Die Pflicht zur elektronischen Einreichung nach § 65d SGG für professionelle Einreicher ab dem 1. Januar 2022 besteht unabhängig von einem Hinweis des Gerichts.
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt weiteres Verletztengeld und eine Verletztenrente aufgrund des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2015.
Das Sozialgericht Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 7. März 2022 unter Änderung des Bescheids vom 25. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2019 verurteilt, der Klägerin Verletztengeld über den 10. Januar 2016 bis zum 31. Januar 2017 sowie anschließend eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 35 v. H. zu gewähren.
In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils heißt es u. a.:
„Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Berlin, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam, schriftlich, in elektronischer Form oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
….
Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen ab 1. Januar 2022 die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65 d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).“
Das Urteil ist der Beklagten am 16. März 2022 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 23. März 2022, bei Landessozialgericht am 25. März 2022 ausschließlich in Papierform eingegangen, hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. März 2022 eingelegt und gleichzeitig die Verwaltungsvorgänge übersandt.
Mit Schreiben vom 30. März 2022 hat das Gericht der Beklagten mitgeteilt, dass die Berufung vom 23. März 2022 am 25. März 2022 eingegangen sei und die Beklagte gebeten, die Berufungsbegründung innerhalb von sechs Wochen zu übersenden.
Mit elektronischem Dokument vom 7. Juni 2022, ausweislich des Prüfvermerks an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Landessozialgerichts über einen sicheren Übermittlungsweg vom besonderen Behördenpost der Beklagten übermittelt und mit „Ihre BGW“ unterzeichnet, hat die Beklagte ihre Berufung begründet.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2023 hat das Landessozialgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht in der nach § 65 d seit dem 1. Januar 2022 zwingend erforderlichen elektronischen Form eingegangen und daher unzulässig sei. Es sei beabsichtigt, die Berufung nach § 158 S. 2 SGG durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, wenn die Beklagte die Berufung nicht zurücknehme.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2023 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie sich außerstande sehe, die Berufung zurückzunehmen. Zwar habe sie die Berufung in Papierform an das Landessozialgericht übersandt, allerdings habe das Landessozialgericht sie gleichwohl um die Begründung ihrer Berufung gebeten. Zudem habe sie mit der Berufungsschrift drei Bände Verwaltungsvorgänge übersandt.
II.
Die Berufung ist gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG in der erforderlichen elektronischen Form eingelegt worden ist.
Seit dem 1. Januar 2022 sind nach § 65 d S. 1 SGG vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument einzureichen. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Behörde im Sinne von § 65d S. 1 SGG.
Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23. März 2022 eingelegte Berufung genügt nicht der zwingend erforderlichen elektronischen Form nach § 65a Abs. 3 SGG, da der Schriftsatz ausschließlich in Papierform bei Gericht eingereicht worden ist. Die Einreichung als elektronisches Dokument war auch nicht etwa deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil die Beklagte mit dem Schriftsatz drei Bände Verwaltungsvorgänge übermittelt hat. Eine zwingende rechtliche oder sachliche Notwendigkeit, die Verwaltungsvorgänge gemeinsam mit der Berufungsschrift zu übermitteln, besteht nicht.
Der von der Beklagten als elektronisches Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelte Schriftsatz vom 7. Juni 2022 mit der Berufungsbegründung ist erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG beim Landessozialgericht eingegangen. Insbesondere ist das erstinstanzliche Urteil mit einer vollständigen und richtigen Rechtsmittelbelehrung versehen, so dass die Berufungsfrist nicht entsprechend § 66 Abs. 2 S. 1 SGG ausnahmsweise ein Jahr beträgt. Daher kann es dahinstehen, ob der Schriftsatz vom 7. Juni 2022 den Anforderungen von § 65a Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGG genügt bzw. „von der verantwortenden Person signiert“ ist. Zweifel hieran bestehen, da er nur mit „Ihre BGW“ und nicht mit dem Namen der den Schriftsatz verantwortenden Mitarbeiterin unterzeichnet ist (vgl. dazu H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 65 a SGG Rn. 227 (Stand: 21.06.2023)).
Dass das Landessozialgericht die Beklagte nicht gleich nach Eingang auf den Mangel der elektronischen Form hingewiesen hat, ist zu bedauern. Gleichwohl ändert dies nichts an der rechtlichen Folge, der Formunwirksamkeit des Schriftsatzes vom 7. Juni 2022. Lediglich in dem Fall, dass ein Dokument für das (jeweilige) Gericht nicht zur Bearbeitung geeignet ist, sieht § 65a Abs. 6 S. 1 SGG eine Hinweispflicht explizit vor. Die Nutzungspflicht nach § 65d SGG ist jedoch eine allgemeine Rechtspflicht, die den betroffenen so genannten professionellen Einreichern auch ohne gerichtlichen Hinweis bekannt sein muss (vgl. Bundesgerichtshof, Beschl. v. 26.01.2023 – V ZB 11/22, juris Rn. 17 zu der Pflicht, nach – insoweit § 65d SGG gleichlautenden - § 130d ZPO die technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung unverzüglich glaubhaft zu machen; Kammergericht, Urt. v. 14.03.2023 – 7 U 74/22, juris Rn. 32). Die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung sind von Amts wegen zu prüfen.
Im Übrigen ist die Beklagte in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils ausdrücklich auf die Nutzungspflicht für den elektronischen Rechtsverkehr nach § 65d SGG hingewiesen worden.
Dass der Beklagten die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen ist (§ 65d S. 4 SGG), ist ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen wäre die Beklagte auch ohne gerichtliche Aufforderung (vgl. dazu Gädeke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl. § 65d SGG Rn. 35 [Stand: 24.03.2023]) verpflichtet gewesen, die Unmöglichkeit unverzüglich glaubhaft zu machen, was sie nicht getan hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.