S 33 U 403/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 U 403/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid


I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung eines Ereignisses vom 15.01.2020 als Arbeitsunfall.
Mit Schreiben vom 21.01.2020 legitimierte sich der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten und teilte mit, dass der Kläger einen Hirninfarkt erlitten habe und sich in stationärer Behandlung in der Klinik  B. befinde.
Der Hirninfarkt sei während der Arbeit eingetreten, weshalb die Anerkennung als Arbeitsunfall geltend gemacht werde. Nach dem ausführlichen Bericht zur stationäre Behandlung ab dem 15.01.2020 in der Klinik  B. habe der Kläger seine Ehefrau auf der Arbeit angerufen. Bei dem sei eine Sprachstörung aufgefallen sei. Diagnostiziert wurde eine "zerebrale Ischämie des linken Mediastromgebietes bei distalem M2/M3 Verschluss". Als Risikofaktor war eine "arterielle Hypertonie" genannt.
Mit Bescheid vom 13.02.2020 wurde die Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt. Die Beklagte verwies in ihrer Entscheidung darauf, dass Unfälle aus innerer Ursache grundsätzlich nicht versichert seien, weil die wesentliche Ursache im persönlichen Lebensbereich des Versicherten liege.
Der Bevollmächtigte des Klägers legte hiergegen Widerspruch ein. Beim Kläger hätte eine psychische Ausnahmesituation vorgelegen, da er ohne seine beiden Lehrlinge in der Werkstatt alleine gewesen sei. Hinzugekommen sei ein vermehrtes Kundenaufkommen, was zu einem außergewöhnlichen Stress beim Kläger geführt habe. Zudem sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass, wenn keine nennenswerten Vorerkrankungen vorliegen, der Beweis des ersten Anscheins für einen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschaden spreche.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2020 zurückgewiesen. Die Beklagte verwies darauf, dass ein Unfall ein von außen auf den Körper einwirkendes, plötzliches Ereignis darstelle, das rechtlich wesentlich einen Gesundheitsschaden verursacht. Ein aus innerer Ursache kommendes Geschehen sei aufgrund des fehlenden äußeren Ereignisses nicht als Unfall anzusehen. Hierbei gehe es im Grunde um die Abgrenzung des Unfalls von einem inneren krankhaften Vorgang in der Risikosphäre des Versicherten. In der konkreten Situation seien keine betrieblichen Ursachen erkennbar, die für den erlittenen Hirninfarkt ursächlich gewesen sein könnten. Besondere betriebliche Gefahrmomente hätten an der Entstehung der erlittenen Gesundheitsstörung hinsichtlich Art und Schwere ebenfalls nicht mitgewirkt. Ein erhöhtes Arbeitsaufkommen allein stelle keine besondere, betriebliche Belastungs- bzw. Ausnahmesituation im Sinne der Rechtsprechung dar, um einen Hirninfarkt rechtlich wesentlich zu verursachen. Zudem sei eine Vorerkrankung im Sinne einer Arterien Verschlusskrankheit sowie eines Blutdruckleidens dokumentiert.
Der Kläger ließ hiergegen durch seine Bevollmächtigten am 19.08.2020 Klage zum Sozialgericht München erheben und verwies u. a. auf das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.03.2009, Az.: S 10 U 4096/07.
Neben der Beiziehung der medizinischen Befunde forderte das Gericht insbesondere das Vorerkrankungsverzeichnis und ein MDK-Gutachten bei der Krankenkasse an. Außerdem wurde die Klägerpartei um einen Nachweis dafür gebeten, dass die beiden Azubis am Unfalltag nicht im Betrieb gewesen seien. Zum Beleg eines erhöhten Kundenaufkommens wurden Rechnungen vom Unfalltag angefordert. Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 13.01.2021 wurde mitgeteilt, dass das Auftragsbuch vom Unfalltag aufgrund des zwischenzeitlichen Verkaufs der Werkstatt nicht mehr vorhanden sei. Es könne nicht mehr gesagt werden, an welchen Tagen die beiden Azubis in der Werkstatt gewesen seien, jedenfalls seien sie am 15.01.2020 nicht im Betrieb gewesen. Es wurde eine Rechnung vom 15.01.2020 vorgelegt, nach der am Unfalltag eine große Inspektion durchgeführt wurde.
Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von B1. auf neurologischem Fachgebiet. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine akute Stressbelastung nicht als Ursache eines Schlaganfalls angesehen werden könne. Einer akuten Stressbelastung komme möglicherweise in Bezug auf die Auslösung eines Schlaganfalls die gleiche Bedeutung zu, wie jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass des täglichen Lebens. Beim Kläger habe bereits länger bestehender Bluthochdruck sowie eine Arteriosklerose als Risikofaktoren für einen Schlaganfall vorgelegen.
Mit Schreiben vom 02.08.2021 trat der Prozessbevollmächtigte dem Gutachten entgegen und beantragte eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 04.08.2021 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Mit Schreiben vom 10.09.2021 wies der Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass die Arbeit dem Kläger immer "sehr viel Stress" bereitet habe und deshalb der Schlaganfall durch den immerwährenden Stress verursacht worden sei. Der Prozessbevollmächtigte erteilte sein Einverständnis zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid vom 13.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2020 aufzuheben und das Ereignis vom 15.01.2020 als Arbeitsunfall mit der Folge einer motorisch betonten Aphasie, einer mittelschweren hand- und armbetonten zentralen Hemiparese links und einer leichten Polyneuropathie sowie kognitiven Beeinträchtigungen, festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Beklagtenakte Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage war mangels Begründetheit abzuweisen.
1. Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich, wurde aber von der Klägerpartei erteilt.
2. Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist zulässig.
Statthaft ist die Anfechtungsklage in Verbindung mit einer Feststellungsklage. Die Möglichkeit, auch eine (kombinierte Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage auf Verpflichtung zur Feststellung eines Arbeitsunfalls zu erheben, schließt nach der Rechtsprechung eine (mit einer Anfechtungsklage kombinierte) Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 SGG nicht aus (Meyer-Ladewig/Keller Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Auflage, § 55 Rn. 13c). Der Kläger kann nach der Rechtsprechung wählen, welche dieser in Betracht kommenden Klagen er erhebt (BSGE 108, 274 Rn. 12; BSG 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R, Juris Rn. 17).
3. Die Klage ist jedoch unbegründet. Ein Arbeitsunfall liegt nicht vor.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit, wobei Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse sind, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
Ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis ist nicht mit der hierfür notwendigen mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (Vollbeweis) nachgewiesen.
Zwar kann Stress infolge einer beruflichen Ausnahmesituation ein solches Unfallereignis darstellen. Als Unfallereignisse anerkannte Stresssituationen infolge von beruflichen Ausnahmesituationen sind u. a schwere Beleidigungen, die versehentliche Tötung eines Kollegen oder ein belastendes Personalgespräch. Insofern ist schon fraglich, ob ein erhöhtes Kundenaufkommen am Unfalltag eine berufliche Ausnahmesituation darstellen kann. Dies kann allerdings dahinstehen, da ein erhöhtes Kundenaufkommen trotz gerichtlicher Anforderung nicht durch entsprechende Rechnungen vom Unfalltag, belegt werden konnte. Die Einreichung einer einzigen Rechnung ist für einen Nachweis nicht ausreichend.
Zudem äußerte der Kläger auch im Rahmen der Begutachtung bei B1., dass die Arbeit ihm generell sehr viel Stress verursacht habe, da er immer alles alleine habe machen müssen. Auch mit dem Personal habe es immer Probleme gegeben. Er hätte sich viel aufregen müssen. Eine besondere berufliche Ausnahmesituation am Unfalltag kann damit auch dem Vortrag der Klägerpartei nicht entnommen werden.
Dauerhafter Stress im Sinne einer länger anhaltenden Einwirkung über mehrere Arbeitsschichten hinweg erfüllt aber grundsätzlich nicht den Unfallbegriff (so u.a. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.11.2017 - L 3 U 52/15).
Unabhängig davon und rein vorsorglich, wird darauf hingewiesen, dass - entgegen den obigen Ausführungen - von einem Unfallereignis ausgehend, eine Anerkennung als Arbeitsunfall auch am Nachweis der Kausalität zwischen dem Unfallereignis und dem Schlaganfall als Gesundheitserstschaden scheitert.
Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden sowie zwischen Gesundheitserstschaden und weiteren Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris Rn. 12), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht.
Als rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Ob der Gesundheitsschaden durch einen Arbeitsunfall wesentlich verursacht wurde, entscheidet sich (bei Vorliegen einer Kausalität in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne) danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az. B 2 U 1/05 R).
Dies dient der Abgrenzung vor allem zu möglichen inneren Ursachen. Eine Ursache wird dann nicht als wesentlich angesehen, wenn sie eine sogenannte Gelegenheitsursache darstellt. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine bereits vorhandene krankhafte Anlage so stark ausgeprägt oder so leicht anzusprechen ist, dass als "Auslöser" der akuten Erscheinung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis in Betracht kommen kann (BSG vom 30.01.2007, Az: B 2 U 8/06 R, Rn. 20).
Verursacht sind damit im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache).
Dieser Nachweis ist vorliegend nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit erbracht. Der berufliche Stress am Tag des 15.01.2020 war vorliegend nicht wesentlich kausal für den Schlaganfall.
Das Gericht macht sich dabei die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen zu eigen, der nachvollziehbar darlegt, dass der Schlaganfall auf dem Boden einer Gefäßerkrankung mit verschiedenen Gefäß-Einengungen (Arteriosklerose) entstanden ist. Diese Erkrankung sei wiederum mit größter Wahrscheinlichkeit auf dem Boden einer arteriellen Hypertonie entstanden. Somit hätten Vorerkrankungen bestanden, die das Risiko für einen derartigen Schlaganfall erhöhen. Der Sachverständige beschrieb, dass der Stressbelastung möglicherweise in Bezug auf die Auslösung eines Schlaganfalls die gleiche Bedeutung zukäme, wie jeder andere nicht zu vermeidende Anlass des täglichen Lebens.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen dahingehend beantragt hat, ob sich der Schlaganfall durch eine Lähmung zwei Wochen vorher angekündigt habe, oder nicht, ist eine solche Stellungnahme des Sachverständigen nicht entscheidungsrelevant. Denn die Einordnung des Sachverständigen wird durch die - durch den Kläger im Rahmen der Begutachtung geschilderte Lähmung - nur "unterstrichen".
Soweit der Prozessbevollmächtigte Bezug auf das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.03.2009, AZ: S 10 U 4096/07 nimmt, wird darauf hingewiesen, dass dieses durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 11.01.2012, AZ. L 6 U 2574/09, aufgehoben und die Revision nicht zugelassen wurde. Dabei wurde vor allem darauf hingewiesen, dass es gerade keine Beweisregel gebe, dass bei fehlender Alternativursache das angeschuldigte Ereignis eine Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Auch könnten die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden.
Unabhängig davon waren vorliegend relevante Vorerkrankungen im Sinne von kardiovaskulären Risikofaktoren vorhanden, sodass die Sachverhalte diesbezüglich nicht vergleichbar waren.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

 

 

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