Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Die 1966 geborene Klägerin absolvierte von 1983 bis 1986 eine Berufsausbildung zur Restaurantfachfrau. In den Jahren 1988 bis 1990 erwarb sie im Rahmen einer Umschulung einen Abschluss als Bürokauffrau. Von Mai 1990 bis März 1997 war sie u.a. als Sachbearbeiterin und Objektmanagerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das letzte Beschäftigungsverhältnis endete durch eine Kündigung der Klägerin. Seitdem bezog sie zunächst Arbeitslosengeld und ab November 2007 Arbeitslosengeld II.
Am 24. April 2019 beantragte die Klägerin nach Aufforderung des Jobcenters R1 bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie machte geltend, dass sie schon vor über 20 Jahren aus ihrem zuletzt ausgeübten Beruf und auch aus dem Berufsleben ausgeschieden sei. Zudem seien gesundheitliche Beeinträchtigungen und chronische Erkrankungen bei einem künftigen Job zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom 27. Mai 2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Erwerbsfähigkeit sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, weil die Klägerin in der Lage sei, eine zumutbare Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte zunächst das Gutachten des H1 vom 18. November 2019 ein. Dieser diagnostizierte ein chronisches polytopes Schmerzsyndrom, Hallux rigidus bds. und ein pseudoradikuläres Syndrom der LWS. Aufgrund dieser Erkrankungen könne die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Immobilienmanagerin und eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im arbeitsmarktüblichen Rahmen noch täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht indiziert. Es bestünden – näher dargelegte - qualitative Leistungseinschränkungen.
Nachdem die Klägerin zahlreiche medizinische Unterlagen vorgelegt hatte, holte die Beklagte ferner das nervenärztliche Gutachten der H2 vom 26. Februar 2020 ein. Diese diagnostizierte eine leichte depressive Episode, zeitweilig mittelgradig und eine Schmerzstörung. Aufgrund dieser Erkrankungen sei es der Klägerin unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zumutbar, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen.
Nachdem die Klägerin geltend gemacht hatte, dass ihre Erkrankung hauptsächlich auf dem gynäkologischen Fachgebiet liege und weitere medizinische Unterlagen übersandt hatte, holte die Beklagte das gynäkologische Gutachten des S1 vom 9. November 2020 ein. Dieser diagnostizierte eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein klimakterisches Syndrom, mittel- schwergradig und intraabdominale Verwachsungen nach Erkrankung oder OP. Nach kritischer Würdigung könne man aus fachgynäkologischer Sicht derzeit keine Funktionsstörungen festmachen, die zu überdauernden, weiterreichenden, insbesondere quantitativen Leistungseinschränkungen führten. Es bestehe nach seiner Einschätzung eine komplexe Persönlichkeitsstörung oder eine somatoforme Störung, auch mit zwanghaften Komponenten, jedoch erfolge keine fachspezifische Behandlung. Im Vordergrund stünden aus seiner Sicht eher „nicht-gynäkologische“ Funktions- und Leistungseinschränkungen. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben könnten sich in der Zusammenschau mit den Gutachten anderer Fachrichtungen als sinnvoll erweisen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht aus behinderungsbedingten Gründen erforderlich.
Dagegen hat die Klägerin am 4. Januar 2021 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt sowie umfangreiche (medizinische) Unterlagen vorgelegt.
Die Beklagte hat sich auf die angefochtenen Bescheide und das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen gestützt.
Das SG hat zunächst das internistisch-arbeitsmedizinische Gutachten des S2 vom 27. März 2021 eingeholt. Dieser hat ein geringes Lymphödem der Beine, eine Hypercholesterinämie und Harninkontinenz diagnostiziert. Aufgrund dieser Diagnosen seien schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten ausschließlich im Stehen und ausschließlich im Sitzen sowie Arbeiten im Freien nicht mehr zumutbar. Leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Gehen oder Stehen oder Sitzen in geschlossenen Räumen seien weiterhin vollschichtig zumutbar. Aus internistischer Sicht könne auch die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit als Objektmanagerin/Immobilienmanagerin zumindest im Innendienst vollschichtig ausgeübt werden. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus internistischer Sicht nicht gefährdet. Er gehe davon aus, dass eine erneute gynäkologische Begutachtung keine weiterführenden Erkenntnisse bringen würde. Es falle auf, dass die Beschwerden, die dem gynäkologischen Fachgebiet zuzuordnen seien, von der Klägerin selbst Eingriffen wegen einer Endometriose vor mehr als 25 Jahren zugeordnet würden, die Beschwerden seien jedoch seit fünf Jahren zunehmend aufgetreten. Aus arbeitsmedizinischer Sicht sei hierzu festzustellen, dass es fraglich erscheine, ob die angeschuldigten Verwachsungen in den letzten fünf Jahren zugenommen hätten. Er erachte das aktenkundige gynäkologische Gutachten des S1 für plausibel und in jedem Fall sachgerecht. Dieser habe die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zugeordnet. Es falle jedoch auf, dass Schmerzmittel nicht eingenommen würden und dass eine schmerztherapeutische Behandlung bisher nicht durchgeführt worden sei. Aus seiner Sicht sei ein abschließendes nervenfachärztliches Gutachten einzuholen.
Daraufhin hat das SG das nervenärztliche Gutachten der F1 vom 19. Juli 2021 eingeholt. Diese hat als Diagnosen eine leichte depressive Episode und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren gestellt. Aufgrund dieser Diagnosen seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine erheblichen Einschränkungen festzustellen. Bei nur leicht ausgeprägter Symptomatik sei das qualitative und quantitative Leistungsvermögen nicht beeinträchtigt. Auch im Rahmen des chronischen Schmerzsyndroms sei keine erhebliche Minderung des Leistungsvermögens vorhanden. Die Erwerbsfähigkeit sei nicht gefährdet.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2022 abgewiesen.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch seien die §§ 9, 13 Abs. 1 und 16 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 49 SGB IX. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringe die Rentenversicherung Leistungen zur Prävention, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen zur Nachsorge sowie ergänzende Leistungen, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen zur Prävention hätten Vorrang vor den Leistungen zur Teilhabe. Die Leistungen zur Teilhabe hätten Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen seien, § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VI. Nach § 9 Abs. 2 SGB VI seien die Leistungen nach Absatz 1 zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt seien.
Für Leistungen zur Teilhabe hätten Versicherte die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllt, (1.) deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert sei und (2.) bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden könne, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden könne oder ein anderer in Aussicht stehender Arbeitsplatz erlangt werden könne, wenn die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes nach Feststellung des Trägers der Rentenversicherung nicht möglich sei.
Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI hätten Versicherte für Leistungen zur Teilhabe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die bei Antragstellung die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hätten oder eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen.
Gemäß § 16 Satz 1 SGB VI erbrächten die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung u.a. die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 49 bis 54 des Neunten Buches. Gemäß § 49 Abs. 1 SGB IX würden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimme der Rentenversicherungsträger, soweit Ausschlussgründe fehlten (§ 12 SGB VI), im Einzelfall unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten im Sinne des § 8 des Neunten Buches und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen.
Die Frage, „ob“ dem Versicherten Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren seien (sog. Eingangsprüfung), unterliege dabei der vollen Überprüfbarkeit durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Die Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers bezüglich des „wie“ unterliege im Rechtsstreit demgegenüber nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Diese Entscheidung sei lediglich in den Grenzen des § 39 Abs. 1 SGB I und des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüfbar, soweit nicht ein Fall der „Reduzierung des Ermessens auf Null“ vorliege. Die gerichtliche Kontrolle sei darauf beschränkt, zu prüfen, ob die Beklagte (1.) ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen sei (Ermessensnichtgebrauch), (2.) mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt habe (Ermessensüberschreitung), oder (3.) von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe (Abwägungsdefizit und Ermessensfehlgebrauch) (vgl. hierzu im Einzelnen Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 27 f.).
Von einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit sei dann auszugehen, wenn nach ärztlicher Feststellung wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen damit zu rechnen sei, dass ohne Leistungen zur Teilhabe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintrete. Eine erhebliche Gefährdung liege dann vor, wenn nach ärztlicher Feststellung durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die damit verbundenen Funktionseinschränkungen in absehbarer Zeit mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zu rechnen sei. Unter „absehbar“ sei entspr. § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ein Zeitraum von drei Jahren anzusehen (vgl. Kater, in: Kasseler Kommentar, Stand 117. Ergänzungslieferung Dez. 2021, SGB VI, § 10 Rn. 21). Im Rahmen der erheblichen Gefährdung müsse die Gefahr einer „Ausgliederung“ aus Arbeit, Beruf und Gesellschaft bestehen. Zwar sei nicht erforderlich, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unmittelbar bevorstehe, die bloße Möglichkeit ihres Eintritts reiche jedoch nicht aus. Durch das Erfordernis der Erheblichkeit sollten Leistungen bei solchen Erkrankungen oder Behinderungen ausgeschlossen werden, durch die die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten nur gering oder nicht erheblich sei und diesen auch auf andere Weise entgegengewirkt werden könne (vgl. Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 10 SGB VI (Stand: 1.4.2021), Rn. 39 sowie die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 9/842, S. 57). Abzustellen sei auf den zuletzt ausgeübten Beruf; berufliche Tätigkeiten der letzten Jahre, wenn auch nicht aus allzu lange zurückliegender Zeit, seien einzubeziehen (vgl. Kater, in: Kasseler Kommentar, Stand 117. Ergänzungslieferung Dez. 2021, SGB VI, § 10 Rn. 15 f.). Maßgebend sei, ob der Versicherte den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufes noch nachkommen könne; außer Betracht blieben die spezifischen Belastungen und Anforderungen des konkreten Arbeitsplatzes, die nicht berufstypisch seien (BSG vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 22/08 R - juris Rn. 16).
Gemessen an diesem Maßstab habe die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, denn eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nicht vor. Abzustellen sei dabei auf eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, da die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Jahr 1997 aufgegeben und seitdem keine Tätigkeit mehr ausgeübt habe. Die Erwerbsfähigkeit des § 10 SGB VI sei zwar nicht identisch mit der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI, auch komme es auf eine etwaige Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht an, allerdings habe die Klägerin mehr als 20 Jahre keine berufliche Tätigkeit mehr ausgeübt, sodass ein Beruf in diesem Sinne nicht mehr vorhanden sei.
Die im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachter H1, H2 und S1, deren Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertbar seien, hätten keine Krankheiten beschrieben, die zumindest eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit für eine geeignete Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes begründeten. Deren Einschätzung sei durch die im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten bestätigt worden. Soweit die Klägerin sich hauptsächlich auf Erkrankungen des gynäkologischen Fachgebietes berufe, habe S1 nachvollziehbar dargelegt, dass aus fachgynäkologischer Sicht keine Funktionsstörungen festzustellen seien, die zu überdauernden Leistungseinschränkungen führten und die Beschwerden einer somatoformen Schmerzstörung zugeordnet. Diese Einschätzung habe S2 aus internistischer Sicht für plausibel erachtet und ergänzend darauf hingewiesen, dass es nicht plausibel sei, dass die auf einer mehr als 25 Jahre zurückliegenden Operation wegen einer Endometriose beruhenden Verwachsungen nun verstärkt zu Beschwerden führten. Die Kammer habe keine Grundlage, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Soweit alle Gutachter übereinstimmend eine Schmerzstörung angenommen hätten, sei die Kammer übereinstimmend mit der Einschätzung der Gutachter nicht von einem erheblichen Schweregrad überzeugt, da eine adäquate Behandlung offenbar nicht stattfinde. Zudem sei fraglich, wie dieser Erkrankung mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Rechnung getragen werden könne. Es dürfte zunächst eine Behandlung sinnvoll sein.
Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, der Klägerin eine Rehabilitationsmaßnahme nach den Vorschriften anderer Träger zu bewilligen. Zwar habe sie den Antrag nicht an andere in Betracht kommende Leistungsträger weitergeleitet, sodass ihre alleinige Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet worden sei; andere Leistungsträger hätten dadurch ihre Entscheidungsbefugnis über die Gewährung von Teilhabeleistungen nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen verloren (BSG vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 6/09 R). Daraus ergebe sich die Pflicht der Beklagten, Teilhabeleistungen nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen unter Beachtung der besonderen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der jeweiligen Leistungsgesetze zu prüfen. Allerdings knüpfe die Vorschrift an behinderungsbedingte Einschränkungen an (vgl. § 4 Abs. 1 SGB IX) die hier nicht die Notwendigkeit von Teilhabeleistungen begründeten. Vielmehr dürfte hier eher die lange Zeit des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben eine Vermittlungsproblematik begründen, der über die Vorschriften des § 81 SGB III und 16 SGB II Rechnung getragen werden könne, welche allerdings nicht an eine Behinderung anknüpften und deshalb nicht der Vorschrift des § 14 SGB IX unterfielen.
Gegen den ihr am 29. Juni 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Juli 2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und ihr Begehren unter Vorlage umfangreicher medizinischer Unterlagen weiterverfolgt. Die von ihr eingereichten medizinischen Unterlagen seien bei der Erstellung der Gutachten und bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt worden.
Den hilfsweise erhobenen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat die Klägerin zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Juni 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Dezember 2020 zu verurteilen, ihr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat an ihrem Rechtsstandpunkt festgehalten. Das SG habe zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben habe, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI nicht vorlägen.
Entgegen der klägerischen Darstellung seien die vorgetragenen medizinischen Einschränkungen gewürdigt und diverse Fachgutachten verschiedener Disziplinen sowohl im Widerspruchs- als auch im erstinstanzlichen Verfahren eingeholt worden. Eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit habe nicht festgestellt werden können.
Die Berichterstatterin des Senats hat den Sachverhalt in einem Erörterungstermin am 18. April 2023 mit den Beteiligten erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2023 hat die Klägerin ihre Einwilligung zur Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht Punkt 1. und 2. vom 19. Februar 2021 für die Verfahren S 13 R 32/21 sowie das Berufungsverfahren L 13 R 2035/22 widerrufen. Außerdem dürften keine ihrer erstellten Gutachten oder sonstiges aus den o.g. Rechtsstreiten ohne ihre Einwilligung weitergegeben und/oder herangezogen werden.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids unter Darstellung der einschlägigen Rechtsnormen im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 9 ff. SGB VI i.V.m. § 49 SGB IX) zutreffend dargelegt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat, weil sie die persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch nicht erfüllt, nämlich keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Dabei hat sich das SG in nicht zu beanstandender Weise auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten und im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Gutachten des H1, des H2 und des S1 sowie auf die im Klageverfahren eingeholten Gutachten des S2 und der F1 gestützt.
Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Ergänzend ist anzuführen, dass letztlich dahinstehen kann, ob hinsichtlich der Frage der Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit auf den von der Klägerin zuletzt ausgeübten Beruf als Sachbearbeiterin bzw. Objektmanagerin oder – wie das SG angenommen hat – auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abzustellen ist. Bezüglich des allgemeinen Arbeitsmarktes hat sich das SG zutreffend auf die insoweit übereinstimmenden Einschätzungen in sämtlichen eingeholten Sachverständigengutachten gestützt. In sämtlichen Gutachten wird dargelegt, dass nach der jeweiligen fachärztlichen Einschätzung (orthopädisch, nervenärztlich, gynäkologisch, internistisch-arbeitsmedizinisch) ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht (unter Berücksichtigung der dargelegten qualitativen Einschränkungen). Soweit in den eingeholten Gutachten keine Angaben dazu enthalten sind, ob eine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit besteht (vgl. Gutachten F1, H2 und S1), sieht der Senat unter Berücksichtigung der in den Gutachten angegebenen qualitativen Einschränkungen und des Umstands, dass es sich bei der von der Klägerin zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Sachbearbeiterin/Objektmanagerin um eine leichte körperliche Tätigkeit gehandelt hat, keine Anhaltspunkte dafür, dass insoweit eine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegen könnte.
Darüber hinaus waren auch keine weiteren medizinischen Ermittlungen des Senats möglich, weil die Klägerin im Berufungsverfahren ihre Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht widerrufen hat.
Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 32/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2035/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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