1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
3. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versagung der Bewilligung von SGB-II-Leistungen für die Zeit ab Mai 2021.
Die vom Kläger deshalb vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage S 19 AS 520/21 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Gerichtsbescheid vom 4. November 2021 ab.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger 9. November 2021 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Berufung erhoben und als Adresse „A-Stadt“ angegeben.
Durch Schreiben vom 19. Januar 2022 hat das Gericht den Kläger darauf hingewiesen, dass sein Rechtsschutzbegehren neben seinem Namen auch seine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könne, enthalten müsse. Er werde daher aufgefordert, bis zum 1. März 2022 eine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könne, mitzuteilen. Dies sei eine Frist mit ausschließender Wirkung. Nenne er nicht bis zum Ablauf dieser Frist seine Wohnadresse, werde sein Rechtsschutzbegehren als unzulässig verworfen. Dieser Hinweis sowie die Anhörung zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter wurden dem Kläger jeweils öffentlich zugestellt und zusätzlich mit Postzustellungsurkunde an die Adresse der Eltern bekannt gegeben.
Mit Beschluss vom 15. März 2022 hat der Senat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter übertragen.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2021 als unzulässig zu verwerfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 16. September 2022 entscheiden, da diese bei der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Der Senat konnte in der Besetzung mit nur einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden, da das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG entschieden hatte und die Berufungen mit Beschlüssen des Senats vom 13. Juni 2022 auf den Berichterstatter übertragen wurden (vgl. § 153 Abs. 5 SGG).
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 4. November 2021 ist unzulässig.
Es fehlt bereits an einem formal-ordnungsgemäßen prozessualen Begehren, da der Kläger in seiner Korrespondenz mit dem Senat bewusst keine Wohnanschrift nennt. An dieser im Wesentlichen ungeschriebenen weiteren Sachurteilsvoraussetzung fehlt es in dem vorliegenden Fall.
Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, usw.) genannt wird (Bundessozialgericht, Beschluss vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S, Juris, Rdnr. 4 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur, so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2019, L 31 AS 2127/18, Juris, Rdnr. 11; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 2. August 2017, L 9 AL 212/14, Juris, Rdnrn. 43 ff.; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juni 2016, L 7 SO 4619/15, Juris, Rdnr. 20; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. April 2012, L 8 SO 182/11, Juris, Rdnr. 27).
Auch in dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formenstrenge auszeichnenden sozialgerichtlichen Verfahren ist es in mehrfacher Hinsicht geboten, §§ 90, 92 SGG nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie den Rechtsuchenden zumindest dazu verpflichten, eine Anschrift zu nennen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtsuchenden bedarf es hier - ähnlich wie in anderen Gerichtszweigen - bereits, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 Abs. 1 bis 3 SGG (bzw. nach Sonderregelungen in den einzelnen Sozialleistungsbereichen) feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen „gesetzlichen Richters“ i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu gewährleisten (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Da im Sozialgerichtsverfahren die örtliche Zuständigkeit nicht disponibel ist (vgl. § 59 SGG), diese Zuständigkeit umstritten sein kann, liegt auch hier das Bedürfnis nach Offenlegung einer Anschrift auf der Hand (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). In gleicher Weise ist das Anschriftenerfordernis unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl. § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 166 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -, siehe BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Dass auf das verfahrensrechtliche Mittel einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts des Betroffenen (§ 185 Nr. 1 ZPO) zurückgegriffen werden könnte, steht dem nicht entgegen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Diese Zustellungsart kommt nach ihren strengen Voraussetzungen wegen der Gefahr der möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht; als Regelzustellung bei planmäßigem, nicht gerechtfertigtem Schweigen eines Betroffenen über seinen Aufenthalt ist sie nicht vorgesehen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5).
Gleichermaßen erfordert der Schutz des Rechtsuchenden die Offenlegung der Anschrift zu seiner einwandfreien Identifizierung (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). So muss im gerichtlichen Verfahren feststehen, dass es sich bei einem zur Erlangung von Rechtsschutz eingereichten Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es dem Spruchkörper mit Wissen und Willen eines identifizierbaren Berechtigten zur Entscheidungsfindung im konkreten Fall zugeleitet worden ist. Schon um den Anforderungen des Datenschutzes entsprechen zu können, sind handhabbare und sichere Kommunikationswege mit einer zustellungsfähigen Anschrift des Betroffenen unverzichtbar (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). Denn der nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz dient keinem Selbstzweck, sondern soll sicherstellen, dass der Betroffene mit gerichtlicher Hilfe die ihm zustehenden Ansprüche durchsetzen bzw. rechtswidrige Eingriffe abwehren kann (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). Mit der Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens begibt sich der Rechtsuchende in eine Rolle, die trotz des hier geltenden Amtsermittlungsprinzips regelmäßig ein Mindestmaß an aktiver Mitwirkung erfordert (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2, § 106 Abs. 1, § 111 Abs. 1 SGG); dies ist ohne sichere, auch für den Prozessgegner transparente Kommunikationsmöglichkeiten mit ihm (vgl. § 128 Abs. 2 SGG) nicht gewährleistet (BSG, a.a.O., Rdnr. 6).
Schließlich sprechen Gründe des Kostenrechts für das Erfordernis, dem Gericht eine Anschrift zu nennen (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Das sozialgerichtliche Verfahren ist zwar für eine natürliche Person grundsätzlich kostenfrei und in der Regel auch nicht mit der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Prozessgegners verbunden (vgl. §§ 183, 184 SGG in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 - BGBl. I S. 2144 (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Als Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit können jedoch nach § 192 SGG einem uneinsichtigen Rechtsuchenden die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstandenen Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Dieses Mittel liefe leer, wenn die Vollstreckung der auf dieser Grundlage festgesetzten Kosten gefährdet wäre, nur weil der Rechtsuchende sich durch bloßes Verschweigen seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn treffenden Kostenlast entziehen könnte (BSG, a.a.O., Rdnr. 7).
Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist (BSG, a.a.O., Rdnr. 8). Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz kann die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit entfallen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Februar 2012, 9 B 79/11 u.a., Juris, Rdnr. 11 m.w.N.).
Das Erfordernis der Nennung einer ladungsfähigen Adresse muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 92 Rdnr. 16). Dies ist jedoch beim Kläger nicht der Fall, weil er im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Berufungsverfahren keine aktuelle ladungsfähige Adresse angegeben hat und diese dem Senat auch nicht bekannt ist. Der Kläger hat zwar vom 27. Juli bis zum 22. Dezember 2021 in einem Appartementhaus in der A-Straße, A-Stadt, gewohnt und befand sich vom 22. Dezember 2021 bis zum 14. Januar 2022 in Untersuchungshaft in Frankfurt am Main. Er wurde jedoch am 14. Januar 2022 aus der Untersuchungshaft entlassen, ohne dass er eine neue ladungsfähige Adresse angegeben hätte oder diese dem Gericht sonst bekannt wäre. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, ob der Kläger über eine aktuelle Adresse verfügt und welche dies sein könnte.
Der Kläger verweist zwar darauf, dass die Klagebefugnis eines Obdachlosen bestehe und in diesem Ausnahmefall die Pflicht, dass eine ladungsfähige Adresse genannt werden müsse, entfalle. Der Kläger ist jedoch nicht obdachlos. Aus anderen Verfahren ist dem Gericht vielmehr bekannt, dass der Kläger regelmäßig in Hotels übernachtet. Beispielsweise hat der Kläger in den Berufungsverfahren L 7 AL 43/20, L 7 AS 190/20, L 7 AS 45/20 und L 7 AS 46/20 am 29. März 2021 ein Formular über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und darin den monatlichen Bezug von Arbeitslosengeld von 1.176 Euro und zugleich monatliche Hotelkosten von ca. 1.000 Euro angegeben. Auch aus den Verwaltungsakten des Jobcenters Frankfurt am Main, von dem der Kläger immer wieder Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, ist bekannt, dass der Kläger immer wieder in Hotels in A-Stadt übernachtet und die entsprechenden Kosten als Kosten der Unterkunft und Heizung geltend macht. Da der Kläger auch immer wieder Arbeitsstellen wahrnimmt und dauerhaft eine Vielzahl von Verfahren vor den verschiedensten Gerichten betreibt, in denen er eine Vielzahl von computergeschriebenen Schriftsätzen einreicht, ist ausgeschlossen, dass der Kläger obdachlos ist und auf der Straße lebt und deswegen daran gehindert ist, eine Adresse anzugeben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger - aus welchen Gründen auch immer - dem Senat bewusst keine Wohnanschrift nennt, was auch dadurch bestätigt wurde, dass der Kläger zwar mehrere Monate in einem Appartementhaus in A-Stadt gewohnt hat ohne jedoch diese Anschrift dem Senat mitzuteilen. Diese Adresse hat der Kläger dem Senat erst mitgeteilt als dieser dort schon nicht mehr gewohnt hat und sich in Untersuchungshaft befunden hat.
Auch soweit - zufällig - bekannt geworden ist, dass der Kläger im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde (B 11 AL 3/22 BH) gegenüber dem BSG eine „c/o-Anschrift“ bezüglich eines B. A., B-Straße, B-Stadt, angegeben hat, vermag dies zu keinem anderen Ergebnis zu führen.
Dabei kann es dahinstehen, ob eine derartige „c/o-Anschrift“ überhaupt ausreichend wäre.
Diesbezüglich wird insbesondere in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung verlangt, dass notwendige Voraussetzung für eine wirksame Klageerhebung jedenfalls dann, wenn die Angabe ohne weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse entgegensteht, die Angabe der Wohnanschrift des Klägers zunächst seine Identifizierung dient. Darüber hinaus dokumentiert ein Kläger durch sie aber zugleich die Ernsthaftigkeit seines Begehrens wie auch seine Bereitschaft, sich etwaigen mit dem Betreiben des Prozesses verbundenen nachteiligen Folgen zu stellen, wie insbesondere seine Kostentragungspflicht im Falle des Unterliegens. Auch muss eine klagende Partei bereit sein, persönlich im Termin zu erscheinen, falls dies das Gericht anordnet (OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Mai 2014, Az.: 16 U 4/14 m.w.N.; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 23. September 2021, Az.: 15 W 47/21; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 12. November 2018, Az.: 7 W 27/18; VG München, Urteil vom 31. Juli 2014, Az.: M 10 K 11.6127).
Diese Gesichtspunkte gelten auch hier, wobei eine Identifizierung des Klägers nicht notwendig ist. Durch eine so genannte „c/o-Anschrift (care of), wie bei der Anschrift des Herrn B. A., wäre es nicht möglich, eine Ladung des Klägers durch dessen Vorführung zu erzwingen, was durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens im sozialgerichtlichen Verfahren möglich ist. Bezüglich der Kosten ist auf die Regelung des § 192 SGG zu verweisen. Außerdem kommt noch hinzu, dass der Kläger in den vorliegenden Verfahren die c/o-Anschrift nicht aus eigenem Antrieb dem Gericht mitgeteilt hat, sie vielmehr durch Aktenrücklauf vom BSG in einem anderen Verfahren durch Zufall bekannt wurde. Dass seine Eltern, die unter der Anschrift in B-Stadt wohnen, in den vorliegenden Verfahren über eine Postzustellungsvollmacht verfügen, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht vorgetragen. Der Senat ist somit weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger kontinuierlich und vorsätzlich seinen wahren Aufenthaltsort verschweigt, ohne dass schützenswerte Interessen auch nur ansatzweise nachvollziehbar wären.
Allein dadurch unterscheidet sich der Kläger von üblichen Obdachlosen, die z.B. auf Wanderschaft sind („Tippelbrüder“) oder üblicherweise im Freien bzw. nicht dauerhaft in festen Unterkünften übernachten. Diese können im Gegensatz zu dem Kläger lediglich eine Adresse zum Postempfang benennen, verschweigen damit insbesondere keine Wohnanschrift.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe musste mangels Erfolgsaussichten abgelehnt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).