruhig und unauffällig gewesen sei. Obwohl teilweise eine aggressiv getönte Wortwahl auffällig gewesen sei, habe sich in der Untersuchungssituation im Kontakt keine spürbare Gereiztheit oder Aggressivität gezeigt. Er sei auch nach Ausfüllen des PHQ-D vor Beginn des Untersuchungsgesprächs in der Lage gewesen, über zehn Minuten ruhig im Wartezimmer zu sitzen; eine psychomotorische Unruhe, etwa mit Umhergehen oder von sich aus erfolgenden Nachfragen, habe nicht bestanden.
Festzustellen sei, dass der Kläger sicher nur mit erheblicher Mühe in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Diesbezüglich habe er sich widersprüchlich geäußert: An einer Stelle habe er geschildert, dass er etwa beim Kinobesuch durch das Hören von Stimmen gestört werde und die Leute ihn alle anschauen würden. An anderer Stelle habe er geäußert, dass ihm das Geld fehle und er schon gern bald wieder einmal ins Kino gehen wolle und dass er ein Musikfestival besuchen wolle.
Allerdings sei der Kläger in der Lage gewesen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln - mit dem Zug - die ca. einstündige Fahrstrecke von W nach M zu bewältigen. Wenngleich er im Rahmen seiner Wahnwahrnehmung geschildert habe, dass im Zuge lauter Polizisten und Bundeswehrler in Zivil gewesen seien, habe er auf mehrfaches Befragen beschrieben, dass er ruhig gewesen sei und es nicht zu Konflikten gekommen sei. Somit bestünden für den Kläger noch ausreichende Möglichkeiten, sich zu kontrollieren, was auch damit korreliere, dass er in der Lage sei, ein Zimmer im Haus zu vermieten. Relevante Konflikte mit den Mietern seien auf Nachfrage nicht beschrieben worden.
Somit sei der Kläger grundsätzlich in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Es lägen auch keine Berichte vor, dass es hierbei bereits zu Auffälligkeiten oder Konflikten oder Störungen der anderen Teilnehmer etwaiger Veranstaltungen gekommen wäre. Hinderlich am Besuch seien offenbar finanzielle Probleme, ein teilweise gemindertes Interesse, eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit sowie die paranoiden Beeinflussungserlebnisse, die jedoch nicht zu einer vollständigen Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen führen würden.
M hat ausgeführt, dass beim Kläger schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vorliegen würden. Eine berufliche Tätigkeit werde nicht ausgeübt, soziale Kontakte seien angegeben worden, eine Partnerschaft bestehe jedoch langjährig nicht und sei auch nicht vorstellbar. Deswegen hat M den GdB ab Antragstellung mit 90 bewertet.
Trotz sicher erheblicher Schwierigkeiten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, seien insgesamt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens RF nicht erfüllt. Der Kläger sei wegen seiner Leiden nicht ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Es liege keine Blindheit oder wesentliche Hörschädigung vor, ebenso keine schwere Bewegungsstörung oder die Möglichkeit, durch die Behinderung auf die Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend zu wirken. Hinsichtlich der seelischen Behinderung sei nicht zu befürchten, dass der Kläger beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen
oder aggressives Verhalten stören könnte. Diesbezüglich habe sich der Proband bei der Begutachtung und den Schilderungen nach auch bei der Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in gutem Maße kontrolliert. Mit Blick auf das in der Beweisanordnung genannte BSG-Urteil sei festzustellen, dass der Kläger mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen könne.

Das Gutachten ist dem Kläger vom Gericht mit dem Hinweis übersandt worden, dass M ausgeführt habe, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht erfüllt seien und dass die Ermittlungen von Amts wegen abgeschlossen seien.

Mit Schreiben vom 26.01.2023 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach der Beklagte ab 29.01.2020 einen GdB 90 feststelle und der Rechtsstreit im Übrigen in vollem Umfang für erledigt erklärt werde. In der beigefügten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.01.2023 hat der Neurologe, Psychiater und Sozialmediziner K1 einen GdB 80 bis 90 als im Bereich des Beurteilungsbereichs liegend bewertet.

Dieses Angebot, dessen Annahme von der Berichterstatterin mit Schreiben vom 03.02.2023 angeregt worden ist, hat der Kläger nicht angenommen. Mit Schreiben vom 20.02.2023 hat er ausgeführt, er bitte um Anerkennung der Merkzeichen RF, B, H und eines GdB 90. Er könne nur mit technischen Hilfsmitteln am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Er bekomme keine Arbeit außer in einer "wfb" (Werkstatt für behinderte Menschen) in P. Auf weitere Schreiben des Klägers vom 11.06.2023 und 12.06.2023, teils auch adressiert an das Sozialgericht München, das Landgericht München und das Amtsgericht W, wird verwiesen. Der Kläger hat erklärt, im Gerichtstermin am 28.06.2023 sei über den Eintrag B, H und RF zu entscheiden. Er habe bereits ein Schreiben des Gerichts bekommen, das im Haus, wo er gerade sei, nicht gefunden worden sei.

Dem Kläger ist daraufhin nochmals das Ladungsschreiben übersandt worden. Mit Schreiben vom 20.06.2023 hat der Kläger mitgeteilt, dass er den Termin am 28.06.2023 absagen müsse, da er "momentan solche Schizophrenie habe und an der Gerichtsverhandlung" nicht teilnehmen könne, um dann nach Aktenlage am Merkzeichen RF festzuhalten. Es benötige Hilfe einer Begleitperson, sei allein hilflos. "90 Prozent" sei dann zu berücksichtigen und die Merkzeichen RF, B und H.

Mit Schreiben des Gerichts vom 20.06.2023 ist dem Kläger mitgeteilt worden, dass es bei Anordnung seines persönlichen Erscheinens bleibe und dass mangels ärztlicher Bescheinigung kein Verhinderungsgrund aus gesundheitlichen Gründen belegt sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum zulässigen Streitgegenstand, wird auf das Schreiben Bezug genommen.

Auf das Schreiben des Klägers vom 20.06.2023 und die Niederschrift zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.06.2023 wird verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.03.2021 und den Bescheid des Beklagten vom 28.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
beim Kläger einen GdB 90 ab 29.01.2020 festzustellen sowie
die Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen RF, B und H festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
      die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und des SG sowie auf die Akte des LSG Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet; die im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 20.02.2023 erhobenen Klagen, gerichtet auf Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB und der Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B und H, sind unzulässig.

Der Senat war an einer Entscheidung nicht deswegen gehindert, weil der Kläger am Sitzungstag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht erschienen war. Denn der Kläger war ordnungsgemäß mit Schreiben vom 01.06.2023, laut Postzustellungsurkunde zugestellt am 05.06.2023, zum Termin geladen worden mit dem Hinweis, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könnte. Auf die Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers im Termin wird verwiesen.

A) Soweit der Kläger zuletzt Ansprüche gegen den Beklagten geltend gemacht hat, die über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF hinausgehen, erweisen sich diese Klagen bereits als unzulässig.
Mit seinem am 06.04.2021 beim SG eingegangenen Berufungsschriftsatz hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF geltend gemacht. Soweit der Kläger seinen Klageantrag mit dem am 20.02.2023 eingegangenen Schreiben sinngemäß auf Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines GdB von 90 statt 80 und auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und H erweitert hat, handelt es sich nicht um eine ohne Weiteres zulässige Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 3 SGG, sondern um eine nachträgliche objektive Klagehäufung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 56 SGG), die den Regelungen der Klageänderung nach § 99 Abs. 1 und 2 SGG unterliegt. Eine gerichtliche Entscheidung über einen mit Klageänderung geltend gemachten Anspruch setzt neben der Zulässigkeit der Klageänderung auch die Zulässigkeit der geänderten Klage voraus (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 5 RE 23/14 R - Juris).

Hinsichtlich der begehrten Merkzeichen B und H ist die beantragte Klageänderung bereits prozessual unzulässig. Eine Einwilligung der Beklagten in die Klageänderung ist weder erklärt worden (§ 99 Abs. 1 SGG) noch ist diese aufgrund rügeloser Einlassung der Beklagten anzunehmen (§ 99 Abs. 2 SGG). Die Beklagte hat sich dazu inhaltlich nicht geäußert.
Die Klageänderung ist nach Überzeugung des Senats auch nicht sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG), weil die geänderte Klage unzulässig ist. Denn es fehlt schon an anfechtbaren Verwaltungsakten, mit denen der Beklagte über einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B und H entschieden hat. Insbesondere enthält der streitgegenständliche Bescheid vom 28.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2020 keinen entsprechenden Verwaltungsakt, was auch der Tatsache entspricht, dass der Kläger im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren keinen Antrag auf diese Merkzeichen gestellt hatte. Soweit im Bescheid vom 25.07.2005 die gesundheitlichen Vorausseitzungen der Merkzeichen B, G, aG, Bl, H, RF, Gl und 1. Kl abgelehnt worden sind, ist dieser Bescheid mangels Widerspruchs bestandskräftig und nicht mehr anfechtbar.

Die auf einen höheren GdB von 90 statt 80 gerichtete Klageänderung ist auch nicht deswegen als zulässig anzusehen, weil sich der Beklagte mit seinem Vergleichsangebot vom 26.01.2023 - also vor Klageänderung des Klägers - inhaltlich auf die Fragestellung der Höhe des GdB eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG). Denn eine Klageänderung unterliegt der Dispositionsbefugnis des Klägers, nicht des Beklagten, so dass ein Einlassen des Beklagten auf eine Klageänderung naturgemäß erst nach der ausdrücklich vom Kläger erklärten Klageänderung möglich ist. Dass ein Beklagter bereit ist, in ein Vergleichsangebot außerhalb des zulässigen Klageantrags liegende Streitpunkte bzw. Regelungen mit einzubeziehen, ist nicht gleichzusetzen mit der Einwilligung in eine Klageänderung mit der Konsequenz der Erweiterung der Entscheidungsbefugnis des Gerichts.
Außerdem ist selbst bei Annahme einer zulässigen Klageänderung die geänderte Klage, die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, als unzulässig abzuweisen. Denn zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Klageänderung, dem Eingang des Schriftsatzes beim LSG am 20.02.2023, war das Urteil des SG vom 11.03.2021 rechtskräftig geworden, soweit es eine auf einen höheren GdB gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den dies ablehnenden Verwaltungsakt des Beklagten mit Bescheid vom 28.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2020 abgelehnt hatte. Damit steht die Rechtskraft des Urteils des SG einer abweichenden Entscheidung des Berufungsgerichts entgegen.

B) Soweit sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen die Abweisung der auf Feststellung der Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Urteil des SG vom 11.03.2021 richtet, erweist sich die Berufung als unbegründet. Zu Recht hat das SG diese Klage abgewiesen, denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht und hat dementsprechend keinen Anspruch darauf.

Gemäß § 152 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen im Verfahren. Nach § 152 Abs. 5 SGB IX in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist in den Schwerbehindertenausweis auf der Rückseite das Merkzeichen RF einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten Voraussetzungen für die Ermäßigung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.
Diese Voraussetzungen sind in dem ab 01.01.2013 geltenden § 4 Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15.12.2010 geregelt, in Kraft gesetzt in Bayern durch Beschluss des Landtags vom 17.05.2011 (vgl. Bekanntmachung vom 07.06.2011, GVBl. S. 258).
Danach wird der Rundfunkbeitrag auf Antrag für folgende Personen auf ein Drittel gesenkt:

1. blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung,
2. hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und
3. behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Während in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) von 2005 unter Punkt 33 Beispiele für die Untergruppe 3 genannt wurden, wurde in den AHP von 2008 darauf verzichtet; auch die die AHP ablösenden, seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) enthalten keine Auflistung von Beispielen mehr.

Als Beispiele wurden in den früheren AHP aufgeführt:
- Behinderte Menschen, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können.
- Behinderte Menschen, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können).
- Behinderte Menschen mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose.
- Behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden.
- Geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Diese früher ausdrücklich genannten Beispiele wurden insbesondere auf Basis der Rechtsprechung entwickelt und können grundsätzlich auch weiterhin als Anhaltspunkte für typische Fallkonstellationen dienen.
Allerdings sind mit Blick auf die Weiterentwicklung des gesamtgesellschaftlichen Verständnisses von Behinderungen und dem Ziel der Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft sowie der möglichst uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hinsichtlich der früher unter Spiegelstrich 2 und 5 genannten Fallgestaltungen, die die faktische Unmöglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen aus einer unzumutbar abstoßenden oder störenden Wirkung des behinderten Menschen auf seine Mitmenschen ableiten, äußerst strenge Anforderungen zu stellen. Denn die Rechtsordnung fordert im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen, dass nicht behinderte Mitmenschen ggf. ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren und auch normabweichendes Verhalten tolerieren.
Der auf die gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck des Merkzeichens RF würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn es mit dem Ziel zuerkannt werden könnte, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen und damit behinderte Menschen quasi wegzuschließen, also gerade ihre Teilhabe zu verhindern (vgl. BSG, Beschluss vom 09.11.2017 - B 9 SB 25/17 B - Juris Rn. 11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2021 - L 6 SB 3623/20 - Juris Rn. 31). Deshalb steht das Merkzeichen besonders empfindsamen behinderten Menschen nicht allein deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden (vgl. BSG, a.a.O., LSG Baden-Württemberg a.a.O.).

Insgesamt ist nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - Juris) bei der Beurteilung, welche Personen aus gesundheitlichen Gründen von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden können, ein enger Maßstab anzulegen. Der Behinderte muss wegen seines Leidens allgemein und umfassend vom Besuch von öffentlichen Veranstaltungen, d.h. von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher und unterhaltender Art ausgeschlossen sein, also allenfalls nur noch an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - Juris).
Dazu gehören nicht nur Theater-, Oper-, Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie etwa Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten sowie letztlich auch öffentliche Gerichtsverhandlungen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2021 - L 6 SB 3623/20 - Juris Rn. 29; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.06.2019 - L 21 SB 347/16 - Juris Rn. 32).
Dabei ist es unerheblich, ob diejenigen Veranstaltungen, an denen der Behinderte noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 - Juris) oder welches tatsächliche Angebot von Veranstaltungen in seinem örtlichen Einzugsbereich vorhanden ist.
Solange der Behinderte mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - Juris). Diese Unfähigkeit des Behinderten, ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, steht damit praktisch der Bindung an das Haus gleich. Aus dem subjektiven Empfinden eines Behinderten an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr partizipieren zu können, folgt nicht, dass ein Besuch unzumutbar ist (vgl. BSG a.a.O.).

Dabei ist unter Teilnahme die körperliche Anwesenheit bei öffentlichen Veranstaltungen zu verstehen, ohne Rücksicht darauf, ob der Teilnehmende geistig-seelisch in der Lage ist, dem Dargebotenen zu folgen (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R - Juris). Ein gebührenermäßigter Rundfunk- und Fernsehempfang ermöglicht oder erleichtert eine durch verminderte geistige Aufnahmefähigkeit beeinträchtigte Teilnahme am Gemeinschaftsleben nicht, zumal sich die Beeinträchtigung der geistigen Aufnahmefähigkeit bei öffentlichen Veranstaltungen und beim häuslichen Rundfunkempfang in gleicher Weise auswirkt; der Rundfunk kann insoweit keinen Ersatz für nicht mehr erreichbare öffentliche Veranstaltungen bieten (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 32).

Vor diesem Hintergrund erfüllt der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht. Der Senat schließt sich der überzeugenden Einschätzung des M vollumfänglich an.
Der Kläger ist weder blind noch wesentlich sehbehindert mit einem Einzel-GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung noch ist er gehörlos und außerstande, sich - auch mit Hörhilfen - ausreichend zu verständigen.

Ebensowenig ist nachgewiesen, dass er wegen seiner Leiden ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Insbesondere ist er nicht wegen seiner schizophrenen Erkrankung daran gehindert.
Die durchgeführte Beweisaufnahme unter Berücksichtigung auch der Abläufe im Berufungsverfahren hat vielmehr gezeigt, dass der Kläger durchaus in der Lage ist, den Weg zu Veranstaltungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch mit eigenständig von ihm vor Ort gemieteten E-Scootern selbstständig zurückzulegen und an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
So hat der Kläger im Rahmen der Kostenabrechnung für seine Fahrt zur Untersuchung beim Sachverständigen M am 01.12.2022 angegeben, dass er den Zug zurück verpasst habe, deswegen noch in M beim Christkindlmarkt gewesen sei und erst am Folgetag nach W zurückgefahren sei. Innerhalb M hat er einen gemieteten E-Scooter genutzt.

Der Kläger ist sowohl zum Erörterungstermin beim LSG am 10.01.2022 als auch zum Sachverständigen M selbstständig und ohne Begleitung mittels öffentlicher Verkehrsmittel angereist. Auch nutzt der Kläger in seiner Freizeit Verkehrsmittel (z.B. Zug, Flixbus) für Fahrten in Städte wie München, Köln, Berlin oder Innsbruck. Schon deswegen lassen sich wesentliche, der Teilnahme an Veranstaltungen entgegenstehende Ängste des Klägers vor anderen Menschen nicht schlüssig begründen. Im Übrigen hat auch M im Rahmen seiner Untersuchung keine Angsterkrankung des Klägers feststellen können.

Dass der Kläger krankheitsbedingt teilweise Wahnvorstellungen auch hinsichtlich seiner Mitmenschen hat (z.B., dass eine Bekannte Babys umgebracht habe), wirkt sich im Alltag des Klägers nicht dergestalt auf sein Sozialverhalten aus, dass seine körperliche Anwesenheit und seine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zusammen mit anderen Menschen nicht möglich oder für seine Mitmenschen unzumutbar störend wäre. M hat darauf hingewiesen, dass der Kläger durchaus in der Lage ist, 10 Minuten ruhig zu warten, ohne Zeichen von motorischer Unruhe, und dass er aufgrund seiner Behinderung auf die Umgebung nicht unzumutbar abstoßend oder störend wirkt. Dies stimmt im Übrigen auch mit dem eigenen Eindruck der Berichterstatterin im Erörterungstermin überein. Nach überzeugender Beurteilung von M ist nicht zu befürchten, dass der Kläger beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören würde. Diesbezüglich hat sich der Kläger laut M bei der Begutachtung und - seinen Schilderungen nach - auch bei der Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in gutem Maße kontrolliert.

Selbst wenn der Kläger zeitweise in unbekannten Örtlichkeiten Schwierigkeiten haben sollte, Termine pünktlich wahrzunehmen, weil er sich "verfranzt" - so die Erklärung für seine Verspätung von einer Stunde beim Sachverständigen M -, würde ihn dies nicht umfassend an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen hindern. Denn es gibt zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, wie Stadtfeste, Weihnachtsmärkte, Ausstellungen etc., die keine engen zeitlichen Vorgaben haben. Außerdem war der Kläger bei M pünktlich erschienen.

Dass der Kläger die Vermietung eines möblierten Zimmers im eigenen Haus anbietet und z.B. in diesem Jahr in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet hat, spricht ebenfalls gegen krankheitsbedingte Einschränkungen im Sozialverhalten, die seine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausschließen würden. Keinesfalls ist die Situation des Klägers mit derjenigen eines an das eigene Haus gebundenen Menschen vergleichbar.

Soweit der Kläger über akustische Halluzinationen berichtet hat in der Form, das er Stimmen hört, die ihn bei der Teilnahme an Veranstaltungen stören, vermag dies nicht die Voraussetzungen des Merkzeichens RF zu begründen. Denn die Unfähigkeit, einer Veranstaltung inhaltlich folgen zu können, wird nicht durch den Nachteilsausgleich RF ausgeglichen (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R - Juris). Ergänzend sei angemerkt, dass der Kläger nicht nur in Anwesenheit anderer Menschen, sondern auch allein beim Fernsehen diese Stimmen hört.
Soweit der Kläger vorträgt, andere Menschen würden ebenfalls seine akustischen Halluzinationen - die fremden Stimmen - hören, die die Gedanken des Klägers laut aussprechen würden, handelt es sich um seine krankheitsbedingte Fehlvorstellung und nicht um die Realität. Selbst wenn dem Kläger diese Fehlvorstellung so unangenehm wäre, dass er deswegen andere Menschen generell meiden würde - was bislang nicht der Fall ist -, könnten solche unzutreffenden subjektiven, wahnhaften Vorstellungen nicht mit objektiven Hinderungsgründen gleichgesetzt werden und die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF begründen. Vielmehr sollte der Kläger dies zum Anlass nehmen, eine konsequente ärztliche Behandlung seiner Schizophrenie einschließlich Medikation in Angriff zu nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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