L 5 AS 942/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
103
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 31 AS 43/2013
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 942/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 
Tatbestand

Streitig ist – nach Änderung des angefochtenen Bescheides durch den Beklagten – noch die Aufhebung von bewilligten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und Erstattung ausgezahlter Leistungen sowie entrichteter Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate April und Mai 2008 in Höhe von insgesamt 1.508,81 EUR.

Der am 18. März 1974 geborene Kläger bezog jedenfalls seit Juni 2006 nach Beendigung eines Bezuges von Arbeitslosengeld I Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Er war im streitigen Zeitraum verheiratet, lebte jedoch seit Mai 2006 und im streitigen Zeitraum von der Ehefrau getrennt. Das gemeinsame Kind (geboren am 25. März 2004) lebte nicht in seinem Haushalt. Für eine weitere Tochter, die ebenfalls nicht im Haushalt des Klägers lebte, wurden Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht. Bei dem Kläger sind eine Schwerbehinderung mit dem Grad 50 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ seit dem 8. August 2005 anerkannt. 

Im streitigen Zeitraum bewohnte der Kläger allein eine Wohnung in der Marienwerderstraße 33, in 16244 Schorfheide / OT Finowfurt, die er von seinem Bruder, Marco Seifert, gemietet hatte. Zu entrichten war ein monatlicher Gesamtmietzins in Höhe von 470,60 EUR. In dem Mietvertrag ist kein Bankkonto zur Überweisung angeführt; nach eigenen Angaben zahlte der Kläger die Miete monatlich in Höhe von 470,60 EUR bar.

Bei Antragstellung von Leistungen nach dem SGB II im Juni 2006 hatte der Kläger angegeben, über kein Barvermögen zu verfügen, bei nachfolgenden Antragstellungen verneinte er die Frage nach Veränderungen bei den Vermögensverhältnissen. Im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU/H) seit Dezember 2007 in nur nach Auffassung des Beklagten angemessener Höhe von 273,48 EUR monatlich.

Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 5. November 2007, mit dem der Kläger die Frage nach Veränderungen in den Vermögensverhältnissen verneinte, bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 7. November 2007 für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von monatlich 620,48 EUR (347,00 EUR Regelbedarf, 273,48 EUR für angemessene Aufwendungen für KdU/H). Diese Leistungen wurden auch an den Kläger ausgezahlt. Weiterhin wurden im April und Mai 2008 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 133,60 EUR entrichtet. 

Mit Bescheid vom 26. Mai 2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Fortzahlungsantrag vom 9. Mai 2008, mit dem Änderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht angegeben wurden, Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 11. Juni 2008 bis zum 30. November 2008 in Höhe von monatlich 620,48 EUR für Juni 2008 und monatlich 624,48 EUR für Juli bis November 2008 (351,00 EUR Regelbedarf, 273,48 EUR für KdU/H). 

Am 12. Juni 2008 ging bei dem Beklagten eine Gewerbeanmeldung des Klägers vom 10. Juni 2008 ein. Angemeldet war mit Aufnahme am 10. Juni 2008 ein Gewerbe „Mietfahrer, Kfz-Überführungen, Fahrdienst, Kurierdienst, Hausmeisterservice, Baudienstleistungen“. Am 17. Juni 2008 zeigte der Kläger mit einer Veränderungsmitteilung vom 13. Juni 2008 die Aufnahme einer selbstständigen Kraftfahrertätigkeit seit dem 10. Juni 2008 an.

Nach Einreichung der prognostizierten Einnahmen und Ausgaben hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. August 2008 auf und bewilligte Leistungen für Juni und Juli 2008 mit Änderungsbescheid vom 29. August 2008 vorläufig. Mit Bescheid vom 10. September 2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger ein Einstiegsgeld nach § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 SGB II ab dem 10. Juni 2008 in Höhe von täglich 5,78 EUR, ab Juli 2008 bis zum 9. Dezember 2008 in Höhe von 5,85 EUR.

Mit Schreiben vom 16. September 2011, Eingang bei dem Beklagten am 20. September 2011, unterrichtete das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) den Beklagten darüber, dass im Rahmen eines gegen den Geschäftsführer (GF) des Unternehmens MAXXAM GmbH (M.) geführten Ermittlungsverfahrens festgestellt worden sei, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2009 für die M. als Kraftfahrer (europaweite Überführungen von LKW) tätig gewesen sei und folgende Beträge als Barlohn erhalten habe: April 2008 1.169,00 EUR, Mai 2008 1.394,00 EUR, Juni 2008 908,70 EUR, Juli 2008 1.253,95 EUR.

Der Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 26. Oktober 2011 zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. April 2008 bis zum 31. Juli 2008, gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), und zu einer beabsichtigten Rückforderung von Leistungen in Höhe von 3.022,57 EUR an. 

In der Folge übersandte das Hauptzollamt dem Beklagten Kopien sichergestellter Beweismittel, so Ablichtungen von Speditionsaufträgen, Monatsabrechnungen, Spesenabrechnungen und Tourenabrechnungen für die Monate April bis Juli 2008. Hinsichtlich des Inhalts wird auf Blatt 374 bis 466 der Verwaltungsakten des Beklagten (VA) verwiesen. In sogenannten Testabrechnungen der M. mit einer Firma „Terra Handels- und Speditionsgesellschaft mbH Buchholz“ (T.), die Auftraggeberin der M. war und die Überführungsfahrten der LKW an M. in Auftrag gegeben hatte, sind für den Monat Mai 2008 11 Fahrten (europaweit) aufgeführt, für die als Fahrer der Kläger benannt ist. Entsprechende Tourenabrechnungen der M. und „Speditionsaufträge“ der T., die den Kläger als Fahrer ausweisen und von ihm – mit Ausnahme der Fahrten 29. bis 30. Mai 2008 und 15. bis 16. Mai 2008 – auch als „Fahrer“ unterschrieben worden sind, befinden sich ebenfalls bei den Unterlagen. Für den Monat April 2008 sind den Testabrechnungen mit der T. acht Fahrten (europaweit) zu entnehmen, für die als Fahrer der Kläger aufgeführt ist. Zu diesen Fahrten liegen ebenfalls Tourenabrechnungen der M. an die T. sowie von dem Kläger als „Fahrer“ unterschriebene Speditionsaufträge der T. vor.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. April 2012 hob der Beklagte die Bescheide vom 8. November 2007 und 26. Mai 2008 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1. April 2008 auf und forderte für April und Mai 2008 Leistungen in Höhe von jeweils 754,08 EUR zur Erstattung. Der Beklagte stützte die Entscheidungen auf § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X, § 50 Abs. 1 SGB X. Der Kläger habe Einkünfte aus einer Tätigkeit bei der M. erzielt. Einer Verpflichtung zur Mitteilung der Änderung der Verhältnisse sei der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Unabhängig davon habe der Kläger gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der zuerkannte Leistungsanspruch zum Ruhen gekommen oder ganz weggefallen sei.

Den hiergegen am 14. Mai 2012 eingelegten, ohne Begründung gebliebenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2012 zurück, mit dem er die getroffene Entscheidung bestätigte. 

Daraufhin hat der Kläger am 7. Januar 2013 Klage beim Sozialgericht erhoben, mit der er die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 26. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2012 begehrt hat. Er hat geltend gemacht, aktenkundig und dem Beklagten bekannt sei, dass er, der Kläger, „Anfang des Jahres 2008 erwogen habe“, sich als Kraftfahrer selbständig zu machen. Bekannt sei auch gewesen, dass er zur Erprobung seiner Fähigkeiten und seiner Tauglichkeit ein unentgeltliches Praktikum bei der M. absolviert habe. Nachdem Förderungen des Beklagten zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit bewilligt worden seien, habe er am 10. Juni 2008 ein Gewerbe für die Tätigkeit als Mietfahrer angemeldet und dies bei dem Beklagten angezeigt. Tatsächliche Einnahmen aus dieser Tätigkeit habe er erst im August 2008 erzielt. Somit habe er, der Kläger, bezogen auf eine Einkommenserzielung auch keine Mitwirkungspflichten verletzt. Kontoauszüge aus 2008 lägen ihm nicht mehr vor. Verträge mit der M. seien in seinen Unterlagen nicht auffindbar. Der Name eines Ansprechpartners bei der M. sei ihm nicht erinnerlich. Aus den Bescheiden des Beklagten ergebe sich auch nicht, welche Beträge zu welchen Zeitpunkten zugeflossen sein sollen. Zudem wäre zu prüfen, ob die Bewilligungsbescheide nicht nach § 45 SGB X hätten zurückgenommen werden müssen; die Bescheide seien zudem – „mangels entsprechenden Vortrages des Beklagten“ – nicht hinreichend bestimmt. Er, der Kläger, habe alles getan, um den Sachverhalt aufzuklären und keine falschen Angaben gemacht, weshalb es nicht zu einer Umkehr der Beweislast komme. Er könne die Tatsache, dass er keinerlei Einnahmen erzielt habe, nicht unter Beweis stellen. 

Seine monatliche Miete habe er immer in bar an seinen Bruder gezahlt, von „dem Rest“ habe er gelebt. Wovon er die Miete in den Monaten April bis Juli 2008 gezahlt habe, wisse er nicht mehr. Seine Großmutter, die dement und pflegebedürftig mit dem Pflegegrad 3 sei, habe ihn immer unterstützt, er sei „immer Mittagessen gewesen“, inwieweit sie ihn weiter unterstützt habe, wisse er nicht mehr. Es sei lebensnah anzunehmen, dass er, der Kläger, im April und Mai 2008 über restliche Bargeldbestände aus der Vorzeit“ verfügt habe.

Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid entgegengetreten und hat weiter geltend gemacht, zwar treffe ihn, den Beklagten, grundsätzlich die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung. Eine Ausnahme sei jedoch dann gerechtfertigt, wenn in der persönlichen Sphäre des Betroffenen wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar seien. Eine Übersendung von Verbis-Vermerken sei wegen deren Vernichtung nicht mehr möglich.

Im Termin beim Sozialgericht am 14. Mai 2014 hat der Beklagte den Bescheid vom 26. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2012 insoweit aufgehoben, als mit diesem die Leistungen für die Monate Juni und Juli 2008 aufgehoben und zurückgefordert wurden.

Der Kläger hat noch beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2012 für die Monate April und Mai 2008 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt (O.) (StA) zu dem Strafverfahren gegen den Kläger (Aktenzeichen 11 DS Js 7503/12 (385/12)) beigezogen und hieraus Ablichtungen als Beiakte zur Gerichtsakte genommen.

Weiter hat das Sozialgericht von der Sparkasse Barnim mit Einverständnis des Klägers eine Umsatzübersicht für das dort geführte Bankkonto des Klägers (Nr. 4506251607) für den Zeitraum 1. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2008 beigezogen.

Daraus ergeben sich in den Monaten Februar bis Mai 2008 folgende Gutschriften (neben Rückbuchungen von Lastschriften) und Abhebungen (neben Abbuchungen/Überweisungen für Stromlieferungen/Versicherungen/Telefon etc.):

Monat    Gutschriften/Einzahlungen    Abhebungen/Kartenzahlung
02-2008    586,64 € (AA Eberswalde)    370,00 € 
03-2008    586,64 € (AA Eberswalde)      70,00 € 
04-2008    620,48 € (AA Eberswalde)      70,00 €
05-2008    620,48 € (AA Eberswalde)    355,00 €

Weiter hat das Sozialgericht die Ermittlungsakten der StA zu dem Verfahren gegen die GF der M. beigezogen.

Auf Anfrage des Sozialgerichts vom 15. August 2019, ob dort noch für den Zeitraum Januar 2008 bis Mai 2008 Zahlungsbelege / Quittungen den Kläger betreffend vorlägen, hat das Hauptzollamt unter dem 28. August 2019 mitgeteilt, dass die „beschriebenen“ Beweismittel auf Weisung der StA vernichtet worden seien.

Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) hat auf Aufforderung des Sozialgerichts den Beschluss vom 2. Februar 2012 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der M. übersandt. Auf Anfrage des Sozialgerichts nach Quittungsbelegen für Barzahlungen an den Kläger für den Zeitraum April bis Mai 2008 hat der Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. unter dem 21. Mai 2021 mitgeteilt, dass solche Unterlagen dort nicht vorlägen.

Das Sozialgericht hat am 8. August 2019 Beweis erhoben durch Vernehmung des ehemaligen Geschäftsführer (GF) der M. (Robert Bucker) als Zeugen und am 17. Juni 2021 durch Vernehmung des Bruders des Klägers, Marco Seifert, als Zeugen. Wegen des Inhalts der Aussagen wird auf die Anlagen zu den Sitzungsniederschriften vom 8. August 2019 und vom 17. Juni 2021 verwiesen.

Mit Urteil vom 17. Juni 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet, denn die vollständige Aufhebung der Leistungsbewilligungen für die Monate April und Mai 2008 sei rechtmäßig. Grundlage der Aufhebungsentscheidung sei § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3, 4 SGB X. Der Kläger habe frühestens ab Januar 2008 bedarfsdeckendes Einkommen erzielt, so dass die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung erst nachträglich eingetreten sei. Nach Erlass des Bewilligungsbescheides sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die zum Wegfall des Anspruchs auf Grundsicherung nach dem SGB II geführt habe. Die Kammer hat es als erwiesen angesehen, dass dem Kläger im streitigen Zeitraum Geldmittel zur Verfügung gestanden haben, die in der Bewilligungsentscheidung des Beklagten nicht berücksichtigt worden seien. Dabei stehe zwar nicht fest, in welcher konkreten Höhe Geldmittel tatsächlich zugeflossen seien. Infolge der Beweislastumkehr sei für die streitigen Monate jedoch davon auszugehen, dass der Beklagte zu Recht von weiteren Finanzmitteln des Klägers in bedarfsdeckender Höhe ausgegangen sei, da der Kläger bewusst eine Aufklärung seiner finanziellen Mittel habe vereiteln wollen. Der für die Rechtswidrigkeit der früheren Bewilligungsentscheidung beweisbelastete Beklagte habe hingegen nachgewiesen, dass die Bewilligungsentscheidung rechtswidrig gewesen sei. Vorliegend könne allein der Kläger die tatsächlichen Verhältnisse aufklären, weil nur er über die Möglichkeit verfüge, über die in seiner Sphäre liegenden Umstände zum Zufluss weiterer Geldmittel wahrheitsgemäß Auskunft zu geben. Hierzu sei der Kläger nicht bereit gewesen, habe zur Überzeugung der Kammer diesbezüglich bewusst die Unwahrheit geschildert. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass auch bei einer Aufhebungsentscheidung von einer fehlenden Hilfebedürftigkeit ausgegangen werden könne, wenn die Einkommenssituation eines Leistungsberechtigten nicht mehr zweifelsfrei aufgeklärt werden könne. Werde Einkommen verschleiert und verschwiegen, sei es dem Beklagten nicht möglich, sich Kenntnis über die Höhe der Einkünfte zu verschaffen. Dies liege allein in der Sphäre desjenigen, dem die Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen sei.

Zur Überzeugung der Kammer sei eine Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bewilligungsbescheides nachgewiesen, welcher ohne Berücksichtigung von Einkünften dem Kläger Leistungen zuerkannt habe. Der Aussage des Klägers, er habe bei der M. lediglich ein Praktikum absolviert, ohne einen finanziellen Ausgleich dafür von dieser erhalten zu haben, sei nicht glaubhaft. Bereits die Darlegungen des Klägers zu seiner Einkommenssituation und seinen Ausgaben seien unschlüssig. Bezahlvorgänge an Lebensmitteldiscounter seien aus den Kontoauszügen nicht ersichtlich. Die Miete in Höhe von monatlich 470,60 EUR sei nach Darstellung des Klägers vollständig in bar an den Bruder gezahlt worden. Der Bruder habe dieses bestätigt. Die vom Bankkonto abgehobenen Beträgen hätte jedoch nicht ausgereicht, die Mietzahlungen zu bestreiten. Dass der Kläger über Ersparnisse verfügt habe, sei nicht ersichtlich. 

Gegen das ihm am 21. Juli 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. August 2021 eingelegte Berufung, mit der der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast lägen nicht vor. Es sei nicht zutreffend, dass in der persönlichen Sphäre oder im Verantwortungsbereich des Klägers liegende Umstände nicht aufklärbar seien. „Objektive Zahlungsnachweise“ über Einkommen in dem streitbefangenen Zeitraum seien nicht vorhanden. In keinem der geführten Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der M. und gegen den Kläger hätten sich Unterlagen zu Zahlungen an den Kläger in dem streitbefangenen Zeitraum gefunden. Folglich habe das Sozialgericht auch keine konkreten Einnahmen des Klägers feststellen können. Er, der Kläger, habe durchgehend vorgetragen, er habe keinerlei Erwerbseinkommen in den Monaten April und Mai 2008 von der M. erhalten. Da Belege, die Gegenteiliges aussagten, nicht vorhanden seien, sei der Sachverhalt als aufgeklärt zu betrachten. Auch habe er, der Kläger, umfassende Angaben gemacht und sämtliche Einwilligungen zur Beiziehung von Akten gegeben. Er habe nicht die Aufklärung des Sachverhalts erschwert und verhindert. Die Rechtsprechung habe zudem eine Beweislastumkehr in Fällen angenommen, in denen nachgewiesen gewesen sei, dass Zahlungen überhaupt erfolgt waren. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Dass er, der Kläger, sich habe nicht daran erinnern können, über wieviel Bargeld er verfügt habe, wie viele Zigaretten er geraucht und was er gegessen habe, könne nach 14 Jahren nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Ihm sei auch nicht erinnerlich, in welchen (ggf. Teil-)Beträgen er in den streitbefangenen Monaten die Miete gezahlt habe. Er, der Kläger, habe in dieser Zeit über ihm der Höhe nach nicht mehr erinnerliche Bargeldbestände verfügt, woraus „angenommen werden könne“, dass er den Mietzins nicht allein durch Bargeldabhebungen von seinem Konto, sondern auch durch die bereits vorhandenen Bargeldbestände gezahlt habe. Er sei auch zu keinem Zeitpunkt nach dem 1. April 2008 zur täglichen Höhe seines Bargeldbestandes gefragt worden. 

Der Kläger beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27.Juni 2021 sowie den Bescheid des Beklagten vom 26. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Anfrage des Senats hat die StA Frankfurt (Oder) mitgeteilt, dass die Akten des Strafverfahrens gegen die GF der M. bereits vernichtet seien. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beiakten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. 
 
Entscheidungsgründe

Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Juni 2021 sowie der Aufhebungs- Erstattungsbescheid des Beklagten vom 26. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2012, in der Fassung des Anerkenntnisses vom 14. Mai 2014. Streitig ist das auf vollständige Aufhebung des Bescheides des Beklagten gerichtete Klagebegehren; die Erklärung im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 17. August 2021 war nicht als teilweise Klagerücknahme bzw. Einschränkung des Berufungsbegehrens dahin zu verstehen, dass der Kläger lediglich noch eine teilweise Aufhebung der mit dem Erstattungsbescheid geltend gemachten Erstattungsforderungen für die Monate April und Mai 2008 begehrt. Soweit der Kläger anführt, der Beklagte fordere mit dem auch im Berufungsverfahren vollumfänglich weiter angefochtenen Bescheid für die „streitgegenständlichen Monate jeweils 620,48 EUR“ zurück, handelt es sich um ein Versehen, denn dabei hat der Kläger die verfügten Rückforderungen in Höhe der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung übersehen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Die zulässige Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, in der Fassung des Anerkenntnisses ist rechtmäßig. Der Beklagte ist befugt, die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II für die Monate April und Mai 2008 aufzuheben und die gewährten Leistungen und gezahlten Beiträge von dem Kläger zur Erstattung zu fordern.

Rechtsgrundlage für die vollständige Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 7. November 2007 für die Monate April und Mai 2008 ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Liegen die Aufhebungsvoraussetzungen danach vor, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt des Eintritts der Änderungen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 zurückgenommen werden.

In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 7. November 2007 bestanden haben, ist eine Änderung dadurch eingetreten, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung nach Erlass des Bewilligungsbescheides nicht mehr festzustellen sind und deshalb kein Leistungsanspruch mehr bestand.

Nicht festzustellen ist, dass bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 7. November 2007 bereits die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 9, 20, 22 SGB II (in der hier anzuwendenden Fassung durch Art. 3 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26. März 2007 [BGBl. I S. 378]) (SGB II a.F.) nicht vorlagen, so dass Grundlage der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Aufhebung nicht § 45 SGB X ist.

In den streitigen Monaten erfüllte der Kläger zwar noch die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II (maßgebliche Altersgrenze, Erwerbsfähigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland); nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann der Senat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger weiterhin hilfebedürftig war (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II a.F.). 

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II a.F., wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mittel, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Unstreitig hat der Kläger nach Erlass des Bescheides vom 7. November 2007 jedenfalls im April 2008 eine Kraftfahrertätigkeit bei der M. – nach eigenen Angaben als Praktikant - aufgenommen. Nach dem gesamten Akteninhalt, insbesondere nach den mit den Akten vorliegenden, von dem Kläger als „Fahrer“ unterzeichneten Speditionsaufträgen, steht fest, dass der Kläger in Ausübung seiner Tätigkeit als Kraftfahrer bei der M. im April 2008 jedenfalls fünf Einzelfahren als Fahrer (von bzw. nach Polen, Ungarn, Litauen, München) und im Mai 2008 jedenfalls 11 Fahrten mit einem LKW zur Überführung unternommen hat (von bzw. nach u.a. Russland, Belarus, Frankreich, Ukraine). Soweit der Kläger angegeben hat, er könne nicht bestätigen, dass er alle von ihm unterzeichneten Speditionsaufträge auch als Fahrer selbst ausgeführt habe, so kommt es hierauf nicht an. Der Kläger hat ebenfalls angegeben, dass für die M. bei Speditionsaufträgen immer zwei Fahrer gefahren sind, so dass der Kläger zur Überzeugung des Senats die betreffenden Fahrten jedenfalls als Beifahrer oder Fahrer für die M. unternommen hat. Die Speditionsaufträge sind bei Übergabe der überführten LKW unterzeichnet worden, Übergabeort war also nicht der Sitz der M., sondern das Ziel der Überführungsfahrt bei dem Kunden der Auftraggeberin der M. (bzw. der T.), so dass der Kläger jeweils vor Ort gewesen ist und jedenfalls mitgefahren sein muss. 

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht für den Senat auch fest, dass der Kläger für die geleistete Kraftfahrertätigkeit bzw. anlässlich dieser Tätigkeit von der M. Bargeld erhalten hat. Unterlagen, die Zahlungen belegen (Quittungen, Abrechnungen etc.) liegen nicht vor, es steht zudem nach den Auskünften des Hauptzollamtes, des Insolvenzverwalters der M., des ehemaligen GF der M. und des Klägers fest, dass weitere Unterlagen zu den Abrechnungen der Überführungsfahren, die der Kläger für die M. unternommen hat, nicht mehr erreichbar sind. Auch der Kläger hat angegeben, keine Unterlagen (Verträge, Quittungen) zu besitzen. 

Wie bereits das Sozialgericht nachvollziehbar angenommen hat, kann jedoch aus den vorliegenden Unterlagen und den Aussagen und Einlassungen des ehemaligen Geschäftsführers nur geschlossen werden, dass der Kläger für die Durchführung der Fahrten Bargeld erhalten hat. So hat der Zeuge Bucker ausgesagt, dass die M. mit den Fahrern unterschiedliche Verträge geschlossen hätte, in denen auch die Abgeltung von Spesen über eine Kilometerpauschale geregelt gewesen sei. Er hat weiter bestätigt, dass auch Praktikanten, wie der Kläger seinen Beschäftigungsstatus angibt, eine Aufwandsentschädigung erhalten hätten, da mit den Fahrten „ein gewisser Aufwand“ verbunden gewesen sei. Nach dem Umfang der Kraftfahrertätigkeiten im Rahmen der europaweiten Überführung von LKW ist es ausgeschlossen, dass der Kläger als Praktikant ohne jegliche Zahlung diese oft mehrtägigen Fahrten für die M. unternommen hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass mit den Fahrten auch Auslagen (Verpflegungsaufwand) verbunden waren und es fernliegend ist, dass der Kläger die im Vergleich zur häuslichen Verpflegung erheblich teurere auswärtige Ernährung auf eigene Kosten bestritten haben will. Der Kläger hat auch bestätigt, dass der Zeuge Bucker „das Hotel jeweils bezahlt“ hat, er (der Zeuge) „einem immer das Geld zur Verwaltung“ gegeben hat (Angabe im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2021). Dass diese Vorgehensweise, mit anschließender Abrechnung gegen Quittung, nicht auch im April und Mai 2008 praktiziert wurde, ist nicht ersichtlich. 

Soweit letztlich etwaige Barzahlungen der M. an den Kläger im streitigen Zeitraum nicht zu belegen sind, führt dies vorliegend nicht zur Annahme, dass weiterhin Hilfebedürftigkeit vorlag.

Bei dem Tatbestandsmerkmal der Hilfebedürftigkeit handelt es sich um eine „negative Tatsache“, die nicht direkt zu beweisen ist. Derjenige, der um existenzsichernde Leistungen nachsucht, ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und auf Verlangen zu belegen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R – juris). Dies betrifft in erster Linie die Tatsachen seines persönlichen Lebensumfelds, also diejenigen Tatsachen, die er besser kennt als die Behörden und die diese ohne dessen Mitwirken gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand erheben könnten. Zu diesen Tatsachen zählen die wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese muss derjenige, der um existenzsichernde Leistungen nachsucht, umfassend offenlegen. Er muss detailliert und nachvollziehbar schildern, wovon er in der Vergangenheit seinen Lebensunterhalt bestritten hat, dass er über keine (ungeschützten) Rücklagen mehr verfügt und dass ihm einmal zugeflossene Vermögenswerte nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. Sauer in ders., SGB II, 1. Aufl. 2011, § 9, Rn. 5a; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2016 – L 34 AS 1350/13 – juris; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Juni 2022 – L 7 AS 622/21 – juris, Rn. 40 ff.).

Bestehen Zweifel, dass der Hilfesuchende tatsächlich hilfebedürftig ist, obliegt es diesem, diese Zweifel auszuräumen. Er muss ins Einzelne gehende und nachprüfbare Angaben machen und belegen, wie er seinen Lebensunterhalt in der Vergangenheit und/oder in dem entscheidungserheblichen Zeitraum bestritten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Februar 1998 – 8 A 5181/95 – juris; OVG Sachsen, Urteil vom 22. November 2005 – 4 B 1038/04 – juris, Rn. 49; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Oktober 2010 – L 6 AS 171/10 – juris). Seine Mitwirkungsobliegenheit verengt sich auf die Vorlage widerspruchsfreier und lückenloser Nachweise in Form von Urkunden und/oder die Benennung glaubwürdiger Zeugen, wenn seine Glaubwürdigkeit erschüttert ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen – Beschluss vom 14. Juni 2005 – L 1 B 2/05 AS ER – juris; Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 21, Rn. 43). 

Legt derjenige, der um existenzsichernde Leistungen nachsucht, seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht oder nur unzureichend offen und lässt sich deshalb nicht klären, ob er hilfebedürftig ist, sind weitere Aufklärungsbemühungen des Gerichts in der Regel nicht veranlasst (vgl. Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, 8. EL., Std. 2023, K § 9 SGB II, Rn. 576). Denn nur der, der um existenzsichernde Leistungen nachsucht, ist im Regelfall in der Lage, ausreichende und nachvollziehbare Angaben zu machen, die das Gericht in die Lage versetzen, seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 Satz 1 SGG nachzukommen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Februar 2012 – L 6 AS 20/09 – juris). Solange Zweifel bestehen, dass dieser tatsächlich hilfebedürftig ist, ist es dessen Aufgabe, diese Zweifel auszuräumen. Er kann nicht erwarten, dass die Behörde oder das Gericht stellvertretend für ihn seinen Hilfebedarf ermittelt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Juni 2018 – L 15 AS 164/18 B ER – juris).

Daran ändert sich nichts dadurch, dass vorliegend der Beklagte im Rahmen des § 48 SGB X die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides, der zurückgenommen wird, trägt, da eine Umkehr der Beweislast eingetreten ist.

Eine solche Umkehr der Beweislast ist, sofern – wie vorliegend – alle Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind, dann gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht und in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angabe oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R – juris)

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. 

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht für den Senat fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum über nicht angegebene Barmittel verfügt haben muss, da er von den mit den Kontounterlagen des von ihm angegebenen Bankkontos nachgewiesenen Abhebungen die von ihm angegebenen monatlichen Barzahlungen an seinen Bruder (Mietforderung 470,60 EUR) schon nicht tätigen konnte (Barabhebung im April 2012 70,00 EUR, im Mai 2012 355,00 EUR). Barmittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts standen ihm aus den Barabhebungen nach Bar(teil-)zahlung der Mieten nicht mehr zur Verfügung. Nur der Kläger ist in der Lage, die dennoch erfolgte Bestreitung des Lebensunterhalts und die vollständige Zahlung der Mieten schlüssig zu erläutern, nur er kann wissen, in welcher Höhe ihm weitere „Barmittel“ neben den vom Bankkonto abgehobenen Summen noch zur Verfügung standen. Dass ihm weitere Barmittel zur Verfügung gestanden haben, hat er im Berufungsverfahren selbst angegeben. Daraus folgt, da der Kläger mit den Fortzahlungsanträgen in 2007 und 2008 gegenüber dem Beklagten das Vorhandensein von Barvermögen verneint hatte, dass er zeitnah zu den hier streitigen Monaten fehlerhafte oder unzureichende Angaben gemacht und, da er nunmehr angegeben hat, keine genaueren Angaben zur Höhe der Barmittel in dem streitigen Zeitraum machen zu können, durch unzureichende Mitwirkung die weitere Aufklärung des Sachverhalts verhindert hat. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger hierzu keine näheren Angaben gemacht. Aus den Angaben des Klägers („es standen weitere Barmittel zur Verfügung“) folgt hingegen, dass er im Bewilligungszeitraum des Bescheides vom 7. November 2007 Einkommen zum Aufbau des entstandenen Barvermögens allein zur Bestreitung der Mieten erzielt haben muss. Da der Kläger vor dem streitigen Zeitraum seit längerer Zeit über die ihm von dem Beklagten monatlich gewährten Leistungen mangels Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für KdU/H keine Geldmittel zur Verfügung hatte, um seinen Lebensunterhalt einschließlich der tatsächlichen KdU/H zu bestreiten, gleichwohl aber die Mieten in der vertraglich geschuldeten Höhe bar entrichtet hat, kann nur er offenlegen, aus welchen Geldmittel ihm dies möglich war. Auch kann nur er angeben, auf welche Weise – bei einer vorherigen Unterdeckung des tatsächlichen Bedarfs – er in der Lage gewesen sein will, ohne Erzielung von Einkommen, „Bargeldbestände aufzubauen“. Will der Kläger von seiner Großmutter Unterstützungsleistungen erhalten haben, so liegt deren Art und Weise auch allein in der Sphäre des Klägers, allein er kann hierzu konkretere Angaben machen, was unterblieben ist. Da der Kläger auch die Aufnahme der Tätigkeit – und sei es nur als Praktikant – dem Beklagten nicht unmittelbar mitgeteilt hat und insofern auch keine Arbeitgeberauskünfte zeitnah eingeholt werden konnten, hat er auch durch diese fehlende Mitwirkung die weitere Sachaufklärung vereitelt.

Die Einkommens- und Vermögenssituation ab dem Monat der Aufnahme der Tätigkeit bei der M. konnte damit aus Gründen, die in der Sphäre des Klägers liegen, nicht weiter aufgeklärt werden, so dass ist von einer fehlenden Hilfebedürftigkeit in den streitigen Monaten auszugehen ist (BSG, a.a.O.; Urteil vom 28. August 2007 – B 7 / 7a AL 10/06 R – juris, Rn. 17; LSG Hamburg, Urteil vom 17. März 2022 – L 4 AS 371/20 – juris; i.E. auch LSG Sachsen, Urteil vom 21. Februar 2022 – L 7 AS 245/18 – juris, Rn. 42).

Ausgehend vom Eintritt einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch den Wegfall der Hilfebedürftigkeit im April 2008 lagen auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vor.

Zu Recht kann sich der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid auch auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen.

Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen und Vermögen erzielt worden ist, das zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Auf Vertrauensschutz kommt es nicht an, auch nicht auf ein Verschulden des Leistungsempfängers. Wie dargestellt ist eine bei Erlass des Bewilligungsbescheides bestehende Hilfebedürftigkeit entfallen. Dies führt vorliegend zwingend zur Annahme der Erzielung von Einkommen und / oder Vermögen, da ein Eintritt Dritter zur Bestreitung des gesamten Lebensunterhalts nicht angegeben wird. 

Auch liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung ab April 2008 mit dem angefochtenen Bescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X vor. Danach soll ein Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus einem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). 

Der Kläger hat es jedenfalls grob fahrlässig unterlassen, seine geänderten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Aufnahme einer Tätigkeit mit Einkommenserzielung bzw. Erlangung von Vermögen) dem Beklagten mitzuteilen und damit seine aus § 60 SGB I folgende Mitwirkungspflicht verletzt. Ihm war dabei bewusst, dass der vollständige oder teilweise Wegfall der Hilfebedürftigkeit durch Erzielung von Einkommen eine mitzuteilende Tatsache ist. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger – ohne weitere Aufforderung – die Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit angezeigt hat. Dem Kläger war auch bewusst, dass der Wegfall der Hilfebedürftigkeit zum Wegfall des Leistungsanspruchs führt. Hierüber ist er nicht nur belehrt worden; auch mit den mit den Antragsformularen gestellten Fragen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sind dem Kläger die Auswirkungen von Einkommen und Vermögen auf den Leistungsanspruch bekannt gewesen.

Der angefochtene Bescheid ist auch formell rechtmäßig. Mit dem Bescheid hat der Beklagte die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X gewahrt. Auch ist der Kläger ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Aufhebungsentscheidung auch hinreichend bestimmt, denn aus ihr geht unzweideutig der klar zu erkennende Wille des Beklagten hervor, die Leistungsbewilligung für die Monate April und Mai 2008 mit Bescheid vom 7. November 2007 vollständig aufzuheben (vgl. Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 33, Rn. 12 ff.).

Grundlage der Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. In dem streitigen Aufhebungszeitraum sind dem Kläger monatlich Leistungen in Höhe von 620,48 EUR ausgezahlt worden. Eine Reduzierung der Rückforderung von Leistungen für Aufwendungen für KdU/H nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II a.F. Fassung in der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. I S. 850, 2094], geändert durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 [BGBl. I S. 3057]) kam vorliegend nicht in Betracht, weil vorliegend die Aufhebung (auch) nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X erfolgt ist (§ 40 Abs. 4 Satz 2 SGB II a.F.). Die Pflicht zur Erstattung der in diesem Zeitraum zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichteten Beiträge, deren Höhe von monatlich 133,60 EUR zwischen den Beteiligten unstreitig ist, folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II a.F. i.V.m. § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F.. Die mit dem angefochtenen Bescheid von dem Beklagten insgesamt noch geltend gemachte Erstattungsforderung in Höhe von 1.508,16 EUR ist daher nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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