L 1 U 2221/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1642/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2221/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.



Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen die gerichtliche Feststellung, dass ein Außenmeniskusschaden links des Klägers Folge seines anerkannten Arbeitsunfalls vom 10. Oktober 2019 sei.

Der Kläger ist als Mechaniker bei einem Unternehmen für den Handel und die Reparatur von Nutzfahrzeugen beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der Beklagten, einer gewerblichen Berufsgenossenschaft, gesetzlich unfallversichert.

Nach den Feststellungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erlitt er am Donnerstag, dem 10. Oktober 2019, gegen 09:20 Uhr einen Unfall, indem er während der Arbeit auf dem Werksgelände wegrutschte und auf das linke Knie fiel. Er arbeitete weiter, nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren allerdings nur noch im Büro, und nahm am Folgetag bzw. der Woche danach an einer Schulung außerhalb des Betriebs teil.

Am Montag, dem 21. Oktober 2019 suchte der Kläger gegen 07:30 Uhr den Durchgangsarzt O1 im S1-Krankenhaus F1 auf. Dieser diagnostizierte eine Kniegelenksdistorsion links und veranlasste eine MRT-Untersuchung (D-Arzt-Bericht vom selben Tage).

In der betrieblichen Unfallanzeige der Arbeitgeberin vom 22. Oktober 2019 teilte die Zeugin G1 mit, der Kläger habe auf den Stufen in eine Werkstattgrube gestanden, es habe stark geregnet, ferner sei die Grube verölt gewesen, sodass der Kläger ausgerutscht und auf das linke Knie gefallen sei. Er habe trotz Schwellungen und Schmerzen weitergearbeitet und an der Schulung in der Woche danach teilgenommen. Niemand habe den Unfall gesehen.

Die MRT-Untersuchung bei B1 am 24. Oktober 2019 ergab einen Radiärriss in der Pars intermedia des Außenmeniskus und ein kleines fokales Bone bruise im ventralen lateralen Femurcondylus sowie eine Flüssigkeit in der Bursa praepatellaris subcutanea lateral betont bei Zustand nach Kontusion. Bei der Arthroskopie des linken Kniegelenks am 30. Oktober 2019 fand sich ein Radiärriss der Pars intermedia des Außenmeniskus in der weißen Zone. Der Operateur, D1, führte aus, der Riss zeige sich zu den Rändern hin etwas ausgewalzt, trotzdem lägen klare Anzeichen einer traumatischen Ruptur vor. So spreche der radiäre Riss mit noch relativ scharfer Berandung für ein vor kurzem stattgehabtes Trauma. Prinzipiell könne ein Distorsionstrauma die Ursache des Schadens sein. Auch das kurzfristige Vorstellen des Klägers am 21. Oktober 2019 nach dem Unfall spreche für eine traumatische Genese (Operationsbericht vom 27. November 2019). Auf Nachfrage der Beklagten teilte O1 am 13. Dezember 2019 mit, bei der Operation sei kein Material für eine histologische Untersuchung entnommen worden.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22. Januar 2020 führte W1 insbesondere aus, zwar könne über eine Distorsion hinaus auch eine Kniegelenksprellung stattgefunden haben, jedoch sei für die Anerkennung einer unfallbedingten Meniskusschädigung eine begleitende Kapselbandschädigung notwendig, die nach der MRT-Untersuchung hier nicht vorliege.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2020 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 10. Oktober 2019 als Arbeitsunfall und eine Zerrung/Prellung des linken Kniegelenks als seine Folge an. Keine Unfallfolge sei ein Riss des Außenmeniskus bei vorbestehenden Knorpelabnutzungen. Anspruch auf Heilbehandlung und Verletztengeld habe vom 10. bis zum 29. Oktober 2019 bestanden.

Im Vorverfahren trug der Kläger vor, er habe bis zu dem Unfall keine Probleme mit seinem Knie gehabt. Die Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 15. April 2020. Sie führte aus, bei einem unfallbedingten Meniskusriss seien immer verletzungsspezifische Veränderungen an anderen Kniegelenksstrukturen zu erwarten, denn direkte Krafteinwirkungen auf das Kniegelenk gefährdeten die Menisken erst dann, wenn der Kapsel-Band-Apparat als primärer Stabilisator des Kniegelenks überdehnt oder eingerissen worden sei. Bei knöchernen Verletzungen könnten ebenfalls die Menisken beteiligt sein. Hier jedoch seien weder bei der tomografischen Untersuchung noch bei der Arthroskopie Verletzungen an den Bandstrukturen sowie knöcherne Verletzungen objektiviert worden. Vielmehr habe sich ein vorbestehender, degenerativer Außenmeniskusschaden gezeigt. Ein rein zeitlicher Zusammenhang zwischen anhaltenden Beschwerden und einem vorangegangenen Unfallereignis reiche im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus.

Am Montag, dem 18. Mai 2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erheben lassen. Er hat beantragt, die Beklagte zur Anerkennung „der Gesundheitsschäden am linken Kniegelenk“ als Unfallfolge und zur Gewährung von Leistungen zu verurteilen. In der Sache hat er sich insbesondere auf D1 Ausführungen in dem Arthroskopiebericht bezogen.

Von Amts wegen hat das SG das Gutachten zur Zusammenhangfrage bei dem Facharzt H1 vom 5. August 2020 erhoben. Der Sachverständige ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass der Arbeitsunfall vom 10. Oktober 2019 als wesentliche Ursache zu dem Außenmeniskusschaden links beigetragen habe. Er ist dabei nach einer Befragung des Klägers davon ausgegangen, der Kläger sei „mit dem linken Bein in die Beugung und Adduktion des Kniegelenks sowie Innenrotation des Unterschenkels und Fußes gegangen, ähnlich einem Fall in den Schneidersitz, der linke Fuß blieb dabei belastet auf dem Boden“. Bei diesem Sturz sei es im Sinne eines „Nussknackerphänomens“ zu einer Einklemmung des Meniskus gekommen. Dieser Hergang sei geeignet, einen isolierten Meniskusschaden zu verursachen. Auch die bildgebenden Befunde zur Lokalisation des Bone bruise und der Arthroskopiebericht sprächen für einen Unfallzusammenhang. Wegen der Feststellungen und Schlussfolgerungen im Einzelnen wird auf das schriftliche Gutachten Bezug genommen.

Die Beklagte ist dem Gutachten entgegengetreten und hat die beratungsärztliche Stellungnahme vom 7. September 2020 vorgelegt. Danach gebe es für den von H1 zu Grunde gelegten Hergang keine ausreichenden Hinweise. Weiterhin sei davon auszugehen, dass isolierte Meniskusschäden nur bei einem „wuchtigen Drehsturz“ entstehen könnten. Die Einschätzung des Operateurs, es liege ein frisches Trauma vor, stütze sich allein auf einen „relativ scharfen Rand“.

In seiner von Amts wegen eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 22. September 2020 hat H1 ausgeführt, bei einem Fall in den Schneidersitz erfolge sehr wohl eine „Adduktion und Innenrotation des Unterschenkels“. Nach dem kernspintomografischen Befund sei hier zusätzlich zum Fallen in die Schneidersitzposition von einer Kontusion der lateralen Femurcondylenrolle auszugehen, diese bewirke letztlich eine Kompression konkret auf den Außenmeniskus.

Der Ankündigung einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2020 ist der Kläger entgegengetreten. Der Sachverhalt sei nicht geklärt. Auch weiche die medizinische Auffassung der Beklagten von dem Sachverständigengutachten ab.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. Juni 2021 hat das SG unter Abänderung des Bescheids vom 27. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2020 festgestellt, dass ein Außenmeniskusschaden links weitere Folge des Unfalls vom 10. Oktober 2019 ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Soweit der Kläger nicht näher bezeichnete Leistungen begehre, sei seine Klage unzulässig. Dagegen sei der Meniskusschaden als Unfallfolge anzuerkennen. Dies ergebe sich vor allem aus dem Gutachten von H1, der den genauen Hergang eruiert und sich maßgeblich auf den intraoperativen Befund gestützt habe. Die Stellungnahme von W1, ein traumatischer Meniskusschaden setze eine Begleitverletzung der Kapselbandstrukturen vor­aus, könne dagegen nach H1 Ausführungen nicht überzeugen.

Am 5. Juli 2021 hat die Beklagte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Sie verweist unter anderem darauf, dass der Kläger nach dem Unfall nicht sofort die Arbeit niedergelegt habe. Sie legt die beratungsärztliche Stellungnahme von M1 vom 18. August 2021 vor. Darin ist ausgeführt, der Hergang, wie ihn H1 erhoben habe, führe allenfalls zu einer Belastung des inneren Gelenkspalts, also des Innenmeniskus, aber zu einer Entlastung des - hier verletzten - Außenmeniskus. Auch ein Anprall an den körperfernen Oberschenkel sei ungeeignet, eine Außenmeniskusläsion zu verursachen. Ferner sei daran festzuhalten, dass es nur in Ausnahmefällen zu einem isolierten Meniskusriss ohne Begleitverletzungen komme. Dies ergebe sich auch aus der Literatur, die H1  selbst zitiere.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juni 2021 aufzuheben und die Klage vollen Umfangs abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er legt die schriftliche Bescheinigung seiner Ehefrau vom 22. September 2021 vor, wonach er am 10. Oktober 2019 auf dem Boden ausgerutscht und auf das linke Knie gefallen sei und unter Einnahme von Schmerzmitteln an der Schulung in der Woche danach teilgenommen habe, weil es sich um eine Pflichtveranstaltung gehandelt habe.

Auf Anfrage hat die Krankenkasse des Klägers, die SBK, unter dem 27. Oktober 2021 das Vorerkrankungsverzeichnis übersandt, das für die letzten sechs Jahre vor dem Unfall keine Einträge wegen Beschwerden der unteren Gliedmaßen enthält.

Der Senat hat zwei Kollegen des Klägers, Frau G1 und Herrn G2, schriftlich als Zeugen vernommen. Beide haben unter anderem bekundet, den Unfall selbst nicht gesehen zu haben, aber bemerkt zu haben, dass der Kläger unmittelbar danach über Schmerzen geklagt habe und dass er aber wegen der Schulung zunächst keinen Arzt aufgesucht habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die per E-Mail am 29. März 2021 übersandten eingescannten und unterschriebenen Aussagen der Zeugen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich zum Unfallhergang, zu seinen anschließenden Beschwerden und zum Ablauf der Tage nach dem Unfall bis zum ersten Arztkontakt angehört. Wegen seiner Aussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur die Feststellung des SG, der Meniskusschaden des Klägers sei Unfallfolge. Soweit das SG die Klage im Übrigen abgewiesen hat, also hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auf Leistungen, hat der Kläger weder selbstständig noch durch Anschließung Berufung erhoben.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG), insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da sie eine gerichtliche Feststellung und nicht die Verurteilung zu Leistungen betrifft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG der Klage teilweise stattgegeben und den Außenmeniskusschaden des Klägers als Folge des Unfalls vom 15. April 2022 festgestellt.

Zunächst ist der Antrag des Klägers nach der ausdrücklichen Sonderregelung für derartige Elementenfeststellungen in § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG (i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) als Anfechtungs- und Feststellungsklage statthaft. Er ist zulässig, insbesondere hat die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid ausdrücklich über die hier streitige Unfallfolge entschieden, und begründet. Der geltend gemachte Feststellungsanspruch steht dem Kläger zu.

Gesundheitsstörungen sind als Folgen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen entweder direkt, vermittelt durch den Gesundheitserstschaden oder aber mittelbar unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 SGB VII ein Ursachenzusammenhang besteht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris).

Während die geltend gemachte Unfallfolge im Sinne des sogenannten Vollbeweises feststehen, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt sein muss, gilt für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und ihr der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Sie liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt hingegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 29/07 R -, juris, Rn. 16). Die Entscheidung über den Wahrscheinlichkeitszusammenhang ist danach eine Form des Indizienbeweises. Die einzelnen Umstände (Indizien), die für oder gegen einen Ursachenzusammenhang gewertet werden sollen, müssen ihrerseits ebenfalls im Vollbeweis feststehen. Ob ein einzelner Umstand für oder gegen einen Ursachenzusammenhang spricht oder aber neutral ist, ist an Hand anerkannter medizinischer Erfahrungssätze zu entscheiden (vgl. im Einzelnen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 22 ff.).

Sofern mehrere Ursachen an der Entstehung des Schadens mitgewirkt haben, folgt die Feststellung des Zusammenhangs der im Sozialrecht geltenden Lehre der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R -, juris, Rn. 12). Danach ist nur diejenige Bedingung rechtlich erheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Eintritt des geltend gemachten Gesundheitsschadens „wesentlich“ beigetragen hat. Nicht jede Bedingung, die im naturwissenschaftlichen Sinne den Erfolg beeinflusst hat, ist auch rechtlich seine Ursache, sondern nur diejenige, die bei wertender Betrachtung den maßgeblichen Anteil an dem Erfolg gesetzt hat (vgl. zu dieser zweiten Stufe Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 24 ff.).

Der Kläger hat am 10. Oktober 2019 einen anerkannten Arbeitsunfall erlitten, in den auch das linke Knie involviert war. Ebenfalls steht im Vollbeweis fest, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung, ein Radiärriss der Pars intermedia des Außenmeniskus in der weißen Zone, vorliegt. Dies ergibt sich aus den bildgebenden und intraoperativen Befunden.

Der Unfall war auch mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache dieses Schadens.

Bei der Beurteilung, ob ein Meniskusschaden traumatisch bedingt ist oder auf Texturstörungen meist degenerativer Art zurückzuführen ist, ist nach den medizinischen Erfahrungssätzen auf vier oder fünf Kriterien abzustellen. Dazu gehören vor allem die Eignung des Hergangs für den vorliegenden Schaden, die zeitnah nach dem Ereignis aufgetretene klinische Symptomatik (festgemacht am Verhalten des Klägers und an den zeitnahen klinischen Feststellungen der behandelnden Ärzte), die apparative (bildgebende) Diagnostik sowie etwa erhobene operative (einschließlich histologischer bzw. pathologischer) Feststellungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 655 ff.). Daneben kommt auch der Altanamnese Bedeutung zu: sofern bereits vor dem angeschuldigten Unfall bildgebend festgestellte oder gar klinisch manifeste Beschwerden an den Menisken vorlagen, spricht dies eher gegen eine traumatische Genese (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. Dezember 2021 - 1 A 843/19 -, Rn. 13, juris).

Vor diesem Hintergrund gelangt der Senat nach dem Ergebnis des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2022 zu der Einschätzung (§ 128 Abs.1 SGG), dass diejenigen Indizien, die für einen Ursachenzusammenhang sprechen, die dagegen sprechenden Umstände überwiegen, der Unfall also - auf der ersten Stufe der Zurechnung - mit Wahrscheinlichkeit eine „conditio sine qua non“ für den Unfall war. Verfahrensrechtlich stützt sich der Senat dabei maßgeblich auf den Operationsbericht von D1, der als Urkunde mit öffentlichem Glauben (§§ 118 Abs. 1 SGG, 418 Abs. 1 ZPO) verwertet werden kann, und auf das Gutachten von H1 (§§ 402 ff. ZPO), dessen Annahmen zum Unfallhergang durch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2022 bestätigt worden sind.

Der Hergang war geeignet, den Meniskusschaden des Klägers zu verursachen.

Bei dem Kläger wurde eine isolierte Außenmeniskusverletzung ohne begleitende Schädigung der Umgebungsstrukturen festgestellt. Insbesondere fehlen Läsionen der Gelenkkapsel, der Bänder bzw. der knöchernen Strukturen. Eine solche, isolierte traumatische Schädigung eines altersentsprechend strukturierten Meniskus - ohne dem Lebensalter vorauseilende Texturstörungen - gehört nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den Ausnahmen, da für eine Meniskusschädigung eine erhebliche Krafteinwirkung auf das flektierte und rotierte Kniegelenk erforderlich ist (vgl. hierzu und im Folgenden: Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 657 ff.). Insbesondere können isolierte Meniskusschäden durch einen sog. „wuchtigen Drehsturz“ entstehen, bei dem das gebeugte und rotierte Kniegelenk bei fixiertem Unterschenkel/Fuß plötzlich passiv in die Streckung gezwungen wird, so dass die physiologische Schlussrotation nicht mehr ablaufen kann (Hessisches LSG, Beschluss vom 11. September 2020 - L 3 U 150/18 -, Rn. 35 ff., juris). Dagegen wird ein Sturz auf das Kniegelenk, insbesondere nach vorn, weiterhin als ungeeignet eingestuft, einen (Außen)meniskusschaden zu verursachen (SG Fulda, Urteil vom 16. Juli 2018 – S 8 U 129/14 –, Rn. 173, juris). An dieser Einschätzung ist festzuhalten, auch wenn der Sachverständige H1 in seinem Gutachten ausgeführt hat, sie entspreche nicht den klinischen Erfahrungen. Diese Ausführung dürfte eine subjektive Einschätzung sein. Sie entspricht nicht dem anerkannten Stand der Medizin, wie ihn M1 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme nochmals dargelegt hat. Auf diesen medizinischen Lehrstreit kommt es auch nicht an, denn H1 hat letzten Endes einen Ablauf angenommen, der auch nach dem anerkannten Stand der Medizin geeignet war, einen isolierten Meniskusschaden zu verursachen:

Anders als die Beklagte nach den Feststellungen im Verwaltungsverfahren geht er davon aus, dass hier ein Sturz bei fixiertem Fuß und Rotationseinwirkung auf das Knie vorgelegen hat. Nach seinen Ausführungen in dem Gutachten hat der Kläger bei ihm angegeben, er sei mit dem rechten Fuß weggerutscht und nach vorn auf das linke Knie gefallen. Der Anstoß habe oberhalb der Kniescheibe gelegen. Hierzu hat H1 wörtlich ausgeführt, der Kläger sei „mit dem linken Bein in die Beugung und Adduktion des Kniegelenks sowie Innenrotation des Unterschenkels und Fußes gegangen, ähnlich einem Fall in den Schneidersitz, der linke Fuß blieb dabei belastet auf dem Boden“.

Der Senat hat zu diesen Ausführungen den Kläger persönlich angehört und sich den Ablauf demonstrieren lassen, denn mangels einer gerichtlichen Ermächtigung nach § 404a Abs. 4 Var. 1 ZPO war H1 nicht zur Aufklärung der Beweisfrage befugt (vgl. § 404a Abs. 3 ZPO). Diese nachträgliche Anhörung hat H1 Annahmen bestätigt. Danach war der Kläger, als er die Arbeitsgrube verlassen wollte, aber bevor er die erste Stufe betreten hat, mit dem rechten Fuß nach schräg hinten links weggerutscht. Der linke Fuß blieb auf dem Boden stehen. Der Kläger stand bzw. ging dabei vornübergebeugt, weil die Grube nur 1,60 m tief war und über seinem Kopf der Lkw stand, an dessen Unterseite er gearbeitet hatte. Dadurch geriet der Körper des Klägers in eine Drehbewegung nach rechts, während er nach vorn stürzte und mit dem linken Knie auf die Kante der zweiten Stufe aufschlug. Dies war ein Sturz bei flektiertem und - nach rechts - rotiertem Knie bei zugleich feststehendem Fuß. Vielleicht war H1 Beschreibung, der Kläger sei „in die Schneidersitzposition“ gestürzt, etwas missverständlich. Der Sturz endete nicht im Schneidersitz. Der Begriff beschreibt aber, in welche Richtung der Kläger stürzte und dass dabei eine Rotationsbewegung auftrat.

Der Senat hat keinen Anlass, an diesen Angaben des Klägers zu zweifeln. Dazu trägt auch der persönliche Eindruck bei, der bei der Anhörung gewonnen werden konnte. Ferner war der Kläger während des Verwaltungsverfahrens nie ganz konkret zum Ablauf angehört worden, erst H1 hat versucht, den genauen Ablauf zu eruieren. Es schadet daher nicht, dass die Zeugin G1 und der Zeuge G2, die der Senat im Berufungsverfahren schriftlich vernommen hat, den Unfallhergang selbst nicht gesehen hatten.

Eine gewisse Bestätigung für den Hergang, wie ihn der Kläger schildert, findet sich auch in der Lokalisation des Bone bruise im ventralen lateralen Femurcondylus, also der körperfernen, äußeren Seite. H1 hat ausgeführt, diese Lokalisation deute auf ein Anpralltrauma lateralseitig hin. Dies erscheint nachvollziehbar: Da der Oberkörper und damit auch der Oberschenkel des Klägers nach rechts gedreht waren, also bei dem Sturz nicht die Vorderseite des Beins nach vorn zeigte, sondern die linke Außenseite, hat der Aufprall auf die Kante der zweiten Stufe die äußere Seite des Oberschenkelfortsatzes links getroffen und nicht die Mitte des Beins. Dementsprechend ist z.B. auch der Kniescheibe nichts geschehen.

Dass dieser Ablauf nach medizinischer Einschätzung einen isolierten Meniskusschaden verursachen konnte, hat H1 in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt, unabhängig davon, ob der Begriff „Nussknackerphänomen“, den er dabei verwandt hat, in der medizinischen Literatur für Abläufe dieser Art üblich ist. Insbesondere kann der Senat nicht dem Einwand des Beratungsarztes M1 folgen, der Unfall habe allenfalls den Innenmeniskus belasten können. Immerhin ist der Kläger - wie ausgeführt - bei rotiertem Knie auf die Außenseite von Femurcondylus und Knie gestürzt, sodass gerade auch dort größere Kraft eingewirkt haben muss.

Für einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang spricht ferner der intraoperative, bei der Arthroskopie am 30. Oktober 2019 erhobene Befund. D1 hat in seinem OP-Bericht vom 17. November 2019 einen Radiärriss der Pars intermedia des Außenmeniskus in der weißen Zone beschrieben. Er hat ausdrücklich einen Zusammenhang mit dem Trauma am 10. Oktober 2019 für wahrscheinlich gehalten, insbesondere weil die Meniskusstümpfe noch eine relativ scharfe Berandung aufwiesen. Seine Einschätzung stützt sich auf anerkannte medizinische Erfahrungssätze. So wird bei Radiärrissen (und bei Längsrissen) eines Meniskus häufiger eine traumatische Ursache angenommen, während Horizontal-, Lappen- und komplexe Risse in aller Regel degenerativ bedingt sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 656). Weiterhin trifft es zu, dass relative scharfkantige Fragmentationen, die histologisch noch keine Gewebereaktion erkennen lassen, für eine traumatische (einmalige) Verursachung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 659). Dies gilt zumindest dann, wenn die arthroskopische Untersuchung zeitnah zu dem angeschuldigten Unfall stattfindet. Davon ist hier aber auszugehen, der Abstand betrug nicht ganz drei Wochen. Zwar hat D1 auch darauf hingewiesen, der Riss zeige sich zu den Rändern hin (bereits) etwas ausgewalzt, was für bereits begonnene Umbauprozesse sprechen könnte. Ebenso unterliegen gerade Operationsberichte wegen der Schnelligkeit des Ablaufs und der Unübersichtlichkeit in einer größeren Wunde einer erheblichen Interobserver-Varianz (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 659). Gleichwohl kann der Senat D1 Einschätzungen folgen, zumal der arthroskopische - wie auch die pathologischen Begutachtung - die wichtigste Erkenntnisquelle bei der Beurteilung von Zusammenhängen ist („Goldstandard“, vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 2015 – L 6 U 2394/15 –, Rn. 39, juris, unter Hinweis auf Wirth, Mutschler, Kohn, Pohlemann, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie, 3. Auflage 2013, S. 58, 61).

Für einen Ursachenzusammenhang spricht weiterhin, dass das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers, das der Senat bei seiner Krankenkasse beigezogen hat, leer ist, weswegen davon ausgegangen werden kann, dass meniskusbedingte klinische Beschwerden vor dem Unfall nicht vorgelegen hatten bzw. kein erhebliches Ausmaß aufgewiesen hatten.

Vor diesem Hintergrund sprechen auch die bildgebenden Befunde über Anzeichen für degenerative Veränderungen im Innenmeniskushinterhorn bzw. den Knorpelflächen des Kniegelenks, nicht gegen einen Unfallzusammenhang. Hierzu hatte der Kläger bei H1 den Bericht über die MRT-Untersuchung des linken Knies vom 3. März 2020 vorgelegt. Diese degenerativen Veränderungen betrafen aber zum einen nicht den Außenmeniskus, der hier verletzt worden war, ferner beschrieb sie der Bericht als „allenfalls sehr leicht“. Der Senat kann daher H1 Einschätzung folgen, dass diese - wohl klinisch stummen - Vorschäden nach Ausprägung und Lokalisation nicht altersvorauseilend waren.
 
Eine histologische bzw. pathologische Untersuchung hat nicht stattgefunden. Hierzu hat O1 am 13. Dezember 2019 mitgeteilt, bei der Arthroskopie am 30. Oktober 2019 sei kein Material für eine histologische Untersuchung entnommen worden. Dieses Kriterium fällt daher bei der Beurteilung aus, es spricht weder für noch gegen einen Zusammenhang.

Nicht eindeutig für einen Ursachenzusammenhang spricht das klinische Bild, wie es sich im Verhalten des Klägers nach dem Unfall und den Feststellungen O1 bei der ersten ärztlichen Vorstellung am 21. Oktober 2019 zeigt.

Auf eine traumatische Meniskusläsion deutet es hin, wenn sich unmittelbar nach dem Unfall eine massive, unverkennbare („eindrucksvolle“) Symptomatik einstellt, insbesondere Gelenkschmerzen, eine Blockierung und eine zunehmende Gelenkschwellung. In aller Regel geht eine solche Symptomatik mit einer sofortigen Niederlegung der Arbeit und einem alsbaldigen Arztkontakt einher (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 656).

Der Kläger hat erst nach elf Tagen um ärztliche Hilfe nachgesucht. An Beschwerden, die er in dieser Zeit hatte, sind lediglich Schmerzen und Schwellungen gesichert. Dies entnimmt der Senat den schriftlichen Angaben seiner Ehefrau in der Bescheinigung vom 22. September 2021 und vor allem den schriftlichen Aussagen der beiden Kollegen, der Zeugin G1 und des Zeugen G2, vom 29. März 2021. Schmerzen sind aber immer auch unspezifische Symptome, und im Falle des Klägers lag unstreitig zumindest eine Distorsion von Kniescheibe oder Kniegelenk vor, die ebenfalls Schmerzen verursacht. Nicht festgestellt sind dagegen spezifische Symptome eines Meniskusrisses wie eine Blockierung oder Schwierigkeiten bei der Benutzung des Knies (vgl. dazu Wirth, Mutschler, Kohn, Pohlemann, a.a.O., S. 785 f.). Selbst bei der ersten Untersuchung am 21. Oktober 2019 konnte O1 nach dem klinischen Bild nur die Distorsion diagnostizieren, fand aber keine Anhaltspunkte für einen inneren Schaden.

Aber auf Grund besonderer Umstände wertet der Senat den Indizienkomplex „Verhalten und klinische Feststellungen“ auch nicht gegen einen Unfallzusammenhang. Immerhin hat O1 bei der Erstvorstellung auch eine MRT-Untersuchung veranlasst. Dies deutet darauf hin, dass der Gründe für den Verdacht auf eine Meniskusschädigung hatte. Und die Anhörung des Klägers am 2. Mai 2022 hat ergeben, dass er unmittelbar am Unfalltag seine Arbeit in der Werkstatt beendet und den Rest der Schicht sitzend im Büro gearbeitet hat, ferner befand er sich ab dem Folgetag auf einer Schulung in Mannheim, wo er ebenfalls nur sitzend - am Computer - tätig war, also nicht in seiner üblichen Arbeit als Mechaniker. Dass er es geschafft hat, trotz seiner Beschwerden mit dem eigenen Auto nach Mannheim zu fahren, hat er damit erklärt, er habe ein Automatikfahrzeug und das linke Bein während der Fahrt quasi nicht benutzt. Diese Einlassung erscheint nicht fernliegend.

Auf der zweite Ebene der Zurechnung eines Gesundheitsschadens zu einem Unfall ist, wie ausgeführt, nach der Wesentlichkeit zu fragen. Diese zweite Ebene ist aber erst eröffnet, wenn nachgewiesenermaßen neben dem Unfall noch mindestens eine andere Ursache zu dem Schaden beitragen hat. Für derartige andere, nicht versicherte Ursachen liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Unfallversicherungsträger. Bei dem Gesundheitsschaden des Klägers liegen solche Mit­ursachen aber nicht vor. Insbesondere kann kein Ursachenbeitrag durch vorbestehende, degenerativ verursachte Meniskusschäden angenommen werden. Wie ausgeführt, war das Vorerkrankungsverzeichnis leer; und die nach dem Unfall bildgebend festgestellten degenerativen Veränderungen im linken Knie betrafen nur den Innenmeniskus und waren auch nicht altersvorauseilend.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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